Humoreske von Teo von Torn.
in: „Leipziger Tageblatt” vom 12.10.1903,
in: „Trierische Landeszeitung” vom 16.10.1903,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 12.02.1905
Marquard von Lemmingen — ganz recht, derselbe, welcher den wundervollen Obersteiner Ausbruch baut — war trotz der Erntezeit nach Tisch nicht zur Lese hinausgegangen, sondern hatte seinen Freund und früheren Regimentskameraden, den Major a. D. Konstantin Zimny, am Rockärmel in sein Arbeitszimmer gezogen.
Hier pflanzte er ihn in den von Weinlaub dicht eingesponnenen Alkoven, schellte gewaltig nach dem Diener und ließ sich dann dem Major gegenüber nieder — mit einem Gesichte, als wenn er noch nicht recht wüßte, wie er die Geschichte am besten anfassen könnte.
„Du — hm, du bist jetzt drei Wochen hier, lieber Freund —” druckste er schließlich hervor. Gleich darauf kraute er sich ungeduldig mit beiden Händen den kurz geschorenen Kopf, denn der Major hatte ihn äußerst empfindlich angefahren.
„Ist dir wohl schon zu lange, was!?”
Dergleichen läßt sich ein gastfreundlicher Rheinländer nicht gerne sagen, und Marquard Lemmingen wäre daraufhin lieber gerne grob geworden. Aber er bezwang sich. Denn einmal hätte das die notwendige Aussprache ungünstig beeinflußt, zum andern liebte er den nur äußerlich so bösartigen Kerl wirklich wie einen Bruder, und drittens schob sich eben der Diener in die Tür — Jakob, der Mann mit den ewig erschrockenen Augen und der um so zuversichtlich geröteter Nase.
„Bringen Sie uns eine Flasche — Nr. 13!” beorderte Herr von Lemmingen kurz.
Der erschrockene Zug in der Umgegend von Jakobs kolossaler und obendrei auch noch etwas schief eingeschraubter Nase wich einem aufhorchenden Befremden.
„Na, wird's bald!? Haben Sie nicht verstanden?” hauchte Lemmingen aus dem Alkoven in die Richtung der Tür.
„Nein, Herr Rittmeister.”
„Sie — sollen — uns — eine — Flasche — Wein — bringen,” skandierte der Schloßherr unter dräuend zusammengezogenen Brauen. „Aus dem Vorderkeller links — Nr. 13!”
„Ich verstehe immer Nr. 13, Herr Rittmeister,” erwiderte Jakob, indem sich seine Augenritzen für einen Moment noch fester schlossen. Gleich darauf riß er sie heftig erschrocken auf. Sein Herr hatte einen schweren bronzenen Aschenbecher ergriffen und sich mit dem gefährlichen Projektil jäh erhoben.
„Also Nr. 13 —” stotterte Jakob und drängte eilfertig zur Tür hinaus — mit einem Gesicht, als wäre ihm eine direkte Bestellung an den Satan aufgegeben worden.
„Hast fein im Zug deine Leute — das muß man sagen!” höhnte der Major mit malitiösem Kopfnicken.
„Das laß nur meine Sorge sein! Und wenn der Bambuse noch dickfeliger wäre, ich könnte ihn nicht entbehren. Der Mensch hat eine Weinzunge, deren Treffsicherheit einfach unvergleichlich ist. Und das ist in meinem Betriebe 'was wert. Aber lassen wir das, Zimny,” fügte Marquard Lemmingen freundlich und eindringlich hinzu, indem er die nervös auf die Tischplatte trommelnde Hand des Majors flüchtig berührte. „Ich muß wirklich mal mit dir reden — das geht so nicht weiter. Was du da vorhin gesagt hast, daß du mir zu lange hier bist, und so — das ist natürlich Unsinn! Und nicht das allein. Es ist wieder ein Ausdruck jener mißtrauischen Verbissenheit, unter der du selbst am meisten leidest — und dann natürlich auch alle diejenigen, mit denen du in Berührung kommst — —”
„Na schön! Selbstverständlich! Wenn Ihr unter meiner Gesellschaft leidet, dann kann ich ja abreisen! — —”
„Halt den Schnabel!” fuhr der Rittmeister auf. Weitere Ausdrücke der Empörung verkniff er sich, weil Jakob eben wieder eintrat. In der Linken trug er zwei lichtgrüne Röner, in zwei Fingern der Rechten — vorsichtig und weit ab vom Körper, wie ein Gefäß mit Nitroglyzerin — eine ungekapselte Hausflasche. Mit derselben Vorsicht stellte er die Flasche auf den Tisch, betrachtete seinen Herrn und dessen Gast aus erschrockensten Augen wie ein paar Selbstmörder, und zog sich dann wie vor einem drohenden Unglück bekümmert zurück.
„Ich muß dich bitten, mich heute wenigstens ausreden zu lassen,” sagte Herr von Lemmingen und schänkte den goldgelben Wein in die Gläser. „Wenn ich dir mal den Kopf zurechtsetzen will, so geschieht das nicht unsertwegen, sondern um deiner selbst willen. Glaubst du denn, daß es mir gleichgültig ist, dich derart verbittert zu sehen? Einen Kerl von edelster Zucht, aus dem man drei normal gute Menschen machen könnte?”
„Na prost, Lemmingen — auf diese schöne Redensart darfst du einmal trinken,” knurrte der Major mit grimmigem Lächeln, indem er aus dem Römer einen kräftigen Schluck hinter die Binde goß.
Der Rittmeister trank nicht, sondern beobachtete die Wirkung. Und die war fürchterlich.
Zunächst sprühte Konstantin Zimny den Schluck Wein wie ein unter starkem Druck arbeitender Rasensprenger von sich. Dann hustete, keuchte und schnob er wie ein Walroß, das sich verschluckt hat — schließlich verharrte er regungslos mit sperrweit geöffnetem Munde, mit tränenden Augen und beide Hände gegen die Kinnbackengelenke gedrückt.
„Wie ich sehe, lieber Freund, schmeckt dir diese Sorte nicht,” äußerte Lemmingen teilnehmend, aber nicht ohne merkliche Befriedigung. „immerhin wollte ich sie dir doch einmal zu kosten geben, damit du siehst, wie es tut. Mit dem Wein, mein Lieber, ist es nämlich ganz genau wie mit dem Menschen. Dieses Gewächs ist an sich das edelste, was ich habe. Vornehm, rassig und von einem inneren Gehalt, an den mein Obersteiner kaum heranreicht. Und wie hat er sich angelassen damals — vor Jahren. Es war eine Pracht, sage ich dir! Und was geschieht? Ganz plötzlich — wie von Mittwoch auf Donnerstag, — kriegt er den Sauerwurm! Der befällt zunächst die äußeren Triebe. Man merkt das vorläufig nur bei aufmerksamster Prüfung — und wenn man da kräftig eingreift mit Säubern und Bürsten, so ist der Schädling auch noch zu beseitigen. Aber das darf nicht verpaßt werden, wie ich es damals verpaßt habe. Einen Monat später dringt der Wurm in die Trauben und frißt die Kerne heraus. Damit ist das Gewächs hin —”
„Hol dich der — —” schalt der Major, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte. „Solch ein verfluchtes Zeug setzt du mir vor? Das soll Freundschaft sein! Das ist Körperverletzung, verstehst du?! Und ich erkläre dir — — ”
„Laß mich erst mal erklären. So wirkt der Sauerwurm beim Wein. Er wird ungenießbar. Und wenn ich an das Teufelszeug überhaupt noch ein paar Flaschengläser verschwendet habe, so geschah das zur lehrsamen Erinnerung, um etwaigen, vom Sauerwurm befallenen Menschen — — nee, mein Lieber! Hier sitzen geblieben! Heute rückst du mir nicht aus! — Also um solchen Leuten einmal klarzumachen, was sie für zweifelhafte Genußmittel sind. Sei gut, Alter! Schau mal — ich weiß ja ganz genau, wie es um dich steht. An den Kern ist dir der verfluchte Wurm gegangen, als du die Ulanka ausziehen mußtest und deinen weichen Filzhut gekauft hast. Es ist gewiß schlimm, von der Waffe abgehen zu müssen, die man liebt — und bloß deshalb, weil so ein malitiöser Racker von Gaul einen vor den Augen des Höchstkommandierenden nicht bloß abwirft, sondern auch noch mit dem Hosenboden an einen Staketzaun hängt, was ebenso genierlich wie gefährlich ist. Aber das ist doch schließlich überwunden, meine ich. Der Kommandierende ist in die Wurst gekommen, der Gaul ist auch in die Wurst gekommen — und die Zeiten, wo du egalweg auf dem Bauch hast liegen müssen, sind doch vorüber. Vorgestern hast du schon drei Stunden zu Pferd gesessen —”
„Wie auf einem Nadelkissen, jawohl!!”
„Na schön, aber das wird sich doch geben! Ich will dir mal was sagen, Zimny — der Sauerwurm ist bei deinem Abschied nur in sein zweites Stadium getreten. Verstehst du? Vorhanden war er seit dem Tage, wo du dich mit Liese Kontzen überworfen hast, mit deiner Braut — einem Prachtmädel, das aus dir einen lebensfrohen und — —”
Der Major hatte sich finster erhoben.
„Mein Lieber,” stieß er hervor, „ich lasse es mir bieten, wenn du mir ein Gemenge von Schwefelsäure und Glasscherben als Wein vorsetzest; auch daß du mich an den Abschied und meine ramponierte Sitzfläche erinnerst, mag dir hingehen, obwohl das nicht gemütvoll ist. Aber das andere — da möchte ich doch bitten! Das verstehst du nicht!”
„Kannst recht haben. Ich verstehe heute noch nicht, wo man eine solche Unsumme von Eigensinn und Dickköpfigkeit hernimmt, um eine Seele von Mädel, wie meine Cousine, soweit zu bringen, daß sie dir den Abschiedsbrief schreibt. Ich verstehe ferner nicht, wie ein solches Mädel es fertig bringt, dich trotz alledem heute noch zu lieben —”
„Lemmingen —!!” Das klang wie ein Schrei, gepreßt und qualvoll, sodaß es dem Rittmeister heiß in die Augen stieg.
„Jawohl — Lemmingen, Lemmingen!” äffte er zwischen Aerger und Rührung nach. „Es ist so, du alter Esel! Sie hat von meiner Frau erfahren, wie es dir gegangen ist. Sie weiß, daß du hier bist, weiß, wie der Sauerwurm an dir nagt, sodaß das ganze Gewächse kaum noch genießbar ist. Kurz und gut — sie will dich sprechen, nachmittag um vier ist sie da.”
— — — — —
Abendfrieden am Rhein.
Durch die weitgeöffneten Fenster des Alkovens weht es herbstduftig von den Hügeln.
Die beiden Freunde schauen den Damen nach, die den Winzern entgegengehen, welche bald mit den letzten Lasten für heute heimkehren müssen. Vom Schloßtore winkt eine schlanke Frauengestalt mit dem Taschentuche herauf.
Major Konstantin Zimny schlägt die Hände vor das Gesicht und läßt sich schwer in den Stuhl fallen.
„Aber es ist doch nicht möglich, Lemmingen! Es ist nicht möglich! Mensch, ich bin doch alt geworden und grau! Sie kann mich nicht mögen! Es ist nur Mitleid von ihr!”
„Mein lieber Freund, aus Mitleid schenkt man jemandem einen Taler, aber man heiratet ihn nicht. Außerdem ist die Liese genau um dieselben zehn Jahr älter geworden, wie du — und das ist kein Fehler. Ich will dir das wieder an einem Beispiel klarmachen. Da kommt Jakob — und diesmal bringt er eine andere Flasche — das kannst du ihm schon an der Nase ansehen. Wollen Sie mal gefälligst die Gurke wegnehmen von der Flasche!? Was fällt Ihnen denn ein?”
„O, Herr Rittmeister!” stöhnte Jakob, indem er die Flasche auf den Tisch stellte und sie aus ganz kleinen Schlitzäugelchen verliebt anschaute. „Das ist ein Duft! Ein Duuuuuft —!”
„Also verduften Sie gefälligst!”
Jakob ging — aber nicht, ohne bei jedem Schritt noch ein paar Nasenlöcher voll des Duftes in sich aufzusaugen.
„Das ist ein Wein, Alterchen,” sagte der Rittmeister, indem er den edlen Tropfen vorsichtig eingoß, „ein Wein, der auf der Traube die Edelfäule durchgemacht hat. Weißt du, was das ist? Das ist, wenn man die Traube überreif werden läßt, ehe sie geerntet wird. Dadurch wird alles, was in ihr steckt, zu höchster Vollkommenheit entwickelt — jede Säure verliert sich, der Edeling erscheint in seiner reinsten Form. Prosit — in diesem Sinne — —”
— — —