Der Fliegen-Graf.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Mitausche Zeitung” vom 20.08.1905


„'n Abend, Conte, Allmächtiger, ist das duster bei Ihnen! Lassen Sie sich nicht stören — ich — — ich — Donnerwetter, was ist denn das!?”

Leutnant v. Cawell bemühte sich verzweifelt, ein zäh-klebriges Band zu entfernen, das mit seiner Nase eine ebenso plötzliche wie innige Berührung gefunden. Je mehr Finger er anlegte, desto mehr backten fest — und er wäre gewiß nicht losgekommen, wenn Graf Enno Zierach den Kameraden nicht befreit hätte. Das Band zog Fäden wie Parmesankäse, als es losgelöst wurde.

„Entschuldigen Sie, lieber Freund — aber Sie sind so schnell eingetreten, daß ich Sie nicht habe warnen können. Bleiben Sie einen Augenblick ruhig stehen. Ich werde einen Fenstervorhang zurückziehen, damit Sie sehen können und sich nicht noch einmal fangen —”

Nachdem die Abendsonne Eingang gefunden, schaute Leutnant v. Cawell verdutzt umher. Vom Plafond hing ein ganzes Netzwerk klebriger Bänder und Fäden herab. Auf Tischen, Etageren usw. eine Unzahl großer, spitzer Papierdüten — strotzend von blankem, honigfarbenem Klebstoff. Auf den Fensterbrettern Giftpapier und Glasglocken mit Aether.

„Was — was ist denn hier los . . . . .”

„Nichts, als daß ich mich gegen Fliegen schütze — gegen diese eigensinnigsten, heimtückischsten und gefährlichsten Bestien, die der liebe Gott im Zorn erschaffen. Sehen Sie bloß an, wie das Geschmeiß munter wird, nachdem es hell geworden. Im Dunkeln ist es doch etwas mehr zurückhaltend.”

„Ja — haben Sie denn gar so viel davon?”

„Vielleicht nicht mehr als andere Menschen, Ich habe wohl nur eine intensivere Abneigung gegen diese entsetzlichen Plagegeister — überhaupt gegen alles, was Insekt ist. Dieses surrende, krabbelnde, stechende Viehzeug macht mich nervös bis zur Tobsucht. Ich fürchte mich davor, wahrhaftigen Gott! Ich will einem Löwen, einem Auerochsen mit blankem Degen zu Leibe gehen — da weiß man wenigstens, woran man ist. Entweder erlege ich das Tier, oder es erlegt mich. Gegen Fliegen, Mücken und dergleichen aber führt der Mensch einen unberechenbaren Kampf. Ihre Heimtücke ist ohnegleichen. Ich habe ihnen hier gewiß reichlich Gelegenheit geboten, sich umzubringen — anstatt aber an den Bändern und Düten festzubacken, im Aether zu ersaufen oder Gift zu schlucken, ziehen sie es vor, auf meiner Platte Picknick zu veranstalten. Und wenn wirklich sich ein paar Luder fangen — die Ueberlebenden genügen vollständig, um einen rasend zu machen. Schauen Sie mal dahin, Cawell — dort, bitte — — da steht mein Abendbrot; ein paar einfache Schinkenstullen. Nicht einmal Käse ist dabei. Dennoch ist das Viehzeug wie gebannt darüber her. Gleich daneben steht noch eine Schinkenstulle, die ich ein nwenig mit Fliegenleim präparierte. Ueberzeugen Sie sich selbst: das Geschmeiß bevorzugt Schinkenstullen ohne Fliegenleim. Ist das nun Instinkt oder bewußte Tücke —!”

Leutnant v. Cawell, der immer noch an seiner Nase und an den Fingern herumwischte, schüttelte lachend den Kopf.

„Ich will Ihnen mal was sagen, Conte. Mit diesen geflügelten Menschenfeinden ist es wie mit allem anderen kleinen Ungemach des Lebens. Je mehr man davon hermacht, desto schwerer empfindet man's. Versuchen Sie mal, eine Fliege, die Sie martert, mit Verachtung zu strafen, Sie werden sehen —”

Der Graf zuckte ärgerlich die Achseln.

„Sie reden, wie Sie das verstehen, mein Lieber. Ich bin nervös. Ich habe nicht das Talent, es gleichmütig zu dulden, wenn mir pro Sekunde zwei Dutzend Stecknadeln in die Kopfhaut gebohrt werden. Der zweite Ribberg, mit dem ich auf Kriegsschule war, ist so einem Biest zum Opfer gefallen. Ein giftiges Insekt hat ihn gestochen. Nach drei Tagen war's aus. Ein Bruder meiner Braut, die seither auch meine Furcht und Abneigung teilt, ist aus gleichem Anlaß mit dem Verlust des Daumens der linken Hand davongekommen. Das sind Tatsachen. Sehen Sie mal — die Fliege, die da an Ihrem Schnurrbart Klimmzüge gemacht hat und nun in Ihrer Nase Verstecken spielen will, kann vorher auf einer Marzipantorte gesessen haben; ebenso gut aber auch auf etwas anderem — auf dem ungefähren Gegenteil davon. Und so was soll man sich ins Gesicht kommen lassen? Nee, mein Lieber. Da ich noch leben will und beide Daumen notwendig brauche, führe ich Krieg mit dieser Brut — Krieg!”

Wie zur Bestätigung dieses Kriegszustandes ergriff er eine Fliegenklatsche und führte einen gewaltigen Schlag gegen die beiden Schinkenstullen. Nachdem er mit Befriedigung konstatiert, daß eine erkleckliche Anzahl der Plagetiere auf der Strecke geblieben, wandte er sich wieder seinem Koffer zu, den er für die morgige Ausreise ins Manöver packte.

Leutnant v. Cawell ließ sich — da er nicht wieder irgendwo ankleben wollte — auf den untersten Schubkasten einer ausgeräumten Kommode nieder. Das Thema gab er auf. Es war ihm inzwischen eingefallen, daß dem Kameraden, der erst vor zwei Monaten zum Füsilier-Bataillon gekommen, der Spitzname „Fliegen-Graf” voraufgegangen war. Dieser Name fand hier seine auskömmliche Bestätigung. Er lenkte also ab.

„Eigentlich bin ich nur gekommen, um Ihnen zu danken, daß Ihr Bursche mich in den persönlichen Grafenstand erhoben hat . . .”

Enno Zierach sah einen Moment verständnislos auf. Dann nickte er vor sich hin und packte sorglich zwei Moskitonetze ein — mit dem Gesichte eines Menschen, dem die befremdlichsten Mirakel dieser Welt nichts mehr anhaben können.

„Ich habe ihn im Vorbeigehen gefragt,” fuhr Herr v. Cawell fort, „ob Sie zu Hause sind und was Sie machen. Darauf hat er mich ziemlich vernünftig beschieden, aber immerlos „Herr Graf” zu mir gesagt. — Das scheint sie nicht einmal wunderzunehmen — —”

„Nicht im geringsten.”

Enno Zierach warf ein paar Stiefel, die sich nicht mehr unterbringen ließen, beiseite und zwar mit viel größerer Wucht, als zur Entfernung dieser Gegenstände notwendig war. Dennoch klang es nicht gereizt, sondern ganz ruhig und gefaßt, als er fortfuht:

Was ist denn da zu verwundern, mein Lieber? Im Sinne meines braven Mirschkowiak ist das so selbstverständlich wie die Sonne. Da es nun einmal dienstlich hergebracht ist, daß unsereiner nicht Leutnant, sondern Graf angeredet wird, was ich beiläufig für Unfug halte, so habe ich das dem Kerl natürlich einbläuen müssen. Er hat es schließlich auch kapiert, mit der Maßgabe jedoch, daß er von Stund an alle Leutnants Graf nennt. Seine Logik funktioniert dabei etwa folgendermaßen: Der Staarmatz ist ein Vogel, die Amsel ist auch ein Vogel, folglich ist jede Amsel ein Staarmatz. Beweisen Sie ihm das Gegenteil.”

„Ein tüchtiger Mann!”

„Außerordentlich. Der Kerl ist eine Fliege, nur daß man ihn nicht totschlagen kann. Vorgestern passiert mir folgendes: er kommt rein und meldet, 'n Mensch ist draußen. Was denn für ein Mensch? Na 'n Mensch. Da aus dem Himmelhund nicht mehr rauszubringen war, geh ich selber nachschauen. Wer ist's? Meine Tante, die hochnäsigste, die ich habe, eine geborene Prinzeß Radow! Die bezeichnet er wie seine podolischen Bauerntrinas als „ein Mensch”. Zwei Stunden habe ich mich hinterher mit dem Trottel abgerackert, um ihm das Melden beizubringen. Und ich bin wirklich gespannt, was er davon —”

Ein energisches Pochen an der Tür. Ohne das Herein abzuwarten, schob sich die vierschrötige Gestalt des Füsiliers Stanislaw Mirschkowiak ins Zimmer. Sein Antlitz glühte vor Aufregung und er mußte erst ein paarmal Luft schnappen, ehe er herausbrachte:

„Ich habe die Erre, dem Herrn Schorrstenfegger zu mellden.”

Seine kantigen, blonden Züge verklärten sich, als wäre ihm die Lösung einer Preisaufgabe gelungen.

Leutnant v. Cawell lachte hell auf. Der Graf erhob sich stöhnend und wies mit beiden Händen auf seinen Stanislaw.

„Na, was sagen Sie zu diesem Heupferd? Habe ich zuviel gesagt? Ist Ihnen so eine Fliege schon vorgekommen? — Herrgott, Kerl, ich — — —”

Er bezwang sich und schob die geballten Fäuste in die Hosentaschen.

„Scheeren Sie sich raus oder es gibt ein Unglück! Hier — die Butterbrode mitnehmen! Fressen Sie sie meinetwegen auf und ersticken Sie dran! — Himmlischer Vater, ist das ein Mensch — ist das ein Mensch!” rief Enno Zierach händeringend, nachdem der Bursche das Zimmer verlassen. „Wenn ich mit dem Mensch in leidlicher Gesundheit die Manöver überstehe! — — — — Allmächtiger — mir fällt eben ein — der ist imstande und frißt auch die Fliegenleimstulle . . . Mirschkowiak!” brüllte er in den Flur hinaus.

Es dauerte eine Weile, bis ein dumpfes Grunzen Antwort gab. Als der Bursche dann in die Tür trat, sah man, daß die schlimmsten Befürchtungen sich bereits erfüllt. Stanislaw würgte, daß ihm die Augen aus dem Kopf traten. Ein Stück Schinken klebte fest an den blonden Bartstoppeln unterhalb der Nase. Ein anderes suchte er mit beiden Händen aus dem Gehege seiner Zähne zu reißen — eine Operation, die aber erst unter Assistenz der beiden Offiziere glückte.

Leutnant v. Cawell verabschiedete sich unter heftigem Seitenstechen. Er kehrte jedoch sofort noch einmal zurück und steckte den Kopf in die Tür.

„Sagen Sie mal, Conte — was haben Sie in der braunen Feldflasche?”

„Verdünnten Salmiak gegen Mücken.”

„Na dann schicken Sie Ihren Mirschkowiak mal gleich zum Arzt. Er hat eben einen tüchtigen Hieb davon genommen und nun tränen ihm die Augen in eine fürchterliche Maulsperre hinein . . .”

— — —

Die Füsiliere hatten sich mit den anderen Bataillonen vereinigt und den ersten Manövermarsch im Regimentsverbande hinter sich.

Es war um Mittag und eine Tropenhitze. Ehe der Herr Oberst das Regiment in die Dorfquartiere entließ, hatte er seinen Herren Offizieren noch verschiedenes mitzuteilen. Und da er gewohnt war, in solchem Falle ungeteilter Aufmerksamkeit zu begegnen, mußte es ihn befremden, daß der Leutnant Graf Zierach garnicht aufmerksam war. Er schielte auf beiden Augen und schnitt eine Menge der verschiedenartigsten Grimassen.

Der Oberst unterbrach seine Rede und winkte sich den Leutnant näher heran.

„Sagen Sie mal, Herr Graf — wollen Sie sich hier vor meinen sichtlichen Augen zum Mimiker ausbilden oder was haben Sie sonst?”

„Verzeihen, Herr Oberst, eine Wespe umschwirrt mich.”

„Eine Wespe! Wahrhaftig! Immer noch! I Donnerwetter — das ist aber furchtbar gefährlich! Was werden Sie machen, Herr Graf, wenn Ihnen im Ernstfalle die Schrapnells um die Nase schwirren? Wenn Sie dann auch solche Gesichter schneiden, ist Ihr Zug geliefert — denn Ihre Leute werden sich totlachen. Damit Sie Ihre, mir übrigens bereits bekannte Abneigung gegen Insekten verlieren, werden wir mit den Quartieren tauschen. ich wohne im Dorfkrug, wo Sie reichlich Gelegenheit haben werden, sich mit den verschiedensten Tierchen zu befreunden.”

Der Oberst hatte nicht zu viel versprochen.

Als Enno Zierach sein Zimmer betrat, prallte er vor dem Gesurre und Gesumme, das ihn empfing, zurück. Er sah sich tausenden seiner gefürchtetsten Feinde gegenüber.

„Mirschkowiak!” schrie er, indem er auf den Flur hinaus flüchtete. „Fliegen fangen! Sofort Fliegen fangen! Und so viel Sie irgend erwischen können! Für hundert Stück eine Mark! Ich gehe inzwischen essen.”

Nach einer halben Stunde kehrte er zurück. Aber das Getier war nicht weniger geworden — und Mirschkowiak war auch nicht vorhanden. Erst nach wiederholtem Rufen kam er grinsend über den Hof, sein Kochgeschirr vorsichtig in beiden Händen.

„Kerl, wo haben Sie gesteckt! Sie sollten doch —”

„Habb ich, Herr Leitnant, habb ich! Waren hier in Stube bloße ganze kleine Dingerchens. Habb ich große gefangen — im Ferdestall. Hier, Herr Leitnant.”

Damit öffnete er das Kochgeschirr — — und eine Legion ausgewachsener Pferdebremsen surrten dem Unglücklichen um die Ohren.

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