Humoreske von Teo von Torn.
in: „Indiana Tribüne” vom 25.11.1900
Endlich hatte der Major von Schleter, was er brauchte. Endlich — ein Pferd! Es hatte zuletzt fast den Anschein, als wenn der gute alte Schlag, welcher seine zweihundertundfünfzig Pfund in allen reglementsmäßigen Gangarten mit Geist und Grazie getragen, unter der „verfluchten Windhundzüchterei” auf den Rennplätzen — des Herrn Majors eigener Ausdruck — complet zu Grunde gegangen sei.
War der Gaul nett, so trug er nicht, und wenn er trug, was der Major von Schelter auf ihm zu verstauen hatte, dann sah er aus wie ein melancholisches Straßenbahn-Zugthier.
Major von Schelter hatte es sich fest vorgenommen: Wenn er mal ein wirklich gutes passendes Pferd finden sollte, dann auch zu heirathen.
Draußen vor der Stadt, just auf dem Wege zum Exercierplatz, wohnte die rundliche Wittib eines Oberstabsarztes — und schon längst hätte er die unverkennbar freundliche Gesinnung der nach jeder Richtung wohl ausgestatteten Dame sich zu Nutze gemacht.
Der Fuchswallach „Potrimpas” erfüllte die kühnsten Hoffnungen. Er sah aus wie eine Gazelle und war doch ein farnesischer Herkules. Der Major faltete ordentlich die Hände in stillem Entzücken, als er nach dem ersten Proberitt der Abreibung dieses Meisterwerks der Schöpfung im Stalle beiwohnte. Endlich!
Und er segnete den Tag, an welchem er erfahren, daß sein mindestens gleichgewichtiger Corpskamerad, der Major Malmschrott in Posen, aus unbekannten Gründen Hops gegangen war. Er segnete auch den „Abgeschiedenen”, der ihm das seltene Vieh für ein Spottgeld abgelassen hatte.
Der Gaul war sozusagen auf den Stichtag gekommen. Gerade für den Tag nach seiner Ankunft hatte der Herr Divisions-Commandeur eine der überall so beliebten Besichtigungen angesagt.
Reichlich eine Stunde vor der Specialbesichtigung, welche der Major für sein Battaillon angesetzt hatte, führte der Bursche Adam Kaczmarek den tadellos aufgezäumten und wie eine Puppe tänzelnden Potrimpas vor dem Hause seines Gebieters auf und ab. Alles, was ein bischen Pferdeverstand hatte, blieb stehen, um den prachtvollen Gaul zu betrachten — und das blanke Vollmondgesicht des Majors strahlte, als er, noch an seinen Handschuhen knöpfend, aus der Thür trat.
Sofort wollte er sich in den Sattel schwingen, aber — es glückte nicht. Der Herr Major trat, als er in den Bügel steigen wollte, vorbei und wäre beinahe hingeschlagen. Schließlich legte sich Kaczmarek mit allen seinen polnischen Knochen gegen die Flanke und es gelang dem Major, das Roß zu beschleichen. Potrimpas machte Quiek und noch etwas anderes und ergab sich mit guter Miene in sein Schicksal.
Wenn dem Major bei den verschiedenen parteregymnastischen Uebungen schon wieder schwarze Gedanken gekommen waren, so zerstreuten sie sich alsbald. Der Gaul ging wie auf Federn und als der Herr Major vor einer bewußten Villa ganz sachte eine kleine Kurbette riskirte, äußerte Potrimpas sich zwar zuerst etwas mißbilligend, tänzelte dann aber mit so viel Grazie und verhaltenem Feuer, daß die verwittwete Frau Oberstabsarzt entzückt wie ein Backfisch in die Hände klatschte und aus ihrem Vorgarten hüpfte.
Die Begegnung war kurz, aber inhaltreich. Es wurden nur ein paar Worte gewechselt. Aber unter dem minnigen Blick des Majors ward der runden kleinen Frau das Herz so voll, daß sie, faute de mieux, das Pferd tätschelte.
Potrimpas schlug geschmeichelt mit dem Schweif, quittirte aber dann noch beim Abreiten so ungebührlich, daß die Frau Oberstabsarzt eine krause Nase machte und der Major ein „Beest infames!” nicht unterdrücken konnte — umsomehr, als Potrimpas Werth darauf zu legen schien, eine Fermate bis auf Hörweite durchzuhalten.
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Die Besichtigung durch seine Excellenz den Herrn Divisions-Commandeur war glänzend verlaufen.
Es ist dies zwar keine häufige, aber immerhin mögliche Erscheinung.
Bei Excellenz hatte eine Reihe glücklicher Umstände darauf hingewirkt, daß die Milch seiner frommen Denkungsart — er war im Allgemeinen, was man einen „guten Kerl” nennt — einem Gährungsprozesse nicht ausgesetzt wurde.
Die Herren sprengten zur Kritik.
Der Major wußte nicht recht, wie die Geschichte für ihn ausschlagen würde. Der Potrimpas hatte sich zwar im Allgemeinen als ein ausgezeichnetes Dienstpferd erwiesen, im Besonderen aber — — mehrere Kerle im ersten Gliede hatten genießt.
Der General hatte sein berühmtes urväterlich viereckiges Glas eingeklemmt und begann zu reden. Wie Honigseim flossen die Worte von seinen Lippen; über den in tiefem Schweigen verharrenden Pferde- und Menschenköpfen lag eine pralle Gnadensonne. Excellenz pflegten etwas abgehackt zu sprechen — mit einer ganz kurzen begleitenden Bewegung der rechten Hand, deren Daumen und Zeigefinger sich berührten.
Das schien aber Potrimpas noch nicht nachdrücklich genug. Er pointirte seinerseits jede dieser Bewegungen so — so taktlos, daß Excellenz schließlich mit offenem Munde innehielten. Dann huschte ein moquantes Lächeln über seine Züge, er klemmte das Monocle fester und bemerkte trocken:
„Jetzt rede ich, meine Herren —”
Dann fuhr er fort.
Potrimpas aber ließ sich nicht beirren. Seine Zwischenbemerkungen wurden womöglich noch aufdringlicher. —
Die Korona erstarrte und der Major von Schelter sah sich bereits in die Wurst gehackt — denn das Antlitz des Generals wurde ernst.
Das Glas klimperte auf den Ordensstern an seiner Brust herab und die Rechte stemmte sich auf den Schenkel.
„Die Aufnahme, welche meine Anerkennung im einzelnen findet, scheint mir keine freundliche, meine Herren!”
Wieder das moquante Lächeln — und der Halbmond athmete erleichtert auf. Excellenz hatten abermals einen Witz gemacht, es war also nicht böse gemeint. Immerhin konnte die Stimmung doch umschlagen, und die Seitenblicke, welche den unglücklichen Major trafen, machten ihn Blut und Oel schwitzen.
Mit aller Energie seiner kurzen Beine stieß er den vorlauten Fuchs in die Weichen — Potrimpas machte Quiek, schlug aus — — — und dann schien er Seine Excellenz den Herrn Divisions-Commandeur für die bewußte Frau Oberstabsarzt zu halten; denn er tänzelte, ohne sich im Uebrigen zu unterbrechen, in kurzer schneidiger Kurbette auf ihn los.
Der General griff zur Abwehr nach der Säbelscheide.
„Herr Major!” rief er, „wenn Sie Vorstellungen geben wollen — —”
Aber er vollendete nicht. Während er noch mit der Linken dem andringenden Potrimpas die Scheide vorhielt, angelte er mit der Rechten nach seinem Glase und faßte den Gaul scharf in's Auge.
„Alle guten Geister! Das ist ja Potrimpas — — die Divisions-Mitrailleuse!!! Rette sich, wer kann!”
Hell auflachend, warf der General sein Pferd herum und sprengte davon, daß Kies und Funken stoben — und eine Minute später tänzelte Potrimpas mit seinem Herrn allein auf weiter Flur.
Im Casino ließ Excellenz sich von dem Major von Schelter schwören, daß er den berüchtigten Gaul nicht innerhalb der Division losschlagen werde. Die Anderen wollten auch mal ein Vergnügen habe, meinte der Herr General. —
An's Heirathen aber denkt der Major jetzt weniger denn je. Wenn auf ein Pferd wie den Potrimpas kein Verlaß ist — auf die Weiber schon gar nicht.
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Anmerkung des Herausgebers:
Beim 18. Deutschen Derby am 27. Juni 1886 in Hamburg (Flachrennen — 2500 Meter) gewann der Hengst Potrimpos des Gestüts Graditz. Auch dieser Hengst war ein Fuchs.
(Siehe die Internetseite www.turf-times.de/pferd/potrimpos-ger-1883)