Der Ueber-Narr.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Rostocker Anzeiger” vom 29.03.1903,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 01.04.1903


Wenn der Consulatssecretair Niels Erik Larsen sich Morgens von seinem sybaritischen Pfühl erhob, dann hatte er rund 45 Mark verdient. Und das war nicht einmal davon abhängig, ob er um acht oder um elf Uhr aufstand; die Zeit arbeitete für ihn ohne seine werthe Betheiligung — diese regsame rüstige Zeit, die wahrhaft Geld ist, wenn man sie vor sicher und gut angelegte Papiere spannt!

Im Uebrigen hätte Zola sein Evangelium der „Arbeit”, das da auf der Marmorplatte des Nachttischchens lag, für Niels Erik Larsen nicht zu verkünden brauchen. Arbeit mußte sein — darüber war er sich vollkommen klar, und er fand es im Grunde lächerlich, darüber auch nur ein Wort zu verlieren —; aber doch mehr als Ding an sich und nicht so in dem gemeinplätzlichen individuellen Sinne der Alltagsmenschen.

Wenn ein stiernackiger zäher Mensch wie Peter Larsen, Niels Eriks Vater, viezig Jahre lang schwedischen Punsch fabricirt hatte, so langte das nach jeder Richtung hin für zwei Generationen — und es war schließlich auch ein Verdienst, die Magen beider Welten mit einem so gottvergessenen Genußmittel nicht weiter heimzusuchen.

Da ihm diese Auffassung in Malmö verdacht wurde, so hatte er kurz entschlossen sich und seinen auskömmlichen Zinsgenuß in die liberalere deutsche Hansastadt verpflanzt. Und zwar mit scharf umgrenzten schwarzen Absichten. Er wollte der racksigen Vettern- und Basenschaft schon den Nachweis liefern, daß man nicht den ganzen Tag auf den Destillirkolben zu passen brauchte, um in der Welt etwas zu bedeuten — und die kleine Ingeborg Lindström aus der Frederiksgade, deren schöne kühlblaue Augen alleweil „Tagedieb” zu ihm gesagt hatten, wenn er etwas tiefer in sie hineingesehen, sie sollte schon bald dahinterkommen, daß es Frauen gab, die mit Niels Erik Larsen eine andere Sprache redeten.

Wie jener Perserkönig sich tagtäglich durch einen besonderen Sklaven zur Rache ermahnen ließ, drehten allmorgendlich Niels Eriks erste Dämmergedanken sich um Malmö und in immer engeren Kreisen dann um die Frederiksgade . . .

Das erst gab ihm die Energie, überhaupt aufzustehen — das brachte ihm seine diplomatische Carriere in Erinnerung und deren höchstes Ziel: das „grüne Band”, — das er aber nie bekommen konnte, wenn er den alten Generalconsul von Rosenberg in seinem Bureau allein Fliegen fangen ließ.

Heute hatte sich Niels Erik Larsen ganz besonders früh erhoben. Er hatte einen Brief bekommen — einen Stadtbrief. Als die schämige Frau Westphäling, aeine Wirthin, ihm das Couvert durch eine ganz kleine Thürritze in das Schlafzimmer geworfen hatte, war er gleich mit beiden Füßen aus dem Bett gewesen und hatte sich das Scriptum herangeholt.

Seit länger als einer Viertelstunde saß er nun auf dem Bettrand, in den Inhalt des Schreibens vertieft. Mit wirrem Haar, das Blatt dicht vor den kurzsichtigen Augen, las er es immer und immer wieder — und das runde, rothe Gesicht, das über dem russisch bestickten Kragen des Nachthemdes auf einem ansehnlichen Fettrimmel saß, gewann mit jedem Male an Verständnißlosigkeit. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf, besah den Brief noch einmal von vorn und von hinten und tapfte dann auf den bloßen fleischigen weißen Füßen ins Nebenzimmer an seinen Schreibtisch, wo er das Papier nachdenklich niederlegte.

Aber es schien ihm noch keine Ruhe zu lassen. Er suchte, nach Art aller Kurzsichtigen, mit den halb zugekniffenen Augen, mit der Nase und mit den Händen nach seinem Kneifer; wie er ihn endlich erwischt und sich mit einer raschen Bewegung aufgesetzt hatte, wollte er den Brief noch einmal vornehmen, als sein Blick zufällig auf den Abreißkalender fiel, den Frau Westphäling jeden Morgen um ein Blatt befreite: Der erste April!

Er krähte fidel auf und schlug sich klatschend auf die Schenkel; gleich darauf rieb er sie, weil es ihm weh tat — er hatte seine unzulängliche Bekleidung einen Moment vergessen.

Der erste April — natürlich! Wie sollte es auch anders sein! Eine Dame wie Frau von Hövel, die junge Wittwe eines richtigen preußischen Generals, von der er in acht Monaten umständlichster Courschneiderei bisher kaum einen freundlichen Blick zu erreichen vermocht hatte, lud ihn zu einer „endlichen Aussprache” ein, — unter vier Augen — —

Olla, olla — darauf fiel Niels Erik Larsen nicht 'rein! Am ersten April nicht! Dazu war ihm diese hinterlistige „dütsche Narrenmode” noch zu sehr im Gedächtniß vom vorigen Jahre her — wo sie ihn im Bureau, am Stammtisch in der „Schiffergesellschaft”, kurz überall so hatten aufsitzen lassen, daß er ordentlich wüthend geworden war. Das einmal und nicht wieder!

Niels Erik Larsen war selig, daß er so zufällig und rechtzeitig hinter den Schwindel gekommen war. Seine Toilette machte er schnell und aufgeregt, mit blanken lustigen Augen und einem geradezu diebischen Lächeln um den Mund. Heute war er gewappnet; da sollte ihm nur einer kommen! Und nun gar die Frau von Hövel, die ohnehin schon immer so 'was „Auslacherisches” hatte! Ueberhaupt gestand er sich bei dieser Gelegenheit, daß seine Rachepläne in Bezug auf Ingeborg Lindström von den deutschen Damen nicht sonderlich gefördert wurden.

Während er seine Crawatte knüpfte, hielt er einen Augenblick inne und dachte darüber nach. Es war Thatsache — — und er fühlte, wenn ihm diese zufällige Erkenntniß an einem anderen Tage gekommen wäre, dann hätte sie ihn wahrscheinlich recht unglücklich gemacht.

Heute aber war der aufgeweckte, lauernd fidele Zug aus seinem rundlichen Gesichte, das in seinen strotzendsten Farben prangte, gar nicht hinwegzuspintisiren. Er lachte über seinen Kleinmuth, über die deutschen Damen — über alle Welt. Heute sollte man ihm kommen!

Frau Westphäling ließ entgeistert den nassen Feudel in den Aufwisch-Eimer zurückplumpsen und starrte ihrem möblirten Herrn nach. Hatte ein Mensch so was schon erlebt? Sagte sie dem dicken „Schnösel”, daß der Steuerbote dagewesen sei, um Achtzehnfufzig zu viel gezahlter Steuern wiederzubringen — — und was machte der verdrehte Swenske? Er feixte sie aus einem Auge an, bohrte ihr den Zeigefinger in die Seite und machte kieks — —; in der Thür zwinkerte er noch einmal so heftig mit den Augen, daß er seinen Klemmer verlor, und als er ihn aufgeklaubt hatte, sagte er mit so 'nem eigenen Grieflachen, sie solle das Geld nur behalten — sie könnte überhaupt alles behalten, was der Steuerbote für ihn brächte.

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Niels Erik Larsen schlenderte überaus aufgeräumt nach der Trave hinunter ins Bureau. Alle Menschen, die ihm begegneten, lauerte er ordentlich aus seinen vergnügten blauen Augen an. Aber es wollte Niemand anbeißen — selbst die paar Bekannten nicht, deren Beachtung er sich durch lebhaftes Hutschwenken recht gewaltsam aufdrängte. Nur einer machte ein verblüfftes Gesicht, als er auf die im Vorbeigehen hingeworfene Frage, ob Larsen schon wisse, daß der Dampfer „Stormarn” Havarie gehabt habe, zur Antwort erhielt: „Aber natürlich! Tausend Menschen sind ins Wasser gefallen und noch tausend in die Luft geflogen; der Capitän kommt überhaupt erst nächsten Dienstag wieder herunter!”

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Es war schon gegen Schluß der zweistündigen Bureauzeit, als der alte Generalconsul von Rosenberg aus seinen Privatzimmern bei seinem Secretair eintrat. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er sein dürftiges Körperchen mit einem glänzend schwarzen Quadrillenschwenker umhängt, aus dessen obersten Knopfloch das dunkle Band des Nordsternordens schimmerte.

Niels Erik Larsen erhob sich unwillkürlich schneller und ehrerbietiger, als das sonst seine Art war.

„Mein lieber Herr Larsen,” redete der vornehme alte Herr seinen mißtrauisch aufhorchenden Adlatus an, „es ist mir eine große Freude, Ihnen eine angenehme Mittheilung machen zu können. Unser allergnädigster König hat auf meinen Antrag geruht, Ihnen in Anerkennung Ihrer verdienstvollen Thätigkeit — — — verzeihen Sie, lieber Herr Larsen, aber es will mir scheinen —” unterbrach sich der Generalconsul aufs Höchste befremdet, „daß Sie meine Eröffnung nicht mit dem nöthigen Ernst und Respect entgegennehmen — ich muß doch sehr bitten — —”

Niels Erik Larsen hörte auf, mit beiden Fäusten seine Schenkel zu bearbeiten; fast stöhnend vor Lachen wischte er sich die Thränen aus den Augen und quiekte dann in den höchsten Fisteltönen:

„Nur weiter, Herr Generalconsul, nur weiter! Der Witz ist göttlich! Und was Sie für ein Gesicht dabei machen — einfach zum Schreien!”

Und wirklich — Niels Erik Larsen schrie vor Vergnügen. Dann legte er sich mit dem Bauch auf den Schraubstuhl vor seinem Tische und fuhr in fassungslosem Entzücken Caroussel —

Einige Augenblicke sah der alte Herr, zur Bildsäule erstarrt, auf die umherwirbelnden dicken Gliedmaßen seines Secretairs, dann wandte er sich indigniert ab.

„Sie sind also nicht in der Lage, mich anzuhören, wenn ich im Auftrage unseres königlichen Herrn zu Ihnen spreche — ich werde mithin das Ritterkreuz des Wasaordens, das ich den Auftrag hatte, Ihnen zu überreichen, an die zuständige Stelle zurückgeben. Vorher aber frage ich Sie nochmals —”

„Nee —” schrie Erik Larsen kurschroth und mit beiden Händen abwinkend, „fragen Sie nichts mehr! Uff —! Sonst platz' ich!” Ihn stieß der Bock vor Lachen. Endlich lehnte er sich schachmatt an den Tisch und japste: „Daß Sie den deutschen Witz auch kennen — das weiß ich noch vom vorigen Jahr — aber daß Sie das so großartig machen würden — so groß—ar—tig — — nee!”

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Am andern Morgen saß Niels Erik Larsen wieder auf dem Bettrand — aber diesmal eine halbe Stunde, denn er hatte zwei Briefe, die er nicht verstand. So oft er auch mit der Nase und mit der über derselben ungekämmt herabhängenden Zornlocke auf dem Papier hin- und herfegte — er konnte keinen Sinn hineinbringen in die dürre Thatsache, daß das Königlich Schwedische Generalconsulat von Stund an auf seine Dienste verzichtete; und was wollte die reizende Frau von Hövel damit sagen, wenn sie schrieb, daß sie nunmehr den „schweigenden, aber deutlich redenden Beweis der Unreellität” seiner Absichten habe, und daß er nicht wagen solle, ihr je wieder unter die Augen zu treten —?

Als er dann aber schließlich doch begriffen hatte, erfaßte ihn eine unbezwingliche Sehnsucht nach der Frederiksgade —

Eine Stunde später rechnete er mit Frau Westphäling ab — und da er gleich darauf zur Rhederei jagte, um auf dem Fünf-Uhr-Postdampfer eine erste Cajüte nach Malmö zu belegen, hörte er glücklicherweise nicht mehr, was Frau Westphäling darüber äußerte, daß er ihr — — die „Achtzehnfufzig” noch doch abgezogen hatte.

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