Der Gas-Automat

Humoreske von T. Szafranski.
in: „Mährisches Tagblatt” vom 07.11.1902,
in: „Leipziger Tageblatt” vom 10.11.1902,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 23.11.1902,
in: „Trierische Landeszeitung” vom 27.11.1902,
in: „Unterhaltungsblatt der Badischen Presse” vom 11.01.1903,
in: „New Ulm Post” vom 29.10.1920,
in: „Hermanner Volksblatt” vom 12.11.1920,
in: „Der Sonntagsbote und der Seebote” (Milwaukee, Wis.) vom 05.06.1921


Die beiden Arbeiter, die in der neuen Villa des Herrn Stadtrath Gausemiel die Gasleitung gelegt hatten, packten ihr Werkzeug zusammen und begaben sich in die Küche, um das wohlgelungene Werk zu begießen— wie der Herr Stadtrath ihnen jovial bedeutet hatte.

Nun sind ja allerdings zwei Fläschchen Hiesiges kein Quantum, in dem sich ein Paar kräftige Männer einen festlichen Freudenrausch antrinken können. Aber das sollten sie ja auch nicht. Einmal war der Herr Stadtrath sehr für Mäßigkeit, und zum andern: es war doch nicht einmal eine Vollleitung, die man gelegt hatte.

Gas hatten nur der Salon, das Wohnzimmer und die Küche erhalten —und das auch nur bedingt, da Herr Wilhelm Gausemiel sich für einen Automaten entschieden hatte, der gegen Einwurf eines Zehnpfennigstücks eine ganze bestimmte Menge Leuchstoff lieferte. Dadurch wurde einem Verkleckern des theuren Materials wirksam vorgebeugt, und der Hausherr hatte eine genaue Controle der Beleuchtungskosten. Die Gasuhren sollen ohnehin manchmal nicht richtig gehen.

Da der Herr Stadtrath mit geringen Unkosten sich gern populär machte und außerdem einer etwaigen Bieretatsüberschreitung seitens der rundlichen Küchenfee vorzubeugen wünschte, versorgte er die Arbeiter höchstselbst und trat dann in den Salon zurück.

Hier verfinsterten sich seine glattrasirten, würdig wohlwollenden Züge um ein Bedeutendes.

Trotz des hellen Nachmittags brannten nicht nur sämmtliche Flammen des Kronleuchters, sondern auch die an den Wänden angebrachten drei Gasarme; und aus dem kleinen Reserveofen neben dem Kamin reflectirte das rothblanke Kupferblech ein voll aufgeschraubtes wärmendes Licht.

Außerdem war es dem Herrn Stadtrath, als wenn eben sein Töchterchen durch die gegenüberliegende Thür davongehuscht sei. Aber er konnte sich irren. Das wäre auch mehr als stark gewesen, denn —

Der Ingenieur Gerhard Siebels ging, die Hände auf dem Rücken, von einem der Beleuchtungskörper zum andern und unterwarf jeden einer äußerst sorgfältigen Prüfung. Er ließ sich auch durch das unwillige Räuspern des Herrn Stadtraths nicht stören, sondern sah erst hin, als dieser hervorstieß:

„Was soll denn das bedeuten, Herr —, das Gas brennt immer noch und — —”

„Und ich bin immer noch hier. Allerdings, Herr Stadtrath,” erwiderte der junge Mann mit der ruhigen Freundlichkeit eines Menschen, der sich seiner Aufgabe bewußt ist. „Meine Firma legt großen Werth darauf, daß alles tadellos functionirt. Sie können das schon daraus ersehen, daß ich selbst gekommen bin, um die Arbeiten zu leiten.”

„So — — geht der Herr Chef-Ingenieur von Großkopf & Co. überall persönlich hin, wo Gas gelegt wird?”

„Nicht überall, Herr Stadtrath. Nur wo es sich um besonders geschätzte Auftraggeber handelt —” erwiderte Gerhard Siebels mit artiger Verbeugung.

„Aber so drehen Sie doch wenigstens aus! Das kostet mein Geld!”

„Mit nichten Herr Stadtrath. Hier ist noch eine Flamme, die zwar ganz gut brennt, anscheinend aber unter zu starkem Druck steht. Das muß regulirt werden. Und was den Kostenpunkt anbetrifft, so erlaube ich mir zu bemerken, daß die beiden Nickel, die ich bisher aufgewendet habe, auf meine Spesen gehen — — — — o bitte, nein! Meine Firma wird nicht dulden, daß Sie die Kosten der Probebeleuchtung tragen. Das gehört mit zur Installation. Die zwanzig Pfennig nehme ich nicht. Sollten Sie aber die freundliche Absicht haben, auch mich zu einem Glase Bier einzuladen, so steht dem nichts entgegen, und ich würde das nicht minder hoch aufnehmen, wie meine Leute.”

Stadtrath Gausemiel stand einen Augenblick sprachlos. er bohrte die Hände in die Taschen seines Schlafrocks und machte mit den Lippen jene heftigen Bewegungen, die man am besten mit „Wuth schmecken” bezeichnet.

Dieser Mensch, dieser — — Lufticus, der nun schon seit Monaten den Familienfrieden und sozusagen auch die väterliche Autorität des Herrn Stadtrath untergrub — der wagte es — — —

Aber es giebt eben eine Frechheit, gegen die auch die steifste Würdehaltung versagt. Außerdem fühlte sich Wilhelm Gausemiel zu sehr als officielle Persönlichkeit, um so grob zu werden, wie er das wohl gern gemacht hätte.

Der alte Herr beorderte Bier — und Ingenieur Siebels schänkte ein mit einer Selbstverständlichkeit, als wenn die neue Villa ihm gehörte und der Herr Stadtrath nur zu Besuch da wäre. Dann drückte er diesen mit sanfter Gewalt auf einen Sessel und zog sich selbst einen heran.

„Prosit, Herr Stadtrath, — erlaube mir — —”

Nachdem er das Glas auf einen Zug geleert hatte, strich er mit dem Goldfinger der Rechten über das aufgebürstete Schnurrbärtchen und tippte mit der Linken dem alten Herrn vertraulich aufs Knie.

„Sagen Sie mal, Herr Stadtrath — da wir gerade so gemüthlich zusammensitzen — — was haben Sie eigentlich gegen mich? Oder sagen wir mal richtiger: Was kann ich dafür, daß Sie meinen Alten mit der Ziegelei behumbst haben und in Folge dessen — —”

„Herr Siebels, wenn Sie in diesem Ton fortfahren, weise ich Ihnen die Thür, verstehen Sie mich?”

„Sehr wohl, Herr Stadtrath. Es wundert mich eigentlich, daß Sie mich nicht schon längst rausgeschmissen haben. Daraus folgere ich, daß Sie heute etwas zugänglicher sind, und diese seltene Gelegenheit möchte ich nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Also wie gesagt: Behumbst haben Sie meinen Alten — bleiben Sie sitzen, Herr Stadtrath, und trinken Sie mal; das beruhigt die Nerven! — es ergiebt sich das schon daraus, daß Sie den Proceß, den mein Vater gegen Sie anstrengen mußte, in allen sechsunddreißig Instanzen verloren haben und viertausend Mark herauszahlen mußten. Das ist bitter, das gebe ich ohne Weiteres zu. Aber nun sagen Sie mir um alles in der Welt: Was kann ich dafür? Und was kann Fräulein Lilli dafür?”

„Ich verbiete Ihnen, Herr, von meiner Tochter zu sprechen und — — —”

Herr Wilhelm Gausemiel funr erschrocken zusammen. Ein seltsamer langgezogener Heulton, der schließlich in ein leises Pfeifen überging — houuuuuuuuuu . . . fuiiit — — und dann erstarb.

Mit der letzten hingehauchten Fermate verlöschten die Gasflammen.

„Es ist nichts, Herr Stadtrath,” erklärte der Ingenieur freundlich. „An dieses Concert werden Sie sich gewöhnen und es wohl beachten müssen. Der Gas-Automat zeigt damit an, daß seine Kraft zu Ende ist und daß es eines neuen Nickels bedarf, um ihn in Betrieb zu halten. Eine umständliche Geschichte. Wenn Sie meinem Rathe gefolgt wären und eine vernünftige Gasuhr aufgestellt hätten, so wären Sie den mannigfachen Störungen eines solchen Apparats nicht ausgesetzt. Aber Sie sind eben ein eigensinniger Mensch, Herr Stadtrath —”

Das war zu viel.

Wilhelm Gausemiel sprang auf. Mit einigen heftigen Griffen riß er den Schlafrock fester um sein Embonpoint und fuhr dem jungen Manne mit dem Zeigefinger dicht unter die Nase.

„Sie sind ein ganz unverschämter Mensch!” hauchte er ihn an. „Verstehen Sie mich!? Sie haben mir gar keine Rathschläge zu geben! Ich brauche Ihre Rathschläge nicht! Und ich erkläre Ihnen nunmehr zum letzten Male, daß Sie meine Tochter nicht bekommen! Sie nicht! Und wenn Sie sich zehnmal hinter meine Frau und hinter meine Tochter stecken! Ich bin hier Herr im Hause! Verstehen Sie mich? Und kraft dessen ersuche ich Sie, mein Haus zu verlassen —”

„Das sagen Sie noch zweimal, Herr Stadtrath — und wenn ich dann noch nicht gegangen bin, so können Sie mich wegen Hausfriedensbruch belangen,” erwiderte der Ingenieur, indem er sich den Rest des Bieres einschänkte. „Ich muß es darauf ankommen lassen, denn ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Zunächst also; Sie geben mir die Hand Ihrer Tochter —”

„Herrrrr —” keuchte der Stadtrath.

„Bitte ausreden lassen. Sie geben mir die Hand Ihrer Tochter und ich ermächtige Sie, mir die 4000 Mark von der Mitgift abzuziehen. Ist doch 'ne Sache, was?”

Der ohnehin etwas asthmatische alte Herr athmete so tief und geräuschvoll auf, daß es sich fast wie der Gesang des sterbenden Gas-Automaten anhörte. Das Ausathmen war ein dröhnendes

„Hinaus —!!!”

„Also wenn das Nöthigen kein Ende hat, Herr Stadtrath, so will ich denn gehen. Ich hoffe, Sie werden sich die Sache überlegen. Viertausend Mark haben und nicht haben, das ist ein Unterschied. So leicht werden Sie eine solche Summe nicht wieder verdienen. Ich werde heute Abend noch einmal wiederkommen, um die Gasleitung im Betrieb zu sehen. Auf Wiedersehen, Herr Stadtrath.”

Wilhelm Gausemiel sank in seinen Sessel zurück. Die innere Spannung hielt ihn derart gefangen, daß er garnicht darauf achtete, wie an der Thür auf dem Flur noch eine ganze Weile geflüstert wurde.

„Also, wie gesagt, Lilli: Spätestens um halb sechs anstecken und alle Groschen bei Seite bringen!”

Lilli Gausemiel nickte unter Thränen lächelnd und ließ es geschehen, daß der Ingenieur Gerhard Siebels ihr blondes Köpfchen zwischen beide Hände und sich einen reichlichen Vorschuß nahm auf heute Abend.

*           *           *

Es war nach neun Uhr Abends.

Die stadträthliche Familie saß um den ovalen Tisch im Wohnzimmer und pflegte im Vollgenuß des neuen strahlenden Lichtes der Lectüre.

Frau Stadträthin studirte die Anzeigenbeilage des Generalanzeigers mit den Familiennachrichten — und das gründlich.

„Männe —,” rief sie plötzlich, indem sie die Brille abnahm und den Finger auf eine Stelle des Blattes legte, „denk bloß mal an! Marie Breitling hat sich auch schon verlobt — mit einem Steuer-Supernumerar!”

„Und die ist noch ein halbes Jahr jünger wie ich,” ergänzte Fräulein Lilli, indem sie das Mäulchen schmollend verzog.

Der alte Herr, der sich schwer darüber ärgerte, daß seine Ausführungen in der jüngsten Stadt­verordneten­versammlung vom Generalanzeiger wieder nur flüchtig mitgetheilt wurden, brummte etwas Unverständliches vor sich hin und ärgerte sich weiter.

Die Damen erörterten das unvergänglich interessante Verlobungsthema noch eine Weile, bis Fräulein Lilli ziemlich unvermittelt fragte:

„Mama — hast Du noch Kleingeld? Gieb mir doch vierzig Pfennig — mir fehlt noch etwas an der Strickseide —”

„Aber Kind, ich habe Dir doch schon vorhin achtzig Pfennig dazu gegeben!”

„Und ich sechzig!” fühte Herr Gausemiel hinzu. „Ich vesrtehe überhaupt nicht, wozu Du Strickseide brauchst: Man strickt doch mit Wolle. Trage ich denn seidene Strümpfe?”

Lilli sah sich glücklicherweise der Rechenschaft über diesen heiklen Punkt überhoben.

Es hatte geklingelt — und gleich darauf trat Herr Gerhard Siebels ein mit seinem freundlichsten Lächeln und unter höflichen Verbeugungen.

„Verzeihen Sie, wenn ich in Ihre Abendruhe einbreche, meine Herrschaften — aber Sie erinnern sich, Herr Stadtrath, daß ich mich angemeldet habe.”

„Den Teufel haben Sie, Herr — wie können Sie es wagen —”

„Die Pflicht ruft mich, Herr Stadtrath. Die Pflicht über alles. Und ich sehe zu meiner großen Genugthuung, daß die Leitung ganz ausgezeichnet functionirt. Nur diese eine Flamme da — und dann will es mir auch scheinen, als ob der Automat demnächst versagen wolle. Da ein dritter Nickel nicht mehr auf meine Spesen gehen würde — alle Wetter, ich habe auch nicht mal einen bei mir! Geben Sie rasch mal einen Groschen, Herr Stadtrath! Aber rasch! Na da haben wir die Bescheerung!”

Oooo—uuuuuuuuuuuuuuuh — — — fuiiiit . . . .!

Man saß im Dunkeln.

Wilhelm Gausemiel fluchte und wetterte und suchte nach einem Groschen — und das um so wilder, als aus der Gegend, wo der gräßliche Mensch stehen mußte, ganz verdächtige schmatzende Geräusche laut wurden.

Er stürzte nach der Richtung hin, aber das hatte keinen anderen Effect, als daß er sich die Kniescheibe stieß und das Geräusch aus einer anderen Richtung kam.

„Frau! Schaffe Licht!” schrie er, und eilte nach der Küche. Dort war es aber ebenfalls dunkel — und Minna fiel ihrem Brotherrn in die Arme mit dem Schreckensruf:

„Ach Jott, Herr Stadtrath, ick jraule mir so!”

„Dumme Gans! Gieb mal schnell ein Zehnpfennigstück!”

„Ick habe keens, Herr Stadtrath — ick hab' alle dem Freilein injewechselt!”

Als der Herr Stadtrath mit einer angezündeten Küchenlampe in das Zimmer zurückhastete, fand er seinen schlimmsten Verdacht bestätigt: Lilli hing am Halse des Ingenieurs Gerhard Siebels und vor den leibhaftigen väterlichen Augen des Herrn Stadtraths wurden eine Unzahl von Verlobungsküssen gewechselt.

Diese Frechheit machte ihn völlig widerstandslos. Und da die Frau Stadtrath diesen Zustand zu einer eindringlichen Auseinandersetzung ausnutzte, dämmerte dem alten Herrn schließlich die Erkenntniß auf, daß er gegen die Macht der Liebe und die Unverfrorenheit von Gerhard Siebels auf die Dauer doch nicht würde ankämpfen können.

Also fügte er sich knurrend in das Unvermeidliche.

„Aber das sage ich Dir,” wandte er sich mit bedrohlichem Zeigefinger an seinen freundlich lächelnden Schwiegersohn, der inzwischen noch eine erkleckliche Anzahl Nickel gefunden und Licht gemacht hatte, „die viertausend Mark werden abgezogen!”

„Einverstanden. Und außerdem werde ich Dir noch gratis eine richtige Gasuhr herstellen, damit solche Sachen nicht wieder vorkommen.”

Darauf beorderte der Herr Stadrath vier Flaschen Hiesiges — um die Verlobung zu begießen.

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