Der Rosen-Pirat

Strandskizze von Teo von Torn.
in: „Rostocker Anzeiger” vom 20.07.1902,
in: „Falukuriren” vom 11.10.1902, (schwedische Übersetzung unter dem Titel: „En kärlekshistoria”)
in: „Der deutsche Correspondent” vom 02.11.1902


„So ist's recht, gnädiges Fräulein; nur nicht ängstlich —” lachte der Schauspieler Graeber hinter der Baronesse von Velten. „Die Turnfahrt ist belohnt, wenn wir die Loge da draußen erreicht haben, vor der Gott Aegir uns seine Wasserkünste zeigen wird.”

„Kann mir denken, daß Sie auch mal das Bedürfniß haben, zuzuschauen — —”

„— und nicht mitmimen zu brauchen,” vollendete er freundlich die herb hervorgestoßene aggressive Anspielung. „Ganz recht, Baroneß. Leider aber erfüllt sich dieser erklärliche Wunsch nur äußerst selten. Es wird eben überall Comödie gespielt — und meist nicht gut, garnicht gut. Es ist für den Fachmann — namentlich für den erholungs­bedürftigen — gar schrecklich, die hübschen kleinen Intriguenstücke des Lebens so stümperhaft dargestellt zu sehen.”

May von Velten beschleunigte ihre Schritte. Es lag etwas Fluchtartiges in diesem rauschenden Davonhasten. Aber sie wußte, daß sie ihm auf dieser schmalen, weit in die See hineingebauten Landungsbrücke nicht auskam — und das wollte sie auch nicht. Es war ihre Taktik, ihn nicht zu meiden. [Dieser Absatz fehlt im Exemplar des „Deutschen Correspondenten”. D.Hrsgb.]

Seit vierzehn Tagen weilte Baroneß von Velten, mit einer alten Stieftante als Wauwau, in dem fashionablen Inselbade. Und gleich in den ersten vierundzwanzig Stunden hatte ihre stolze reservirte Natur gegen den Cultus sich aufgelehnt, welchen man mit diesem Schauspieler, mit diesem „Rosen-Piraten” trieb, von dem die Sage ging, daß seine Hotelzimmer täglich überladen waren mit Blumen, welche ihm heimlich ins Haus gesandt wurden oder die er sich ganz offen mit einem einzigen Blicke seiner „unerträglich zuversichtlichen” Augen erzwang. Gewiß — er war schön und vornehm und eine europäische Berühmtheit. Dabei war seine Art, Huldigungen anzunehmen, äußerst discret. Auch den heißesten Blicken und unermüdlichsten Blumensenderinnen gegenüber ging er nie über eine kameradschaftlich-chevalereske Liebenswürdigkeit hinaus.

Trotzdem hielt May von Velten an ihrem Vorsatze fest, den Grafen — es war offenes Geheimniß, daß Max Graeber einem alten reichsunmittelbaren Geschlechte entstammte, das Adelsprädicat aber stets entschieden zurückwies — kühl oder noch besser spottschlecht zu behandeln.

Zu diesem Vorsatze gehörte es aber, ihn nicht zu meiden. Sie acceptirte seine Begleitung, wo er sich ihr allein oder in Gesellschaft anschloß — sie duldete ihn, wie man etwas Spaßiges oder Unterhaltendes duldet, um sich abzuwenden, wenn es einem langweilig wird. Graeber hatte das sofort erfaßt und beobachtete der kleinen Baronesse gegenüber eine gut gespielte schüchterne Primanerhaltung, die nur bei ungerechtfertigten zornigen Ausfällen wie vorhin in eine leichte lehrhafte Ueberlegenheit umschlug.

Sie hatten endlich den fester gefügten, mit roh gezimmerten Holzbänken versehenen Ausläufer der Landungsbrücke erreicht. May von Velten schlug ihren Jacketkragen hoch und ließ die frische Brise an ihrem Stirnhaar zausen. Wie wunderherrlich wäre es hier, wenn sie sich nicht so fest vorgenommen hätte &mdash, sich zu ärgern.

Wie ein Auf und Nieder tiefer Athemzüge rauschten die grünen Wogen anschwellend heran, um nach dem Strande zu in durchsichtige Schleier zu zerfließen. Wieder und immer wieder und unaufhörlich. Und weiter draußen, wo die schon schrägstehende Nachmittagssonne die Spitzen der buntschimmernden unendlichen Fluth mit güldenem Nixengeschmeide überstreute — — —

„Wie schön, wie einzig schön —”

In Max Graebers Augen leuchtete es freudig auf — aber er brachte seine beweglichen Schauspielerzüge sofort wieder in den Ausdruck moquant unterwürfiger Indifferenz, als sie, wie aus einem herrlichen Traume erwachend, ihren verschleierten Blick auf ihn richtete.

Und wieder vergaß sie sich. Sie wendete sich mit einer kindisch heftigen Bewegung des Oberkörpers von ihm ab und stampfte sogar mit dem Füßchen auf — in hellem Zorn ob dieses unleidlichen Menschen, der sie da anlächelte, weil er zu wohlerzogen war, um sie direkt auszulachen. So mißverstand sie ihn in ihrer Voreingenommenheit, ihn, den es schon lange, lange mit jeder Fiber drängte, das kleine, weiße Händchen, welches da eben auf dem verwitterten Holze des Geländers lag, mit den wenigen Küssen zu bedecken, welche darauf Platz hatten.

Aber der weltgewandte Mann beherrschte sich. Er stützte die Arme auf die Knie und wollte eben in seiner flüssigen, spielenden Art zu plaudern anfangen , als sein Gegenüber mit einer entschlossenen Bewegung ein widerspenstiges Löckchen hinter das Ohr strich und, ohne ihn anzusehen, fragte:

„Weshalb sind Sie so unausstehlich, Herr Graf?”

Der Schauspieler sah zu Boden, zog die Augenbrauen hoch wie bei einer sehr nachdenklichen Sache, dann langsam die Achseln, und antwortete schließlich unter einer bedauernden Geste, indem er die gefalteten Hände öffnete und wieder schloß:

„Tja — meine Gnädigste, das ist wohl mein Kismet. Aber sagen Sie mir, weshalb nennen Sie mich Graf?”

„Nun, Sie sind es doch.”

„Allerdings —”

Sie machte eine kurze Kopfbewebung, mit der sie ausdrückte: Na also! Was wollen Sie denn!

„Aber ich hör's nicht gern.”

„Eben deshalb — —” wollte sie triumphirend bestätigen. Aber das Wort gereute sie. Sie wußte selbst nicht weshalb. Er hatte es jedoch schon aufgegriffen.

„So so,” nickte er vor sich hin. „Nun nehmen Sie mal an, Gnädigste, mit meiner Unausstehlichkeit wäre es ebenso wie mit ihrem Graf.”

„Sie wollen sagen, daß Sie nur so unausstehlich sind, um mich zu ärgern —”

„Je nun — jedenfalls ist das eine üble Eigenschaft, welche minder leicht abzulegen ist,wie kleine vorsätzliche Chikanen.”

„Unhöflich sind Sie also auch,” warf sie mit zuckenden Mund hin.

„Nicht doch, Baroneß — nicht unhöflicher, nicht eingebildeter und vielleicht auch nicht unausstehlicher wie andere, denen sie freundlciher begegnen als mir. Nicht bitte —” schaltete er ein, als sie Miene machte, zu erwidern. „Lassen Sie mich Ihnen das erst sagen. Dieses herbe Spiel ist nachgerade stärker als ich. Sie halten mich heute noch für das, wofür Sie mich hielten, ehe Sie mich überhaupt gesehen. Und da ich die Ehre hatte — die Ehre und das Glück! — Sie kennen zu lernen, gaben Sie sich nicht die Mühe, mich kennen zu lernen. Sie sahen und hörten nur die anderen Menschen und sagten sich: So ist er.”

„Wozu kommen Sie mir damit!”

Das klang hart, scharf und spöttisch. Sie hatte das Köpfchen wieder abgewandt und folgte dem Spiel der Möven, die auf- und niedertauchten, um dann mit breitgespanntem weißen Gefieder in der dämmernden Ferne sich zu verlieren.

Er antwortete nicht gleich. Er fühlte, hier lag die Entscheidung. Das nahm ihm die überlegene Ruhe und Sicherheit. Wenn er sich gezwungen hätte, wäre er wohl auch jetzt wieder mit einem Scherzwort über Alles hinweggekommen — wie so oft in seinem bewegten Leben. Aber er wollte nicht. Mochte es sich nun entscheiden, ob er noch ein Recht hatte auf ein bischen Glück. Einmal mußte das doch kommen.

„Wozu — —” wiederholte er, und seine Stimme klang vollständig fremd in ihrem tiefen Ernst. „Vielleicht, weil ich der Einbildung lebe, Sie könnten freundlicher von mir denken, wenn Sie wollten. Aber das ist wohl Aberglaube. Ich bin Comödiant, Baroneß — und ich gebe ein Spiel auf, bei dem ich fühle, nicht mehr über meiner Aufgabe zu stehen. Ich werde morgen abreisen.”

Sie hatte zwei welke Rosen aus dem Gürtel ihrer Blouse gezerrt, begann nervös an ihnen zu zupfen und streute die Blätter in die See.

„Da ich aber weiß, daß Ihnen damit ein Gefallen geschieht,” fuhr er fort, „so müssen Sie sich mir erkenntlich zeigen. Um diese eine, zwar müde, aber noch nicht zerpflückte Rose bitte ich Sie — — bitte!”

Es lag eine Welt von Innigkeit in seinem Blick und in diesem „bitte” eine Innigkeit, in der sie selig erschauerte. Plötzlich aber traf sie ein Gedanke wie ein Peitschenschlag. Er erbat eine Blume von ihr — etwas, das ihm täglich heimlich und — unheimlich zugeschleppt wurde, etwas, worauf er reiste, dieser „Rosen-Pirat”.

Nun sollte auch sie?

Mit einer wilden eckigen Bewegung schleuderte sie die Rose in die See und rief:

„Holen Sie sie sich!”

Im nächsten Moment aber wich alles Blut aus ihrem eben noch von der Erregung heißen Gesichtchen. Sie preßte beide Hände auf den Mund, um nicht aufzuschreien vor Angst und Entsetzen. [Dieser Absatz fehlt im Exemplar des „Deutschen Correspondenten”. D.Hrsgb.]

Ohne sich eine Secunde zu besinnen, hatte sich Max Graeber von der mehrere Meter hohen Landungsbrücke in die See gestürzt.

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Als ein paar Stunden später der Pirat in seinem von ungezählten Rosen durchdufteten Zimmer, mit einem leichten Schnupfenfieber auf der Chaise longue lag, hielt er in der Linken eine einzige welke Blume und in der Rechten ein weiches warmes Händchen, das er nach Herzenslust mit mehr Küssen bedecken durfte, als eigentlich darauf Platz hatten.

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