Feuerzauber

Von Teo von Torn.
in: „Neues Wiener Journal” vom 21.04.1905


Familie und Ingesinde des Herrn Karol v. Pilaw-Piorkowski zu Kempno waren auf der großen, mit weißem Sand und Kalmus bestreuten Diele versammelt und folgten dem Akte der österlichen Wurst- und Schinkenweihe in gebührlicher Andacht.

Nur die kleine, vierzehnjährige Sempronia Piorkowska war nicht recht bei der Sache. Ueberhaupt ein heilloser Balg, die Sempronia. Wohl hielt auch sie die Hände gefaltet, bekreuzte sich und sagte Amen, wo es sich gehörte, aber es lag keine Sammlung darin. Die schwarzen, listigen Spitzbubenaugen suchten Kurzweil — und eine Situation, in der Sempronia Piorkowska nichts Unterhaltsames gefunden hätte, gab es gar nicht.

Szymon, der Vogt, hatte weiße Hosen an und kniete auf einem Stück frischen Kalmus. Wahrscheinlich würde der Szymon beim Aufstehen einen grünen Fleck haben, und da er ein jähzorniger Mensch war, so würde er wahrscheinlich „psia krew” fluchen, trotz der Gegenwart des hochwürdigen Herrn. Und darüber freute sie sich.

Dann der Walenty drüben — der verfressene Walenty. Wie er nach den geweihten Essensherrlichkeiten gierte! Alle Augenblicke lief ihm das Maul voll Wasser, und dann schluckte er so heftig, daß es in der feierlichen Stille ordentlich zu hören war. Wenn Augen Zähne hätten und einen Schlund — nicht eine Schwarte wäre mehr von dem großen Schinken übrig, obwohl die Fasten erst morgen nach dem Hochamte zu Ende gingen. Sie nahm sich vor, den Walenty nachher mit einem handlichen Stück Knoblauchwurst in Versuchung zu bringen. Auch darauf freute sie sich.

Schließlich wurde ihre Aufmerksamkeit dauernd an das irisierende Tröpfchen gefesselt, das dem alten Küster an der äußersten Nasenspitze hing, so lange sie denken konnte. Da sie dicht neben dem Alten stand, bot sich eine gute Gelegenheit,einmal festzustellen, ob es immer das nämliche Tröpfchen war oder ob es sich gelegentlich erneuerte. Als sie wieder den Arm hob, um sich zu bekreuzen, stieß sie ihn an — wie aus Versehen. Der Alte wackelte bedrohlich und verschülperte auch einiges aus dem schweren Weihwasserkessel, den er in den zitternden Händen hielt; das Tröpfchen aber blieb und veränderte nur ein wenig sein Farbenspiel.

Zu einem zweiten Versuche kam es nicht, da Sempronia einen mißbilligenden Blick aus den tiefen, melancholischen Augen der Vrona auffing, ihrer älteren Schwester. Auch war mit dem Eiersegen die fromme Handlung zu Ende. Nach Urväter Sitte schnitt der Hausherr ein hartgekochtes Ei in so viele Stückchen, als Menschen anwesend waren, und bot jedem ein Teilchen dar. Obwohl Herr von Piorkowski genau gezählt hatte, blieb für den Walenty und den buckligen Antek nichts übrig. Er hatte nicht darauf geachtet, daß die Sempronia sich drei Stückchen angeeignet hatte.

Die Hofleute verließen unter Handküssen und tiefen Bücklingen die Diele. Der Küster zog sein rotes Schnupftuch — ein Tuch, das nach seiner Größe die Mitte hielt zwischen Serviette und Bettlaken — breitete es auf den Fußboden aus und empfing darin sein Deputat an Wurst, Eiern und Osterstollen. Es gab so reichlich, daß der Alte beim Einknüpfen eine Träne der Rührung verlor. Sempronia konstatierte mit Befriedigung, daß gleich wieder ein neues Tränchen sich sammelte.

Pfarrer und Gutsherr hatten vor der Haustür, in dem von frischem Grün umsponnenen laubenartigen Vorbau Platz genommen. Die Gläser mit dem goldhellen, würzig duftenden Ungar klangen aneinander. Karol Piorkowski trank nachdenklich und ohne rechtes Behagen — ganz gegen seine Gewohnheit.

„Es ist gut, daß Ihr da seid, Hochwürden. Es geschieht jetzt allerhand Verwunderliches in meinem Hause. So wahr ich Gott liebe — höchst verwunderliche Geschichten. Habt Ihr bemerkt, wie das Ei nicht zureichte vorhin?”

„Ihr werdet euch verzählt haben, Panie Piorkowski.”

Der Gutsherr schüttelte den Kopf.

„Ich habe vierzehn Stückchen geschnitten. Das nehme ich auf meine Seligkeit. Ich habe mich hier ebenso wenig verzählt, wie vorige Woche mit meinem Geld —”

„Hat da auch etwas gefehlt?”

Karol Piorkowski schüttelte wiederum den Kopf. Dann legte er die schwere, bis über die Fingerknöchel behaarte Hand auf den Arm des Geistlichen und raunte:

„Es war mehr.”

„Ist wohl nicht möglich!”

„Wie ich Ihnen sage. Ich soll gleich hier vom Stuhl fallen und — — — jeßmaria, nein, ich darf so was gar nicht herreden! Verflucht vorsehen muß ich mich — denn es geht alles in Erfüllung, was ich sage. Vorige Woche schreibt mir der Leyser aus Filehne, daß er kommen würde, um die fälligen Hypothekenzinsen abzuholen. Ich bin furchtbar wütend, weil erst vierzehn Tage über die Zeit ist — und bei dem Rumschimpfen sage ich so zu mir: wenn du doch bloß die fehlenden achtzig Taler hättest, dann könntest du den zudringlichen Kerl mal ordentlich heimschicken! Wie nach ein paar Tagen der Leyser kommt, bin ich sehr komplisant, weil ich doch wegen der achtzig Taler um Frist bitten mußte. Ich zähle auf, zähle immer weiter — mir stehen die Haare zu Berge — die achtzig Taler sind da, das Geld ist komplett. Ich war so vor den Kopf geschlagen, daß ich nicht einmal daran gedacht habe, dem Leyer grob zu werden . . .”

„Hm — — — und Ihr sid sicher, Panie Piorkowski, daß Ihr das Geld nicht gehavt habt?” fragte der geistliche Herr verdutzt.

„So sicher, wie ich weiß, daß ich das Fäßchen Rum nicht gekauft habe, was seit vier Tagen bei mir in der Speisekammer liegt. Ich habe bloß einmal geäußert, daß ich wohl gern von dem vorzüglichen Rum hätte, den ich am Sonntag Palmarum beim Boderek in Filehne getrunken. In dem Fäßchen ist der nämliche gute Rum, und kein Mensch weiß, wie er in die Kammer gekommen. Geht das mit rechten Dingen zu?”

„Es geht mit rechten Dingen zu. Was wir im Augenblick nicht begreifen, findet mit der Zeit seine Aufklärung. Wenn die Vorsehung euch auf irgend einem unbekannten Wege Wohltaten schickt, so genießet sie dankbaren Herzens und zeiget euch dessen würdig. Habt ihr dem Szreb geschrieben?”

„Nein.”

„Es ist Osterzeit, Panie Piorkowski. Ich habe euch ernstlich ermahnt, daß ihr euren Zorn unserm Herrn und Heilande zum Opfer bringen sollt, der morgen seine Auferstehung feiert —”

„Nein, Hochwürden. Das kann der liebe Gott nicht von mir verlangen. Eher würde ich mich mit dem Wojciech Wroblewski vertragen, mit diesem Schweinhund, der mir die beiden dämpfigen Schinder aufgehängt hat. Mit dem Szreb aber? Nein. Solch ein Kerl, der bei meinem seligen Vater noch die Schafe gehütet hat, der nicht lesen und nicht schreiben kann und so dumm ist, daß ihn die Gänse beißen — solch ein Kerl wagt es, mich zu beleidigen!? Mich und mein Kind!? Ich habe mich damals lange genug gesträubt gegen die Verlobung. Und wenn die Szrebs metzenweise das Geld aus ihren Kiesgruben holen — sie bleiben immer die Szrebs und wir die Piorkowski!”

„Schon recht. Aber der alte Szreb kann doch nichts für den Vorfall. Er ist unglücklich über eure Feindschaft und hat dem heiligen Aloysius schon zehn Pfund Wachs geopfert wegen einer Fürbitte, auf daß Ihr wieder gut werden möchtet —”

„Ich werde zwanzig opfern, auf daß ihn der Donner schlage!”

„Ihr lästert, Panie Piorkowski! Der Himmel könnte euch strafen. Nicht die Szrebs — Ihr selbst habt doch das Verlöbnis der Vrona mkit dem Xawery aufgehoben.”

„Jawohl. Nachdem das Hundeblut, anstatt vom Militär nach Hause zu kommen und Hochzeit zu machen, wie es die Abrede war, einen Brief geschrieben hat, daß ihn das Vaterland rufe! Ausgerechnet den Xawery Szreb ruft das Vaterland, weil es ohne ihn nicht fertig werden kann mit den Herero. Nachdem er nun heimgekommen ist — und als Krüppel, wie ich höre — soll er auch sein Vaterland heiraten und glücklich mit ihm sein. Die Vrona mag ihn nicht mehr und ich erst recht nicht.”

Der Pfarrer stand auf und verabschiedete sich kühl.

„Ihr scheint nicht sehen zu wollen, wie euer Kind dahinsiecht in seinem Herzenskummer. Es ist euch also nicht zu helfen. Gelobt sei Jesus Christus.”

„In Ewigkeit Amen.”

Karol Piorkowski saß noch eine Weile und zerwühlte das spärliche graue Haar mit beiden Händen. Daß die Vrona litt, wußte er wohl. Aber trug er die Schuld? Schuld allein hatten die Hundeseelen — die da drüben — —

Er schüttelte die Faust in der Richtung, wo jenseits der Brachwiesen und der Fohlenkoppeln das Szrebsche Anwesen lag. Dabei stieß er einen Fluch hervor, eine Verwünschung — so wild und bösartig, daß er selbst davor erschrak und sich umschaute, ob niemand ihn gehört.

*           *           *

„Habt Ihr mir das Osterei mitgebracht, Vater Szreb?”

„Ja, mein Täubchen, ein schönes, großes, zuckernes Ei, mit einem Guckloch drin — genau, wie du es dir gewünscht hast. Und das neue Kummetgeschirr, das dein Vater sich gewünscht hat, ist in der Stadt bestellt —”

Sempronia Piorkowski nickte zufrieden.

„So wird bald alles gut werden.”

„Die heilige Mutter gebe es, mein Täubchen. Der Xawery will nach Amerika. Trotz seines zerschossenen Armes. Gleich nach dem Fest. Er hat mir heute erklärt, daß es ihn nicht mehr litte in der Heimat — unter diesen Umständen. Wenn er ginge, das wäre mein Tod. So lass' es denn gut werden, Sempronchen. Ich flehe dich an. Lass' es bald gut werden —”

„Noch heute Nacht, wenn Ihr genau befolgt, was ich euch sage.”

„Alles werde ich tun! Du weißt es!”

„Ihr müßt den Feuerzauber wirken lassen. Schaut nicht so dumm, Vater Szreb. Ich werde euch erklären, was das ist. Um Mitternacht sprecht Ihr ein Vaterunser und den Englischen Gruß. Dann tragt Ihr alles zusammen, was an Holz und Reisig vorhanden ist, schichtet es zu einem großen Haufen und zündet es an. Solbald die Flammen hoch aufschlagen, geht Ihr immer umschichtig dreimal rechts und dreimal links um das Feuer und ruft: „Karol komm'!”

„Heilige Mutter! Und du meinst, daß er dann kommen wird?”

„Er kommt. Und die Vrona wird auch kommen. Sowie Ihr mich aber mit einem Wort verratet, Vater Szreb, ist der ganze Zauber des Osterfeuers zunicht.”

„Wie kannst du so etwas sprechen, mein Täubchen! An mir soll es nicht liegen. Ich tue alles, damit der Xawery die Vrona bekommt und nicht nach Amerika geht. Alles tue ich.”

Sempronia bedang sich schnell noch für den Fall des Gelingens ein goldenes Herzchen aus — dann schlängelte sich die Zauberin wie ein Wiesel an den schützenden Knicks entlang nach Hause.

*           *           *

Oster-Nacht . . .

Antony Szreb war noch nicht ein dutzendmal um den Flammenhügel gelaufen, als im Dorfe die Feuerglocken aufwimmerten.

Einer der ersten, die heranstürmten, war Herr Karol von Piorkowski. Barhaupt und ohne Schuhe. Die grauen Haarsträhnen hingen ihm wirr in das schreckensbleiche Gesicht. Er achtete nicht darauf, daß die Vrona ihm gefolgt und ohne weiteres dem Xawery in den gesunden Arm gefallen war. Als Herr von Piorkowski sich überzeugt, daß nicht das Gehöft brannte — wie er es am Nachmittag in seinem hellen Zorne gewünscht — sondern nur ein großer Haufen Holz, den der alte Szreb wie ein Verrückter umhüpfte, warf er sich auf beide Knie

Inbrünstig dankte er der Vorsehung, daß sie diesmal nicht ganz so genau auf seine Worte gehört — wie bei dem guten Rum und den achtzig Talern, die der Leyser in Filehne zu bekommen hatte.

— — —