Dur und Moll.

Eine Skizze aus dem Soldatenleben von Teo von Torn (Eberswalde).
in: „Trierische Landeszeitung” vom 14.08.1900,
in: „General-Anzeiger Altona” vom 19.08.1900,
in: „Indiana Tribüne” vom 16.09.1900,
in: „Leipziger Tageblatt” vom 20.09.1900,
in: „Scranton Wochenblatt” vom 20.11.1900


„Herr Hauptmann von Mikutschalski, ich muß doch sehr bitten, daß Sie den Fähnrich von Mikutschalski etwas mehr zusammennehmen. Das geht ab-so-lut nicht weiter so. Der Mann wird von Tag zu Tag schlapper — und ich muß mich sehr wundern, Herr Hauptmann, se-h-r wundern, daß Sie das nicht zu sehen scheinen!”

Der Hauptmann machte ein Gesicht, als wenn er Verschiedenes einzuwenden hätte; oder richtiger: er hatte so ein Gesicht. Ohne daß er den Mund aufmachte, lag immer etwas wie eine Erwiderung auf seinen Zügen. Und da ihm dieser Naturfehler bereits tausend Unannehmlichkeiten bereitet hatte, beeilte er sich, zu sagen, was selbst ein Hauptmann einem Vorgesetzten einzig zu sagen berechtigt ist, nämlich:

„Zu Befehl!”

Und es war auch die höchste Zeit. Der Herr Major japste bereits auf, um zu einem noch heftigeren Schlage auf den Hut auszuholen, und außerdem trat der Herr Oberst heran.

Er hatte zwar Alles gehört — ja der Hauptmann von Mikutschalski schwur innerlich siebzehn heilige Eide, daß er den Anpfiff überhaupt bloß der Nähe des hohen Chefs zu verdanken habe, aber der Herr Oberst ließ davon nichts merken. So harmlos wie etwa ein guter Schauspieler Nathans Geschichte von den drei Ringen beginnen würde, bemerkte er:

„Ich glaube zu errathen, worüber die Herren sich unterhalten. Es handelt sich um den Fähnrich von Mikutschalski, nicht wahr? Es kann sich nur um diesen handeln — denn ich muß Ihnen gestehen, Herr Hauptmann von Mikutschalski: dieser Fähnrich, welcher Ihren Namen trägt, ist unmöglich, militärisch un-möglich, wenn Sie ihn nicht ganz anders herannehmen. Es ist ja menschlich, wenn Sie — aber die militärische Erziehung ist ja gerade dazu da, um die allgemeinen menschlichen Unvollkommenheiten auszugleichen. Und ich nehme an, Herr Hauptmann, Sie sind erzogen. Sehen Sie mal, es ist noch gar nicht so lange her — kaum zwanzig Jahre — da hätte ich beinahe meinen eigenen Sohn — bedenken Sie, Herr Hauptmann von Mikutschalski, meinen eigenen Sohn! — kurz vor Kriegsschule eingesperrt und ihm damit die Karriere abgeschnitten! Und so muß es auch sein. Der königliche Dienst ist uns Vater und Mutter, Sohn und Bruder, Vetter und Neffe — Alles! Sie haben mich verstanden, Herr Hauptmann von Mikutschalski?”

Der Unglückliche machte wieder das Gesicht, das er hatte, aber noch schneller als vorhin entrang sich dem Gehege seiner fest zusammengebissenen Zähne:

„Zu Befehl, Herr Oberst!”

„Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann.” Der Oberst legte zwei Finger seiner schlohweiß behandschuhten Rechten an den Mützenschirm, der Major desgleichen, und der Hauptmann war entlassen — gerade rechtzeitig, als die ersten äußeren Merkmale des unrühmlichen Erstickungstodes sich bemerkbar machen wollten. Ein fauchendes Ausathmen wie von einem, der zu lange unter Wasser gewesen, ein zwei-, dreimaliges heftiges Schlucken — und der Aermste war wieder außer Lebensgefahr.

Sein erster Blick galt instinktiv Demjenigen, der ihn in diese Gefahr gebracht.

In einer Ecke des Kasernenhofes war der Sergeant Suckow bemüht, den Fähnrich v. Mikutschalski mit den intimen Reizen jener Thätigkeit vertraut zu machen, die der Soldat unter der Bezeichnung „Griffekloppen” kennt und schätzt. Seit einer Stunde schon. Leider verliert auch das Interessanteste den Anreiz, wenn es im Uebermaß genossen wird — und so machte der Fähnrich seine Sache anstatt besser immer schlechter. Die zwischen den einzelnen Kommando's eingeflochtene Kritik des Sergeanten wurde immer blumiger — und als der tobende Instrukteur von dem heranschnaufenden Hauptmann Sukkurs erhielt, hatte der ermüdete Fähnrich gerade das Pech, bei „Gewehr ab!” sich die Schußwaffe auf einen Leichdorn zu schlagen. Eine solche Berührung hat meist zur Folge, daß man unwillkürlich das beschädigte Glied emporzieht und den Mund öffnet. Leider unterlag auch der Fähnrich dieser Reflexwirkung und er bot — wenn auch nur für ein paar Sekunden — das Bild eines kranken Storches.

„Sergeant!” keuchte der Hauptmann; „haben Sie das gesehen!?”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann!”

„Und Sie versinken bei einem solchen Resultat achttägigen Uebens nicht sechs Klafter in die Erde?”

Der Instrukteur erwiderte nichts, aber der Seitenblick, mit dem er sein Erziehungsobjekt streifte, sagte deutlich, daß er die Höllenfahrt nur in Begleitung des Fähnrichs anzutreten gewillt sei — und dann in beschleunigtem Tempo.

„Treten Sie weg!” schrie ihn der Hauptmann grimmig an. „Wir sprechen uns weiter.”

Nachdem der Sergeant in einer Kehrtwendung den Kasernenhof hatte erdröhnen machen, trat der Hauptmann so dicht an den Fähnrich heran, daß dieser unwillkürlich zurückzuppte, wobei ihm der Helm auf die Augen rutschte.

„Stillgestanden!! Herr!! Wenn ich mit Ihnen rede! Wo sind Sie her?”

„Aus Gorce bei Posen.”

„Was ist Ihr Vater?”

„Rittergutsbesitzer.”

„Ihr Großvater?”

„Auch.”

„Ihr Urgroßvater?”

„Todt.”

„Herr!! Ich will wissen, was er gewesen ist!!”

„Ebenfalls Landwirth, Herr Hauptmann.”

„Und Sie kennen keinen Zweig Ihrer Familie, der im Hannöverschen ansässig ist?”

„Nein, Herr Hauptmann.”

„Was führen Sie im Wappen?”

„Ein schräggstelltes silbernes Beil in rothem Feld.”

„Aber dann sind wir ja nicht die Spur verwandt!”

„Nein, Herr Hauptmann.”

„Wie kommen Sie denn aber zu meinem Namen, Herr!!” schrie der Kompagniechef in höchstem Zorn, „Mikutschalski ist doch nicht Lehmann oder Schulze, zum Teufel, daß man alle Nase lang auf Jemanden stößt, der auch so heißt! — Jedenfalls habe ich keine Lust, Sie auf meinem Verwandtschaftskonto zu führen, verstanden! Ich werde suchen, Sie mir abzuschieben, Herr! Bis dahin aber werden Sie geschliffen, daß Sie sich auf unserem Planeten nicht mehr auskennen sollen —”

*           *           *

Als der Oberst zum Mittagessen nach Hause kam, trat ihm seine Frau schon im Entree entgegen.

„Denke Dir, Männchen,” rief sie strahlend,, „ich habe einen Brief von Emmy!”

„Emmy — Emmy — —?” brummte der Oberst vor sich hin. „Wer ist denn das?”

„Aber Karl — Du kennst die Frau Deines Korps-Kommandeurs nicht?”

Der Oberst hatte Mütze und Säbel dem bereitstehenden Burschen übergeben und folgte seiner Frau in's Wohnzimmer. Er blickte doch etwas interessirt, als seine Frau ihm den duftenden Briefbogen unter die Nase hielt.

„Also die —,” sagte er; „war ja wohl Deine Pensionsfreundin —”

„Allerdings — und sehr intim waren wir! Sie schreibt heute noch ››Liebste Cläre‹‹! Denke Dir —!”

„Hm — das ist sehr hübsch von Excellenz. Und was schreibt sie?”

„Sie bittet mich in entzückend liebenswürdiger Form, daß wir uns ihres Neffen ein wenig annehmen möchten, des Fähnrichs von Mikutschalski —”

„Hm —”

„Natürlich nur gesellschaftlich, verstehst Du. Er sei noch so jung und ein Bischen unbeholfen. Und sie verspricht sich sehr viel von dem erziehlichen Einfluß ››meiner herzgewinnenden Art‹‹. Genau so steht es da — denke Dir!”

„Hm —”

„Schließlich bittet sie mich, sie recht bald durch ein paar liebe Zeilen zu beglücken. ››Beglücken‹‹, Karl!”

„Hm —”

Weiter sagte der Herr Oberst nichts, aber er löffelte seine Suppe sehr nachdenklich, und er hatte auch nichts dagegen, als seine Gattin vorschlug, den Fähnrich v. Mikutschalski für nächsten Sonnabend zu Tisch zu laden.

*           *           *

„Nun, Herr Major?”

„Wollte mir nur gehorsamst die Anfrage gestatten, Herr Oberst, ob es nicht zweckmäßig wäre, den Fähnrich von der dritten Kompagnie zur ersten zu geben — oder besser, einem anderen Bataillon zuzutheilen —”

„Mein lieber Herr Major — was innerhalb des Regiments zweckmäßig ist oder nicht, das entscheide ich gern selbst. Ich möchte Ihnen übrigens bei dieser Gelegenheit sagen, daß die kleinen Schwierigkeiten, die sich bei der militärischen Erziehung innerhalb Ihres Bataillons ergeben, in der Hauptsache wohl an Ihnen selbst liegen. Sehen Sie, lieber Herr Major, die Schärfe thut's nicht allein. Man muß sich sein Menschenmaterial ansehen. Es ist doch evident, daß der Fähnrich von Mikutschalski — übrigens ein Neffe Seiner Excellenz des Herrn kommndirenden Generals — noch s-e-h-r jung und etwas unbeholfen ist. So was muß doch in Rücksicht gezogen werden! Man darf solchem jungen Menschen nicht die Liebe zur Waffe nehmen, Schneid und Wohlwollen in richtiger Mischung — das ist das Rechte. Ich hoffe, ja, ich erwarte, Herr Major, sehr bald Gutes, recht Gutes von dem Fähnrich zu hören. Ich danken Ihnen, Herr Major!”

Als der verblüffte Bataillonschef etwas tiefsinnig noch die Treppe zu seinen heimischen Penaten erporklomm, stieß er auf den Hauptmann seiner Dritten.

„Sie kommen mir gerade recht, Herr Hauptmann. Bitte, treten Sie ein.”

„Ich wollte gehorsamst wegen des Fähnrichs von Mikutschalski — —”

„So, so.”

„Wenn der Herr Major mir gütigst vorweg die Bemerkung gestatten wollten, daß ich mit dem Fähnrich weder verwandt noch verschwägert — —”

Er unterbrach sich, denn der Major hatte sein Glas eingeklemmt und schüttelte mit unverkennbarer Mißbilligung den Kopf.

„Ich sollte meinen, Herr Hauptmann, daß man nicht zwölf oder dreizehn Jahre Offizier zu sein braucht, um zu wissen, daß in der Armee Verwandtschaft oder Schwägerschaft ganz außer Frage kommen. Das ist doch selbstverständlich. Aber beiläufig bemerkt, muß ich mich s-e-h-r wundern, Herr Hauptmann, daß Sie einem älteren und, wie ich wohl sagen darf, stets wohlwollenden Kameraden gegenüber von Ihren Familienbeziehungen zu Seiner Excellenz dem Herrn kommandirenden General unseres Armekorps geflissentlich nie etwas haben verlauten lassen. Ich möchte das für ein Symptom jener Verschlossenheit halten, unter der im Grunde auch die Ausbildung Ihrer Kompagnie leidet. Ein Vorgesetzter kann stramme Manneszucht halten, aber er muß dabei auch ein offenes Herz beziehungsweise wohlmeinende Güte zeigen. Und ich kann mich nicht genug wundern, wie Sie das, selbst einem — ich weiß nicht, ob näheren oder entfernteren Angehörigen gegenüber, so gänzlich außer Auge lassen können. Ich halte Das für ein mißliches Zeichen, Herr Hauptmann. Seine Excellenz hat seinen Neffen nicht zu uns gegeben, um die Freude an der Waffe in ihm abzutödten. ich wünsche also, daß Sie mir binnen acht Tagen Erfreuliches — und zwar nur Erfreuliches über den Fähnrich zu melden haben werden. Anderenfalls möchte ich glauben, daß Sie Ihrer Aufgabe nicht ganz gewachsen sind. Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann!”

War der Major tiefsinnig, so lenkte der Hauptmann passiv und mechanisch wie ein Nachtwandler seine Schritte zum Kasernenhof. Und sein verstörtes Antlitz gewann erst wieder Leben und Verständniß, als er das Toben des Sergeanten Suckow hörte und den unglücklichen Fähnrich in einer dauerhaften tiefen Kniebeuge verharren sah.

„Sergeant!” donnerte der Hauptmann den wuthschwitzenden Instrukteur zu sich. „Sagen Sie mal, sind Sie verrückt geworden!” hauchte er den Herangetretenen an. „Als ich Sie vor einer Stunde verließ, übten Sie tiefe Kniebeuge, und jetzt noch?”

„Der Herr Hauptmann hatten befohlen, ich solle fortfahren —”

„So? Und besteht der Königliche Dienst nur aus tiefer Kniebeuge? — Ich will Ihnen 'mal was sagen, Suckow, Sie scheinen mir eine s-e-h-r rohe Natur und direkt zu Mißhandlungen geniegt. Ich warne Sie, Suckow, warne Sie ernstlich! Sowie ich das Geringste merke, sind Sie geliefert. Wenn Sie schon einen künftigen Offizier so behandeln, dann möchte ich mal sehen, was Sie mit den Bauernjungen aufstellen. Aber ich werde Sie im Auge behalten, — merken Sie sich das! Wegtreten!”

Sergeant Suckow stampfte ab. Der Fähnrich v. Mikutschalski aber glaubte in einen Traumzustand hineingedrillt worden zu sein, als der Hauptmann ihn mit den Worten entließ:

„Kommen Sie nachher ins Kasino, Fähnrich. Auf eine Flasche Kalten zur Stärkung! Wissen Sie — — und verwandt müssen wir doch miteinander sein; Mikutschalski ist doch schließlich nicht Lehmann oder Schulze, zum Teufel!”

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