Der Freiwerber

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Indiana Tribüne” vom 30.09.1905


Es war nach dem Fünfundzwanzigsten — an einem Tage also, an welchem ein gewissenhafter Leutnant nur dann noch Geld hat, wenn er so viel Zuschuß bekommt, daß er ihn beim besten Willen nicht verzehren kann.

Aber wer bekommt das? . . .

Als Robert von Köster in der Schummerstunde bei seinem Freunde Astheld eintrat, wandelten seine hoffnungsfrohen Züge sich in eine bedenkliche und enttäuschte Flunsch. Eine Weile musterte er schweigend das Souper, welches auf dem ovalen Sofatische servirt war und an dem Wolf Astheld mit anscheinend bestem Appetit sich vergnügte.

„Ist das Matjes —?”

„Nee —”

„Neue Kartoffeln —?”

„Alte —”

„Hm — — na dann kann ich ja wieder gehen. Mahlzeit.”

„Sei nicht kiesätig, Du —, und setz Dich ran. Es gibt nachher noch was Warmes.”

„Das wäre —?”

„Die drei Harzer da drüben werden eine Minute lang über die Lampe gehalten..”

Leutnant von Köster griff in die Kartoffelschüssel und bedrohte den Zyniker mit einer Handvoll Erdäpfel. Da dieselben aber sehr heiß waren, ließ er sie wieder in die Schüssel zurückgleiten.

„Ich dächte auch,” bemerkte Astheld freundlich. „Man wirft nicht herum mit der edlen Gottesgabe. Morgen Abend wird der Rest gebraten. Oder willst Du heute schon welche gebraten haben —?”

„Nein, danke. Ich habe überhaupt nicht den geringsten Appetit.”

„Na — und was hast Du sonst?”

„Nichts habe ich.”

Wolf Astheld wischte seine Finger flüchtig mit der Serviette und drückte dem Freunde über den Tisch hinweg die Hand.

„Ich auch —”

Leutnant von Köster lachte — wenn auch etwas gekniffen.

„Dann ist ja alles in schönster Ordnung. Addio.”

„Hör mal, Bob —”

„Na —?”

„Du bist eigentlich ein rechter Schafskopf.”

„Und weshalb, wenn ich fragen darf?”

„Erstens, weil Du meinst, daß ich am achtundzwanzigsten noch was haben könnte — und zweitens — — weshalb heirathest Du nicht?”

„Weil zum Heirathen drei gehören, und der Dritte es nicht zugibt.”

„Also der Herr Commerzienrath ist immer noch eigensinnig?”

„Eigensinnig ist überhaupt kein Wort. Der Mann ist ein hartgewordenes Gemenge von Cement und Glasscherben. Du lieber Himmel — und im Grunde kann ich es ihm gar nicht einmal verdenken. Mein ganzer früherer Leichtsinn steht ja bei ihm zu Buche. Ist es nicht ein scheußliches Pech, Astheld, daß ich das süße Wesen erst kennen gelernt, nachdem ich den Alten nach allen Richtungen der Windrose angepumpt —?”

„Wie man's nimmt,” erwiderte Leutnant von Astheld, indem er mit der bedächtigen Genußfreude eines Gourmands eine Kartoffel abpellte, „gemeinhin entwickeln sich aus solchen Beziehungen die solidesten Familien­verbindungen. Es gibt keine Ueberraschungen, keine peinlichen Geständnisse und dergleichen. Weißt Du — ich habe das Gefühl, als wenn Du den Herrn Rath nicht richtig anfaßtest —”

„Der —! Mein lieber Freund, der ist überhaupt nicht zu fassen. Nachdem er meine Bewerbung abgewiesen, darf ich natürlich nicht mehr in's Haus —”

„Und Fräulein Lona Ebmeyer —?”

„Liebt mich inniger denn je. Sie selbst besteht darauf, daß wir uns treffen — heimlich — bei ihrer Tante in Buchberg, die uns wohl will. Das sind immer anderthalb Stunden mit der Bahn — und anders wie erster Klasse kann ich da nicht gut anschwirren . . . .”

„Aha — und morgen ist wohl wieder der Tag?”

„Ganz recht. Hast Du nicht zwanzig Em, Astheld?”

„Dieses weniger. Dafür aber einen guten Rath: Trefft Euch wo anders. Erstens macht Ihr der guten Tante keine Unannehmlichkeiten, wenn ihre Chaperonnage einmal rauskommt — was früher oder später doch der Fall sein wird — zweitens ist auch die beste Tante unter Liebesleuten überflüssig, und drittens kannst Du Dir's billiger einrichten. Könntest Du die Kleine zu morgen noch verständigen?”

„Das allerdings, aber — —”

„So verabrede mit ihr eine Kahnfahrt auf dem Nixensee.”

„Auf dem unheimlichen Wasser hinter dem Selbstmörderfriedhof?!”

„Das ist sehr romantisch, sehr verschwiegen und kostet nichts. Außerdem kann es Dein Glück sein, Bob.”

„Mein Glück —?”

„Aus den gebrochenen Augen dieses Schusterkarpfens lese ich, daß es Dein Glück sein wird. Willst Du die Verabredung treffen?”

„Es bleibt mir im Grunde nichts anderes übrig,” seufzte Köster, „wenn Du nicht vielleicht doch zwanzig Mark . . . .”

Die Antwort war nur ein Blick, aber er genügte, um Bob von Köster in die Flucht zu jagen.

*           *           *

Commerzienrath Ebmeyer faltete die Hände über der weißen Weste, die sich nprall um das behäbige Bäuchlein legte.

„Was verschafft mir die Ehre —`”

Leutnant von Astheld entledigte sich seiner Handschuhe, legte sie in die Mütze und rückte dann auf seinem Stuhl zurecht, als wenn er sich für mindestens zwei, drei Stunden häuslich einzurichten wünsche.

„Wenn Sie zunächst beachten wollen, Herr Commerzienrath, daß ich mich mit dem Rücken nach Ihrem Geldschrank gesetzt habe — —”

Felix Ebmeyer schaute verdutzt. Dann lachte er.

„Aber Herr Leutnant —”

„Nein, bitte — das hat seine tiefe Bedeutung, die Sie freundlichst nicht verkennen wollen. Unsere Verhandlungen gewinnen dadurch an Harmlosigkeit, und Sie werden es dann auch besser verstehen, wenn ich Ihnen, dem König der Hufnagelindustrie, gegenüber den Muth der eigenen Meinung habe —”

„Sie sind gut aufgelegt, Herr Leutnant —”

„Und doch ist es mir gallebitterer Ernst, Herr Commerzienrath, wenn ich Ihnen erkläre, daß Sie ein schlechter Geschäftsmann sind.”

„Sie sind gekommen, um mir das zu sagen?”

„Und zu beweisen. Die Behandlung, welche Sie meinem Freunde und Kameraden Köster zutheil werden lassen —”

„Sie würden mich verbinden, wenn Sie Herrn Leutnant Köster in meinem Hause nicht erwähnten.”

„Das wird sich leider nicht machen lassen. Die Behandlung ist meines Erachtens eine durchaus ungeschäftliche. Wenn ich nicht irre, sitzt er mit sechzehn oder achtzehntausend Mark in Ihrem Portefeuille —”

„Aber was hat denn das — —”

„Pardon. Achtzehntausend Mark sind viel Geld bei den heutigen theuren Fleischpreisen. Selbst der Nabob von Dafur würde eine solche Summe nicht so leichtsinnig auf's Spiel setzen wie Sie. Jeder Gläubiger hat in seinem eigensten Interesse für das leibliche und geistige Wohlbefinden seines Schuldners Sorge zu tragen. Das ist eine einfache Pflicht der Selbsterhaltung. Außerdem darf der Gläubiger einer guten Gelegenheit, zu seinem Gelde zu kommen, nicht hartnäckig sich verschließen. Dazu sind solche Gelegenheiten zu selten. Wie verhalten nun Sie, Herr Commerzienrath, sich diesen augenfälligen Wahrheiten gegenüber? Es wird Ihnen die Möglichkeit geboten, das Konto Köster mit Zinsen und Zinseszinsen auszugleichen. — — Sie wollen nicht. Und damit nicht genug! Sie bringen durch Ihre Härte den Unglücklichen derart in die Verzweiflung, daß ich nicht nur für Ihr Geld, sondern auch für meinen Freund fürchte —”

„Was — was wollen Sie damit sagen?” fragte der alte Herr betroffen, indem er das Daumendrehen einstellte.

Wolf von Astheld zog die Brauen hoch und neigte den Kopf vielsagend auf die rechte Schulter.

„Herr Commerzienrath — ich wage das kaum auszudenken, geschweige denn zu sagen.”

Felix Ebmeyer sah dem jungen Offizier prüfend in's Gesicht. Ob er dort in einem Augenwinkel oder Mundfältchen den Schalk bemerkt, oder was sonst den Umschlag seiner besorgten Stimmung herbeigeführt — jedenfalls polterte er auf.

„Das ist alles Unsinn, Herr Leutnant! Ein Mensch, der so leichtsinnig ist wie Herr von Köster trägt sich überhaupt nicht mit ernsten Gedanken, geschweige denn mit solchen! Nichts wird mich dazu bestimmen, mein Kind einem Manne anzuvertrauen, der —”

„— der, ehe er ernst und regelrecht verliebt war, ein leichtsinniges Huhn gewesen ist. Ist das logisch, Herr Commerzienrath? Sind Sie immer der solide Kreissynodale, Stadt­verordneten­vorsteher u. s. w. gewesen, der Sie heute sind? Ich entsinne mich, daß mein Oheim, mit dem Sie vor dreißig Jahren bei Brown & Son in London volontirten, gelegentlich verschiedene kleine Scherze angedeutet hat, die immerhin erkennen lassen —”

„Hm — das ist doch etwas anderes,” wandte der Commerzienrath ein, indem er zwischen Lachen und Verlegenheit seine Platte kraute.

„Allerdings. Aber nur insofern, als Sie damals schon Geld genug hatten und sich für die kleinen Scherze keins zu pumpen brauchten. In den acht Monaten, seit mein Freund Köster Ihr Fräulein Tochter kennen und lieben gelernt, ist er ein völlig anderer Mensch geworden — so daß er ganz gut auch in die Kreissynode gewählt werden könnte, wenn das anginge. Hat er Sie in diesen acht Monaten ein einzigesmal angepumpt? Na also! Und als künftiger Schwiegersohn hätte er doch wirklich ein moralisches Recht dazu gehabt —

„Ich erkläre Ihnen nochmals, Herr Leutnant —”

„Bitte, erklären Sie nichts, Herr Rath, sondern lassen Sie mich ausreden. Robert von Köster richtet sich seither mit seinem kargen Zuschuß ein, so gut es geht. Er speist Abends Kartoffeln und Hering —, und zwar weder Matjeshering noch neue Kartoffeln. Er unterläßt sogar dringend nothwendige Eisenbahnfahrten, weil er sie in standesgemäßer Form nicht bestreiten kann. Kurz und gut — er ist ein Mustermensch, dem ich nicht eine, dem ich alle sechs Töchter anvertrauen würde, wenn ich sie hätte! Dazu übersehen Sie eins, Herr Commerzienrath, und zwar die Hauptsache: Fräulein Lona liebt meinen Freund Köster —”

„Sie wird sich's abgewöhnen.”

„Die Liebe ist keine Unart — wie Nagelkauen oder „mit dem Messer essen” — die man sich abgewöhnen könnte. Die Liebe ist ein Gesetz — und auf Grund dieses Gesetzes wird Fräulein Lona meinem Freunde anhangen — wie auch sein Schicksal sich erfüllt — — gleichviel ob im Leben oder im Tode . . .”

„Hören Sie mal, Herr Leutnant — Sie reden mir da schon wieder sowas — — ich mag das nicht hören. Ich bin ein nervöser Mensch — ich — —”

Wolf von Astheld zog die Brauen noch höher als vorhin und neigte den Kopf noch vielsagender auf die rechte Schulter, dann sah er nach der Uhr.

„Wissen Sie, wo Fräulein Tochter um diese Stunde sich befindet —?”

„Um Gotteswillen — was wollen Sie damit sagen? Nach Buchberg wollte sie — zu ihrer Tante —”

Leutnant von Astheld schüttelte düster den Kopf und erhob sich.

„Ist Ihr Automobil bereit, Herr Commerzienrath? Das mit den 60 HP —?”

„Es ist — — aber so erklären Sie mir doch, Herr . . .”

„Dazu ist jetzt keine Zeit. Fahren Sie mit 90 Kilometer Geschwindigkeit nach dem Nixensee —”

„Nach dem —” stotterte Felix Ebmeyer schreckensbleich.

„Nach dem Nixensee — hinter dem Selbstmörderfriedhof. Wenn Sie in zehn Minuten dort sind — —”

*           *           *

In knapp sechs Minuten hatte der Kraftwagen des Commerzienraths den Weg am See erreicht. Nicht weit vom Ufer schaukelte ein Boot auf dem Wasser, das auf den ersten Anruf zunächst sich zur Flucht wandte. Als aber der Herr unter verzweifelten Beschwörungen seinen väterlichen Segen verhieß, kehrte es zurück. Die Insassen waren zwar etwas verdutzt ob des überströmend herzlichen Empfanges — aber doch sehr, sehr glücklich.

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