Humoreske von Teo von Torn.
in: „Mährisches Tagblatt” vom 10.10.1902,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 12.10.1902,
in: „Leipziger Tageblatt” vom 12.10.1902,
in: „Libausche Zeitung” vom 25.08.1904
„Herrje! Fritz Ramblow —! Bist Du denn schon in Bonn, Junge? Fünf Tage vor Semesteranfang —!? Es geschehen Zeichen und Wunder! Na, grüß Dich Gott, mein Sohn — und leg ab. Das nenne ich eine Ueberraschung!”
Während der alte Weingutsbesitzer Schädler sich in diesen Interjectionen erging und dem Gaste einmal über das andere die Hand schüttelte, machte der Studiosus jur. et cam. Fritz von Ramblow eine Verbeugung über die andere, und auf seinem blonden Gesichte flaggten abwechselnd Freude und Verlegenheit.
Der alte Herr nahm ihm den modisch hellen Ueberzieher ab und die blaue, goldgeränderte Mütze der Marchen. Dann schob er ihn mit sanfter Gewalt rückwärts auf einen Stuhl.
„Nu complimntire nicht, Bengel, wie der Ziegenbock vor der Egge, sondern setz' Dich mal und erzähl', wie es Deinem Alten geht, wie es Dir geht, wie es in unserem schönen Mecklenburg ausschaut und was es sonst Neues giebt!”
Damit setzte sich Christian Schädler dem Sohne seines einstigen Gutsnachbarn und besten Freundes gegenüber, klopfte ihm kräftig aufs Bein und legte sich dann behaglich in seinen Sessel zurück.
Fritz Ramblow wiegte den Oberkörper immer noch wie in Verbeugungen, rieb sich mit der Rechten das Knie, während die Linke an der blaßblonden Schonung oberhalb der Mundwinkel zupfte. Er lachte ein paar Mal kurz und stoßweise, um dann wie unter einer plötzlichen Eingebung herauszufahren:
„Papa läßt auch vielmals grüßen!”
„Vielen Dank, mein Jung. Na, und wie steht's sonst zu Hause? Alles im Loth?”
„Alles, lieber Onkel. Bloß mit den Rambouillets, sagt Vater, wäre das nicht so geworden, wie er sich das gedacht hätte. Ob ihnen unsere Weide nicht bekommt, oder — —”
„Sieh so —” lachte der alte Herr, „da ist es Papa'n gegangen wie oll' Steffanen von Mederitz, Unkel Bräsigs Nachbar; der hat seinen „Rambulljetts” Regenröcke und Unterhosen machen lassen, damit sie sich nicht verkühlen. Sowas kommt aber immer von der verfluchtigen neumodischen Wirthschaft. Ja, glaubst Du denn, Jung, ich hätte meinen angestammten mecklenburgischen Mutterboden verlassen und wär' hier Wingertsmann geworden auf meine alten Tage, wenn nicht — — — na, laß, sonst red' ich mich wieder in Zorn, und das gehört nicht zu solch einer festlichen Gelegenheit, wie der Besuch von Fritze Ramblow — fünf Tage vor Semesteranfang! Was machst Du denn schon in Bonn?”
„Eigentlich — hm —” stotterte der Student erröthend, indem er auf seinem Stuhl herumrutschte und vorsichtig an seinem linear gezogenen Scheitel entlang fühlte, „eigentlich bin ich noch gar nicht in Bonn —”
„Nanu — aber wo hast Du denn da Deine Sachen?”
„Auf der Station in Dricksheim — weißt Du — — ich wollte erst mal fragen, ob ich hier vielleicht auf die paar Tage — —”
Christian Schädler verzog sein breites gesundes Obotritengesicht zu einer listigen Grimasse. Er zog die Augenbrauen hoch und pfiff leise durch die Zähne.
„Sieh so —” sagte er und nickte bedächtig mit dem Kopf. „Natürlich kannst Du hier bleiben, so lange Du willst, Fritz Ramblow. Das ist selbstredend. Du bist mein Pathenkind — aber ein sackermentscher Windhund bist Du außerdem! Weshalb sagst Du nicht die Wahrheit, he!? Wes — halb — sagst — Du — nicht — die — Wahr — heit, Triddelfritz infamigter!” rief der alte Herr lauter, indem er sich erhob, seinen Gast bei beiden Ohren ergriff und ihn schüttelte.
„Onkel Schädler — au! — ich — —”
„Ich will Dir ganz genau sagen, was los ist! Eine Woche vor'm Semester hast Du Dich endlich getraut, Deinem Alten die Bären beizubringen, die Du in Bonn drüben angebunden hast. — Sei still, Bengel, wenn ich mit Dir rede! — Das ist dann meinem Freunde Ramblow, wie ich ihn kenne, sehr aufgefallen — wo das bare Geld in Mecklenburg überhaupt 'n büschen knapp hält, wenn man nicht gerade ein Oertzen oder der Ivenacker Plessen ist.(1) Da Dir Vater nun nicht gut die Jacke vollhauen kann, weil Du so ein langer Laatsch bist und außerdem schon die Farben trägst, die er auch mal getragen hat, so giebt es nur zwei Möglichkeiten: entweder hat er Dich in der ersten Hitz rausgeschmissen und Du bist nun sozusagen obdachlos, oder er hat Dir einen Schweinehund geblasen, daß du selber losgezogen bist. Stimmt das nu oder nicht?”
„Nicht ganz, Onkel Schädler,” erwiderte der Student, indem er in die ihm hingehaltene Cigarrenkiste griff. „Ich habe allerdings tüchtig Einen reingewürgt gekriegt — wegen der Schneiderrechnung besonders — aber das war auszuhalten. Ich bin ein paar Tage früher gekommen, um — — aber müßte ich nicht zunächst den Damen guten Tag sagen?”
„Nee — zunächst sag mir mal, welcher Wind Dich so vorzeitig hergeweht hat!”
Fritze Ramblow hielt das Streichholz an seine Cigarre, legte den Kopf etwas auf die Seite und sog andächtig. Erst als er das Hölzchen ausschlenkerte, erwiderte er wie beiläufig:
„Gott — eigentlich nichts Besonderes. Ich — na ja — ich wollt' bloß gern mal bei der Weinernte zugegen sein. Ihr müßt doch nun bald anfangen mit dem Herbsten, nicht wahr?”
„Jaaaa — das wohl,” sagte der alte Herr gedehnt, indem er keinen Blick seiner lustig zwinkenden Augen von dem Studenten ließ, dem das merklich genirlich war. „Wir haben gerad heute nachmittag Gemeinderathssitzung — und da werde ich natürlich dafür stimmen, daß die Weinberge schon morgen geöffnet werden, weil Du Dir doch das Herbsten mal ansehen möchtest, Fritze Ramblow. Vorläufig aber sag mir mal erst, wieviel brauchst Du, he? Mach's kurz und schmerzlos!”
„Aber Onkel Schädler — wenn ich Dir doch sage! Ich bin diesmal wirklich nicht gekommen, Dich anzupumpen! Ich wollte Dich bloß mal wiedersehen — und dann auch die Weinernte und — — aber wird es nun nicht wirklich Zeit, daß ich die Damen begrüße —?”
„Junge, was hast Du denn heute immer mit den Damens!? Was für Damens!? Tante Schädler ist bei der Pfarrerin im Dorf; die wirst Du bald genug begrüßen. Na und die Federweiße — — —”
Christian Schädler unterbrach sich, um wiederum die Augenbrauen hochzuziehen und außerdem noch zu einer richtigen Maulsperre einzusetzen.
Der junge Gast war über und über roth geworden, so roth, daß die dünnen blonden Augenbrauen ihm ordentlich wie weiße Striche auf der Stirn standen. Er hatte die Cigarre verkehrt in den Mund gesteckt, ohne aber viel davon herzumachen. Er spuckte nur ein weniges und trat dann ans Fenster.
Auf den jovialen Zügen des alten Herrn malte sich nach und nach ein tiefes Verständniß.
„Also die Federweiße —” nickte er vor sich hin. „Sieh so — kiekst Du aus diese Luke? Hör mal, Fritze Ramblow!” sagte er dann laut.
„Onkel Schädler —?”
„Ich habe Dir noch gar nicht erzählt, mein Jung, daß die Federweiße seit drei Wochen hier ist — will sich auch das Herbsten mit ansehen — jawohl.”
„Die Federweiße —? Wer — — ich kann mich im Augenblick nicht entsinnen.”
„So'n Schwindler!” lachte der alte Herr in sich hinein. Laut sagte er: „Ach so. Na, dann will ich Dir das erklären, mein Sohn. Feder, weil sie noch eine kleine Gans ist, so ein lüttes Kücken von kaum sechzehn; und weiße, weil sie noch immer mit Vorliebe helle Kleidchen trägt, wie früher, wo sie einen gewissen Fritz Ramblow immer durchgewichst hat, wenn er mal nicht genau so gewollt hat, wie sie gewollt hat. Richtig heißt die Federweiße Lisa — — Lisa Block, Tochter des verwittweten Steuerraths Block aus Malchin — und weshalb ich sie noch Federweiße nenne, das kann ich Dir im Augenblick nicht sagen, weil ich sie eben kommen höre — —”
Die Thür wurde aufgerissen, und ein reizendes Backfischköpfchen mit hellblitzenden neugierigen Augen lugte herein.
„Richtig!” rief die Kleine, indem sie hineinflitzte, „da hat der Hein doch recht gesehen. Na, das ist man schön, daß Du's bist, Fritz! Guten Tag, Fritz!”
„Guten Tag, gnädiges Fräulein. Ich bin glücklich, Sie zufällig —”
„Hast Du gehört, Onkel Schädler? Gnädiges Fräulein hat er gesagt. Also immer noch der nämliche Etepetete-Schmachtlappen wie früher. Und Du hast gemeint, daß er sich gebessert hat. Der und ändern! Na ich danke! Nee — — in so 'nem spitzen Gigerlwinkel geb ich Dir die Hand nicht. Ueberhaupt nicht, wenn Du so weiter herumgnädigst! Also guten Tag. Und nu sei mal vernünftig, Fritz — den gräßlichen hohen Kragen mußt Du auch ablegen — und dann machen wir hier eine fidele Kiste auf! Bleibst Du lange hier?”
„Nur bis zum Semesteranfang, Fräulein —”
„So. Na, Du wirst was zugeben. Uebrigens, wenn Du es vergessen haben solltest, ich heiße —”
„Federweiße!” warf der alte Herr schmunzelnd ein .
„Ach Du!” schalt das junge Mädchen. Und dann zu Fritz Ramblow gewandt: „Daß Du Dich nicht unterstehst, mich mal so zu nennen. Das könnte Dir schlecht bekommen.” Sie nickte ihm ernst zu und musterte dann den tödtlich verlegenen großen Menschen von Kopf bis zu Fuß. „Uebrigens — Du hast Dich garnicht zu Deinem Vortheil verändert. Du bist so lang und staaksig geworden. Dann der unausstehliche Kragen — und den Scheitel ziehst Du Dir wohl immer mit einem Lineal, was? Schöner bist Du wirklich nicht geworden in den anderthalb Jahren. Aber das macht ja nichts. Wenn Du folgsam bist, werden wir uns ganz gut vertragen. Nun komm mal erst mit, damit ich Dir den Kirschbaum zeige, der seit gestern noch einmal ausgeschlagen hat!”
Sie nahm den Jugendfreund ohne Weiteres beim Rockärmel und fegte mit ihm davon.
Der alte Herr trat ans Fenster und sah ihnen lächelnd nach.
„Und abermals beginnt Fritze Ramblows Martyrium,” sagte er vor sich hin. „Daß sich der große Bengel das gefallen läßt! Und dann auch noch extra früh kommt, weil er weiß, daß die sackermentsche Deern hier ist. Sollte da doch was Ernstes in dem Jungen vorgehen — —?”
* * *
Etwas sehr Ernstes. Etwas Trauriges sogar.
Die Federweiße war mit Tante Schädler in die Stadt gefahren, um noch zwei neue Ladfässer zu bestellen. Sie müsse den langweiligen Menschen, den Fritz, mal auf einen Nachmittag los werden, hatte sie gesagt, als sie sich zum Mitfahren entschlossen.
Onkel Christian hatte ihr zwar vorgehalten, daß Fritz Ramblow morgen schon zur Universität abreise. Aber sie hatte nur einen ganz flüchtigen Augenblick gestutzt und gesagt: „Das wird er nicht machen — und wenn er's doch macht, na — dann ist's noch so!” Damit war sie weggefahren ohne Gruß und Adieu.
Und daß sie das gethan, darüber kam Fritz Ramblow nicht weg. Er saß trübselig auf einer Bütte in Onkel Schädlers Keller und sah gedankenlos zu, wie die gemosterten Trauben in die Kelter kamen. Er schrak ordentlich zusammen, als der alte Herr plötzlich seine Schulter berührte und ihm ein Glas hinhielt:
„Hier trink mal, mein Sohn! Und dann setz' Dich wo anders hin, damit Du mir nicht aus Kummer in die Bütte fällst. Trink! Wenn Du dann noch ein zweites Glas davon hinter der — Dunnerlichting, Du trägst ja jetzt einen ganz niedrigen Kragen — hinter der Binde hast, dann machst Du keine solchen näßlichen Augen mehr. Weißt Du übrigens, was das ist, Fritze Ramblow? Das ist der Federweiße! Der Federweiße! Der junge Most in der zweiten Gährung — ein äußerst kribbeliges und unbekömmliches Getränk. Der zehnte kann es nicht vertragen. Aber wenn der Federweiße erst ausgegohren hat, dann wird er so mild, so zart und blumig, daß einem das Herz aufgeht bei jedem Schluck. Das vollzieht sich aber nicht von Mittwoch auf Donnerstag, Fritze Ramblow, verstehst Du mich? Das will seine Zeit haben. Das muß sich ausarbeiten. Prost!”
„Ach Onkel Schädler — wenn Du wüßtest — —”
„Ich weiß schon, mein Jung, weiß schon. Aber da Du doch als Studiosus im dritten Semester, der sich überdies kein Bein ausreißt mit der Juristerei, meines Wissens kein festes Gehalt beziehst und mit Schuster und Schneider noch auf meinen Freund Ramblow zu Plützhagen im Teterow'schen einigermaßen angewiesen bist, so mein' ich, hast Du reichlich Zeit, abzuwarten, bis der Federweiße und die Federweiße blumig geworden sind. Hast mich verstanden, Fritze Ramblow?”
Dieser hatte begriffen und wollte dem alten Herrn eben einen Kuß geben, als sich die Kellerluke plötzlich verdunkelte.
„Onkel Schädler!”
„Herrje! Bist schon wieder da, Federwiße?”
„Ja. Das Fahren war auch langweilig, und da bin ich unterwegs wieder abgestiegen. Sag mal, Onkel Schädler —”
„Na, Federweiße?”
„Meinst, daß er morgen wirklich fährt — — —?”
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Fußnoten:
Der Textteil von „wo das bare Geld” bis „Ivenacker Plessen ist” ist in der Fassung des „Rostocker Anzeigers” nicht vorhanden. Würde dieser Text in Mecklenburg selbst vielleicht Anstoß erregt haben? [D.Hrsgb.]
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