Das goldene Herzchen.

Deutsche Militär-Humoreske von Teo von Torn
in: „Baltische Post” vom 1.(14.) 12.1911


„ . . . Die Herren, welche nicht auf Urlaub gehen und auc sonst über den Silvesterabend noch nicht disponiert haben, bitte ich zu mir auf ein Glas Punsch.”

Sporenzusammenschlagen und dankende Verbeugung der betreffenden Herren.

Oberstleutnant von Wulkowitz taxierte flüchtig die Zahl derer, welche damit die Annahme der Einladung zu erkennen gegeben hatten, und wünschte dann den andern Herren — „die er leider nicht das Vergnügen haben würde, bei sich zu sehen” — ein recht frohes und glückliches neues Jahr.

Sporenzusammenschlagen und dankende Verbeugung der anderen Herren.

Damit war der Königliche Dienst im alten Jahr zu Ende und die Offiziere des Dragoner-Regiments strebten aus der dumpfen Kaserne und aus der Nähe des gestrengen Kommandeurs in den frischen, weißschimmernden Wintertag hinaus.

„Na, Stippkohl,” sagte Leutnant von Hademarschen, indem er dem Kameraden, der eben ein brennendes Zündholz ausschlenkern wollte, in den Arm fiel und auch seine Zigarette in Brand setzte, „wie denken Sie über Spanien? Haben Sie anderweitig disponiert oder sehen wir uns heute bei der warmen Zitronenbouillon?”

Selmar Stippkohl blies den Rauch durch die Nase wie ein überheizter Teekessel. Und er kochte auch innerlich. Mit einer Bewegung, als wenn er nach jemandem schlage, schnellte er die Asche von seiner Zigarette. Dabei vergrub er die beiden Doppelgänger seines blank rasierten Kinns in den Biberkragen und knurrte ungläubig:

„Wollen Sie denn hingehen —?”

„Wollen will ich nicht, aber müssen muß ich. Auch Ihnen wird nichts übrig bleiben, Geliebter im Herrn. Das ist ja eben das Leiden! Wenn wir in Berlin oder sonst in einer Garnison lebten, wo nicht jedermann von andern weiß, wieviel Schnupftücher er in der Wäsche hat, dann wollte ich mich wohl um die Wonnen des heutigen Abends herumdrücken. Aber so —?”

Wolf von Hademarschen hob resigniert die Achseln.

Der Dicke schleuderte den Rest seiner Zigarette gegen einen Bierwagen, daß die Funken stoben.

„Na — ich drücke mich.”

„Und wie wollen Sie das machen?”

„Ganz egal wie. Ich gehe einfach nicht hin. Ich bin wo anders eingeladen oder beim Schneeschippen verunglückt oder von religiösem Wahnsinn befallen — jedenfalls gehe ich nicht hin.”

„Sagen Sie mal, Stippkohl — ein bißchen kurz von Gedächtnis sind Sie ja immer gewesen. Aber sollten Sie wirklich schon wieder vergessen haben, wie der Alte Ihnen das Toupet frisiert hat, als Sie den jüngsten Pecco bei ihm schwänzten? Sie hatten sich mit Cholerine und rheumatischen Gesichtschmerzen entschuldigt — und schon am nächsten Morgen um neun Uhr war es höheren Ortes bekannt, daß Sie in einem Hinterstübchen des „Deutschen Kaisers” gesessen und acht Bekassinen mit Sauerkraut verzehrt haben —”

„— die übrigens vorzüglich waren,” warf Selmar Stippkohl ein. Er spitzte die Lippen und schnalzte in begeistertem Nachschmecken mit der Zunge.

„Was er Ihnen darauf vor versammeltem Kriegsvolke erzählte, war weniger vorzüglich —”

„Allerdings, er hat mir greulich den Chapeauhut eingetrieben: Aber darf denn ein Mensch von mir verlangen, daß ich auf gewärmten Kalbsbraten gehe, wenn ich Bekassinen kriegen kann? Eine unvernünftige Welt, Hademarschen. Und der Kalbsbraten ist noch nicht das Schlimmste. Wenn man so stark wird, wie ich, kann man seinem Magen ruhig mal einen Schreck einjagen. Aber die Line —! Fräulein Lina v. Wulkowitz, mit ihren hm—undzwanzig Lenzen, mit der Baritonstimme und dem poetischen Gemüt, die geheiratet werden will auf jeden Käse. Wer da nicht verflucht aufpaßt, ist rettungslos verlobt. Man steht immer mit einem Bein im Trauring. Und das ist doch kein Silvestervergnügen — zum Donnerwetter nochmal! Im vorigen Jahre hatte sie mich beinahe am Schlafittchen. Mir wird heute noch heiß und kalt, wenn ich daran denken. Es war beim Bleigießen. Jeder mußte mit ihr einen Löffel zusammengießen. Sie hat nämlich immer solche niedlichen besonderen Einfälle. Wie ich an der Reihe bin, wird so'n Dings aus dem Wasser geholt, das ich für einen zerbrochenen Sonnenschirm mit Fransen hielt. Sie behauptete aber Stein und Bein, daß das unsere verschlungenen Initialen wären. Meine Angst gönne ich keinem Hunde. Endlich hat mich der Alte rausgehauen, indem er als oberster Schiedsrichter feststellte, daß es sich um ein Mittelding zwischen Traubenrosinen und Setzei handle. — Sie lachen! So'ne Geschichte kann aber doch sehr bösartig werden. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um — spiele nicht mit Schießgewehr, denn es fühlt wie du den Schnerz — und so weiter. Deshalb gehe ich heute nicht hin. Auf keinen Fall! Und wenn mich der Alte nach dem Fest zu Bouletten verhackt. Ich habe mir im „Deutschen Kaiser” Wildschweinkopf und Mohnpielen bestellt. Kennen Sie Mohnpielen? Ich sage Ihnen, das ist ein Gericht, das der liebe Gott an einem freien Sonntag geschaffen hat —”

„Sie sind ein gräßlich verfressener Mensch, Stippkohl. Denken überhaupt nur an Essen.”

„Sagen Sie das nicht. Ich bin doch sehr fürs Ideale. Sehen Sie mal — wenn ich wüßte, daß Wulkowitzens Nichte wieder da ist, jener süße kleine Käfer, der Ostern hier zu Besuch war, dann wäre ich imstande, im „Deutschen Kaiser” abzusagen.”

„Sie kommt.”

„Wer —?”

„Fräulein von Strach.”

„Mensch! Reden Sie keinen Hammeltalg! Es handelt sich um Wildschweinskopf und Mohnpielen —!”

Selmar Stippkohl war stehen geblieben und sah dem Kameraden mißtrauisch ins Gesicht. Leutnant von Hademarschen antwortete mit einem halben Lächeln. Dennoch mußte er dabei vertrauenserweckend ausgesehen haben, denn der Dicke wurde äußerst nachdenklich. Idealismus und Realismus rangen sichtlich in ihm.

„Woher wissen Sie überhaupt, daß sie kommt?”

Wolf von Hademarschen schien nicht gern davon zu sprechen. Es klang recht kurz und ablehnend, als er antwortete:

„Meine Schwester hat es mir geschrieben. Ist mit ihr befreundet.”

Noch ein kurzes Ringen — dann hatte der Idealismus gesiegt.

„Also auf Wiedersehen, Hademarschen. Ich komme. Ist ein zu herziges kleines Fischlein, die Strach. So sehr ich sonst gegen das Heiraten bin — die nehme ich vom Fleck. Und wer weiß, was heute abend passiert. Ich laufe jetzt zum „Deutschen Kaiser” — vielleicht sind die Mohnpielen überhaupt schon fertig — und dann ein paar Blumen besorgen. Servus. Auf Wiedersehen!”

— — —

Die Silvestergesellschaft bei Oberstleutnant von Wulkowitz versammelte sich — und zwar zeitiger und zahlreicher wie sonst bei solchen Gelegenheiten.

Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß Erika von Strach wieder zu Besuch war. Das hatte sogar manchen, der eine abolut unanfechtbare Entschuldigung bereit gehabt, veranlaßt, sich einzufinden.

Selmar Stippkohl war einer der ersten gewesen. Sein feistes Antlitz glänzte in allen Farben der Wonne, als er sich nicht betrogen sah.

Sie war da — und hatte bei der Begrüßung ein Lächeln auf den Lippen und in den dunkelblauen Augen gehabt, daß Selmar Stippkohl alle Wildschweinköpfe des Bakonywaldes um dieses Lächeln hingegeben hätte. Mohnpiele hatte er noch schnell gegessen.

Das alles hinderte ihn jedoch nicht, als die Zimmer immer voller und unübersichtlicher wurden, sich von einem Anrichtetisch einen Pfannkuchen zu angeln. Ein Biß — und weg war er, der Pfannkuchen. Das heißt — doch nicht ganz so schnell, als der Dicke das gewünscht. Es würgte ihn etwas ganz fürchterlich im Halse, etwas, das er nur mit äußerster Anstrengung herunterdrücken konnte. Ein Pflaumenstein oder so etwas. Natürlich waren die Kuchen wieder bloß mit Pflaumenmus gefüllt. Selmar Stippkohl lief schon blau an, als er endlich den Fremdkörper herunter hatte und erleichtert aufatmen konnte.

Und es war auch die höchste Zeit.

Die Anrichtetische wurden in die Mitte der Zimmer gerückt, die bedienenden Burschen brachten heiße Punschkannen und Fräulein Lina — sie hatte immer solche besonderen niedlichen Einfälle — hüpfte durch die Gruppen mit folgender Eröffnung:

In einen der Pfannkuchen sei ein goldenes Herzchen gebacken. Wer den Pfannkuchen mit diesem goldenen Herzchen erwische, der dürfe ihre Cousine, Fräulein von Strach, nachher zu Tisch führen.Treffe das Herzchen auf einen der verheirateten Herren, so habe der Silvesterzauber keine Geltung, und Fräulein von Strach dürfe sich selbst einen Ritter wählen. Wer aber den letzten Pfannkuchen nehme, der dürfe sie — Fräulein Lina — zu Tisch führen: wobei sie für sich auch denselben Vorbehalt mache, wie für ihre Cousine. Jung und jung passe ja doch immer besser zusammen.

Wolf von Hademarschen, dem längst ein verstohlener Händedruck zu erkennen gegeben hatte, daß er der auserwählte Ritter sei, auch wenn das alberne Orakel nicht zu seinen Gunsten entscheiden sollte — Wolf von Hademarschen stellte eben in Gedanken fest, daß der Pfannkuchen zwar nicht viele waren, daß aber einer trotzdem übrig bleiben würde. —

In diesem Moment fühlte er sich am Arm gepackt.

„Mensch —” raunte Selmar Stippkohl verstört zu ihm auf, „wo ist hier die nächste Apotheke? Haben Sie eine Ahnung, welches die nächste Apotheke ist!?”

„Die Hirsch-Apotheke!” erwiderte Hademarschen erschrocken. „Ist Ihnen schlecht geworden?”

„Nee, oder doch! Natürlich ist mir schlecht geworden! Haben Sie die Güte, mich in diesem Sinne zu entschuldigen! Sobald mir besser geworden ist, komme ich wieder. Was ich schnell noch sagen wollte — — ist es wirksamer, wenn man — — — — ach was, Sie wissen doch nicht Bescheid! Also entschuldigen Sie mich. Ich hoffe, bald wieder da zu sein!”

Damit sauste er davon.

Als er nach einer Stunde, fürchterlich abgespannt und mit gedrückter, trostloser Miene wiederkehrte, schickte man sich bereits an, zu Tisch zu gehen.

Die Pfannkuchen waren bis auf einen verschwunden. Das goldene Herzchen mußte sich in diesem letzten befinden. Da Fräulein Lina sich denselben vorbehalten, blieb er liegen — und Erika von Strach hatte sich selbst einen Tischherrn wählen dürfen. Eben legte sie ihren Arm errötend in den des Leutnants Wolf von Hademarschen.

Fräulein Lina von Wulkowitz aber trat auf Stippkohl zu und hielt ihm den Teller mit dem einsamen Pfannkuchen hin.

„Hoffentlich ist Ihnen wieder besser, Herr Leutnant,” flötete sie in ihrem sanften Bariton. „Da Sie durch das Unwohlsein um Ihren Anteil gekommen sind — bitte!”

Selmar Stippkohl setzte pflichtgemäß sein strahlendstes Gesicht auf und führte Fräulein Lina zu Tisch.

Daß das goldene Herzchen verschwunden blieb, war eigentlich eine peinliche Geschichte. Aber man kam bald darüber hin. Die Glocken läuteten das neue Jahr ein — der Glückwunschtrubel machte alles andere vergessen.

Nur als Hademarschen sein Glas an das des Dicken anklingen ließ, knurrte dieser verbissen.

„Und darum habe ich den Wildschweinkopf abbestellt! Die Lina hat mich schon zweimal darauf aufmerksam gemacht, daß jemand, der das letzte Stück vom Teller nimmt, Aussicht hat, sich binnen vierundzwanzig Stunden zu verloben. Nach dem Gesicht, daß Ihr zwei beide da drüben macht, scheint Ihr noch näher dran zu sein. Dabei bin ich von Rechts wegen ihr Tischherr, denn — — — — na — schweig still, mein Herz! Prost —!”

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