Der Garnisonschreck.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Über Land und Meer” vom Okt. 1903 Seite 954,
in: „Indiana Tribüne” vom 04.04.1906


Schon als Leutnant von Granichstetten von seinem Freunde Joachim Schletzow den Brief mit der bewußten Mitteilung erhalten, hatte er den Kopf geschüttelt und gesagt: „Das verstehe ich nicht.” Als er ihn dann von der Bahn abholte, war sein erstes Wort der Begrüßung: „Das verstehe ich nicht.” Und als sie sich ein paar Stunden später im „Pilsner” gegenübersaßen, schüttelte Günther von Granichstetten immer noch den Kopf und beantwortete den ihm mit erhobenem Glase dargebrachten Männergruß anstatt durch das übliche Prosit mit einem in Tiefsinn völlig verlorenen: „Das verstehe ich nicht.”

Baron von Schletzow ließ nach dem guten Schluck einen Seufzer des Behagens hören und setzte das Glas mit der Vorsicht eines dankbaren Genußmenschen nieder. Dann tupfte er die Schaum­flöckchen von der blonden Schonung auf der Oberlippe, kreuzte die Arme auf dem Tisch und schaute dem Freunde in die nachdenklich gerundeten Augen. Es nahm sich so vergnügt und listig aus, daß jeder andre gelacht hätte — aber Günther Granichstetten lachte nicht. Er lachte nie, wenn er vor großen Rätseln stand. Nicht einmal bei der ersten Rekruten-Instruktion. Schließlich fragte er zögernd und vorsichtig: „Hast du was ausgefressen, Joachim?”

„Nee.”

Enttäuschung und Zusammensinken des lauernd aufgerichteten Oberkörpers. Pause. Schließlich fand Granichstetten ganz langsam die Spur einer neuen Möglichkeit: „Oder solltest du plötzlich verrückt geworden sein, Joachim?”

„Auch nicht.”

„Dann bin ich's!” schrie der Ratlose derart wütend und unvermittelt, daß der Piccolo aus seinem Nachmittags­nickerchen auffuhr und mit dem Kopf gegen den Pfeiler stieß, an dem er lehnte. Er rieb sich erschrocken die schmerzende Stelle und schwänzelte heran: „B'fehl'n?”

„Vorläufig noch nichts, mein Sohn; schlaf weiter,” winkte Schletzow ab und citierte dem Freunde mit sanftem Pathos: „Stär nicht den Schlummer des Kindes, heilig ist seine Ruh'! Außerdem, mein Lieber, ist es ungeschickt, eine so betrübende Eventualität, wie du sie eben geäußert hast, gleich in alle Welt zu trompeten. Beurteilt man sich richtig, dann kommen die Leute früh genug selbst dahinter; ist man aber nur ein Hypochonder des Intellekts — und für einen solchen halte ich dich nach älteren Beobachtungen — so wird ein Irrtum schnell verbreitet, aber nicht so leicht dementiert.”

„Mach keinen Schmus, sondern rede endlich!”

„Es kommt schon. Laß mich nur noch vorausschicken, daß du die feineren Zusammenhänge der Lebens­erscheinungen nie recht erkannt hast, Günther. Wenn der Barometer fällt, so schließest du allerdings mit ziemlicher Sicherheit auf eine Temperatur­veränderung; wenn dich ein Hund beißt, so beurteilst du seine Gemütsstimmung sehr richtig als eine unfreundliche, und wenn jemand Schnittlauch ißt, wird es dir begreiflich erscheinen, daß er eine Zeitlang danach aus dem Munde riecht. Wenn aber ein Offizier unter Anwendung aller nur möglichen Kniffe und Pfiffe es durchsetzt, vom 2. Garderegiment zu Fuß in ein märkisches Nest vesetzt zu werden, das eigentlich nur aus Courtoisie im Kursbuch verzeichnet ist —”

„So macht er entweder Harakiri oder er ist verrückt — oder aber er ist mit seinem Geld zu Ende, was ich mir jedoch bei deinem sündhaften Vermögen nicht vorstellen kann.”

Das sind die gröberen Zusammenhänge und Möglichkeiten. Kannst du dir gar keine intimeren vorstellen?”

„Nein.”

„Te — te — te —” Baron von Schletzow schüttelte den Kopf. Dann stärkte er sich aus seinem Glase und fragte, wie man ein begriffsstutziges Kind fragt: „Sag mal, Günther, ist dir in der letzten Zeit in deiner Garnison nichts aufgefallen? So eine gewisse Veränderung zu ihrem Vorteil?”

„Veränderung — allerdings. Der Chateau Lafitte im Kasino ist wegen der gesegneten Blaubeerernte des vergangenen Jahres um zwei Groschen die Flasche billiger geworden; Frau Hauptmann Valentin hat ein Baby bekommen, und Stadtrat Ebenhoch läßt seinen Zaun frisch anstreichen. Sie sind noch dabei.”

„Und weiter ist dir nichts aufgefallen? Du hast nicht bemerkt, daß seit einigen Wochen alles viel schöner geworden ist? Daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgend wo anders in der Welt — selbst wenn es regnet? Daß über jedem Winkel und über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt, der das Herz auch des traurigsten Böotiers ergreifen und aus seiner Stumpfheit aufrütteln muß?”

„Allmächtiger!” hauchte Leutnant von Granichstetten entgeistert in sich hinein. Dann nahm sein Antlitz den Ausdruck schmerzlichsten Mitempfindens an; solches vibrierte auch in dem weichen Tremolo seiner Stimme, als er sagte: „Joachim, mein lieber alter Junge, das ist ja furchtbar traurig: Deine armen Eltern! Was hat denn der Stabsarzt gesagt, als du fortgingst?”

Schletzow ließ diese Frage, wie auch die Hand, die vorsichtig nach seinem Pulse angelte, unbeachtet. Er schaute verzückt durch das offene Verandafenster auf den Markt, wo ein paar versprengte Hühner pickten; um den hölzernen, von vier verstaubten Linden flankierten Brunnen spielten Kinder; das kleinste hatte man aus dem Wagen genommen und auf ein rotkariertes Bettstück gesetzt: es krähte und zappelte einem Offiziersburschen entgegen, der ihm denn auch im Vorbeigehen den Zeigefinger unter das Kinn bohrte und du-du-du machte.

„Welch eine reizende Idylle!” schwärmte der Baron, indem er die sorgenvolle Hand des Freundes unter geschickter Ausnutzung der brennenden Zigarre endlich beseitigte. „Und drüben ist eine Konditorei, nicht wahr?”

„Eigentlich ist es nur ein Bäcker. Aber Sonnabends werden auch Kuchen gebacken — auf Vorrat; die Woche über werden sie nur frisch abgestaubt. Das Rauchzimmer ist vor der Tür, hinter dem Efeuparavant.”

„Da also wird sie häufig sitzen,” nickte Schletzow vor sich hin, indem er mit der strahlenden Begeisterung eines Mekkapilgers, der zum ersten Male die Kaaba erschaut, nach dem Fensterchen hinüberspähte, an dem ein Plakat sogar „Gefrorenes” anzeigte. „Du mußt nämlich wissen, sie ißt leidenschaftlich gern Kuchen! Und nicht zu knapp. Durchschnittlich zwei Mohrenköpfe und ein Baiser. Dabei macht sich das beileibe nicht gefräßig. Im Gegenteil, es ist entzückend, mit anzusehen, wie die weißen Mausezähnchen das alles so wegknabbern. Na überhaupt, man muß blind oder ein Barbar sein, um nicht alles reizend an ihr zu finden: das wundervole, aschblonde Haar, die lustigen graublauen Augen —”

„— die beiden Grübchen oberhalb der Mundwinkel, die keck aufgesetzte Nase u. s. w. Am reizendsten aber finde ich die Unverfrorenheit, mit der du mich wegen der kleinen Majorstochter auf die Folter spannst. Da sagt man doch einfach: ich bin verliebt, und damit sind dann sämmtliche Dummheiten, die ein ausgewachsener Mensch aushecken kann, auf die einfachste und natürlichste Weise erklärt — zum Donnerwetter nochmal!”

„Sei nicht so laut, Günther. Der Kellnerknabe ist schon wieder aufgewacht. Sage mir mit der Ruhe und Besonnenheit, die dich zuzeiten auszeichnet: weshalb ist mein Garnisonwechsel eine Dummheit? Ganz abgesehen davon, daß unser Planet mir nur in Hermine Rombecks Nähe erträglich bewohnbar erscheint — das Städtchen ist doch sehr hübsch und gemütlich; dabei hat es nahezu zwanzigtausend Bewohner, wie ich gehört habe.”

„Die sind auch danach,” knurrte Leutnant von Granichstetten bissig. „Das ist aber nicht das Schlimmste. Kennst du unsern Major von Rombeck?”

„Noch nicht. Er soll ein forscher Herr sein.”

„Kannst du deinen Leuten aus dem Klimmzug heraus einen langsamen Bauchaufschwung nach Zählen vormachen?”

„Ich hab's noch nicht probiert.”

„Kannst du” — der Frageton wurde immer dräuender — „nach einer sechsstündigen Felddienstübung im Regen mit nassen Kleidern herumlaufen, bis du durch die eigene Körperwärme wieder trocken geworden bist?”

„Das kommt auch auf einen Versuch an.”

„Du mußt das können, mein Lieber. Du mußt! Wenn du das nicht kannst oder dir sonst das Leiseste zu schulden kommen läßt, was irgendwie nach Schlappheit aussieht, bist du erschossen. Der Mann hat den Schneidigkeitsfimmel in der x-ten Potenz. Und der Herren von der Garde nimmt er sich ganz besonder an. Sie sind íhm zu patent, zu glatt — deinen weißen Hemdkragen wird er dir schon abgewöhnen! Nun aber die Hauptsache: kennst du den General von Rombeck? Den Divisionär von der Zweiten?”

„Harun al Raschid! Selbstverständlich habe ich von dem schon gehört. Er erscheint überall wie der Deuwel auf Gummirädern. Aber mit dem habt ihr doch in der ersten Division nichts zu tun.”

„Nichts zu tun?” heulte Granichstetten in den Fisteltönen höhnischer Belustigung auf. „Siehst du, das kommt davon, wenn man sich vorher nicht erkundigt bei einem alten Freunde. Harun al Raschid ist der Vater des Majors, der Großvater deiner Liebe, der Schreck der Garnison! Der Familiensinn dieses Menschen ist unser Verhängnis. Alle Woche mindestens einmal schwirrt er an, meist Sonnabends, wo er dann über Sonntag bleibt. An diesen Tagen ist alles, was blanke Knöpfe trägt, in Sorge und Unruhe. Der Mann sieht alles, und was er nicht sehen soll, sieht er doppelt. Er geht extra abends spazieren, um den Leuten aufzulauern, die etwa nach Zapfenstreich kommen und deren scheue Eile auf den Mangel einer Urlaubskarte schließen läßt. Natürlich straft er nicht selbst. Dazu hat er kein Recht. Aber seinem Schicksal entgeht niemand. Die Strafseuche nahm derart überhand , daß das Regiment schon aufmerksam und von hinten herum höheren Ortes vorstellig geworden ist. Jetzt kommt er meist in Zivil, und der Effekt ist noch schlimmer. Man erkennt den Garnisonschreck immer erst, wenn es zu spät ist. Kein Mensch ist mehr vor ihm sicher. Jochimke, ich sage dir, bei deinem goldenen Leichtsinn bist du in vier Wochen geliefert!

Wärst du geblieben doch auf deiner Heiden,
Dann hättst du nichts gewußt von all den Lei-eiden!”

Schletzow reichte dem Freunde die Hand über den Tisch und sagte lachend: „Deine wohlmeinende Absicht ist besser als dein Gesang, mein Teurer. Jedenfalls danke ich dir von Herzen. In zwei Punkten aber hegt deine sorgende Seele irrige Voraussetzungen: ich wäre gekommen, auch wenn ich alles gewußt hätte. Daß mir hier nicht eitel Rosen blühen würden, habe ich Hermine von Rombeck angemerkt, als ich ihr mein Vorhaben in Berlin mitteilte. Sie hat die Nachricht mit einem jubelnd glückseligen und einem nassen Auge aufgenommen und ziemlich verängstigt betont, daß Papa gegen Gardeleutnants eine gewisse, ihr vollständig unerklärliche Abneigung habe. Ich bin also nach der Richtung einigermaßen vorbereitet. Zum andern irrst du dich hinsichtlich meines Leichtsinns. Das war einmal. Ich fürchte euren Garnisonschreck nicht, weil ich gar nicht die Absicht habe, mir was zu schulden kommen zu lassen. Mir ist nicht nach Scherz und Spiel, mein Lieber, sondern wirklich ernst und feierlich zu Mut, denn in diesem kleinen Neste soll sich mein Lebensglück entscheiden.”

Diese bedeutungsvolle Perspektive hinderte den Baron von Schletzow aber nicht, beim Ueberschreiten des Marktplatzes dem munteren kleinen Balg auch seinerseits den Zeigefinger unters Kinn zu bohren und du-du-du zu sagen. — —

Schon die erste Vorstellung beim Major ließ keinen Zweifel, daß die Warnungen Granichstettens und das nasse Auge der Geliebten ihre volle Berechtigung hatten. Major von Rombeck machte aus seinem Herzen nicht einmal diejenige Mördergrube, die auch ganz gemütlose Vorgesetzte einem Jüngling aus der Fremde gegenüber sonst zu beobachten pflegen. Er äußerte unumwunden sein Urteil über die „Herren von der Garde”, die mit unvorschriftsmäßig hohem Uniformkragen und starken Prätensionen in die Provinz abgeschoben werden. Und der arme Schletzow sah sich nicht einmal in der Lage, darauf hinzuweisen, daß er nicht gegangen worden, sondern selbst gegangen war. Das hätte den Bataillonschef, der ohnehin ein leises Mißtrauen nach der bewußten Seite hin erkennen ließ — wenigstens schien es dem Leutnant so —, erst recht stutzig und dann wohl noch widerborstiger gemacht. Deshalb schluckte der Baron tapfer hinunter, was er 'reingewürgt bekam. Auch härtete ihn die Hoffnung ab, daß er nun endlich die Geliebte wiedersehen würde, nach der er sich in den zwei Tagen seines Hierseins die Augen vergeblich ausgeschaut.

Aber er schlug die Hacken bereits zum zweiten Male zum Abschied zusammen, und der Major machte immer noch keine Anstalten, ihn der Familie zu präsentieren. Im Gegenteil, er verabschiedete ihn mit einem sauer zusammenlaufenden Lächeln: „Adieu, Herr Leutnant; ich hoffe, Sie werden sich einleben. Was ich dazu tun kann, um Sie sehr bald mit den doch etwas veränderten Ansprüchen des Dienstes vertraut zu machen, wird geschehen. Apropos, meinen Damen kann ich Sie im Augenblick leider nicht vorstellen. Sie sind ausgegangen. Ein andermal. Uebrigens haben Sie meine Tochter ja wohl schon kennen gelernt?”

„Zu Befehl, Herr Major, ich hatte die Ehre.”

„Ihr Fräulein Schwester ist eine Pensionsfreundin meiner Tochter?”

„Sehr wohl, Herr Major. Die Damen begegneten sich zuweilen in einer bekannten Familie und erneuerten ihre Freundschaft.”

„Ja, ja, es ist merkwürdig, wie man sich manchmal so wiedertrifft. Ganz merkwürdig. Und nun sind Sie gar noch hierher verschlagen. Was ich übrigens noch sagen wollte — ganz recht, ich habe schon mit Ihrem Herrn Kompagnichef gesprochen. Morgen ist eine größere Familienfeier bei Herrn Hauptmann Valentin — Kindtaufe —, zu der das ganze Offiziercorps geladen ist. Sie werden an Stelle des Herrn Leutnants von Schlegel, der ein Vetter der Familie ist, Bataillons-du jour und Ronde übernehmen.”

„Zu Befehl!”

„Ich will Ihnen Gelegenheit geben, gleich von vornherein Umsicht und jenen Schneid zu betätigen, den ich bei meinen Herren Offizieren ganz besonders schätze. Ich danke Ihnen, Herr Leutnant. Adieu. Auf Wiedersehen.”

Baron von Schletzow dankte auch — nämlich seinem Schöpfer, daß er ihm ein so reiches Maß von Selbstbeherrschung verliehen und ihn verhindert hatte, gleich vor den Augen des Majors einen Cakewalk des Zorns und der Enttäuschung aufzuführen. Er hatte Hermine von Rombeck nicht nur nicht gesehen, sondern auch die Aussicht verloren, ihr auf dem Feste zu begegnen. Das war denn doch zu viel auf den ersten Hieb.

Aber Leutnant von Schletzow gehörte zu den glücklichen Naturen, die auf eine Enttäuschung stets eine frische Hoffnung zu setzen wissen. Er war nicht leicht klein zu kriegen. Außerdem mußte er am nächsten Tage die Ohren mächtig steif halten. Der Du jour-Dienst in einer noch wildfremden Garnison war eine harte Aufgabe. Wenn er sich nicht genau informierte und nicht sehr umsichtig vorging, dann konnte er noch viel früher in die Wurst kommen, als Freund Granichstetten ihm prophezeit hatte. — —

Es war ein dunkler, regnerischer Frühsommerabend, als Leutnant von Schletzow die Feldbinde umlegte und den nun nicht mehr mit dem Gardestern geschmückten Helm aufs Haupt drückte, um bald nach dem Zapfenstreich die ausgedehnte Ronde anzutreten.

So klein das Nest war, gab es doch eine ganze Menge zu bewachen, teils aus Notwendigkeit, teils aus lieber Gewohnheit. Ein alter Pulverturm vor der Stadt enthielt zwar schon seit Jahrzehnten kein Pulver mehr, sondern einige Heringstonnen und Bücklingskisten, die sein Pächter dort aufbewahrte, aber er hatte immer noch einen Posten. Während Schletzow mit seinen zwei Leuten dahinmarschierte, mußte er an den berühmten Wachtposten der Kaiserin Katharina denken, die neben ein am Wege blühendes Veilchen einen Gardisten gestellt hatte, damit es nicht zertreten werde. An der nämlichen Stelle wurde dann noch zweihundert Jahre geschildert, ohne daß ein Mensch wußte, weshalb. Solche Veilchen blühen auch heute noch.

Der Offizier hatte schon einige Posten revidiert und bog in die Vorstadt ein, um die Gefängniswache — neben der Hauptwache die verantwortlichste — zu besuchen.

Auf diesem Wege wurde ihm das Herz ein wenig schwer. In der Vorstadt wohnte nämlich Hauptmann Valentin. Schletzow begegnete verschiedenen Kameraden, die erst später zum Feste zogen; darunter auch Granichstetten, der ihm tiefbewegt die Hand drückte und fragte: „Wie geht es dir, mein Herzchen? Nun merkst du erst, daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgend wo anders in der Welt — selbst wenn es dunkel ist und regnet, nicht wahr? Daß über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt —”

Er vollendete nicht, denn trotz der Dunkelheit bemerkte er eine verdächtige Armbewegung des Freundes, der er sich zu entziehen wünschte. Aber er fügte in der Eile doch noch hinzu: „Und paß auf den Garnisonschreck auf! Er ist zwar mit eingeladen und sonnt sich wohl schon in der Liebe unsrer Waffengefährten, aber man kann nie wissen, wie der Kalmus piept.”

Der Baron knurrte einen zweifelhaften Segenswunsch und setzte sich in Sturmschritt, teils weil ihn eine lebhaftere Gemütsbewegung dazu trieb, teils auch, weil er seine zwei Mann einholen mußte. Kurz vor dem Gefängnis erreichte er sie.

„Halt — wer da?!”

„Ronde!”

Nachdem der Offizier sich dem Posten zu erkennen gegeben und sowohl das Herausrufen wie auch das Präsentieren abgewinkt, betrat er das dicht an der Straße gelegene Wachtlokal, um sich Meldung erstatten zu lassen und das Postenbuch einzusehen. Während er damit beschäftigt war, hörte er durch die geöffneten Fenster von der Straße her, daß jemand mit dem Posten ein Gespräch anknüpfte. Ein Gespräch, das Leutnant von Schletzow mit Ohren und Augen aufhorchen machte.

„Aber so nehmen Sie doch, lieber Mann, trinken Sie nachher ein Glas Bier dafür,” sagte eine knarrende Stimme.

„Das darf ich nicht.”

„Und wer verbietet Ihnen das?”

„Meine Instruktion als Posten vorm Gewehr.”

„So. Aber eine Zigarre dürfen Sie doch jedenfalls nehmen — hier sind zwei Zigarren!”

„Ich darf nicht.”

„Es sieht doch niemand!”

„Ist egal.”

„Sie sind eigentlich ein rechter Schafskopf, daß Sie sich ein paar gute Zigarren entgehen lassen. Was würden Sie übrigens als Posten vorm Gewehr tun, wenn Sie jemand wirklich einen Schafskopf schilt?”

In diesem Augenblick trat Leutnant von Schletzow mit seinem ehernsten Dienstgesicht vor die Tür und wandte sich zunächst an den Posten:

„Der Mann hat Ihnen Geld angeboten?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”

„Und Zigarren?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”

„Dann hat er Sie durch das Schimpfwort Schafskopf beleidigt . . .”

Da der Posten nicht sogleich antwortete, sondern seinen Blick wie verstört von dem Ronde-Offizier auf den Zivilisten richtete, hauchte ihn der Leutnant grimmig an: „Antwort, zum Donnerwetter! Beleidigt? Ja oder nein!”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”

Schletzow trat an den hämisch lauernden alten Herrn heran und berührte seine Schulter mit der Hand. „Sie sind mein Arrestant! Wie heißen Sie?”

„Ich bin der General von Rombeck.”

„Das kann jeder sagen . . . Wachthabender!”

„Herr Leutnant!”

„Dieser Herr wird sofort, unter Bedeckung von zwei Mann und einem Gefreiten als Transportführer, zur Hauptwache geschafft!” Dann wandte er sich an den Zivilisten, dessen Haltung nun doch eine gewisse Unsicherheit ausdrückte: „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Transporteure bei dem leisesten Fluchtversuch von der Waffe Gebrauch machen. Antreten!”

„Aber, Herr Leutnant!” stotterte der Alte, „ich bin der General von Rombeck. Man kennt mich hier allgemein.”

„Wachthabender, kennen Sie den Herrn? — Posten, Sie? — Und einer von euch andern?”

Ein dreifaches, ordentlich mit Verve hervorgestoßenes „Nein!” erschallte.

„Sie sehen also, man kennt Sie nicht. Im übrigen ist es auch mehr als unwahrscheinlich, daß ein hoher Offizier einen Posten zu strafbaren Handlungen zu verleiten sucht und ihn außerdem beleidigt.”

„Aber ich wollte den Mann doch nur prüfen, das ist doch klar! Uebrigens bin ich sofort zu rekognoszieren durch meine Enkelin, die Tochter Ihres Herrn Majors von Rombeck, die nur ein paar Schritte voraufgegangen ist. Wir sind auf dem Wege zu einer Festlichkeit. Da kommt sie schon zurück — Hermine!”

„Wo bleibst du denn, Großpapa?” fragte das junge Mädchen befremdet, indem sie näher trat. Gleich darauf zuckte sie zusammen, und ihr Gesichtchen überflog eine brennende Röte.

„Sage dem Herrn Leutnant, wer ich bin, mein Kind. Er will mich hier festhalten.”

„Aber um Gottes willen, das ist doch Großpapa!” hauchte die Kleine entgeistert.

Leutnant von Schletzow schlug die Hacken zusammen und salutierte. Obwohl ihm das Herz bis in den Hals schlug, behielt er Ernst und Ruhe.

„Mein gnädiges Fräulein,” sagte er verbindlich, „ich bedaure unendlich, auf Ihrer Aussage allein diesen Herrn nicht freigeben zu können. Sie lassen sich möglicherweise nur von Ihrem guten Herzen leiten. Ich bin im Dienst und muß streng pflichtgemäß verfahren. Also vorwärts, zur Hauptwache!”

„Achim!” schrie die Kleine nun auf und hing sich zitternd an den Arm des Offiziers, „mach uns nicht unglücklich! Er ist es wirklich!”

„Es tut mir leid, meine Gnädigste,” erwiderte Schletzow stockernst, aber mit etwas enrhümierter Stimme. „ Ich kann es nicht glauben, daß ein Offizier, und noch dazu ein solcher in Zivil, einen Posten vorm Gewehr derart provoziert! Nur wenn ein Offizier der Garnison mir Ihre Angabe bestätigt, dürfte ich von der Festnahme absehen.”

Darauf beharrte er unerschütterlich. Und während der zwanzig Minuten, die es dauerte, bis der Major, von seiner Tochter gerufen, herbeistürzte, saß der General von Rombeck, Divisionär der Zweiten, in der Wachtstube. Und die Mannschaft machte dabei ein Gesicht, als wenn ein jeder von ihr einen Taler geschenkt bekommen hätte — und zwar einen erlaubten.

Nachdem der Häftling rekognosziert worden war, trat Leutnant von Schletzow in strammer Haltung vor ihn hin: „Bedaure das Mißverständnis auf das lebhafteste, Excellenz. Aber Excellenz wissen selbst, daß ich nicht anders konnte!”

Der General schwulte ihn von der Seite an und brummte etwas Unverständliches in den Bart. Dann wandte er sich an seinen Sohn, dessen Gesichtszüge sich merkwürdig aufgehellt hatten, nachdem er die ganze Sachlage erfahren.

„Die Mine hat übrigens ,Achim' und ,du' zu ihm gesagt, und wenn ich nicht irre, hat sie ihn sogar umärmelt.”

„Darüber wollen wir morgen reden,” sagte der Major, indem er dicht an Schletzow herantrat; „kann nicht sagen, daß mir das übel gefallen hätte. Schneid! Bitte, besuchen Sie mich morgen noch einmal und richten Sie sich zu Tisch ein.” . . .

Der Garnisonschreck ist nicht wiedergekommen, nicht einmal zur Hochzeit von Mine Rombeck mit Joachim von Schletzow.

Wenn der Barometer fällt, so schließt man mit ziemlicher Sicherheit auf eine Temperatur­veränderung. Wenn ein Hund beißt, so beurtheilt man seine Gemüthsstimmung als eine unfreundliche, und wenn Jemand Schnittlauch ißt, so erscheint es begreiflich, wenn er eine Zeitlang aus dem Munde riecht. Wenn aber ein Offizier unter Anwendung aller möglichen Kniffe und Pfiffe es durchsetzt, vom ersten Garderegiment zu Fuß in ein märkisches Nest versetzt zu werden, das nur aus Versehen in's Kursbuch gekommen ist, — dann macht er entweder Harikari oder er ist verrückt geworden.

Das war ungefähr der Gedankengang jener Auseinandersetzung, die Leutnant von Kalics mit seinem Freunde, dem vor ein paar Stunden aus der Residenz eingetroffenen Freiherrn von Suchwardt, hatte, als sie sich am Eckfenster des „Braunen Hirsch” gegenübersaßen.

„Und eine andere Möglichkeit kannst Du Dir für meinen Fall nicht denken?” fragte der Baron

„Nee!”

Das Wort drückte die unerschütterlichste aller Ueberzeugungen aus. Aber es beirrte Hasso Suchwardt nicht.

„Sag mal, Werner, ist Dir in der letzten Zeit in dieser Garnison nichts aufgefallen? So eine gewisse Veränderung zu ihrem Vortheil.”

„Veränderung — allerdings. Der Chateau Lafitte im Kasino ist wegen der gesegneten Blaubeerenernte des vergangenen Jahres um zwei Groschen die Flasche billiger geworden; Frau Hauptmann Rauscher hat Zwillinge bekommen — und Herr Stadtrath Wilde läßt seinen Zaun neu anstreichen. Sie sind noch dabei.”

„Weiter nichts, Werner? Du hast nicht bemerkt, daß seit einigen Wochen alles viel schöner geworden ist? Daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgendwo in der Welt — auch wenn es regnet? Daß über jedem Winkel und über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt —?”

„Allmächtiger,” stöhnte Leutnant von Kalics entgeistert, indem er nach dem Puls des Freundes tastete.

Freiherr von Suchwardt beseitigte die sorgenvolle Hand unter geschickter Ausnutzung seiner brennenden Zigarre. Dann schaute er schwärmerisch über den Marktplatz. Sein Blick blieb an dem gegenüberliegenden Eckladen haften.

„Da drüben ist eine Konditorei, nicht wahr?” fragte er seinen Freund.

„Hm — wie man's nehmen will. Eigentlich ist's nur ein Bäcker. Am Sonnabend aber werden auch Kuchen gebacken — auf Vorrath; die Woche über werden sie nur frisch abgestaubt.”

„Da also wird sie häufig sitzen,” nickte Suchwardt vor sich hin, indem er gerührt und begeistert nach dem Fensterchen hinüberspähte, an dem ein Plakat sogar „Gefrorenes” anzeigte. „Du mußt nämlich wissen, sie ißt leidenschaftlich gern Kuchen. Es ist entzückend mit anzusehen, wie die weißen Mausezähnchen ein Eisbaiser wegknabbern. Na, überhaupt — man muß blind oder ein Barbar sein, um nicht alles reizend an ihr zu finden: das wundervolle Haar, die lustigen graublauen Augen —”

„— die beiden Grübchen oberhalb der Mundwinkel, die keck aufgesetzte Nase u. s. w. Am reizendsten aber finde ich die Unverfrorenheit, mit der Du mich wegen der kleinen Majorstochter auf die Folter spannst. Da sagt man doch einfach: ich bin in Frieda Meckelburg verliebt — und damit sind dann alle Dummheiten, die Du bisher ausgeheckt hast, einigermaßen erklärt.”

„Weshalb Dummheiten, mein Freund? Abgesehen davon, daß mir unser Planet nur in der Nähe dieses Mädchens erträglich bewohnbar erscheint — die Stadt ist doch sehr hübsch und gemüthlich; sie hat nahezu fünfzehntausend Einwohner, wie ich gehört habe.”

„Die sind auch danach,” knurrte Leutnant von Kalics. „Das ist aber nicht das Schlimmste; kennst Du unsern Bataillonskommandeur, den Herrn Major von Meckelburg?”

„Noch nicht. Er soll ein forscher Herr sein.”

„Kannst Du aus dem Klimmzug heraus einen langsamen Bauchaufschwung nach Zählen machen?”

„Ich hab's noch nicht probirt.”

„Dann üb' Dir das ein, mein Lieber. Und möglichst ein paar andere Kunststücke. Der Mann hat den Kraft- und Schneidigkeitssimpel. Und der Herren von der Garde nimmt er sich ganz besonders an. Sie sind ihm zu patent, zu glatt — Deinen weißen Hemdkragen wird er Dir schon abgewöhnen. Nun aber die Hauptsache: kennst Du den General von Meckelburg? Den Divisionär von der Zweiten?”

„Den Schleicher. Selbstverständlich habe ich von dem schon gehört. Er erscheint überall wie der Teufel auf Filzparisern. Aber mit dem haben wir doch in der ersten Division nichts zu thun —”

„Nichts zu thun!” heulte Werner von Kalics auf. „Das kommt davon, wenn man sich vorher nicht erkundigt bei einem alten Freunde. Der Schleicher ist der Vater des Majors, der Großvater Deiner Liebe! Der Familiensinn dieses Menschen ist unser Verhängniß. Alle vierzehn Tage, drei Wochen schwirrt er an — meist Sonnabends, wo er dann über Sonntag bleibt. An diesen Tagen ist alles, was blanke Knöppe trägt, in Sorge und Unruhe. Der Mann sieht alles. Er geht extra Abends spazieren, um den Leuten aufzulauern, die etwa nach Zapfenstreich kommen, und deren scheue Eile auf das Fehlen einer Urlaubskarte schließen läßt. Natürlich straft er nicht selbst. Dazu hat er kein Recht. Er kommt auch meist in Zivil. Aber seinem Schicksal entgeht Niemand. Auch Du wirst ihm nicht entgehen.”

„Abwarten. Daß mir hier nicht eitel Rosen blühen würden, habe ich schon meiner Frieda angemerkt, als ich ihr in Berlin von meinem Vorhaben sprach, mich herversetzen zu lassen. Sie hat recht verängstigt betont, daß Papa gegen Gardeleutnants eine starke, ihr vollständig unerklärliche Abneigung habe. Ich bin also einigermaßen vorbereitet. Im Uebrigen nehme ich jeden Kampf auf. Es handelt sich um mein Lebensglück.”

Schon die erste Vorstellung beim Major ließ keinen Zweifel, daß die Warnungen ihre volle Berechtigung hatten. Major von Meckelburg machte aus seinem Herzen keine Mördergrube — in seiner Ansicht über die Herren von der Garde, die mit unvorschriftsmäßig hohen Uniformkragen und noch höheren Prätentionen in die Provinz abgeschoben werden.

Hasso von Suchwardt schluckte tapfer alles herunter, was er reingewürgt bekam. Ihn härtete die Hoffnung ab, daß er nun endlich die Geliebte wiedersehen würde. Aber er schlug die Hacken bereits zum zweiten Male zum Abschied zusammen — und der Major machte immer noch keine Anstalten, ihn der Familie zu präsentiren. Im Gegentheil.

„Adieu, Herr Leutnant. Meinen Damen kann ich Sie im Augenblick nicht vorstellen. Sie sind ausgegangen. Ein andermal. Uebrigens haben Sie meine Tochter ja wohl schon kennen gelernt — —”

„Ich hatte die Ehre,” stotterte der Baron unter peinlichem Erröthen.

„Ihr Fräulein Schwester ist eine Pensionsfreundin meiner Tochter —”

„Sehr wohl, Herr Major. Die Damen begegneten sich in einer bekannten Familie und erneuerten ihre Freundschaft.”

„Ja, ja, — es ist merkwürdig, wie man sich manchmal so wiedertrifft. Ganz merkwürdig. Und nun sind Sie gar noch hierher verschlagen. Was ich übrigens noch sagen wollte — ich habe schon mit Ihrem Herrn Kompagniechef gesprochen. Morgen ist Kindtaufe bei Herrn Hauptmann Rauscher. Das ganze Offizierskorps ist geladen. Sie werden an Stelle des Herrn Leutnant Böhm, der ein Vetter der Familie ist, Bataillons-du-jour und Ronde übernehmen.”

„Zu Befehl, Herr Major.”

„Ich will Ihnen Gelegenheit geben, gleich von vornherein Umsicht und jenen Schneid zu bethätigen, den ich bei meinen Offizieren ganz besonders schätze. Ich danke Ihnen, Herr Leutnant. Auf Wiedersehen.”

Es war an einem der trostlos matschigen Regenabende, an denen dieser Winter so reich ist, als Freiherr von Suchwardt die Feldbinde umlegte und den nicht mehr mit dem Gardestern geschmückten Helm auf's Haupt drückte, um die Ronde anzutreten.

Er hatte schon einige Posten revidirt und bog in die Vorstadt ein, um die Gefängnißwache — neben der Hauptwache die verantwortlichste — zu besuchen. Auf diesem Wege wurde ihm das Herz ein wenig schwer. In der Vorstadt wohnte mämlich Hauptmann Rauscher. Suchwardt begegnete mehreren Kameraden, die zum Feste zogen, darunter auch Kalics, der ihm tiefbewegt die Hand drückte und fragte:

„Wie geht es Dir, mein Herzchen? Nun merkst Du erst, daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgendwo anders in der Welt — selbst wenn es dunkel ist und regnet, nicht wahr? Daß über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt — —”

Er vollendete nicht, denn trotz der Dunkelheit bemerkte er eine verdächtige Armbewegung des Freundes, der er sich zu entziehen wünschte. Aber im Weggehen fügte er noch hinzu: „Und paß auf den Schleicher auf! Er ist zwar auch eingeladen und wohl schon dort — aber man kann nie wissen, wie der Kalmus piept.”

Einige Minuten später war Hasso von Suchwardt auf der Wache, ließ sich die nöthigen Meldungen erstatten und sah das Postenbuch ein. Während er damit beschäftigt war, hörte er durch die geöffneten Fenster, daß Jemand mit dem Posten ein Gespräch anknüpfte.

„Aber so nehmen Sie doch, lieber Mann, trinken Sie nachher ein Glas Bier dafür,” sagte eine knarrende Stimme.

„Das darf ich nicht.”

„Hm — aber eine Zigarre dürfen Sie doch jedenfalls nehmen?”

„Nein.”

„Hm — Sie sind eigentlich ein rechter Schafskopf, daß Sie sich Geld und eine gute Zigarre entgehen lassen. Was würden Sie übrigens als Posten vorm Gewehr thun, wenn Sie Jemand wirklich einen Schafskopf schelten würde?”

In diesem Augenblick trat der Rondeoffizier heraus und wandte sich mit seinem ehernsten Dienstgesicht an den hämisch lauernden alten Herrn.

„Sie haben den Posten zu bestechen versucht und ihn beleidigt. Wie heißen Sie?”

„Ich bin der Generalleutnant von Meckelburg.”

„Das kann Jeder sagen — Wachhabender!”

„Herr Leutnant!”

„Dieser Herr ist Arrestant.”

„Aber erlauben Sie,” stotterte der Alte. „Man kennt mich hier allgemein —”

„Wachhabender, kennen Sie den Herrn? — Posten, Sie?”

Ein mit Verve gesprochenes „Nein!” war die Antwort.

„Sie sehen also, man kennt Sie nicht. Im Uebrigen ist es auch mehr als unwahrscheinlich, daß ein hoher Offizier einen Posten zu strafbaren Handlungen zu verleiten sucht und ihn außerdem beleidigt.”

„Aber ich wollte den Mann doch nur prüfen. Uebrigens bin ich sofort zu rekognosziren durch meine Enkelin, die Tochter des Majors von Meckelburg, die nur ein paar Schritte voraufgegangen ist. Wir sind auf dem Wege zu einer Festlichkeit. Da kommt sie schon zurück — — Frieda!”

„Aber wo bleibst Du denn, Großpapa?” sagte das junge Mädchen befremdet, indem es nähertrat. Gleich darauf zuckte es zusammen, und das Gesichtchen überflog eine glühende Röthe.

„Aber um Gotteswillen, das ist doch Großpapa,” hauchte die Kleine, indem sie sich an den Arm des jungen Offiziers hing. „Mach' uns nicht unglücklich, Hasso.”

„Thut mir leid, gnädiges Fräulein. Nur wenn ein Offizier der Garnison mir die Angaben des Herrn bestätigt, kann ich von der Festnahme absehen.”

Dabei beharrte er unerschütterlich. Und während der zwanzig Minuten, die es dauerte, bis der Major, von seiner Tochter gerufen herbeistürzte, saß der Generalleutnant von Meckelburg, Divisionär der Zweiten, in der Wachstube. Und die Mannschaft machte dabei ein Gesicht, als wenn Jeder von ihnen einen harten Thaler und eine ganze Kiste Zigarren geschenkt bekommen hätte . . . .

Dem Major imponirte die Schneidigkeit des „Herrn von der Garde” derart, daß er ihn zum nächsten Tage zu Tisch bat. Der Schleicher aber ist nicht mehr wiedergekommen — nicht einmal zur Hochzeit.

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