Francesco.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Kaukasische Post” (Tiflis) vom 28.09.1913


Leutnant von Westerburg hatte sich einen Affen gekauft. Es war das kein Liebesmahl- oder Stammtisch-Affe, sondern ein richtiger Vierhänder; klein an Gestalt, aber groß an Tücke. Franz hieß die Kanaille. Eigentlich Francesco.

Wie Sigi Westerburg darauf gekommen war? Je nun — er vertrat den Standpunkt, daß der Königlich preußische Dienst das menschliche Leben auch bei hohem Biereifer nicht ganz ausfüllt. Es bleibt ein Rest, bei dem man sich vereinsamt und unverstanden vorkommt. Die einen füllen ihn mit Halbempfennig-Skat aus, andere mit Liebe oder Russischlernen. Sigi für seinen Teil war ein Tierfreund.

Leutnant Westerburg teilte die enge Dienstwohnung in der Kaserne mit einer großen Vogelhecke, zwei griechischen Schildkröten, einem Stachelschwein und einer beträchtlichen Anzahl von Reptilien. Oft, sehr oft entsetzten sich die Feldwebelfrauen, wenn sie auf der Treppe oder im Waschhause einer ausgekniffenen Blindschleiche oder einem Feuersalamander begegneten.

Dazu war dann noch Franz gekommen. Francesco — die Krone, die Intelligenz des Westerburgschen Tierparks.

Der Leutnant hatte ihn von einem herumziehenden Italiener erstanden, der wegen Pferdediebstahls eingesperrt werden sollte und den Affen ins Kaschott nicht mitnehmen durfte. Dreißig Mark hatte er gekostet, mit kompletter Ausstattung: einem Miniaturgewehr, einer Triangel, einem Zuavenanzug und einem roten Käppi.

Der Anzug hatte wegen zu großer Belebtheit alsbald verbrannt werden müssen. Von dem Käppi aber war Francesco unzertrennlich. Er schlief sogar damit. Sobald man es ihm nehmen wollte, brach er in ein verzweifeltes Kreischen aus und biß wütend um sich. Ueberhaupt hatte der Bursche des Offiziers stets mindestens eine Hand verbunden; manchmal beide und häufig auch die Nase.

Leutnant von Westerburg schickte den Burschen schließlich zur Erholung in die Front zurück und nahm einen anderen, mehr tierfreundlichen, der bei Hagenbeck Wärter gewesen war. Unter dessen verständiger Behandlung und Anleitung kamen Franzens Talente zu voller Blüte. Er aß und trank manierlich, hörte auf die Kommandos „Stillgestanden!” und „Rührt Euch!” und trat überhaupt so gesittet auf, daß ihm nach und nach etwas mehr Freiheit gelassen werden konnte.

Leider führte das zu einem peinlichen Zwischenfall.

Das Regiment stand zur Besichtigung auf dem weiten, auch als Exerzierplatz dienenden Kasernenhof. Unter den Klängen des Präsentiermarsches war Se. Exzellenz in kurzem Backäppel-Galopp herangeritten, hatte „Guten Morgen, Grenadiere!” gesagt und vor der Front Aufstellung genommen.

Eben begann er, nach alter Gewohnheit, in einer merkigen Ansprache über Zweck und Bedeutung dieses Tages sich zu äußern, als sein Fliegenschimmel nach hinten wütend auskeilte. Wegen eines rheumatischen Leidens längs der roten Generalsstreifen saß Exzellenz nicht mehr so sicher zu Pferde wie in jüngeren Jahren. Er fiel seinem Schlachtroß um den Hals und dann dem Adjutanten in die Arme, der ihn behutsam niedergleiten ließ und auf die Beine stellte.

Auf dem freigewordenen Sattel nahm — Francesco Platz. Bis dahin hatte er sich am Schweif des Gauls festgehalten und dadurch dessen Unwillen erregt. Nun war das Pferd ruhig, und Francesco schwelgte ungestört in alten lieben Erinnerungen: Er grüßte nach allen Seiten durch Anlegen der Pfote an sein Käppi, klimperte auf der Triangel und zielte mit seinem Gewehrchen auf das in starrem Entsetzen stillstehende Herz des Regimentskommandeurs.

Alle Versuche, ihn zu entfernen, wies der Affe unter Beißem und gellendem Gekreisch zurück, und er wurde ob der Unvernunft dieser Menschen schließlich so aufgeregt, daß er selbst seinem Freunde, dem Burschen, der endlich herbeistürzte, feindlich begegnete. Wild fletschte er die Zähne und kratzte sich zornig am ganzen Fell. Erst als Leutnant von Westerburg die Truppenaufstellung, von der alle Bande frommer Scheu gewichen waren, verließ, und zu Hilfe eilte, war Francesco zu bändigen. Auf das Kommando „Stillgestanden!” riß er die Knochen zusammen und ließ sich steif wie eine Buddhafigur forttragen.

Dieser Zwischenfall hatte unterschiedliche Folgen. Se. Exzellenz nahm wegen Kränklichkeit seinen Abschied, der Regimentskommandeur kam an die äußerste Grenze von Lothringen, der Bursche erhielt drei Tage und Leutnant von Westerburg neben einem Klecks in der Führungsliste den dienstlichen Befehl, den Affen abzuschaffen.

Wer da meint, daß Sigi Westerburg damit am glimpflichsten abgekommen sei, der irrt. Der Gedanke, sich von Francesco trennen zu müssen, war für ihn niederschmetternd, gar nicht auszudenken — Und diese Seelennot machte in dreist und erfinderisch.

Er erwirkte die Erlaubnis, die Kasernenwohnung verlassen und „privat” ziehen zu dürfen. Er mietete das ganze Obergeschoß einer leeren entlegenen Vorstadtvilla, wo seine Menagerie ausreichend Platz hatte, wo keine Besichtigungen abgehalten wurden und nicht jeden Augenblick eine Feldwebelfrau aus tiefer Ohnmacht geweckt werden mußte. Der Bursche wurde vereidigt. Und während Francesco in einem Zimmer seine munteren Possen trieb, verbreitete Leutnant von Westerburg im Kasino das Gerücht, der Affe sei nach dem Ritt auf dem Fliegenschimmel des Generals größenwahnsinnig geworden und habe, in Ermangelung einer Nervenheilanstalt für Vierhänder, der Abdeckerei überwiesen werden müssen.

Das weltferne Vorstadtidyll dauerte fünf Wochen.

Eines Morgens, als Sigi Westerburg zum Dienst wollte, war er unangenehm berührt durch zwei riesige Möbelwagen, die vor der Tür hielten. Vorsichtshalber ging er noch einmal hinauf, um seinen „Burschen” zu instruieren.

„Wissen Sie übrigens vieleicht, wer da unten einzieht?”

„B'fehl, Herr Leutnant. Unser neuer Herr Oberst.”

Westerburg stutzte zurück, daß er um ein Haar sein Stachelschwein totgetreten hätte.

„Herr du meines Lebens in der Welt!” stöhnte er in sich hinein. „Ausgerechnet hierher muß der Mann ziehen!”

Nun begriff er auch, weshalb der neue Herr ihm vor ein paar Tagen bei Tisch zugetrunken — „auf gute Nachbarschaft.”

Er erteilte dem Burschen Verhaltungsmaßregeln von drakonischer Strenge. Für jede Eidechse, die er weglaufen lasse, werde er gerädert, und wenn gar der Affe auskommen sollte, dann werde der Bursche gevierteilt und partienweise mit Heringslake begossen.

Schließlich ging Sigi Westerburg noch selbst zu seinem Schwarm, um ihn liebevoll zu ermahnen. Francesco saß artig da und kämmte sich, eine Beschäftigung, der er stundenlang oblag und die ihn ganz friedlich stimmte. Der Leutnant schloß die Tür, steckte den Schlüssel zu sich und ging, nun erst einigermaßen beruhigt, von dannen.

Nach beendetem Dienst aß er im Kasino und fuhr dann mit der Elektrischen heim. Um der Kommandeursfamilie, die nun wohl auch schon eingetroffen war, nicht gleich in die Arme zu laufen, nahm er den Weg durch den Garten. Als er aus dem Parkgebüsch heraustrat und freien Ausblick auf das Haus hatte, traute er seinen Augen nicht.

Eine Schneelandschaft — —

Im Mai, bei völlig heiterem Himmel und Bärenhitze, ein richtiges Schneetreiben! Große weiße Flocken stoben in dichtem Tanze durch die Luft und umwirbelten eine alte und fünf junge Damen, die händeringend zum Dach der Gartenterrasse hinaufschauten. Auf dem Dache turnten der Herr Oberst und zwei Burschen umher und suchten jemand.

Gräßlicher Ahnungenvoll, schlich Sigi Westerburg nach oben.

Francesco war in seiner Klausur die Zeit lang geworden. Er hatte das Fenster aufgeriegelt und hinabgespäht — was er schon oft getan. Diesmal aber dräute nicht das harte Wellblechdach der Terrasse, sondern es lockte eine lange Doppelreihe schöner, weicher, blühweißer Kissen, die zum Sonnen ausgebreitet waren. Solche Lager wußte Francesco zu schätzen. Er wagte den zwei, drei Meter tiefen Sprung und sielte sich behaglich umher. Als ihm auch das langweilig wurde, suchte er den Inhalt der Kissen zu ergründen. Mit seinen Zähnen riß er hier ein Loch und da ein Loch. Die geschäftigen Pfoten erweiterten die Risse zu klaffenden Oeffnungen und streuten den flaumigen Inhalt umher. Das andere besorgte der Wind. — Als die Kommandeursfamilie auf das winterliche Schauspiel aufmerksam wurde, hatte sich Francesco beim Ausladen mit allen vieren in ein großes Federbett so tief eingewühlt, daß er den Ausgang nicht mehr finden konnte und elendiglich erstickte.

Sein tiefgebeugter Herr empfing alsbald einen kurzen Besuch des Herrn Oberst. Nachdem dieser gegangen war, ließ Sigi Westerburg seinen Zylinderhut zur Stelle bringen und sauber ausbürsten. —

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