Humoreske von Teo von Torn.
in: „Neues Wiener Journal, Humoristische Beilage”, Heft 64/1900, S. 9
„Also Geburtstag haben Sie morgen, Herr von Passow?”
„Allerdings, aber —”
Leutnant Hans von Passow ließ das Monocle fallen, so daß es hell gegen seine Uniformknöpfe klirrte und sah erstaunt in das reizende Gesichtchen seines schelmisch lächelnden Gegenüber.
Komteß Lisa zog wichtig die Augenbrauen hoch, neigte das Köpfchen etwas auf die rechte Schulter und machte in der Freude über den „baffen” Eindruck ihrer Wissenschaft sogar den Versuch, mit den Füßen zu baumeln.
„Ja, ja, wir wissen Alles. Und damit sie das schauderhafte Ding da wieder ins Auge klemmen können, will ich Ihnen auch sagen von wem ich's weiß. Fräulein von Hesterberg hat es mir gesagt.”
„Mein Tante —”
„Ganz recht. Ich könnte Ihnen übrigens etwas Interessantes von ihr erzählen —”
In demselben Moment aber schlug sich die kleine Komteß auf den Mund und rief, wirklich erschrocken:
„Himmel, nun hätte ich mich doch beinahe verplappert. Ich darf nichts sagen. Also fragen Sie nicht, bitte!”
Passow hatte mit einer kleinen Grimasse, die sein frisches keckes Gesicht für einen flüchtigen Moment verzerrte, das Glas eingezwängt und schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, Gnädigste, ich frage nicht. Tante Kordulas interessante Seiten kenne ich alle. Im Grunde hat sie nur zwei. Die eine ist ihr verzweifeltes Ringen nach dem Standesamt und die andere ist ihr Geld.”
Das klang scherzhaft, aber mit einem leichten bitteren Beigeschmack. Es war da eine Saite angeschlagen, die etwas brummig in ihm nachschwirrte; und deshalb achtete er im ersten Augenblick nicht darauf, daß das glücklich übermüthige Lächeln des von ihm angebeteten Mädchens einem befremdeten, fast abweisenden Ernste gewichen war.
„Na, und was sie mir zum Geburtstag schenkt,” fuhr er mit trockener Ironie fort, indem er den linken Ellenbogen auf das Knie stützte und mit dem Säbel an dem Linoleummuster der Veranda herumcirkelte, „ist so feststehend wie das Amen in der Kirche: ein Körbchen selbstgezogener Weintrauben von jener angenehmen Säure, wie sie sonst nur auf Schlesiens Bergen zu finden ist. Und der Korb muß binnen drei Stunden zurückgeliefert sein, bei Strafe der Ungnade.”
„So! Und was wünschen Sie sich sonst zu Ihrem Geburtstage?” klang es kühl und zerstreut über die Stickarbeit hinweg.
Auch das fiel ihm noch nicht auf. Die beiden schneeweiß behandschuhten Hände auf den Säbelkorb gestützt, ließ er die lebhaften graublauen Augen über die hohen Parklinden mit ihrem ersten sprossenden Knospentrieb schweifen.
„Was ich mir wünsche?”
Eine Welt von Sehnsucht lag in diesen leise gesprochenen Worten. Dann heftete er den Blick auf den blonden Scheitel, der sich tief über die Arbeit gebeugt hatte, und seine Stimme bebte, als er eindringlich und vielsagend flüsterte:
„Das Glück, Komtesse Lisa, das Glück! Und wenn — —”
Sie erhob sich rasch und zwang ihn dadurch, sich zu unterbrechen. Auch er stand auf und taumelte wie von einem Schlage getroffen zurück, als ihre sonst so schelmischen Augen ihn böse anblitzten und sie schneidend kurz erklärte:
„Das ist etwas, was Sie in Ihrem Sinne hier schwerlich finden werden, Herr von Passow.”
Damit rauschte sie an ihm vorüber und zur Thür hinaus, dem aus allen Himmeln Gefallenen einen Abgang überlassend, der an den Pistolenkasten grenzte.
* * *
Leutnant von Passow war an seinem Geburtstage für Niemand zu sprechen. Vom Dienst hatte er sich beurlaubt, und Podlibnitzki, sein Bursche war auf Schärfste instruirt, keine Seele vorzulassen.
Bis in die späten Nachmittagsstunden hinein hatte der junge Offizier sich mit zwei Dingen abgegeben, von denen er bis dahin eigentlich nur ein paar unklare mystische Begriffe hatte: Einsamkeit und Verzweiflung.
Gemildert wurde erstere in etwas durch allerhand gute, hauptsächlich tropfbar flüssige Sachen, welche kameradschaftliche Liebe ihm aufgebaut, und die nicht mehr so unberührt waren wie Tante Kordulas unvermeidlicher Korb.
Das hatte denn auch dazu geführt, daß seine Verzweiflung schließlich einer ruhigeren, planmäßigen Ueberlegung wich, deren Endresultat ihm alsbald von seinem Intimus Leezen korrigirt werden sollte.
Dieser hatte nänmlich den biederen Podlipnitzki, welcher auch ihn abweisen wollte, „überwunden” und war hineingestürmt, gerade als Passow das vierte Gläschen eines köstlichen Dreisternigen seinem kummervollen inneren Menschen hinabschickte.
Der kleine dicke Leezen stemmte beide Arme in die rundlichen Hüften und schnauzte empört:
„Na nu schlägt's dreizehn! Vertilgt dieser heimtückische Simulante im stillen Suff meinen guten Cognac und läßt mich mit seinem polnischen Heupferd draußen Ringkämpfe aufführen! Würgen hab' ich das Kameel müssen, ehe es mich durchließ! Was soll das, he?!”
Passow bot dem Freunde mit einem melancholischen Lächeln die Hand und wies auf einen Sessel in nächster Nähe der Flaschenbatterie.
„Verzeih', Dicker; vielen Dank für den herrlichen Tropfen. Er hat mir etwas geholfen; denn mir war wirklich nicht gut.”
Während Leezen den Degen loskoppelte, knurrte er noch Einiges vor sich hin. Als er aber dann den so gründlich verhagelten Zug in dem sonst unverwüstlich fidelen Gesichte des Freundes erkannt hatte, pfiff er leise durch die Zähne, setzte sich rittlings auf einen Stuhl und inquirirte:
„Na, nu man raus mit der Sprache, was also hat's gegeben mit der kleinen Wetterhexe von Komteß?”
Passow fuhr auf und starrte erschrocken in das blanke Vollmondgesicht Leezens.
„Du weißt — —?!”
„Bis jetzt nur, daß Du keine Schnurrbartbinde angelegt hast heute und Dein Glas nicht trägst — Derangements, die nur ein Frauenzimmer an einem zu Wege bringt. Und da es für Dich nur eins giebt, so —”
Passow lachte etwas gezwungen auf, um dann aber sofort wieder in seinen trübseligen Ernst zu verfallen.
Einer Antwort wurde er vorläufig überhoben durch den Eintritt Podlipnitzkis, der nach einem bösen Seitenblick auf Leezen vermeldete:
„Is sich Kammermedchen draußen mit scheenen Gruß von gnedikes Freilein und lassen bitten um Korb soll gleich zurückgegeben werden.”
„Dann pack' mal da die saure Bescheerung aus und gieb den Korb hin.”
„Zu Befehl, Herr Leitnant — aber — —”
„Halt's Maul und pack' aus!”
Während der Bursche nun mit hörbarem Ruck an die Ausführung des Auftrages ging, brummte Passow:
„Die Alte thut wirklich, als befürchtete sie, daß ich ihren Korb mit verschlingen werde.”
„Die Hesterberg?”
„Ganz recht,” bestätigte Passow, „und es ist, als wenn der bloße Name dieser Familienscheuche genügte, um Unheil zu stiften. Denn eben fällt mir ein, daß ich mit Lisa von ihr gesprochen, als das Unfaßbare — —”
Nach einer kleinen nachdenklichen Pause schritt er lebhaft auf und nieder.
„Gewiß, jetzt ist es mir klar! Das muß mit der Hesterberg zusammenhängen!”
„Na, nu sag' mal erst, was damit zusammenhängen soll, Kindchen,” warf lenzhen ein, indem er sich eine Cigarette anzundete, „hat sie Dich abfallen lassen?”
„Abfallen!?” lachte der Andere so laut und bitter auf, daß Leezen erschrocken beinahe eine Buddel fallen ließ, die er eben mit Kennerblick herausgegriffen. „Todtgetreten hat sie mich! Zermalmt mit Blick und Wort!!”
„Is wohl nich möglich!?”
„Wenn ich Dir sage !” stöhnte Passow. „Ob sie es mir übel genommen hat, daß ich von der Hesterberg nicht gerade freundlich gesprochen habe, ich weiß es nicht! Aber was hat denn dieses offenherzige süße Geschöpf mit der alten Spinatwachtel zu thun! Es weiß ja Niemand in der Gesellschaft, was die gleißnerische Schlange unter dem Deckmantel ihrer äußerlichen Liebenswürdigkeit an Unheil, Elend und Unfrieden in der Familie gestiftet hat! Ich müßte mich vor mir selber schämen, wenn ich sie dafür noch mit Chokolade begießen wollte!”
„Hm,” brummte Leezen mit einem undefinirbaren Gesichte, indem er seine Cigarette angelegentlich beaugenscheinigte, „is ja richtig, Kindchen, im allgemeinen wenigstens. Aber,” und damit sah er unschuldig wie ein Lamm auf, „es ist doch nicht praktisch, seiner Flamme gegenüber auf die Schwiegermama zu schimpfen; wenigstens nicht vor der Hochzeit.”
Passow unterbrach seine forcirte Promenade und machte ein Gesicht, als wenn ihm Jemand auf Hindostanisch ein Scherzräthsel aufgäbe.
„Tja,” machte Leezen, verschränkte die Arme und blies eine dichte graue Wolke von sich.
„Sag' mal, Du,” stotterte der Konsternirte, „mir ist nicht nach Witzen!”
„Dann nimm's nur ernst.”
„Ernst?! Du willst doch nicht behaupten, daß — —”
„Behaupten, nee! Aber es geht die Rede, daß unser gestrenger Graf Oberst Plink-Bahrenberg, Lisachens Papa, stark damit umgeht, in die sauren Weintrauben zu beißen und die Spinatwachtel, wie Du sagst, zu —”
„Zu heirathen!!?” schrie Passow auf.
„Zu heirathen,” echote der Dicke mit hohler Grabesstimme.
Passow sank auf der Chaiselongue zusammen.
„Dann ist alles zu Ende! — Nachbar, Euer Fläschchen — —”
* * *
Am nächsten Vormittag Schlag 10 Uhr stand Oberleutnant Hans von Passow vor seinem Kommandeur. Der abgespannte, resignirte Zug in seinem Gesicht wich einem Ausdruck von — euphemistisch gesagt — Unschlauheit, als der Oberst ihn mit einer gewissen verlegenen Kordialität empfing.
„Ich habe Sie bitten lassen, lieber Passow, — aber, bitte, stehen Sie nicht da wie 'n Baum. Legen Sie ab — — so —; auch die Plempe — — ”
„Herr Oberst —”
„Sie glauben doch nicht, daß ich Sie arretiren will?” lachte der alte Herr. „Der Bequemlichkeit wegen. Sie haben doch ein paar Minuten Zeit für mich?”
Passow schlug die Hacken zusammen.
„Dann nehmen Sie Platz. — Also ohne viel Umschweife, Passow. Sie haben mir vorgestern, hm, einen kolossalen Dienst erwiesen, indirekt und unwissentlich, aber sehr, sehr großen Dienst. Bin Ihnen dankbar. War im Begriff, kolossale Dummheit zu machen.”
Der Oberst räusperte sich und faltete die Hände über seinem Bäuchlein.
„Na kurz,” fuhr er dann fort, „wollte wieder heirathen, und das haben Sie mir rechtzeitig vergrault.”
„Herr Oberst, ich bedaure auf das Lebhafteste —”
„Bedauern Sie gar nichts, Passow. Was Sie meiner Tochter sagten, hat mich hellhörig gemacht. Sehen Sie mal, ich weiß, daß Sie eine Seele von Mensch sind, der von keinem Menschen Uebles reden würde und am wenigsten von einer Verwandten, wenn nicht — —, na ich hab' mich darauf ein bischen umgesehen und — hier meine Hand, Passow. Vielen Dank.”
In dem perplexen Offizier dämmerte allgemach das Verständniß der Situation. Er konnte ein leises Lächeln nicht unterdrücken.
„Lachen Sie mich alten Knickstiebel nur aus, ich lache mit, aber,” fügte der Oberst ernst werdend hinzu, „in einem Punkte haben Sie Unrecht, lieber Passow. Sie haben mir mein Kind en canaille behandelt gestern —”
„I — ich —? — Komteß Lisa —?!” stammelte Passow entsetzt. „Hatte gar nicht die Ehre, das gnädige Fräulein gestern zu sehen!”
„Und doch. Nachdem ich ihr klargelegt, daß und weshalb sie sich für die, hm, vergangene zukünftige Mama nicht so ins Zeug zu legen brauchte, da war sie wie närrisch und hat sich hinter meinem Rücken zu der kleinen Ausgelassenheit verleiten lassen, ihre Zofe zu Ihnen zu schicken und den Ihnen vorgestern ertheilten Korb zurückzuerbitten.”
Passow prallte zurück.
„Herr des Himmels! Und ich —!!”
„Ja, ich sag' ja selbst, daß das nicht korrekt, nicht ganz taktvoll war, aber Sie kennen doch das ausgelassene, impulsive Ding! Sie wollte Sie nur veranlassen, schleunigst wieder anzutreten, und da schicken Sie dem armen Wurm 'nen richtigen ollen Korb mit ein paar matschigen, sauren Weinbeeren drin —”
„Aber — auf Wort — ich — —”
„Nee, Passow, das war nicht hübsch; das sieht Ihnen gar nicht ähnlich. Ich begreif's nicht! — Lassen Sie mich aussprechen, Herr! Und wenn ich an den Jammer denke, den Sie dem Kind damit bereitet, dann könnte ich fast vergessen, daß Sie mir rechtzeitig die Schlange vom Busen rissen.”
„Liebster, bester Herr Oberst! — Verzeihen Sie — aber ich bin unsinnig vor Glück! — Der Korb gehörte der Hesterberg! Ich dachte, sie ließe ihn holen.”
„Der — der Hesterberg?! — I du Donnerwetter, dann gehen Sie mal da ins Nebenzimmer und lassen Sie sich von ein paar verweinten Augen abbitten. Den sackermentschen Korb aber, den schick' ich sofort durch meinen Burschen an die richtige Adresse — — — —”
— — —