Der tolle Jobst.

Sylvester-Humoreske von Teo von Torn
in: „Rostocker Anzeiger” vom 01.01.1902,
in: „New Orleanser Deutsche Zeitung” vom 01.01.1904


„Herr von Bonin — Mama ist leider nicht zu Hause — — aber da Sie dem Diener sagten, daß es sich um eine sehr dringende Angelegenheit handle, glaubte ich, Sie empfangen zu dürfen — — —”

Betty Holtz, das Töchterchen der verwittweten Commerzienräthin Margot Holtz, geb. Gräfin Schilling, legte das Buch, welches sie vorhin schnell in die Hand genommen hatte — leere Hände drücken zu leicht Verlegenheit aus — auf den Tisch und wies auf einen Sessel. Dann faltete sie die Hände krampfhaft fest und sah erröthend auf den King Charles, welcher den Gast zudringlich und mißtrauisch beschnupperte.

Leutnant Jobst von Bonin schlug noch einmal die Klingelsporen zusammen — und zwar so schneidig, daß der King Charles einen furchtbaren Schreck bekam und, mit eingezogenem Schweif, winselnd unter eine Causeuse flüchtete. Von dort her gab er seiner Empörung wüthenden Ausdruck.

Der lange Jobst sah sich nach dem winzigen Kläffer mit einer Art verbindlichem Bedauern um, machte der verlegenen Herrin des rabiaten Thierchens noch eine Verbeugung und ließ dann seine baumlange Figur mit einer Umständlichkeit nieder, als wenn er sich für den ganzen Sylvestertag hier häuslich einrichten wollte. Er räusperte sich und sah einen Moment nachdenklich auf seinen Helm, den er mit der funkelnden Spitze zwischen Zeige- und Mittelfinger der Rechten balancirte.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, gnädiges Fräulein, daß Sie mich nicht abgewiesen haben — — wahrscheinlich hätte ich mich auch nicht abweisen lassen. Ich hätte mich auf die Treppe gesetzt und gewartet, bis Frau Mama zurückgekommen wäre — jawohl.”

„Aber Herr von Bonin — —”

„Nee wahrhaftig —”

Es entstand eine ganz unmotivirte und deshalb um so peinlichere Pause. Fräulein Betty saß recht unruhig und preßte die Händchen noch fester ineinander, während Jobst gegenüber dem aus runden blanken Augen ihn anstarrenden Hündchen schüchterne Annäherungsversuche machte. Leider erwies sich dasselbe als absplut unzugänglich.

„Dann müssen Sie also etwas sehr Wichtiges auf dem Herzen haben, Herr von Bonin —”

„Allerdings nach verschiedenen Richtungen hin. Zunächst — ich muß leider hinsichtlich des ersten Walzers, den Sie die Güte hatten, mir für heute zuzubilligen, resignieren —”

„Oh — —”

„Auf den dritten leider auch —”

„Das ist recht schade.”

„Schade; — wie Sie das sagen, gnbädiges Fräulein! Es ist für mich nicht nur schade — es ist einfach zum lang hinschlagen, und das will bei mir etwas bedeuten. Außerdem — mit dem Cotillon ist es ebenso. Kurz und schlimm — ich kann der gütigen Einladung Ihrer Frau Mama zum heutigen Sylvesterball nicht Folge leisten.”

Ob Fräulein Betty den King Charles in den Schwanz gekniffen oder sonst heftig berührt hatte — jedenfalls kajünte er klagend auf und drehte sich lebhaft um sich selbst. Erst als die junge Dame ihn beruhigend tätschelte, rollte er sich wieder zusammen und holte tief Athem, als wenn er es sehr schwer hätte auf der Welt.

Dieser Seufzer fand ein Echo bei den jungen Leuten, die sich da gegenübersaßen und abermals keine Worte fanden — angesichts des Malheurs, das sie betroffen. Betty Holtz konnte nicht gut sagen, wie sie sich auf den heutigen Abend gefreut — — besonders auf den ersten Walzer, auf den dritten und auf den Cotillon. Deshalb nahm sie sich zusammen und fragte mit einer Beiläufigkeit, die sich jedoch sehr in Widerspruch setzte mit dem feuchten Schimmer ihrer Augen:

„Aber weshalb werden wir nicht das Vergnügen haben, Herr von Bonin?”

„Weil ich brummen muß, mein gnädiges Fräulein — 48 Stunden stiller häuslicher Zurückgezogenheit — von heute Abend sechs Uhr bis übermorgen Abend sechs Uhr. Die Zeit hat mein Herr Oberst sehr glücklich gewählt, nicht wahr?”

„Das — das ist ja schrecklich,” stammelte Fräulein Betty mit zuckendem Munde, indem sie starr und angelegentlich nach dem Fenster schaute. „Und Sie sagten, der Herr Oberst von Ercken — ?”

„Der nämliche. Er liebt mich nicht, mein gnädiges Fräulein,” fügte Jobst von Bonin mit einem tiefen Seufzer hinzu, der aber den Schelm, welcher um seinen Mund spielte, nicht verscheuchte. „Leider habe ich dennoch oder vielleicht gerade deshalb einigen Kameraden gegenüber mich zu der Bemerkung hinreißen lassen, daß er mich noch heute an sein Herz drücken und mir das vertrauliche Du antragen würde — das ist ihm zu Ohren gekommen, und ich habe nunmehr zwei Tage Zeit, über die zärtlichen Empfindungen des Herrn Oberst für mich nachzudenken.”

„Das ist mir um so schmerzlicher, Herr von Bonin,” erwiderte sie leise, mit zitternder Stimme, „als der Herr Oberst — Sie wissen es vielleicht schon — mein Stiefvater wird. Heute soll die Verlobung Mamas mit Herrn von Ercken bekannt gegeben werden.” Dann erhob sie den schwimmenden Blick ihrer schönen blauen Augen voll zu dem langen Jobst, der zu seiner ganzen stattlichen Größe sich aufgerichtet hatte, und fragte:

„Und — seien Sie mir nicht böse, Herr von Bonin — ist das, was Sie Ihren Herren Kameraden erklärt haben, nicht wirklich ein bischen — —”

„Frech? Allerdings — das ist es. Aber was begeht man nicht alles für Dummheiten, im Uebermuthe des Glücks! Fräulein Betty — heut' ist die Jahreswende, und dieser Tag sollte für mich auch einen Wendepunkt meines Lebens bedeuten. Und da hat es mich gepackt in Tollheit und Uebermuth. Das mag wenig ernst und ungesammelt und vielleicht sogar kindisch sein — aber kann ich denn gegen meine Natur?! Alle Capitelüberschriften jenes dürftigen Romans, den ich mein Leben nenne, ist mit irgend einer Tollheit als Motto versehen. Und sollte das bei dem wichtigsten fehlen?!”

„Bei dem wichtigsten —” hauchte das junge Mädchen mechanisch nach, indem es sich erhob und die langbewimperten Lider unter seinem strahlenden Blick senkte.

„Jawohl, bei dem wichtigsten!” rang es sich jauchzend aus seiner Brust und er machte eine Bewegung, als wollte er auf sie zueilen und sie in seine Arme schließen. Aber der King Charles verhinderte das. Wüthend fuhr er auf den verdächtigen Fremdling los und vollführte einen solchen Höllenspektakel, daß Frau Commerzienrath Holtz, die eben nach Hause gekommen war, sich gar nicht die Zeit nahm, Hut und Mantel abzulegen, sondern erschrocken hereinstürzte.

Ihr Schreck verwandelte sich aber in schelmische Verständnißinnigkeit, als sie den Leutnant von Bonin bemerkte, der die rasenden Angriffe Bobbis fast schüchtern abwehrte, und als ihr Töchterchen sich ihr an den Hals warf.

„Mama —!” schluchzte die Kleine unter Weinen und Lachen. „Denk dir — er — Jobst — — Herr von Bonin wollte auf der Treppe sitzen — und dem Oberst einen Kuß geben — den Cotillon kann er auch nicht mit mir tanzen — und dafür wird er eingesperrt zweiTage — denke Dir, zwei Tage — und — und — das ist der wichtigste Wendepunkt seines Lebens! Ach Gott, Mama — ich bin zu glücklich!”

„Ich verstehe zwar ni8cht Alles, Kind,” erwiderte die stattliche Dame lächelnd, „aber doch genug. Den Rest wird mir Herr von Bonin erklären. Nun geh' und sieh nach Deiner Toilette.”

*           *           *

Die Erklärungen des Leutnantns Jobst von Bonin hatten fast eine Stunde gewährt. Aber was lange dauert, wird gut. Der Schluß war, daß Frau Commerzienrath Holtz dem langen Offizier die Hand reichte, die dieser überglücklich an seine Lippen zog, Auch für die traurige Thatsache, daß der junge Offizier an seinem Verlobungstage aein Heim schmücken sollte, wußte die Dame Rath.

Leutnant von Bonin wurde nicht nach Hause entlassen, sondern in die Bibliothek geführt mit der Weisung, sich dort bis auf weiteres häuslich einzurichten. Hierzu erhielt er noch eingehende Instruktionen.

„Also was ist Ihnen leider in meinem Hause passirt, Herr Leutnant?” examinirte Frau Commerzienrath Holtz, der die Sache sehr viel Spaß zu machen schien.

„Ich bin auf dem Parquet ausgeglitten und habe beide Beine gebrochen!”

„Aber das ist doch Unsinn, Herr, — der Schwindel kommt doch heraus! Sie haben sich den rechten Fuß verstaucht — verstaucht! Verstanden?”

„Sehr wohl. Den rechten Fuß verstaucht.”

„Sie waren nicht transportfähig.”

„Nicht transportfähig.”

„Und wenn jemand ins Zimmer tritt, so schreien Sie: au! und rühren sich nicht von der Chaiselongue.”

„Sehr wohl!”

„Schön. Nun humpeln Sie mal! Können Sie humpeln?”

„Wie ein invalides Pferd, das zum Roßschlächter geführt wird, gnädigste Schwiegermama,” erwiderte der Offizier und humpelte so überzeugend in das Bibliothekszimmer, daß Frau Holtz laut auflachte. Ehe sie aber die Thür schloß, fragte sie mit angenommenem Ernst:

„Und was ist diese ganze Geschichte?”

„Diese ganze Geschichte ist die erste und letzte Tollheit, bei nwelcher meine gnädigste Commandeuse und Schwiegermama dem tollen Jobst Beihülfe leistet. Wenn wieder was vorkommt, wird die Frau Commandeuse veranlassen, daß Jobst von Bonin die beiden Tage nachbrummt und außerdem bekommt er es noch mit der Frau Schwiegermama zu thun.”

„Wonach sich zu richten.”

*           *           *

Der Sylvesterball der Commerzienräthin war bei prächtiger, allgemein gehobener Stimmung bis zur Tafelstunde gediehen. Nur Fräulein Betty und der Oberst von Ercken ließen eine ziemlich bemerkbare Zerstreutheit und Unruhe erkennen. Erstere, weil ihr armer Jobst immer noch nicht erlöst war — und letzterer, weil Frau Margot Holtz ihm in letzter Stunde die Erklärung abgegeben, daß es doch wohl besser sei, mit der Verlobung zu warten, bis Betty untergebracht oder auch wenigstens verlobt sei.

Das traf den Oberst wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

„Aber liebe Margot,” sagte er eindringlich, als er der von ihren Hausfrauenpflichten in Anspruch genommenen Commerzienräthin wieder auf einige Minuten habhaft werden konnte, „ich habe bereits im Kreise meiner Offiziere durchblicken lassen, daß mich der heutige Tag sehr, sehr glücklich machen wird, und man erwartet allgemein —”

„Das war voreilig, Oberst,” erwiderte Frau Margot mit feinem Lächeln. „Wenn ein junger Offizier sich dergleich zu Schulden kommen läßt, dann bekommt er zwei Tage Stubenarrest — und zwar über Sylvester und Neujahr — —”

„Das war voreilig, Oberst,” erwiderte Frau Margot mit feinem Lächeln. „Wenn ein junger Offizier sich dergleich zu Schulden kommen läßt, dann bekommt er zwei Tage Stubenarrest — und zwar über Sylvester und Neujahr — —”

„Wie meinen Sie das, Margot — — ach so — Bonin! Ja, wissen Sie denn, liebe Margot, was dieser dreiste Mensch — —”

„Ich weiß — und Sie haben Recht. Aber er ist der einzige, welcher uns helfen könnte. Er und Betty sind im Reinen mit einander — und die Kinder wollten sich eben heute auch Ihren Segen einholen — —”

„Bonin und Betty! Na so ein verfluchter Kerl! Nun begreife ich alles!”

„Würden Sie gegen den Leutnant von Bonin als Schwiegersohn etwas einzuwenden haben, lieber Oberst?”

„Aber nichts! Nicht im geringsten! Ein tüchtiger, ritterlicher Officier, dessen Tollheiten mich nur manchmal geärgert haben. Im Uebrigen — — — — nur bitte ich Sie um alles in der Welt, liebe Margot — es ist doch ganz unmöglich, daß ich den Bonin jetzt aus dem Arrest holen lasse!”

„Das ist auch nicht nötig. Herr von Bonin büßt seine Strafe hier ab —

„Waaaaas —?”

„Ja — als er sich für heute Abend wegen dienstlicher Behinderung entschuldigte, hatte er das Pech, auf dem Parquet auszugleiten und sich den Fuß derart zu verstauchen, daß ich ihn hier unterbringen mußte —”

„Oh — der arme Kerl! Und wo. wo ist er!”

„In der Bibliothek.”

Der Oberst eilte mit bedauerndem Kopfschütteln dorthin, und Frau Margot gab Betty den seit Langem so sehnlich erwarteten Wink.

Als alle Vier eintraten, erhob der tolle Jobst ein erschütterndes Geheul, in welches der Discant Bobbis — der sich inzwischen mit dem Patienten vertragen — gellend einstimmte.

„Aber lieber Bonin, was haben Sie denn! Ist es wirklich so schlimm?” fragte der Oberst zheilnehmend

Er bekam jedoch keine Antwort. Betty hatte sich dem Geliebten an den Hals geworfen — ergo war dieser verhindert, sich auf Beiläufigkeiten wie Oberste, verknackte Füße und dergleichen einzulassen. Erst nachdem er mit seiner glücklichen Braut zu den Klängen der hereintönenden Musik einen flotten Soloreigen gewalzt, meldete er sich in strammer Haltung — — gesund. — —

Als die Glocken das neue Jahr kündeten und das Gläserklingen und die Beglückwünschungen der beiden Brautpaare sich etwas gelegt hatten, umarmte der Oberst von Ercken den tollen Jobst wirklich — und sie sagten Du zu einander.

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