Arabeske von T. Szafranski.
in: „Lübecker Eisenbahnzeitung” vom 20.07.1892,
in: „Prager Tagblatt” vom 28.07.1892,
in: „Kieler Zeitung” vom 30.07.1892 und
in: „Meraner Zeitung” vom 04.09.1892
„Halt, bitte, — jetzt noch nicht; erst auslachen lassen . . .”
Damit wendete sie das entzückende Köpfchen zur Seite, mit ihrem Spitzentuche ein Lachen unterdrückend, das sich bereits in einem leisen Zucken der Mundwinkel angekündigt und ihre Chancen, unsere Wette zu gewinnen, gefährdet hatte.
Und so oft sie es versuchte, das rosige Gesichtchen ernst zu halten und mit den großen, hellbraunen Augensternen meinem unverwandten Blicke zu begegnen — so oft mußte sie sich wieder abwenden, um ihr Lachen, dieses fröhliche, harmlose Kinderlachen zu verbergen.
Der Kobold in ihr konnte nicht zur Ruhe kommen.
Ich erfaßte ihre Hand. —
Es gibt eine Wissenschaft, die da lehrt, daß sich Gedanken übertragen lassen durch Berührung, daß der durch keine andere Idee abgelenkte, innige Wunsch hinreichend ist, bei einer anderen Person denselben Gedanken, dasselbe Empfinden oder Gefühl zu erwecken, von dem man selbst beseelt ist.
Dieselbe Empfindung, die mir eingegeben hatte, ihre Hand zu ergreifen, veranlaßte mich, dieses Händchen sanft und innig zu drücken, es fest in die meinige zu schließen und nicht mehr zu lassen, wenn es auch zuckte und bebte und bemüht schien, sich zu befreien.
Und je inniger das Gefühl ward, mein Empfinden auch ihrem Herzen mitzutheilen, je heißer der Wunsch, daß sie es doch endlich — endlich wissen möchte, wie mein Herz sich weitete in jenem unsagbaren Glücksgefühl, das die Liebe bedeutet, meine Liebe zu ihr, der Einzigen — da merkte ich, wie das Leben, das ängstliche „Sichbefreien wollen” jenes zarten Händchens nach und nach matter und widerstandsloser wurde, bis es sich völlig ergab.
Und sie selbst? — Sie hatte den Arm auf den Tisch gelegt, den Kopf auf den Arm und so blieb sie.
Aber da, wo sich ein paar zarte Linien ihres Gesichtchens abhoben von der moosgrünen Peluche-Decke, und da, wo die krausen blonden Härchen sich so wirr und sinnbestrickend abzeichneten von dem zarten Incarnat des Halses, da kündete mir ein fliegendes, brennendes Roth, daß sich mein Empfinden übertragen, daß sich ein Fluidum gebildet hatte von meinem Herzen zu ihrem Herzen.
Immer noch hielt ich das Händchen. Da ich mich niederbeugte und es mit dem einen einzigen glühenden Kuße bedeckte, der darauf Platz hatte, erhob sie den Kopf.
Groß, ruhig und seltsam prüfend, tauchte ihr Blick in den meinen.
Ruhig? — Nein, nur scheinbar. Unter seiner durchdringenden Macht fühlte ich jene seltsame peinvolle Erwartung in mir erwachen, die einen vor einer Prüfung beschleicht, zu der man nicht vorbereitet ist, die unsere fiebernden Nerven bis auf das Aeußerste anspornt und das Blut in hörbar stoßenden Schlägen durch die Schläfen treibt.
Mir war's, als müßte ich an Gott denken, in diesem Augenblicke. Ja, mit festgeschlossenen Lippen, den Blick so gebannt von jenen Sternen, daß sich Alles um mich her in einem nebelhaften Lichthofe verlor — so betete ich zu Gott mit der inbrünstigen Hast, die keine Secunde verlieren darf, weil in der nächsten Minute Alles, Glück, Leben und Zukunft, zur unwiderruflichen Entscheidung kommt. —
Ihr Augen schienen sich zu vergrößern und — nun sah ich nichts mehr außerhalb ihres mattglänzenden Lichtes.
Aber — wie kam es nur? . . .
Während mein körperliches Ich fascinirt schien, ja erstarrt in völliger Willenlosigkeit, verloren sich meine Gedanken in blaue Fernen. — Wie im Fluge, schneller, unendlich viel schneller als ich es sagen kann, umgaukelten mich Bilder aus fernen Gegenden, die ich einstmals gesehen vor zwanzig und mehr Jahren. — Da . . . , die große Wiese mit der Schlehdornhecke hinter der Scheune, wo ich als Kind gespielt — dann wieder stand der lange Christoph vor mir, der jene wundervollen Pfeifen schnitt, mit deren gellenden Tönen ich dann Vater und Mutter und Alle zu komischer Verzweiflung brachte, und dann: mein Mütterchen selbst in der großen Stube neben Vaters Jagdzimmer. Da sitzt sie auf dem verschossenen grüngelben Ripssopha und ich sitze auf ihrem Schoße, lehne den Kopf an ihre Brust und weine bitterlich, weil ich die Prüfung für die Sexta nicht bestanden habe. Während sie mich mit dem einen Arm fest an sich drückt, streichelt sie mir die thränennassen Wangen, küßt und tröstet mich:
„Na, laß man, Theochen — ein dummer Kerl bist Du nun schon, da läßt sich nichts bei machen, aber ein guter Junge bist Du auch, und dafür hat Dich Dein Mütterchen lieb, sehr lieb . . .”
„Lieb — sehr lieb . . .” Leise sprach ich es nach und um meine Lippen spielte ein stilles, traumhaftes, glückliches Lächeln.
Wie ich immer gehört und gelesen, soll die Seele nach dem plötzlichen Erwachen aus einem schönen Traume von einer mehr oder minder tiefen Depression ergriffen werden.
O, könnte ich ein Leben träumen, auf daß mir dann für die Ewigkeit ein solches Erwachen beschieden wäre.
Zwei weiche Arme hielten mich fest umschlungen, zwei lichtbraune Augen leuchteten mit dem feuchten Schimmer völliger, inniger Hingabe in die meinen, zwei süße Lippen drängten sich meinem Kuße entgegen und flüsterten:
„Du hast gelächelt — verloren! Aber ich — ich habe gewonnen, Dich gewonnen!” jubelte sie auf und dann, ihr Köpfchen an meine Brust lehnend, leise, ganz leise:
„Ich hab' Dich lieb — sehr lieb . . .”
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