Militär-Humoreske von Teo von Torn.
in: „Indiana Tribüne” vom 03.11.1905
Die Ausbildung der Truppe ist nach richtigen Gesichtspunkten erfolgt, wenn sie das kann, was der Krieg erfordert, und wenn sie auf dem Gefechtsfelde nichts von dem wieder abzustreifen hat, was sie auf dem Exerzierplatz lernte.
Also steht es geschrieben — und zwar mit fetten Buchstaben am Schlusse des 2, Theiles des Evangelii, so dem Soldaten gegeben ist in dem „Exerzier-Reglement für die Infanterie — Neuabdruck unter Einfügung der neuen Notirung der Signale vom Juni 1897.”
Dieser Satz ist das Agens allen Schleifens und Bimsens. Er ist das eherne Gesetz, dem jeder Vorgesetzte nachzuleben hat, bis die Erde ihn deckt oder der Cylinderhut. Im Verfolge dieses Satzes hebt der Rekrut aus Kaschubien erst das linke und dann das rechte Bein, und immer wieder, bis er unter der freundlichen Zurede seines Unteroffiziers gelernt hat, die besagten beiden Beine ohne zu schlänkern vorwärts zu bringen, die Fußspitzen ein wenig nach unten und auswärts zu biegen und dann den einen Fuß ganz flach und leicht in einer Entfernung von 80 Centimeter vom andern auf den Boden zu setzen. Im Verfolg dieses Satzes liegt es ferner, wenn ein verzweifelnder Häuptling vermeint, anstatt einer Kompagnie eine Kamel-Karawane zu leiten, wobei er die Herren Leutnants nur aus Höflichkeit ausnimmt. Endlich bedingt dieser Satz auch, daß die „richtigen Gesichtspunkte” auf dem Gefechtsfelde erprobt werden. Da es leider nicht möglich ist, alle Jahre im September einen Krieg anzufangen, so vollzieht sich die erforderliche Probe auf die Gesichtspunkte und auf das, was der Krieg erfordert, im Manöver.
Es gibt — namentlich unter den Civilisten — unkluge Leute, welche den Werth dieser militärischen Einrichtung bedeutend unterschätzen. Sie sind der Meinung: im Ernstfalle kommt es erstens immer anders und zweitens wie man denkt. Aber das ist durchaus nicht der Fall. Es ist selbstverständlich, daß zwischen einem Manöver und einem wirklichen Kriege kleine Unterschiede bestehen — Unterschiede, etwa wie zwischen einem richtigen Gewitter und Theaterdonner. Wie man jedoch in unserer naturalistischen Zeit bestrebt ist, die Bühnenerscheinungen der Wirklichkeit möglichst ähnlich zu machen, so geschieht das auch mit den großen Kriegsspielen im Gelände.
Einer der größten Wirklichkeitsfanatiker war der Oberst von Ramsey. Nach seinem Wunsch und Willen war das Manöver ein peinlich genaues Spiegelbild des Ernstfalles, bis in die kleinsten Einzelheiten. Im Regiment ging die Sage, daß er vor dem Abzug in's Manöver sein Haus bestelle, ein rechtsgültiges Testament errichte, seine Kinder segne und von der rundlichen kleinen Frau Oberst einen so zärtlichen, tiefbewegten Abschied nehme, als wenn das Loch in den Vogesen thatsächlich wieder einmal undicht geworden wäre. Schon viele Wochen vor dem „Feldzug” sorgte er dafür, daß den Mannschaften nicht nur der letzte Drill, sondern auch eine gewisse Kriegsbegeisterung imputirt wurde. In den Instruktionsstunden mußte auf die bevorstehenden „glorreichen Tage” hingewiesen werden — und wehe dem Offizier, der es in dieser Richtung an dem nöthigen Nachdruck und sittlichen Ernst fehlen ließ. Leutnant Matthesius, welcher überhaupt geneigt war, alle Dinge von der humoristischen Seite zu nehmen, hatte vierundzwanzig Stunden „Helgoland” bekommen, weil er das Bonmot aufgebracht: Zwischen Krieg und Manöver besteht für einen tapferen Regimentskommandeur nur folgender Unterschied: Im Kriege wird er erschossen, im Manöver ist er erschossen.
Die Bestrafung war durchaus am Platze, denn der Witz entbehrte jeder thatsächlichen Unterlage. Oberst von Ramsey galt als ein hervorragend befähigter Stratege, dem nach dem Manöver die rothen Streifen winkten. Er hätte sie längst gehabt, wenn der Himmel sein allabendliches Stoßgebet erhört und ihm einen einzigen kleinen Krieg beschert hätte. — — —
Das Regiment war im Manöver.
An einem der heißesten Schlachttage hielt der Oberst auf einem Hügel, von dem aus er die Thätigkeit seiner weit auseinandergezogenen Truppen controlliren konnte. Sein Soldatenherz hüpfte vor Freude — wiewohl es im Grunde dazu wenig Veranlassung hatte. An höherer Kommandostelle war ein schwerer taktischer Fehler gemacht worden — ein Fehler, der leicht auf ihn zurückfallen konnte. Ist es doch eine bekannte und nicht nur beim Militär beobchtete Erscheinung, daß die höheren Götter für eine Dummheit immer die niederen verantwortlich machen. Das Regiment war in geradezu unverantwortlicher Weise durch den Brigadekommandeur exponirt worden. Im Ernstfalle wäre nicht ein Tornister gesund geblieben. Die Schiedsrichter vertheilten denn auch an allen Ecken und Enden die gelben Fähnlein mit dem schwarzen Kreuz, welche anzeigten, daß die betreffenden Truppen todt oder schwer verwundet, jedenfalls aber außer Gefecht gesetzt seien.
Trotzdem sah der Oberst mit leuchtenden Augen auf das wundervolle militärische Schauspiel — bis plötzlich sich sein Antlitz verfinsterte.
Er schaute angestrengt durch sein Prismenfernrohr, schüttelte den Kopf und schaute wieder.
„Hören Sie mal, Schmeeling,” wandte er sich darauf an seinen Adjutanten, „da drüben jenseits des Flurbaches, am Waldrand — da ist doch ein Zug der dritten Kompagnie unseres zweiten Bataillons?”
„Zu Befehl, Herr Oberst,” erwiderte der Adjutant, nachdem er ebenfalls durch seinen Krimstecher hinübergeäugt.
„Sind denn die Leute nicht todt?”
„Zu Befehl, Herr Oberst. Der Zug ist außer Gefecht gesetzt.”
„Ja, zum Donnerwetter nochmal — nennen die Leute das todt sein? Die Kerls hüpfen ja herum wie die wahnsinnig gewordenen Lämmerschwänze! Spielen Ringelreigen oder Verstecken oder sowas! Da soll doch ein dieser und jener 'reinschlagen! Wer ist der Zugführer?”
„Leutnant Matthesius, wenn ich nicht irre.”
„Natürlich, Herr Leutnant Matthesius! Faule Witze machen, das kann er. Sonst aber auch nichts. Nicht einmal todt stellen kann er sich. Wie oft habe ich gesagt, daß auch in dieser Hinsicht der Wirklichkeit nachgekommen werden muß. Wer todt ist, bleibt auf dem Fleck liegen, bis die Sanitätskolonne sich seiner annimmt oder die Uebung überhaupt abgeblasen wird. Schicken Sie sofort eine Ordonnanz herüber: Der ganze Zug wird bestraft, wenn sich noch ein Mann von der Stelle rührt. Keine Bewegung will ich mehr bemerken.”
Die Ordonnanz ritt ab, aber der Effekt blieb aus. Die Todten am Waldrande schienen ein Kasperletheater aufzuführen, so mobil bewegten sie sich umeinander.
Der Oberst war zunächst starr. Dann setzte er seinem alten Friedrich Wilhelm ein paar Eisen ein, daß er Quiek machte und noch etwas — und stürmte in wilder Pace über das Schlachtfeld.
Je näher er kam, desto deutlicher wurde es, daß die Erschossenen sich an einem Krakowiak oder einem ähnlichen temperamentvollen Tanze vergnügten.
„Herr Leutnant! Herr Leutnant Matthesius!” schrie der Oberst schon von Weitem. „Plagt Sie der Teufel oder wissen Sie nicht, wie man sich zu benehmen hat, wenn man todt ist?! Ich erkläre Ihnen, Herr Leutnant —”
Der Oberst blieb die Erklärung und jedes weiter Wort schuldig. Leutnant Matthesius hielt sich nicht einmal ruhig, als er vor seinem Kommandeur stand. Er schudderte zusammen und kratzte sich, als wenn er in einer oberbayerischen Sennhütte übernachtet hätte.
„Verzeihen der Herr Oberst — aber hier kann man unmöglich todt bleiben. Wir liegen auf fünf rebellisch gewordenen Ameisenhaufen. Bitte gehorsamst, an einer anderen Stelle sterben zu dürfen.”
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