Westernhagens Schwindel

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Greifswalder Tageblatt, Beilage: Sonntags-Blatt vom 07.07.1901 und
in: „Offiziersgeschichten”, Band 2, Seite 39 - 45


Die „Generalstäbler” hielten durch die mit Guirlanden und Flaggenmasten geschmückte Hauptstraße des Städtchens Walddorfs ihren Einzug. Das heißt: So sehr auch die jungen Damen hinter den festlich blanken Fenstern nach den schmucken Offizieren ausschauten und so lebhaft die noch jüngere Jugend die Gäste aushurrahte anhurrate — die grüne und landesfarbene Dekoration galt nicht eigentlich ihnen. Leutnant von Westernhagen befand sich in einem sanften Irrthum, als er seinem Nachbar die Reitgerte in die Rippen bohrte und sagte:

„Nee, Lottwitz — nu sehen Se bloß mal, was sich die Leute für Umstände machen!”

Der also Mißhandelte und Angeredete quiekte heulte leise auf und quittierte vorerst dadurch, daß er dem Schlachtroß Pferde seines Freundes Westernhagen heimlich in die Flanke trat. Nachdem er mit Befriedigung gesehen, daß die Rosinante trotz ihrer durch einen siebenstündigen Ritt erschlafften Lebensgeister allerhand Kapriolen aufstellte, die ihrem ermüdeten Reiter höchst unbequem waren, sagte er harmlos:

„Das darf Sie aber nicht gleich veranlassen, Vorstellungen geben zu wollen. Uebrigens, Dickerchen, glaube ich nicht, daß das uns gilt. Der Alte hat sich doch erst heute früh entschlossen, die Reise über dieses Nest gehen zu lassen. Aber, was haben Sie denn blos mit Ihrem Gaul Roß?”

„Weiß der Deibel —” keuchte Leutnant von Westernhagen, indem er mit beiden Händen in die Kandarre griff, „das Beest infamige muß das baumelnde Grünzeug nicht vertragen können! Willst — Du stillhalten — bösartiger Schinder.”

Aber je mehr er sich bemühte, das Thier zu beruhigen, desto lebhafter wurde es. Ungeberdig drängte es nach vorn, wo Seine Excellenz, der „Führer der Expedition”, nebst zwei Etatsmäßigen Stabsoffizieren und seinem Adjutanten die Tête hatten. Diese Strebsamkeit des Gauls war nun äußerst unangenehm, denn der Herr General gab viel auf Haltung zu Pferde — und schon mancher, der sich für den Generalstab berufen gefühlt, war nicht auserwählt worden, weil er sich mit der unvernünftigen vierbeinigen Creatur nicht in guter Form abzufinden gewußt hatte.

Dem kleinen dicken Husaren brach also nicht nur der Zorn-, sondern auch der Angstschweiß aus, als der Fuchs immer weiter von den heimlich piesackenden Sporen des Grafen Herrn von Lottwitz ab und vorwärts drängte. Selbst der Straßenjugend fiel der Ringkampf zwischen Roß und Reiter schon auf. Eine Katastrophe war unvermeidlich — und als der Gaul schließlich vollends abkourbettierte, freute sich der zerstreuungsbedürftige Lottwitz wie ein Spitzbube und rief dem Davonreitenden halblaut nach:

„Grüßen Sie den Alten von mir, Westernhagen, und sagen Sie ihm, ich wäre müde — er möchte mal hier auf vierundzwanzig Stunden stop machen!”

Ein unterdrückter Fluch war die Antwort. Eine Minute darauf drängelte sich der Husar zwischen dem Tiger und dem Leu — das heißt zwischen einem der Etatsmäßigen Stabsoffiziere und dem Adjutanten — schlank durch und klebte sich vertrauensvoll an die Seite von Excellenz.

Wenn der Gaul direkten Wegs nach Timbuktu Kamtschatka gerast wäre, hätte das den Leutnant lange nicht so entsetzt, als gerade dieser Aufenthalt. Ob die Mähre ausgerechnet nur den runden Klingelsporen Seiner Excellenz keine Heimtücke zutraute oder ob sie in der maroden müden Stute des Generals eine alte Freundin erkannte — Thatsache war, daß das eigensinnige Vieh vorläufig nicht gesonnen schien, die liebe Nachbarschaft aufzugeben. Friedlich trottete es nebenher und gab seine Verachtung für alles, was hinten war, in einer Art kund, wie sie Pferde wohl manchmal an sich haben. Die Kavalkade war einfach baff.

Auch Excellenz machte ein recht erstauntes Gesicht recht erstaunte Nasenflügel. Aber der General war von dem langen Ritte doch zu sehr abgespannt, um gleich auf etwas Arges zu kommen. Langsam drehte er den Kopf dem rathlos salutierenden Leutnant zu und sagte ebenso langsam:

„Na, Westernhagen, was haben Sie denn auf dem Herzen —?”

Heiliger Bimbam — flehte der Unglückliche in sich hinein, was habe ich denn auf dem Herzen! Daß er im Augenblick keinen anderen Wunsch hatte, als sich einige Kilometer näher dem Mittelpunkte der Erde und seinen Gaul beim Satan zu sehen, konnte er nicht gut sagen. Plötzlich tönten in seinem fieberhaft arbeitenden Hirn die Worte nach, welche Lottwitz ihm zugewispert, und fast gleichzeitig passierte man eine Guirlande, von der ein Transparent herabhing:

Heil unseren Schützen
Sicheres Auge, sichere Hand
Schirmen unser Vaterland!

„Excellenz —” schnarrte Fred von Westernhagen, indem er die Grußfingeran den Mützenschirm heftete und seine Lügenseele Gott befahl, „vorhin ist ein Herr — äh — an mich herangetreten — ob Excellenz — äh — wohl große Güte und Gewogenheit haben würden — städtisches Fest mit Anwesenheit zu beehren — —”

„Nett von den Leuten — freut mich,” nickte der alte Herr mit wohlwollendem Lächeln. „Wollen mal sehen. Würden dann hier über Nacht bleiben müssen, anstatt in Dingsda. Wer war denn der Herr?”

„Namen habe nicht verstanden, Excellenz — schien aber alter ausgedienter Soldat —”

„Wohl Hauptmann der Schützengilde, was?”

„Zu Befehl, Excellenz, so schien es mir. Hatte verschiedene Kriegsdenkmünzen —”

„So so — na, dann wollen wir die freundliche Einladung eines alten Kameraden annehmen.”

Der General machte auf seinem Pferde eine halbe Wendung nach hinten und winkte dem Adjutanten.

„Schmeeling, telegraphieren Sie mal nach Dingsda ab; wir bleiben hier.” Gleich darauf hob er seinen Finger bis zum halben Weg an seine Mütze und sagte mit einer Freundlichkeit, welche den Leutnant unter minder kitzlichen Umständen entzückt haben würde: „Ich danke Ihnen, lieber Westernhagen, danke Ihnen sehr.”

Wenn ein Vorgesetzter dankt, so heißt das im militärischen Sprachgebrauch: Jetzt kannst Du gehen, mein Sohn. Und der kleine dicke Fred wußte das sehr wohl — leider aber war sein Pferd auf diese seine Verstehste nicht zugeritten. Kein Schenkeldruck, kein leises Zureden mit Zügel und Sporen vermochten es zur Aufgabe seiner bevorzugten Position an der Seite der Excellenzstute zu bewegen. Und wieder sagte der General — diesmal mit etwas Nachdruck: „Ich danke Ihnen, Herr Leutnant.”

„Bitte —” stöhnte der Unglückliche in sich hinein und nahm das „Beest” so heftig zwischen die Beine, daß es „Quiek” und noch etwas anderes machte stieg. Aber von der Stelle gehen — nicht die Spur. Eben klemmte setzte Excellenz befremdet sein Augenglas ein Pincenez auf und wollte gerade zum drittenmal danken, als die Kavalkade zum Glück vor dem Hotel hielt, wo abgestiegen werden sollte. Das war die Rettung.

Die Herren saßen ab und übergaben die Pferde den bereits harrenden Burschen. Der General machte noch eine kurze Mittheilung von der veränderten Disposition, und dann ging man auseinander, um sich nach dem anstrengenden Ritt zu restaurieren.

Nur Leutnant von Westernhagen gab sich keine Ruhe. Wie ein wildgewordenes Elefantenküken fegte er in den unteren Räumen des Gasthofes herum, wisperte mit dem Wirth, dem Oberkellner und dem Hausdiener — und schließlich schob er mit dem letzteren ab, um sich den Weg zum Hause des Schützenhauptmanns zeigen zu lassen.

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Es war zwei Uhr Nachmittags. In einer halben Stunde sollte die Feier losgehen. Einige der Offiziere saßen bereits unter den Oleanderbäumen cor der Thür des Hotels; andere schliefen noch. Zu diesen gehörte Lottwitz. Eben aber schreckte er auf von einem Pochen an seiner Zimmerthür.

„Wer ist denn da!”

„Lottwitz, thun Se mir den einzigen Gefallen und machen Se auf!”

„Herrje, Dickerchen —” sagte der Graf, nachdem er sich von der Chaiselongue aufgerappelt und geöffnet hatte. „Sie weinen ja förmlich — was ist denn los!”

„Mensch!” heulte der Kleine, indem er hineinstürmte und sich ächzend auf die noch warme Chaiselongue fallen ließ. „Es giebt ja ein Drama! Es ist überhaupt aus!”

„Nanu — haben Sie den Herrn Gildenkommandeur nicht getroffen?”

„Getroffen, ja —” antwortete Westernhagen kläglich, „aber wissen Sie, was der Mann ist?”

„Na Stadtrath, wurde doch gesagt —”

„Ist er auch. Nebenamtlich ist er — Schneider!”

„Kindchen, das will doch nichts sagen! Ich kenne Schneider, die es mit manchem Militär aufnehmen.”

„Der nicht, Lottwitz, — der nicht! Der Mann hat ein X-Bein —”

„Blos eins? Dann geht's ja noch,” erwiderte der Graf unerschüttlich trocken. „Das kann ihm im Kriege krumm geschossen worden sein.”

„Im Kriege! Lächerlich! Der Mann ist nicht 'mal Soldat gewesen! So 'was von „d. u.” (dauernd unbrauchbar) habe ich überhaupt noch nicht gesehen! Und 'ne Stimme hat der Mensch — das giebt's blos noch in der Türkei! — Den habe ich dem Alten als Kriegskameraden aufgekohlt — — ooooh!”

Lottwitz war an das Fenster getreten, um sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Nach einer kleinen Weile sagte er ablenkend:

„Wissen Sie, Westernhagen — nebenan ist das Rathhaus — die Herren Schützen treten eben an: Die Haltung der Leute ist gar nicht schlecht, finde ich. — Kommen Sie mal schnell her — — ist der kleine Herr, der da eben naht, der Hauptmann!”

„Ja!!” schrie der Husar. „Das ist er!”

„Na hören Sie mal! Für einen Mann mit einem X-Bein geht er doch wie ein Licht! — Wenn Sie ihn nur wegen des Alten instruiert haben — —”

„Natürlich —” erwiderte Leutnant von Westernhagen schon etwas muthiger, da die Haltung des Hauptmanns faktisch über alles Erwarten gut war. „Ich habe ihm gesagt, daß der Alte beim Einholen der Fahne wahrscheinlich zugegen sein werde.”

„Pst — —” flüsterte der Graf Lottwitz, indem er sich etwas ins Zimmer zurückbog und auch den Kameraden zurückzerrte, „eben tritt der Alte aus dem Hause —”

Kaum war das ausgesprochen, so gellte von der Straße her ein Krähen durch die Luft, als wenn es morgens drei Uhr und auf dem Lande gewesen wäre —:”

„Aaaachtung — riiiiiecht Euch — — — z'rück, z'rück — bis an Elkan sein' Riiiienstein, wo wir voriges Jahr gestanden haben — präsentiert das Gewäääähr!”

Leutnant Fred von Westernhagen wollte sich aus dem Fenster stürzen — aber der vor Vergnügen heulende weinende Lottwitz zwang ihn ins zimmer mit dem Kriegsruf: „Z'rück z'rück!! Bis an Elkan sein Riiiienstein!”

Als der General wenigen Minuten darauf ins Hotel zurück trat und der Adjutant angelegentlich nach Herrn Leutnant von Westernhagen fragte, klammerte sich dieser verstörten Antlitzes an seinen Freund:

„Lottwitz — wo ist hier der nächste Weg nach China?”

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Aber es ging alles gut ab — — Excellenz hatte vor Lachen überhaupt kein Wort herausbringen, geschweige schelten können.

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Durchgestricher Text ==> nur in der Fassung des „Greifswalder Tageblatts”
Unterstrichener Text ==> nur in der Fassung der „Offiziersgeschichten”

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