Manöver-Humoreske von Teo von Torn.
in: „General-Anzeiger Altona” vom 18.07.1902,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 17.08.1902,
in: „Badener Zeitung” vom 17.09.1902,
in: „Der deutsche Correspondent” vom 15.02.1903,
in: „Altonaer Nachrichten/Hamburger Neueste Zeitung” vom 01.01.1904,
in: „Vorarlberger Landes-Zeitung” vom 16.02.1907,
in: „Deutsch-Australische Post” vom 06.06.1903
Ein Generalleutnant, zwei Majors, vier Hauptleute und zehn Leutnants — Summa Summarum 17 Mann, auf 5 Tage à 12 Mark täglich im Durchschnitt, macht — — —
Der Wirth zum „Brunnen” strahlte. Das war eine Einleitung der Saison, wie er sie sich großartiger und lucrativer gar nicht wünschen konnte. Der Waldwinkel, in welchem die „Stadt” Heinzenfelde sich so versteckt hielt, als wenn sie sich wegen ihres jungen Rufes als Luft-, Wald- und Wiesencurort noch ein bischen genirte, war bis jetzt recht unbelebt gewesen. Hie und da ein versprengter Radfahrer, welcher sich durch das bekannte Schild: „Deutscher Radfahrerbund” zu einem Glas Milch verleiten ließ — sonst nichts. Und nun siebzehn wirkliche, lebendige Officiere auf einen Haufen!
Herr Kloßmann segnete den betriebsamen militärischen Geist, welcher die sogenannte Versuchsabteilung ins Leben gerufen, er segnete die Erfindung von Automobilen und gleichermaßen das Commando der Abtheilung, welches die Wege um Heinzenfelde und das Pflaster des Ortes selbst mit Recht für besonders geeignet hielt, das neuzeitliche Vehikel auf seine höchste Leistungsfähigkeit zu erproben.
Der Brunnen-Wirth verabreichte seinem Kellner-Stift, welcher sich in verdächtiger Weise am Chocoladen-Automaten zu schaffen machte, ein Knallschote — denn er war ein unbestechlicher Mensch, welcher auch im freudigsten Affect seiner Autorität nichts zu vergeben pflegte. Dann verkündete er dem Frühschoppentisch auf der Veranda die frohe Mähr und enteilte in die Küche, wo er seine unendlich stärkere Hälfte aus ihrem friedlichen Vormittagsnickerchen aufstörte.
Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gehört, als auch schon ein fast ruckweises Wachwerden ihre kolossale Weiblichkeit erschütterte. Ihre Schläfrigkeit war nichts als versetzter Schaffensdrang, und wenn sie Schönes träumte, so war es von dampfenden und brodelnden Thaten. Der stille Küchenraum mit dem großen Herd, welcher außerhalb der Mittagszeit für die Familie Kloßmann nur selten für eine vergrämt einsame Cotelette sich erwärmte, erbebte unter dem jäh erwachten Schaffensdrang seiner Beherrscherin.
* * *
In der ad hoc zusammenberufenen Extrasitzung der Stadtverordneten von Heinzenfelde war es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, weil eine unmilitärische und pietätlose Mehrheit dem Antrage des Herrn Stadtverordneten Kloßmann sowohl hinsichtlich der weißgewaschenen Jungfrauen als auch der Ehrenpforte am Bahnhofe erst dann zustimmte, als dem Brunnen-Wirthe der Nachweis gelang, daß eine Excellenz, wie die zu erwartende, nur noch drei Männer im Range über sich habe.
So war denn in kaum sechs Stunden alles festlich hergerichtet worden. Und selbst der heftigste Gegner des Antrages Kloßmann, Herr Stadtrath Ebenhoch, sah, daß es gut war. Es hatte doch etwas Eigenes, wie die sechs hübschen Mädchen in ihren steiffaltigen Waschkleidern und mit den Tausendschönchen im Haar unter der von Buchenlaub errichteten Ehrenpforte vor Aufregung bubberten, und des Herrn Stadtraths eigene Hilde immer wieder die schönen Verse vor sich her sagte, welche der begabte Kreisblatt-Redacteur frei aus dem Handgelenk gedichtet hatte. — Wer konnte denn wissen, ob nicht — vielleicht — na, und im gegebenen Falle hatte man es ja dazu. Der Herr Stadtrath war ein wohlhabender Mann, und wenn er sich zuerst gegen den Antrag Kloßmann aufgelehnt, so lag das daran, daß der Brunnen-Wirth ihm kürzlich vorgeworfen, beim Skat zu mogeln. Diesen schroffen politischen Gegensatz hatte aber schließlich sein Vaterherz ausgeglichen und dieses Vaterherz stand nicht allein mit seinem schönen Siege. Es dachten noch andere so wie der Herr Stadtrath.
Aber die Sache wurde nachgerade etwas länglich. Um halb sieben hatte das Commando in Heinzenfelde eintreffen sollen, und da um diese Zeit ein fahrplanmäßiger Zug den Ort nicht berührte, so nahm man an, daß die Herren sich eines Extrazuges bedienen würden — und richtig, dem Stationsvorsteher, dessen Gesicht vor Aufregung schier noch röther war als seine Mütze, wurde in letzter Stunde ein solcher gemeldet. Das bedeutete aber eine Verspätung um drei Viertelstunden.
Während der männliche Theil des Empfangs-Comitees in einer nahe gelegenen Restauration ausruhen und sich erfrischen konnte, fürchteten die Ehrendamen, ihren Staat zu ruiniren und verharrten proppenfest unter der grünbuchenen Porta triumphalis. Ueberdies dachte Fräulein Hilde Ebenhoch im Stillen — wenn sie 26 Jahre auf einen Mann gewartet, dann käme es auf die 45 Minuten schließlich auch nicht an.
Geduld bricht Rosen! Endlich! Ein langgezogener Pfiff.
* * *
Fräulein Hilde betete ihren Spruch wie tiefsinnig vor sich hin, die anderen Damen machten ängstliche Augen und ordneten an ihren Schärpen. Die Herren stürzten auf ihre Plätze und der Bürgermeister auf den Perron. Gleichzeitig rückten die fünf Wagen, voran der hübsche Ebenhoch'sche Zweispänner, vor.
Noch eine Minute — dann — — Tusch mit darauffolgender Wacht am Rhein — und ein Hurrah, daß die Ehrenpforte wackelte.
In der Thür erschien der Bürgermeister mit — einem Leutnant — einem einzigen kleinen Leutnant, der zuerst ein so wenig gescheidtes Gesicht machte, wie das wichtige Stadtoberhaupt selbst, dann aber mit einem Schlage die Situation erfaßte. Mit einem durchtriebenen Lächeln drehte er seinen Schnurrbart auf und nöthigte den sprachlos verblüfften Herrn, sich zu bedecken. Die Hand an der Mütze, grüßte er dann ein halbes Dutzend offener Mäuler und nahm in dem ersten Wagen Platz. Der Bürgermeister schlafwandelnd neben ihm.
Unter der grünen Pforte sechs klopfende Herzen und ein sechsfaches heftiges Erröthen. Dann von Fräulein Hilde's bebenden Lippen:
Es grüßen Euch, o Kriegeshelde, |
Der Leutnant verließ den Wagen und erwiderte aus dem Stegreif Folgendes:
Nicht Excellenz — den „kleinen Schlonski” *) |
*) Schlonski (polnisch) = Schlesier.
Und ehe die sechs Väter dazwischentreten konnten, hatte der Officier mit einer Geschwindigkeit, die auf kolossale Uebung schließen ließ, den ganzen jungfräulichen Begrüßungsausschuß der Reihe nach herzhaft abgeküßt.
Der Wagen war schon längst auf dem Wege nach dem „Brunnen”, als die jungen Damen allmählich zu sich kamen.
„Nein, so was —!” hauchte Fräulein Hilde Ebenhoch entrüstet. Wie kam dieser freche Mensch dazu — — — auch die anderen zu küssen — die hatten doch nichts aufgesagt!
Die Versuchsabtheilung war bereits vor halb Sieben auf ihren Automobilen via Chaussee auf dem „Brunnen” angelangt — hatte bereits gegessen und erörterte eben das Abhandenkommen des Leutnants von Konsky, als dieser mit einem Gefolge von zwei besetzten und zwei leeren Wagen bei der Hotel-Terrasse vorfuhr.
Eine halbe Stunde später gingen selbst die beiden Stabsofficiere mit rothen Gesichtern und thränenden Augen herum — und nur das Stirnrunzeln Seiner Excellenz hielt einen erneuten Heiterkeitsausbruch im Schach.
„Herr Leutnant von Konsky!”
Der von dem General Angerufene hatte sich soeben mit dem harmlosesten Gesicht von der Welt zu Tisch gesetzt. Gemäß dem bekannten Grundsatze: „Gehe nie zu Deinem Ferscht, wenn Du nicht gerufen werscht!” hatte er sich auf eine kurze Meldung beschränkt und dann bei Seite gedrückt, alles andere der Zukunft und seinem Stern überlassend. Er hatte sich zwar von den ersten Garde-Husaren bis zu den „Trainern” durchgeulkt — aber es war immerhin noch gut gegangen. Weshalb nicht auch heute?
Er eilte heran und stand wie ein Baum.
„Excellenz befehlen —”
„Haben Sie mir nichts zu sagen, Herr von Konsky?”
„Zu Befehl, Excellenz! Ich habe im letzten Ort in Folge eines unabweislich nothwendigen Aufenthalts den Anschluß verloren und bin mittels Extrazuges nachgereist.”
„Und die Comödie auf dem Bahnhofe?”
„Habe ich nicht veranstaltet, Excellenz. Ich bitte ganz gehorsamst, ausrichten zu dürfen, was mir dort für Eure Excellenz bestellt worden ist.”
„Nun —?”
Ohne mit der Wimper zu zucken, griff der „kleine Schlonski” auf einem Nebentisch nach den mitgebrachten Blumen, präsentirte sie dem hohen Vorgesetzten und sprach mit guter Betonung:
Es grüßen Euch, o Kriegeshelde, |
Der General wandte sich ab und enteilte mit großen Schritten. Die goldenen Achselstücke hüpften förmlich auf seinen zuckenden Schultern — und er kam auch nicht wieder zum Vorschein.
Dafür erschien aber nach wenigen Minuten der Adjutant des Generals in der sich schier wälzenden Corona und gluckste:
„Herr Leutnant von Konsky — Seine Excellenz verzichten für 48 Stunden auf Ihre Dienste. In den ersten 24 haben Sie sechs Entschuldigungsbesuche abzustatten, von deren Verlauf das Weitere abhängt. Die letzten 24 Stunden möchten Sie zu Erholung von Ihrer Extratour benutzen, und zwar auf Ihrem Zimmer.”
Soweit dienstlich. Außerdienstlich fiel der Adjutant dem „kleinen Schlonski” um den Hals und schrie:
„Mensch, Sie sind ein — — —, Excellenz kann ja gar nicht mehr zu sich kommen —!”
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