Der Perrücken-Stock.

Eine Reservisten-Humoreske von Teo von Torn.
in: „Der deutsche Correspondent” vom 06.07.1902


„Prochownik —!!”

Das Flüstern und Kichern auf dem Flur hörte auf — eilige Schritte hasteten möglichst geräuschlos die Treppe hinab, und Joseph Prochownik, der Bursche des Majors von Uchtenhagen, flitzte in den Korridor. In der nächsten Sekunde stand er mit hochrothen Ohren vor seinem Herrn, der ihn mißtrauisch musterte.

„Natürlich wieder poussirt draußen!” grollte der Gestrenge. „Verfluchte Manier von Dir! Verstanden? Die Stiege immer voll von Weibsbildern aus dem ganzen Hause — paßt mir nicht! Draußen poussiren, verstanden?”

Prochownik hielt es für das Gerathenste, sich zu der Angelegenheit gar nicht zu äußern. Er gab seinen Knochen einen hörbaren Ruck, was so viel bedeutete, wie: Ich habe kapirt! Damit hielt er den kleinen Zwischenfall für erledigt und harrte der Befehle.

Aber der Major schien nicht geneigt, von diesem Thema abzugehen. Er hatte sich in dem Sessel am Schreibtisch niedergelassen und ein paar Sekunden mit einer gewissen unwirschen Rathlosigkeit in einen Brief geblickt, der da vor ihm lag. Seine Nasenflügel zuckten nervös, und mit der Rechten strich er über die schmale Landzunge, welche das zurückgetretene Haupthaar auf seiner hohen Stirn zurückgelassen hatte.

„Welche von den Puten hast Du jetzt am Bändel, he?”

Prochownik schrank zusamen, und das dunkle Roth seiner Ohren vertheilte sich über die slavischen Backenknochen hinweg bis zu der Nase, die alsbald in prächtigem Karmin erglänzte. Er hatte sich nämlich das starke Riechorgan einmal erfroren und seither reagirte es auf alle Gemüthsbewegungen. Unwillkürlich verließen Prochowniks Finger die vorgeschriebene Hosennaht, schoben sich mehr nach hinten und krauten verschämt an dem Leder seiner Reithose. Aber die gehobene Stimme seines Herrn brachte ihn sofort wieder militärisch in Chik.

„Na wird's bald! Es ist die Minna von Steuerinspektors, nicht wahr?”

„Nein, Herr Major.”

„Also wer!”

„Hab ich zwei, Herr Major!”

Herr von Uchtenhagen schlug sich mit der flachen Hand auf's Knie und holte dann so tief Athem, als wenn er seinen Böhmaken durch die Wand blasen wollte. Aber er bekam das Husten und wandte sich einen Augenblick ab.

„Verfluchter Kerl —” knurrte er mit einer eigenthümlich belegten Stimme. Gleich darauf bezwang er sich und in scharfem Ton inquirirte er weiter: „Also wo dienen die Mädels?”

„Zu Befehl, Herr Major — die Auguste dient sich bei Kommerzienrath — —”

„Kerl! Das Frauenzimmer hat ja einen Buckel!”

„Zu Befehl, Herr Major — is alles blos für die Magen.”

„Und die Andere?” fragte der Major, indem er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Als Prochownik auf dem martialischen Gesichte seines Gebieters den Schalk spielen sah, hatte er Oberwasser. Es klang ordentlich begeistert, als er meldete: „Die Jette, Herr Major, oben von Kumtessens!”

„Die Zofe der Scharfenstein'schen Damen?”

„Zu Befehl, Herr Major!”

Herr von Uchtenhagen erhob sich und ging ein paarmal nachdenklich auf und ab. Dann trat er dicht an den Burschen heran.

„Du bist ein großes Heupferd, Prochownik, nicht wahr? Das weißt Du. Aber nun setze mich mal in Erstaunen und zeige, daß Du schlau bist. Wir bekommen Besuch von zwei Damen. Du wirst das Fremdenzimmer in Ordnung bringen. Aber damit ist es noch nicht gethan. Der Deibel soll wissen, was zwei Damen alles brauchen. Du wirst also mal bei der Jette ein bischen herumhorchen, was die Komtessen alles in ihrem Zimmer haben — verstanden?”

Josef Prochownik stieß zwar sein gewohntes „Zu Befehl” heraus, aber sein Mund öffnete sich zu klaffender Verständnißlosigkeit. Damens bei dem Herrn Major, der eine so unbegreiflich starke Abneigung gegen das ganze weibliche Geschlecht hatte! Und dann — wonach sollte er eigentlich bei der Jette sich erkundigen? Was die Kumtessens im Zimmer haben? Leider wurde ein weiterer Kommentar zu dem verzwickten Auftrage nicht gegeben. Der Major winkte mit der Hand, und Prochownik war mit seinen tausend ungelösten Räthseln entlassen.

Herrn von Uchtenhagen war keineswegs behaglicher zu Muth, als seinem Burschen. Obwohl er den Brief seines alten Freundes und früheren Regimentschefs, des Generalmajors von Klinke auf Witschkowitz, nun schon zum zehnten Male las, konnte er seiner widerstreitenden Empfindungen noch immer nicht Herr werden. Eigentlich war es ein starkes Stück von dem alten Klinke, einem Junggesellen ohne weiteres zwei Weibsleute auf den Hals zu schicken, damit er sie als Wauwau auf den Kasinoball führe. Die Eine, die Jüngere, war ja allerdings des Herrn Pathenkind; aber die Andere, die Aeltere, — — —

Himmelheiliges Donnerwetter noch einmal!

Der alte Klinke hatte ja keine Ahnung, was er ihm anthat, daß er auch seine Nichte, die Baronesse von Halpert, ihm väterlich anvertraute! Jede Andere, nur die nicht —! Der alte Klinke wußte nicht, daß die Baroneß Eva Halpert schuld daran war, wenn der Major von Uchtenhagen nicht nur als hartgesottener Junggeselle sich durch Leben fluchte, sondern auch allen anderen Evas eine mehr als Schopenhauersche Abneigung entgegenbrachte.

Der Major trat ans Fenster, und in dem eintönigen winterlichen Bilde draußen malte sich vor seinem geistigen Auge ein kurzer, aber wunderherrlicher Frühling, der nun mehr als achtzehn Jahre zurücklag.

Damals war der Herr Major ein junger Premier gewesen, der dicht vor dem Hauptmann stand — mit einer Seele, reich, eindrucksfähig und voller Gährung, wie frisch angerührter Kuchenteig. Und die Menge Rosinen, die er hatte! Die Welt lag vollkommen eroberungsbereit vor ihm, und das Metazentrum dieser Welt, nach der Hans Heinrich von Uchtenhagen nur die Hand hatte auszustrecken brauchen, war Eva Halpert gewesen, des Regimentskommandeurs schöne, tizianblonde Nichte. Man hatte sich noch nicht ausgesprochen, und doch wußte Jedes, daß es für den Anderen bestimmt war.

Aber — Glück macht übermütig. Bei einem Sommernachtsfeste hatten sich Baronesse Halpert und Oberleutnant von Uchtenhagen auf der Gartenterrasse des Kasinos ganz zufällig begegnet — wie das manchmal vorzukommen pflegt. An die Brüstung gelehnt, schauten sie schweigend in die Nacht hinaus. Baroneß Eva war ganz Poesie. Sie hatte ihr feines weißes Gesichtchen dem Monde zugewandt, der das Rothgold ihrer schweren wuchtigen Haarmassen mit silbernen Fäden und Funken durchwob. Hans Heinrichs Herz war auch zum Zerspringen voll — aber er war ein junger, lustiger Bursche, dessen Frohnatur sich gegen allzu tiefe poetische Wirkungen instinktiv auflehnte. Das Leben war zu schön,um es zu verträumen. Also plagte ihn der Teufel, die lenzschwüle Stille durch irgend eine irdische Trivialität zu unterbrechen.

„Wissen Sie, Baroneß —” rief er aufgekratzt, „ich kann mir nicht denken, daß dieses wundervolle Haar echt ist — — nehmen Sie es schnell mal ab!”

Was dem Leutnant von Uchtenhagen gerade diese Geschmacklosigkeit eingegeben hatte, das wußte der Major von Uchtenhagen heute noch nicht. Aber der Wirkung erinnerte er sich, als wenn sie ihn erst gestern niedergeschmettert hätte. Empörung blitzte ihn aus den braunen Augen an, die sich mit Thränen füllten. Dann wandte sie ihm den Rücken — und von jener unglücklichen Stunde ab hatte sie ihn nicht mehr angesehen, geschweige denn ein Wort mit ihm gewechselt.

In der ersten Zeit war er der Verzweiflung, ja dem Selbstmorde nahe gewesen. Dann aber hatten ihn Zorn und Verachtung gepackt. Sie konnte nichts Ernstes für ihn empfunden haben, wenn ein einziges unbedachtes Wort alles in ihr auslöschte. Und über jeden Begriff eitel mußte sie auch sein! Besonders das setzte sich in ihm fest — und mit der Logik eines verbitterten Menschen verallgemeinerte er auf das ganze Geschlecht diejenige Eigenschaft, die er für das Unglück seiner Liebe hielt.

Jedes weibliche Wesen war nach der Meinung des Majors von Uchtenhagen eine Pute, eine eitle, gefallsüchtige Pute — und Baroneß Eva Halpert war erst recht eine Pute.

Jawohl!

Der Major trat vom Fenster weg, nachdem er diese Bekräftigung einer Reihe von Folgerungen und Trugschlüssen ziemlich laut hervorgerufen . Aber als er sich nun in seinem unwohnlichen Junggesellenzimmer umsah, in dem er die ganzen Jahre allein gehaust und in dem das Rindvieh von Prochownik seine einzige Gesellschaft und Unterhaltung war, überkam es ihn doch ganz eigen. Der Brief des Generals von Klinke hatte zwar die alten Wunden geöffnet — aber er merkte, daß sie nicht mehr so weh thaten. Allgemach kam sogar etwas wie Erwartung über ihn. —

Ob sie sich wohl verändert hatte? Natürlich — sie mußte ja nun wohl schon an die vierzig heran sein — Donnerwetter noch mal — vierzig! Unbegreiflich eigentlich, daß dieses vielumworbene Geschöpf nicht geheirathet hatte — absolut unbegreiflich! Und daß sie nun den alten Groll vergaß und als Ehrendame das Küken von Cousine begleitete, war doch eigentlich ein guter Zug von ihr, das war — — nun ja, man konnte nicht wissen, und — —

Als der Major in diesem Moment in den Spiegel sah, bemerkte er, daß er rothe Ohren und eine rothe Nasenspitze hatte — fast wie Prochownik, wenn er auf einer kapitalen Dummheit ertappt wurde. Und er nahm auch keinen Anstand, zu sich selbst dasselbe zu sagen, was er dem Josef Prochownik in solchen Fällen zu sagen pflegte: „Alter Esel!”

Jedenfalls wollte er den Damen — wenn sie ihm schon in das Haus schneiten — beweisen, daß er nicht der Knote war, für den Eva Halpert ihn wahrscheinlich noch hielt seit dem verdammten dummen Schnack von dem Haar! Himmelheiliges Donnerwetter, noch einmal!

— — — — — —

Vor einer Viertelstunde war der Major mit seinem Besuche von der Bahn gekommen, und in zwei Stunden sollte es zum Ball gehen. Die Damen hatten sofort ihr Zimmer aufgesucht, um mit Hilfe der tauben Haushälterin des Majors und einer Zofe, die Herr von Uchtenhagen für diese drei Tage engagirt hatte, Toilette zu machen.

Josef Prochownik kriegte seinen Mund überhaupt nicht mehr zu — so fiel er aus einem Staunen ins andere. Der Herr Major redete in einem fort, ja sogar lachen that der Herr Major, und zwar lauthals, nicht blos wie sonst, was mehr geknurrt wie gelacht war. Vorhin auf dem Flur hatte der Herr Major seinen Burschen und die Jette angetroffen — er hatte Jettchen in die frischen Wangen gekniffen und den Don Juan von einem Böhmaken lachend einen „verfluchten Kerl” genannt. Jetzt ging überhaupt die Welt unter.

Langsam und in sich versunken wie ein Nachtwandler brachte Prochownik seinem Herrn die befohlenen Lackstiefel; denn es war inzwischen Zeit geworden, daß auch der Major sich zurechtmachte. Und er that das mit einer Sorgfalt, die der Bursche fassungslos verfolgte. Als der Herr Major sogar Kölnisches Wasser in sein Taschentuch schüttete, war Prochownik so weit weg, daß er eine Frage des Majors überhörte. Erst als er darauf in der alten Weise angehaucht wurde, kam er wieder zu Bewußtsein.

„Sperr' die Ohren auf, alter Esel! Ich habe gefragt, ob Du in dem Fremdenzimmer auch richtig alles besorgt hast, was Damen brauchen, he?”

„Zu Befell, Herr Major! Hab' ich mir von Jetten aufschreiben lassen, was Kumtessens alles brauchen und hab' ich besorgt.”

„Gut, mein Sohn, sobald die Damen abgereist sind, giebst Du mir die Rechnungen, und wenn alles in Ordnung war, soll auch für Dich was abfallen. — Was hast Du noch auf dem Herzen?” fragte er, da Prochownik's Finger wieder von der Hosennaht abirrten und verlgen das blanke Leder seiner Reithose krauten. Auch trat er von einem Fuß auf den anderen, was immer bedeutete, daß er noch 'was zu bemerken wünschte.

„Hab' ich einiges nicht bekommen zu kaufen, Herr Major — hab ich gepumpt!”

„Gepumpt — —?”

„Zu Befell, Herr Major. Von den Kumtessens.”

„Du, hör mal, das ist mir aber unangenehm!” rief Herr von Uchtenhagen, indem er das Monocle, an dem er putzte, gegen das Licht hielt. „Aber schließlich — fügte er zu sich selbst hinzu, „ich bin den alten Schrauben auch schon gefällig gewesen. — So, mein Sohn, nun geh mal zu den Damen — aber klopfe gefälligst vorher an, verstanden? — und frage, ob die Herrschaften bereit wären.”

„Zu Befell, Herr Major!”

Als Prochownik das Zimmer verlassen, warf der Major noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Dann schlenkerte er ein paar mal mit dem rechten und ebenso mit dem linken Bein, als ob er sie in den Scharnieren lockern wollte. Es ging ganz gut — und er war mit sich zufrieden.

Seine gehobene Stimmung schlug jedoch um, als Fräulein von Klinke, sein Pathchen, eintrat — und zwar noch so, wie sie von der Reise gekommen war. Ihr Gesichtchen war ernst und gedrückt; die Hände ineinandergepreßt, sah sie rathlos zu dem Major auf.

„Aber Kindchen, es ist die höchste Zeit — und Sie sind immer noch nicht —”

„Verzeihung, Onkel” — so nannte sie den Freund ihres Vaters von Kind auf — „ich weiß nicht, was Eva hat — — — bald nachdem sie das Zimmer betreten, schrie sie auf — und schluchzt herzbrechend — bis jetzt. Ich kann sie nicht beruhigen — —”

„Aber Kindchen — um Gotteswillen! Was ist denn geschehen!” stieß der Major erschrocken hervor.

„Ich weiß es wirklich nicht — sie war immer ernst, und geweint hat sie zu Hause auch manchmal ohne Grund — aber so habe ich sie noch nicht gesehen. Wollen Sie nicht selbst einmal nach ihr schauen —?”

Wortlos stürmte der Major hinaus, während das junge Mädchen ihm beklommen folgte. In wenigen Sekunden hatte Herr von Uchtenhagen die Thür zum Fremdenzimmer erreicht und stieß sie auf.

„Eva —!!” rief er, und es lag soviel Wärme, Herzlichkeit und wahre Besorgniß in seiner Stimme, daß Baronesse von Halpert für einen Moment den Kopf mit den schweren tizianblonden Flechten erhob. Als sie aber den kahlköpfigen Perrückenstock sah, der da vom Toilettentisch her sie angrinste, brach sie wieder zusammen, und ein wildes Schluchzen erschütterte den schlanken Frauenleib.

Der Major war dem Blicke seiner Jugendliebe gefolgt — und mit einem heiseren „Um Gotteswillen!” taumelte er zurück, als wenn ein Peitschenhieb ihn getroffen. Dann sprang er auf den Perrückenstock zu und riß ihn an sich.

„Prochownik!!!” brüllte es wie eine Jerichoposaune durch den Flur; und als der Gerufene wie ein geölter Blitz herbeischoß, war die Tonart auch noch nicht milder. „Mensch! Esel! Unglückliches Individuum! Ich morde Dich! Wo hast Du das her!!”

„Herr Major, ich — das hab' ich gepumpt. War auch im Zimmer vom Kumtessens — und da nicht auftreiben konnte, hab' ich gepumpt!”

„O Du dreimal vernagelter — —”

Weiter kam der unglückliche Major nicht. Geknickt sank er auf den nächsten Stuhl und preßte die gräßliche Puppe an sich, als wenn er einen Halt an ihr suchen müßte. Prochownik drückte sich mit halb beleidigtem, halb ängstlichem Gesicht; und als der Major den Perrückenstock unter den Stuhl schob, auf dem er saß, als er die Hände faltete und so weich und zärtlich noch einmal „Eva —!”rief, hielt auch das Pathchen seine Anwesenheit für überflüssig und schlich davon.

Und das war gut so — — denn zwei Liebende, die achtzehn Jahre einer Dummheit wegen auseinander waren und bald einer zweiten zum Opfer gefallen wären, haben sich viel, sehr viel zu sagen.

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