Der Scheinwerfer.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Plöner Wochenblatt” vom 20.10.1902,
in: „Falukuriren” vom 24.10.1902 (unter dem Titel: „Stralkastaren”)
in: „HIRADO” vom 03.08.1907 (unter dem Titel: „Ejjeli gyakorlat”)

Vergleiche hierzu die gleichnamige Erzählung von Freiherrn von Schlicht


Wenn die Königliche Zweite geglaubt hatte, daß ihr Chef, der Herr Hauptmann von Kusserow, nach der Hochzeit sonnigeren Gemütes sein würde, so erlebte sie eine jener Enttäuschungen, welche zu den besonderen Reizen des militärischen Lebens gehören.

Bei den Soldaten kommt es immer anders, wie man denkt. Das liegt aber nicht etwa an einer besonders eigensinnigen Entwicklung der Dinge, sondern lediglich am Denken. „Nimm di nix vör, denn sleiht di nix fehl,” sagt ein plattdeutsches Sprichwort. Wenn jemand nicht glaubt, gut abgeschnitten zu haben, so wird es ihn nicht weiter verwundern, wenn er angepfiffen wird; und trägt man sich nicht mit der Hoffnung auf eine Beförderung, so wird man sich nicht ärgern, wenn sie nicht kommt.

Also lag es nur an der Königlichen zweiten Kompagnie, wenn sie sich in ihren Hoffnungen getäuscht sah und nach der vierwöchigen Schutzfrist des Flitterwochenurlaubs an ihrem Chef eine Munterkeit des Schleifens beobachtete, welche an Energie womöglich noch gewonnen hatte.

Manchen Leuten bekommt das Heiraten ganz gut, andern wieder gar nicht. Namentlich in den Fällen, wo die Ehe gewisse innere Opfer bedingt, kleine Einschränkungen der Selbständigkeit, des Willens und der Macht, pflegen sich nach außen hin herbe und unfreundliche Eigenschaften zu entwickeln. Solche Menschen sind wie Luftkissen. Wird auf der einen Seite ein Druck auf sie ausgeübt, zeigen sie sich auf der anderen Seite umso härter und aufgeblasener.

Hauptmann von Kusserow war so ein Luftkissen. Schon von jeher begabt mit einer „harten Spannung der Leere”, pflegte er den leisesten Druck von oben her mit potenzierter Heftigkeit nach unten weiterzugeben. Ward nun dieser Druck noch durch andere Einflüsse verstärkt, so machte der Herr Hauptmann zeitweilig den beklemmenden Eindruck, als wolle er bersten.

Kurz vor den großen Manövern hatte die Königliche Zweite den ehrenvollen und interessanten Auftrag erhalten, eine der neuesten Errungenschaften moderner Kriegführung auszuproben — den Scheinwerfer!

„Herr Hauptmann von Kusserow,” hatte der Bataillons­kommandeur in seiner freunslich eindrucksvollen Art gesagt, „ich habe Ihre Kompagnie ausersehen, um Ihnen Gelegenheit zu geben, sich einmal in einer ganz besonderen Aufgabe zu bethätigen und dadurch manches auszugleichen, was ich in der letzten Zeit bei der Ausbildung Ihrer Leute zu bemängeln hatte. Ihr Heiratsurlaub, der in eine recht ungelegene Zeit gefallen ist, und die kleinen Ablenkungen, denen ein junger Ehemann immerhin unterworfen ist, erklären ja vieles. Aber mit dem Königlichen Dienst sind Sie sozusagen auch verheiratet — und ich möchte mir die Bemerkung erlauben, daß dieser sogar ältere Rechte hat. Benutzen Sie also die Ihnen gebotene Gelegenheit. Sie wissen, woauf es bei diesen Uebungen ankommt, Herr Hauptmann?”

„Zu Befehl, Herr Major —” pfiff es aus dem Luftkissen unter beängstigend starkem Druck.

„Nun gut. Lassen Sie besonders in ungedecktem Gelände üben; denn darauf kommt es in erster Reihe an. Bei vorhandenen Deckungen ist der Scheinwerfer nicht sonderlich gefährlich, da er ja gegebenenfalls den Schatten noch vertieft. Aber auf freiem Felde bedarf es vieler Uebung, um die Mannschaften daran zu gewöhnen, daß sie sich durch rechtzeitiges Niederwerfen dem explorierenden Scheine nach Möglichkeit entziehen. Es ist mir leider nicht möglich, Ihnen einen Apparat zur Verfügung zu stellen. Sie müssen sich eben irgendwie zu helfen wissen. Das ist eine der notwendigsten Eigenschaften eines Truppenführers. In etwa acht Tagen werden Sie gegen eine mit einem Scheinwerfer ausgerüstete [Lesart unsicher. D.Hrsgb.] Abteilung des Luftschifferbataillons manöverieren — und zwar unter der persönlichen Leitung des Herrn Oberst. Sie kennen Ihre Aufgabe,Herr Hauptmann —?”

„Z-z-zu Bf-bfbf-bfehl, Herr Major!”

„Ich danke Ihnen.”

Hauptmann von Kusserow dankte auch — — aber für Obst. — — — — —

Der liebe Herrgott hat zwei große Lichter gemacht: ein großes Licht, das den Tag regiere und ein kleines Licht, das die Nacht regiere. Vermessen und anspruchsvoll, wie die Menschen sind, genügt ihnen das nicht, namentlich das Nachtlicht . . . . . . .

An dieser Stelle fehlt im „Plöner Wochenblatt”, das zur Texterfassung
benutzt wurde, ein Textstück von circa 180 Worten.

. . . . . . . Einige besonders nervöse Leute hatten bereits Anfälle der Wahnidee, Eidechsen zu sein und Zeit ihres Lebens auf dem Bauche kriechen zu müssen. — — — — —

Der Abend,an welchem unter den Augen des Regimentskommandeurs die Probe auf das Exempel gemacht werden sollte, war herangekommen.

Hauptmann von Kusserow hatte alle Ursache, der Prüfung mit einiger Zuversicht entgegenzusehen. Alles hatte vortrefflich geklappt gestern. Wenn trotzdem seine Stimmung keine rosige war, so lag es daran, daß seine Gattin ihm wegen der abermaligen nächtlichen Außerhäusigkeit eine heftige Szene gemacht und erklärt hatte, daß sie am nächsten Morgen „zu Mama” fahren würde. Sie habe einen Offizier und keinen Nachtwächter geheiratet.

Die Folge dieser seelischen Indisposition war, daß der Herr Hauptmann noch vor dem Ausrücken nach dem dicht bei der Stadt gelegenen Uebungsplatze in aller Eile einige Dutzend Stunden Arrest und mehrere Strafwachen diktierte. Damit wurde das Luftkissen zunächst vor dem Bersten bewahrt.

Auf dem Uebungsplatze aber harrte Schreckliches.

Die Kompagnie war auseinandergezogen und ging gegen die Luftschifferabteilung vor, deren Ballon sich wie eine dräuende Gewitterwolke von dem nächtlichen Himmel abhob. Plötzlich leuchtete es wie ein schnurgerader Blitz aus dieser Wolke — — — —

Der Scheinwerfer! Das blaue Licht eilte suchend über das weite Feld — und fast überall, wo es hintraf, sah man aufrecht einhermarschierende Soldaten — — nicht ein einziger bekam die Fallsucht oder zeigte die so mühsam angedrillte Eidechsennatur!

Dem Hauptmann von Kusserow erstarrte das Blut in den Adern. Waren die Kerls verrückt geworden oder wandelten sie Nacht?! Mit gezücktem Degen stürzte er hinter dem nächsten Zuge her und brüllte:

„Nieder zum Donnerwetter!! Seht Ihr denn nicht, daß der Scheinwerfer euch bestreicht!? Niederrrrr!!!”

Diejenigen, welche ihn hörten, fielen natürlich zu Boden, aber die andern zogen ruhig weiter und starrten verwundert auf die neue Erscheinung von oben her.

Der Hauptman war derart vernichtet, daß er auch für seine Person die Deckung vergaß. Erst als ihn der blaue Strahl blendete und in ganzer Lebensgröße dem Perspektiv des Regimentskommandeurs bloßstellte, knickte er zusammen — — — zu spät!

Das Ganze halt — und gleich darauf Offiziersruf.

Was der Oberst dem Hauptmann der Königlichen Zweiten in den nächsten fünf Minuten alles zu sagen hatte, das würde auch der gewandteste Stenograph wörtlich nicht haben aufnehmen können. Einmal, weil es zu schnell ging und zum andern, weil sich ein normaler Bleistift gesträubt hätte, dergleichen zu Papier zu bringen.

„Und nun, Herr Hauptmann,” schloß der Oberst mit dem letzten Rest seiner Luft, „ersuche ich Sie, uns einmal vorzuführen, wie Sie Ihre Leute auf den Scheinwerfer eingeübt haben. Bitte!”

„Zu Befehl, Herr Oberst,” stotterte der Unglückliche, „da muß ich aber zunächst nach Hause schicken, um — —”

„Schicken Sie!”

In der nächsten schrecklichen Viertelstunde — während welcher der Oberst pour passer le temps einige Manöver mit dem Ballon ausführen ließ — dämmerte dem Hauptmann von Kusserow auf, daß er wohl selbst die Schuld trage an der Geschichte. Er hatte zwar praktisch geübt, sehr viel geübt, aber den Leuten nicht klargemacht, daß die Sache in Wirklichkeit ganz anders aussehe, daß ein richtiger Scheinwerfer so und so wirke — — —

„Na — was ist's!” herrschte der Oberst die aus der Stadt heransprengende Ordonnanz an. „Haben Sie dem Herrn Hauptmann das Benötigte gebracht?”

„Nein, Herr Oberst! Die Frau Hauptmann will ihre Küchenlampe nicht wieder hergeben —”

— — —