von Teo von Torn.
in: „Neues Wiener Journal” vom 27.06.1900,
in: „General-Anzeiger Altona” vom 10.07.1900,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 15.07.1900,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 18.07.1900
„Mor'n Comtesse — kann man denn da schon sitzen?”
Comtesse Isa Bessemberg warf den braunen Zopf, in dessen Ende sie das gleichfarbige, braune Band fester eingeflochten, über die Schulter, griff sich mit der Rechten flüchtig ins Genick und schüttelte dann das Köpfchen, indem sie es etwas nach hinten neigte, um die schwere Flechte zu lockern und tragbarer zu machen.
„Weshalb nicht,” erwiderte sie dann mit jener nonchalanten Lebhaftigkeit, die bei jungen Mädchen immer etwas Verlegenheit verbirgt, „sind Sie bange um Fliederthee?”
Lieutenant von Raymonts lachte vergnügt auf, mehr aus seiner allgemeinen frischen Lenzstimmung heraus, als auf die Bemerkung des kleinen zappeligen Backfisches da vor ihm. Dann prüfte er einen aus dem Rasen aufragenden Baumstumpf auf Feuchtigkeit und Ameisen, und ließ sich mit einiger Rücksicht auf seine hechtgraue Reithose behaglich nieder.
„Buh — es ist doch noch ein bißchen kühl auf solch einem Sitz in der freien Natur. Wie Sie da auf dem Rasen sitzen mögen —”
„Mich friert nicht, Sie hätten ja oben bleiben können. Sind wohl überhaupt eben erst aufgestanden, nicht wahr?”
„Allerdings — aber woraus schließen Sie das?”
„Weil Sie noch so frischgewaschene, rothgeringelte Augen haben. Wie haben Sie denn überhaupt geschlafen?” fragte sie dann kurz, fast barsch und mit einem flüchtigen Aufblick.
Wolf von Raymonts stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte lässig die Hände zusammen. Ein Solitär am kleinen Finger der linken Hand sprühte hell auf in der Morgensonne. Er neigte den Kopf etwas zur Seite, um die Augen unter den Schatten des Mützenschirmes zu bringen, als er erwiderte:
„Danke sehr gut. Aber vom Herzen kommt Ihnen diese Sorge nicht, Comtesse. Weshalb sind Sie eigentlich immer so grob zu mir?”
„Ich bin doch nicht grob,” sagte sie schnippisch, aber etwas kleinlaut, indem sie große Büschel Gras ausrupfte, soweit sie mit den Armen um sich greifen konnte.
„Na, liebenswürdig ist es doch gerade nicht, wenn Sie von „obenbleiben” reden, von „Fliederthee” und all sowas.”
„Aber ist doch wahr!” rief die kleine Comtesse und warf das Mäulchen auf. „Wie Sie sich immer haben bei jeder Kleinigkeit! Ich sitze nun schon seit Sieben hier und lauere auf Sie — und mich friert gar nicht.”
Da der junge Mann überrascht aufblickte, inqirirte sie lebhaft: „Sie hatten wohl überhaupt vergessen, daß wir uns gestern hier verabredet —!?”
„Verabredet — — gewiß; aber natürlich! Wie können Sie denken, Comteß!”
Er bückte sich nach einem langen Grashalm und nahm ihn zwischen die Lippen. Verabredet? Keine Ahnung. Er hatte zwar reichlich Sect getrunken und entsann sich dunkel, mit dem kleinen Mädchen eine Weile auf der Terrasse gewesen zu sein, wo, „der Mondschein schon schön schien” — aber verabredet? Mit diesem Kinde?
Wolf Raymonts kam zu dem Schluß, sehr bezecht gewesen zu sein und sich für die beiden letzten Tage seines Besuches auf Zedlin in dieser Hinsicht vorsehen zu müssen. Er belagerte nicht seit einem Jahre die schöne Frau, welche in jenem feudalen Schlosse drüben residirte, um sich schließlich mit einem Secundanerscherz in die Nesseln zu setzen.
Nichtsdestoweniger sah er sich seine neue Eroberung doch etwas genauer an. Was er ihr nur vorgeschwatzt haben mochte — — —
Wirklich ein niedliches Mädel. Ein bißchen Gartenlaubengenre — wie sie da vor ihm saß, das Köpfchen gesenkt und die Hände mit einer Unmenge Gras und Butterblumen im Schoß; und nicht eigentlich hübsch — die Lippen waren zu voll und die Nase etwas kräftig in dem kleinen, sozusagen noch unfertigen Gesichtchen. Von der unvergleichlichen Schönheit ihrer Tante hatte sie nichts — es berührte ihn fast komisch, daß er Vergleiche zog. Und doch fehlte der Baronin Gloede etwas, das diesem herben Kinde zu eigen war, etwas, das auf seine sensiblen Nerven geheimnißvoll suggestiv und fast wie ein Narkoticum einwirkte: Frühlingszauber, Lenzesfrische — knospende Jugend. Sie paßte in diesen sonnigen kühlen Morgen, zu dem würzigen Duft der Erde und der Milliarden von sprossenden Keimen ringsumher, als gehörte sie dazu.
Eine ihm sonst ganz fremde Andachtsstimmung überkam ihn — und er empfand es fast wie eine Störung, als die kleine Comtesse mit einem tiefen zitternden Aufathmen den Kopf hob. Sie sah ihn fest und groß an, aber man merkte, daß sie sich dazu zwang. Die Lider bebten, als wollten sie sich jeden Moment über den graublauen Augensternen schließen.
Achtlos streute sie die Blätter und Halme um sich her. Die Gesprächspause und das weltfremde Lächeln in seinen Zügen genirten und beunruhigten sie. Sie zog die Füßchen, welche bis über die feinen Knöchel hinaus hervorgelugt hatten, unmotivirt hastig unter den Kleidersaum und sagt:
„So haben wir also gewissermaßen ein Rendezvous miteinander —”
Wolf von Raymonts schreckte auf. Zwischen Spott und Unbehagen erwiderte er lächelnd:
„Wenn Sie es so nennen wollen, Comtesse — aber es ist das ein häßliches vulgäres Wort für unsere Begegnung in dieser herrlichen Maifrische. Empfinden Sie das nicht selbst?”
Er war sehr zufrieden mit dieser Antwort. Bei aller Unverbindlichkeit klang ein fein empfindendes Herz heraus und zugleich auch etwas väterlich Ueberlegenes — —
Comtesse Isa aber war dunkelrot geworden bis unter die feinen Löckchen, welche sich von dem sonst glattgekämmten Haar an der Stirn losgelöst. Scham und Zorn über sich selbst trieben ihr helle Thränen in die Augen und um ihre Lippen zuckte das Weinen eines Kindes.
Die ganze nervöse Spannung der letzten Tage, das Fremde mit seinem wonnigen Bangen, die jauchzenden und verzweifelnden Fragen, all das unnennbar Große und Neue, unter dem ihre herbe Jungfräulichkeit erschauert, lösten sich in einem wilden rastlosen Schluchzen.
Es war Mitleid — natürlich, nur Mitleid war es, daß er sich jäh erhob, daß er die Bebende in seine Arme schloß und den heißen Mund mit unsinnigen Küssen bedeckte — — und die knospende Jugend erschloß sich zur Wunderblüthe ihrer ersten Liebe.
* * *
Die Gäste auf Schloß Zedlin waren früher aufgebrochen als sonst. Es war recht kühl draußen für eine Mainacht. Noch in später Abendstunde hatte die Baronin in dem monumentalen Kamin der auf die Terrasse hinausführenden „Diele” heizen lassen. Der blinde Graf Bessemberg, welcher seit dem Tode seiner Frau im Hause der ebenfalls verwitweten Schwester die männliche Repräsentation führte — soweit bei seiner scheuen Reserve und tiefen Melancholie davon die Rede sein konnte —, hatte sich zurückgezogen. Es war Niemand in dem weiten gewölbten Raume als die Baronin und Wolf von Raymonts.
Er verabschiedete sich. Sein Besuch, welcher pro forma dem Grafen gegolten, mit dem er früher einen Rennstall unterhalten, hatte sich ohnehin über die Gebühr ausgedehnt — er mußte zu Ende kommen.
Und es war nicht nur der Widerschein der im Kamin auflodernden Flammen, welcher die feinen Züge der Baronin rosig überhauchte. Sie hatte die aristokratisch schmalen, mit weißem Chevreau bekleideten Füße gegen das Bronzegitter des Kamins gestemmt; auch sonst schien ihre Haltung in dem tiefen Sessel lässig, aber es lag doch eine bebende Spannung, ein athemloses Lauschen über der fast allzu schlanken Gestalt. Die großen dunklen Augen blickten verschleiert und auch das Zittern der feinen Nasenflügel verrieth, was in ihr vorging.
Wolf Raymonts sprach ihr von seiner Liebe. Sie unterbrach ihn nicht, sondern lauschte — lauschte — —
Nach langem inneren Winter that sich wiederum eine weite lachende Sonnenwelt vor ihr auf — der Frühling einer letzten großen Liebe.
Als er gesprochen und nun wie zum Beten an ihrem Sessel niedersank, faßte sie mit den beiden schlanken Händen seinen Kopf und sah ihm tief in die Augen. — Sie glaubte ihm, denn sie wäre unglücklich und todeselend gewesen, wenn sie nicht hätte glauben können.
Und sie küßte ihn —
* * *
Eine Stunde später richtete die schöne Frau den von Frost und Verzweiflung geschüttelten Körper ihrer Nichte auf, an den sie auf dem feuchten Kies der Terrasse in der Nähe der Thür gestoßen.
Der Mond schien fahl und indifferent auf ein Meer von Vernichtung — auf sterbende Knospen und welke Blüthen.
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht.