Der dumme Kerl

Skizze von Teo von Torn.

(Nachdruck verboten.)

in: „Rigasche Rundschau” vom 05.09.1902,
in: „Agramer Zeitung” vom 13.09.1902,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 28.09.1902,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 27.11.1902


Der erste Rosentrieb war abgeblüht. Die Blumenbeete nehmen sich etwas zerblättert und erschöpft aus — Florian Lobedanz aber meinte, sein Gartenwinkelchen mache ein Gesicht wie Jemand, der noch alle Hände voll zu thun habe und nach dem ersten wundervoll geglückten Anfange sich verschnaufend umsehe, was jetzt an die Reihe kommen müsse.

Der kleine Peter Henze war trotz seiner acht Jahre ein verständnißvoller Freund des Herrn Florian Lobedanz, aber daß so ein Garten, in dem man sich überdies nicht einmal recht umdrehen konnte, ein Gesicht mache, wollte ihm doch nicht recht einleuchten.

Er hatte sich an den niedrigen Stacketenzaun gehängt, der den elterlichen Hof von dem Grundstück des Herrn Lobedanz trennte, und sah nachdenklich auf das Fleckchen Erde herüber, das ein Gesicht machen sollte.

Ein flüchtiges überlegenes Jungenslächeln huschte durch sein Nachdenken, — aber er hielt die Sache nicht für wichtig genug, um seiner abweichenden Ansicht Ausdruck zu geben. Herr Lobedanz hatte überhaupt manchmal Ideen, die Peter theils ulkig, theils unwahrscheinlich vorkamen. Er ging also darüber hinweg. Nachem er noch mit einer kurzen, energischen Bewegung seine Nase gerieben, hing er sich mit beiden Armen an den Zaun.

„Schenken Sie mich 'ne Cigarrenkiste!” rief er, indem er das Kinn auf die verschränkten Hände stützte.

Florian Lobedanz richtete sich aus der gebückten Haltung, in der er seine üppig wuchernden Reseden beschnitten, auf — und zwar langsam, ganz langsam mit einem Ausdruck peinlichen und gespannten Nachdenkens, wie Jemand, der Zeit gewinnen will zu einer schwerwiegenden Entscheidung, vor die man ihn ganz plötzlich gestellt hat. Mit Daumen und Zeigefinger strich er über das schlecht rasirte Kinn. Er war so mit sich beschäftigt, daß er garnicht merkte, wie sein junger Freund in Uebermuth oder Langerweile an den Stachelbeerbüschen zerrte, an denen doch jeder Trieb gezählt war, — und daß Peter schließlich von einer schrillen Frauenstimme abgerufen wurde.

Als Florian Lobedanz endlich mit einem betrübten und verschüchterten Blick hinüberschaute, war die Stelle am Zaun leer.

Er schrak ordentlich zusammen und öffnete die schmalen Lippen, als wenn er rufen wollte. Dann schüttelte er langsam den Kopf, zog den verschossenen Ueberzieher, den er daheim als Schlafrock trug, fest um die schmächtigen Glieder und schlich wie unter dem Drucke eines schweren Unrechtes ins Haus.

*           *           *

Das war schon immer so gewesen.

Wenn man Florian Lobedanz um etwas gebeten und er hatte es nicht gleich thun oder hingeben können in seiner übereifrigen, schier dankbar beglückten Art, dann war er ein verzagter Mensch gewesen. Seine früheren Gutsnachbarn, die polnischen Slachcicen, und seine Dörfler hatten das wohl auszunutzen gewußt — auf der Kreissparkasse von Schrimm, wo Florian Lobedanz unentwegt für sie „quer” geschrieben hatte. Dafür hatte man ihn dann jedesmal auf beide Wangen geküßt und ihn Freund und Bruderherz genannt; und das kleine Volk hatte nicht anders von ihm gesprochen, als von dem edelsten Wohlthäter der Krone Polen, dessen man täglich im Gebet gedenke.

Da aber Gut und Herrenhaus von Borowa schließlich unter den Hammer kamen, nannten ihn die Slachcicen und die Dörfler gleichermaßen einen dummen Kerl.

Florian wußte das, aber es berührte ihn nicht. Er zog ab von der Scholle, auf der die Lobedanze seit drei Generationen als „Pioniere des Deutschthums” gewirkt hatten. Er behielt nur seine Guitarre, die er meisterhaft spielte, und genau so viel Mittel, daß er in der Kreisstadt ein winziges Häuschen erstehen und sich alle Tage eine gute Mehlsuppe bereiten konnte, mit Speckwürfeln und großen Brocken Brot darin. Davon gab er, soviel jeglicher wollte. Weil aber selbst die wandernden Handwerksburschen und die Armen der Stadt Mehlsuppe nicht gern mochten, so wandte sich nur noch höchst selten Jemand mit einer Bitte an Florian Lobedanz.

Und das war sein Leid. Er kam sich so verloren und überflüssig vor. Die beste Lebensfreude war ihm genommen. Deshalb liebte er eigentlich nur noch den kleinen Peter und den Garten. Ersterer hatte hie und da noch ein Anliegen — entweder bat er um einen Haselstock oder um einen Bogen Papier, aus dem sich ein Helm oder ein Salznäpfchen machen ließ. Der Garten dagegen redete und bat zwar nicht und war auch nicht so eigensinnig und rechthaberisch in seinen Wünschen wie der Peter: aus jedem unbepflanzten Fleckchen Erde aber sprach ein Anliegen, aus jeder trockenen Erdkrume eine Bitte, und das Lichtheischen jedes neuen sprossenden Keims rief in Florian Lobedanz nicht gar selten den vermessenen Wunsch wach, daß er wohl mal der liebe Herrgott sein möchte, um allen Frühlingskeimen eitel Sonne zu geben.

*           *           *

Eine Cigarrenkiste! Ein Nichts — ein tausendfach achtlos herumgeworfenes Ding. Für Florian Lobedanz aber der Gegenstand einer schweren Sorge. Er hatte wohl früher geraucht und eine Menge solcher Kisten besessen. Nun aber schon lange nicht mehr. Und wenn er auch in seinem Häuschen alles umkrempelte — es war nicht eine zu finden.

Anderthalb Stunden später trat Florian aus der Tabagie des Antony Wierzchula am Marktplatz. Der alte Kaufmann schloß wie in früheren Zeiten diensthöflich hinter ihm die Thür, aber er konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken. Er verstand und würdigte es sogar, wenn der einst so vielvermögende Herr Lobedanz seit seinem Unglück nicht mehr rauchte. Die polnischen Herren Gutsbesitzer pflegten in solchem Falle bei ihm zu borgen. Aber eine Kiste zu drei Mark? Das war eigentlich noch schlimmer als Nichtrauchen . . . . Und dann hatte er die schlechten Kutschercigarren auch noch gesondert einpacken lassen und die Kiste leer unter den Arm genommen. Die Leute mochten doch nicht so unrecht haben, wenn sie sagten, daß der Herr Lobedanz ein dummer Kerl sei.

Dieser aber eilte nach Hause — erhobenen Hauptes und in den lustig zwinkernden Aeuglein jene versteckte vorgenießende Glückseligkeit, der man sonst nur am Weihnachts­heiligabend auf der Gasse begegnet.

Es war nicht gar so leicht gewesen, den Wunsch des jungen Freundes zu erfüllen. Dieser Thaler bedeutete eine strenge Einschränkung für die ganze nächste Woche — umsomehr Freude aber machte Herrn Lobedanz der leere Kasten, den er wie einen Schatz fest an sich drückte.

Vielleicht, nein wahrscheinlich hätte er den Kasten von Antony Wierzchula mit Rücksicht auf die verflossenen besseren Zeiten umsonst bekommen; denn auf die Cigarren kam es ihm garnicht an — er wollte sie keinesfalls rauchen, um sich den kostspieligen Genuß nicht erst wieder anzugewöhnen. Aber es hätte einer Bitte bedurft, und Florian Lobedanz bat nicht — niemals. Er erwarb und schenkte. Das war die ganze Freude und das ganze Elend seines Lebens,

Er empfand nur die Freude. Um ungezählte Thaler hätte er das Glücksgefühl nicht preisgegeben, das ihn erfüllte, als er die zwei Stiegen emporklomm zu der Wohnung des Weichenstellers Henze.

Schüchtern pochte er an — und als der kleine Peter öffnete, schob er dem Erschrockenen den Kasten heftig in die Arme und lief dann die Treppe hinab, so schell ihn die langen Beine tragen mochten.

In seiner Wohnung schloß er hinter sich ab. Weshalb, wußte er selbst nicht. Nachdem er wohl eine Minute schnell athmend und ohne sich zu rühren an der Thür gelauscht, vertauschte er seinen guten Rock mit dem alten Sommerüberzieher, nahm die Guitarre von der Wand und setzte sich ans Fenster. Dort — mit dem Blick auf den Garten — pfiff und zupfte er das Lustigste, was ihm einfallen wollte.

*           *           *

Die Henzens hatten gerade beim Abendbrot gesessen. Als Peter, der schon mit keinem Gedanken mehr an seinen Wunsch gedacht, verständnißlos mit dem Kasten an den Tisch trat, nahm ihm der Vater neugierig das Ding ab.

„Von Herrn Lobedanz? Nanu — zeig' mal her, Junge! — — Aber da ist ja nichts drin!? — — — Will uns der Hungerleider etwa zum Narren halten?”

„Ach, laß doch den dummen Kerl,” beschwichtigte Frau Henze wegwerfend, und schnitt, pustend vor Anstrengung, gewaltige Stullen von dem runden Leib Brot, den sie gegen den Schürzenlatz drückte.

Da Peter immer auf die dickste Stulle bedacht war, warf er die Cigarrenkiste vorläufig in die Ecke . . . . .

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