Der Drilling.

Humoreske vonTeo von Torn
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 28.11.1902


In die Frühherbsttage kurz vor der Eröffnung der Hasenjagd fällt der Geburtstag meines alten Freundes Wendelin Romeike, und der war ein Jäger vor dem Herrn, wie es keinen zweiten gab.

Kein Anderer konnte so ehrlich wüthen und so verächtlich „Pfui Has'!” fluchen, wenn man etwas sagte oder that, was mit dem Vocabularium oder der Praxis des edlen Gewaid nicht ganz übereinstimmte.

Aber so genau er es mit St. Hubert und seinen Ordensregeln nahm — Alles, was es sonst an Wissenschaften gab, war für ihn nicht auf der Welt. Seinen Namen schrieb er nur, nachdem er sich die Joppe ausgezogen und die Hemdärmel aufgekrempelt hatte; auch dann schwitzte er noch. Es war einer der Paradewitze meines Vaters: Wie Wendelin Romeike um seine erste Stelle als gräflicher Revierförster gekommen war — — —

Erlaucht wollte eine Treibjagd ansagen. Zuvor aber erkundigte er sich bei seinem Wildheger nach dem Bestande. „Sagen Sie mal, äh, lieber Romeike — was haben Sie eigentlich an Reh- und Schwarzwild im Revier, he?” — „Tjä, Herr Graf, das is man nich so leicht zu sagen,” erwiderte der biedere Waidmann, indem er sich nachdenklich hinterm Ohr kraute. — „Aber, Herrrr!” schrie der Graf ärgerlich. „Das ist doch ein Skandal! So 'was muß doch ein Forstmann wissen! Wozu sind Sie denn da! Ich verlange, daß Sie mir sofort den Bestand vermelden — ungefähr, wieviel, praeter propter! Na!” — „Tjä . . .” stotterte der Eingeschüchterte. „Wenn Se's durchaus wissen wollem, Herr Graf; es können wohl so an Stücker zehn Praeters und drei Propters sein!” — Seine Erlaucht fühlten sich geuzt, und Wendelin Romeike flog auf die Rüben.

*           *           *

Wir saßen beim Nachmittagskaffee um den Geburtstagstisch. Inmitten der Kannen und Tassen und der Quadratruthen Streuselkuchen, welche die rundliche Frau Försterin aufgefahren hatte, prangte ein mächtiger Strauß Astern. Wendelin Romeike hatte die neuen Morgenschuhe, welche sein Töchterchen ihm zum Wiegenfeste gestickt, an den Füßen und liebäugelte von Zeit zu Zeit mit den prächtig bunten Farben derselben.

Trotzdem schien es mir, als ob eine rechte Feststimmung nicht aufkommen wollte. Und das konnte nicht blos daran liegen, daß ein Fuchs in der verflossenen Nacht abermals ein Paar hoffnungsvolle Minorkaküken aus dem Hühnerstalle sich geholt hatte. Hannchen Romeike hatte unverkennbar verheulte Augen — und wenn die Frau Försterin, welche geschäftig im Hause umhertrudelte, wieder auf eine kleine Weile am Tisch erschien, so betrachtete sie ihren Alten mit einem Gemisch von Vorwurf und Resignation.

Das war unbehaglich, und auch Wendelin schien das zu empfinden. Die Unterhaltung stockte — und um sie wieder in Fluß zu bringen, erkundigte ich mich nach den gemeinsamen Bekannten.

„Vor allen Dingen, wie geht es Ihrem Freunde Hurtzig, lieber Herr Förster?”

Wenn eine Bombe mitten zwischen die Astern und den Streuselkuchen geschlagen wäre, ihre Wirkung hätte nicht drastischer sein können, als die meiner harmlosen Frage. Fräulein Hannchen sprang mit einem Schrei auf und machte Miene, mir den Mund zuzuhalten; da das aber zu spät war, preßte sie die Händchen gegen die heißen Wangen und sah angstvoll auf ihren Vater. Dieser hatte sich auch erhoben und blitzte mich unter den weißen buschigen Brauen wild an.

„Was!?” schrie er, indem er mit den Knöcheln der geballten Linken auf den Tisch schlug. „Dieser Wilddieb infamigte, dieser Aasjäger — mein Freund!?”

„Aber lieber Romeike — —”

„Pfui Has'! Das durften Sie mir nicht anthun! An meinem Geburtstage nicht!”

Gleich darauf beruhigte er sich und war ein bischen genirt. Er mochte meinem verblüfften Gesichte angesehen haben, daß mir sein Zorn ein böhmischer Wald war, und eben schickte er sich an, mir zu erzählen, was der alte Hurtzig für ein „infamigter Kerl!” war — und weshalb zwischen Karle Hurtzig und Hannchen nichts werden konnte, als die Frau Försterin aufgeregt ins Zimmer stürzte.

„Der Fuchs! Wendelin — der Fuchs!!”

„Wo, zum Donnerwetter!” rief der alte Herr, indem er die Pfeife auf den Tisch warf und die Büchsflinte von der Wand riß.

„Hinterm Backhaus sitzt er und schielt nach dem Taubenschlag!” erklärte die kleine Frau athemlos.

In dem Augenblick war Wendelin Romeike auch schon draußen und pürschte sich an das auf freiem Felde, mitten zwischen dem Försterhause und dem Walde liegende Backhaus heran. So lange er hinter dem Gartenzaun gedeckt blieb, hatte der rothe Räuber keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr. Die freche Spitzbubenvisage etwas schräg haltend, äugte er begehrlich nach den Tauben. Plötzlich zuckte er zusammen und zog die Ruthe ein, sichernd schürrte er ein paar Schritte rückwärts, um gleich darauf in voller Flucht nach dem Walde abzuziehen —

Ptsch — ! Der Schuß versagte. Ein Kernfluch — und in der nächsten Sekunde raste Wendelin Romeike auf den neuen Geburtstagsschuhen hinter Reinecke her. Es giebt Momente, wo auch der waidgerechte Jägersmann den Kopf verliert. Nur dadurch war das zu erklären, was sich nun ereignete. Anstatt neu zu laden und mit den Hunden die Verfolgung aufzunehmen, preschte der alte Herr wie ein durchgehendes Pferd hinter dem Raubzeug her — und als Reinecke sich eben in den Wald hinein empfehlen wollte, streifte Wendelin blitzschnell einen seiner Buntgestickten ab und schleuderte ihn blindwüthig nach dem abfahrenden Fuchs.

Da — vom Walde her ein Schuß! Reinecke überkugelte sich und blieb im Feuer.

Ehe Wendelin sich von der neuen Ueberraschung erholt, stand er seinem Todfeinde, dem Gutsbesitzer August Hurtzig, gegenüber.

Der Förster machte ein Gesicht, als wenn er etwas schlechtes röche — aber er faßte sich sofort und war trotz der einseitigen Bekleidung seiner unteren Extremitäten, im Dienst.

„Sie haben geschossen, Herr — —”

„Jawohl —” erwiderte August Hurtzig gemüthlich, „und zwar nicht mnit einem Latschen, sondern mit einem richtigen Schießgewehr.”

„Pfui Has'! Oh Du infamigter Kerl!” knirschte Wendelin, indem er sich verstört nach seinem Geburtstagsschuh umsah.

„Ihre Jagdkarte!” herrschte er den Landwirth an.

„Hier, Wendelin,” erwiderte der Andere seelenruhig, indem er die Karte vorwies. „Du hast sie mir selbst besorgt, und deshalb wird wohl alles in Ordnung sein. Aber da wir gerade so gemüthlich beisammen sind, Wendelin —”

„Den Teufel sind wir! Außerdem bin ich für Sie der Förster Romeike! Verstanden !?”

„Schön — also Du bist der Förster Romeike. Aber da Du man blos einen Schuh anhast, nehme ich an, daß Du nicht in Dienst bist, und deshalb kann ich Dir ruhig sagen, Wendelin, was für ein großes Heupferd Du bist. Seit ich mir im Winter den faulen Witz mit der braunen Pudelmütze gemacht habe, die ich an 'ner Strippe über den Schnee zoddelte und die Du für einen Wolf angesprochen hast, spielen Dir reinweg Flöhe im Gehirn. Alle Aasjägereien in Deinem Revier soll ich treiben —”

„Treibst Du auch, Du infamigter Kerl!” schrie der alte Herr. „Wer hat denn die prächtige Hirschkuh hingeludert, was!?”

„Ich nicht, Wendelin. Ich habe Dir bewiesen, daß die Kugel nicht in meine Büchse paßt.”

„So — und Du glaubst, ich wüßte nicht, daß Du noch einen Drilling zu Hause hast!”

„Du bist verrückt, Wendelin; ich habe keinen Drilling!”

„Doch hast Du einen!” keuchte der Förster. „Der Schmied Wolczyk vom Dorf hat es mir gesteckt!”

„So, so, der Wolczyk! Na dann will ich's nur sagen — mir fällt eben ein, Wendelin, ich habe doch einen Drilling. Ich gratulire Dir zu Deinem Geburtstag und zu diesem Geständniß, Wendelin.”

Ein triumphirendes Ah entrang sich den bärtigen Lippen des Försters. In demselben Moment faßte er einen Plan, den „infamigten Kerl” zu fangen.

„Weißt Du, August,” sagte er mit einer gewissen diplomatischen Freundlichkeit, „Dir soll Alles verziehen sein — wenn Du Deinen Drilling schickst!”

„Was willst Du damit?”

„Nichts Besonderes, blos mal anschauen, August.”

Der Landwirth that, als wenn er überlegte. Dann erklärte er entschlossen: „Na, schön — also ich schicke Dir den Drilling. Und dann ist alles vergessen?”

„Alles.”

„Auch die Pudelmütze?”

„Auch die —” erwiderte der Förster, mit einem Gesicht allerdings, als würge er an etwas.

„Gut denn; in einer Stunde ist mein Drilling bei Dir. Adjüs, Wendelin — und verkühl Dir nicht die Pfote, wo Du keinen Schuh drauf hast. Du neigst sowieso ein bischen zu Rheumatismus.”

*           *           *

Es war noch nicht ganz eine Stunde verflossen und mein Freund Romeike hatte mir lange noch nicht alle Schandthaten von August Hurtzig mitgetheilt, als die Thür aufging — und Hannchen mit einem Schrei, halb Jauchzen, halb Schluchzen, einem eintretenden stämmigen Burschen um den Hals fiel. Diesem war anscheinend auch nicht behaglich zu Muth; er streichelte das Mädchen schüchtern, und erst als der Förster seine Tochter mit einem ingrimmigen „Kusch, dumme Marjell!” bei Seite schob, richtete er sich hoch auf.

„Mein Vater hat mich hergeschickt.”

„Schön — also her mit der Knarre.”

„Was denn — —”

„Na der Drilling! Wo ist denn der Drilling, zum Donnerwetter!”

„Mein Vater hat nur einen — und seit meine beiden Brüder todt sind, bin ich dieser einzige Drilling!”

„Waaaa—as?” fauchte der alte Herr, indem er in einen Stuhl plumpste.

„Vater, sei gut!” bat Hannchen flehend.

„Pfui Has'! Oh Du infamigter Kerl! Wenn ich heute nicht schon einen Schuh eingebüßt hätte, ich — —”

„Der hat sich eingefunden,” bemerkte Karle Hurtzig, indem er die Thür öffnete und seinen Hund einließ. Gravitätisch trug der Setter den bunten Geburtstagsschuh in der Schnauze und deponirte ihn auf einen Wink seines Herrn zu Füßen des Försters. Dann warf das Thier einen Blick auf den alten Herrn — einen Blick, unter dem Wendelin Romeike bis in die weißen Haare seines Bartes erröthete. Der Blick sagte ganz deutlich, wenigstens für einen Jäger deutlich, daß es eigentlich keine Arbeit sei für einen waidgerechten Hund, Morgenschuhe zu apportiren, mit denen ein alter Esel von Waldmensch nach Raubzeug geschossen hatte . . .

Wendelin Romeike sah gar nicht hin, als sein Hannchen und Karle Hurtzig sich sachte wieder an einander heranpürschten; — er ward erst wieder zugänglich, nachdem wir, er und ich, waidgerecht zu Forst gezogen waren und bei der Gelegenheit den Schmied Wolczyk vom Dorf abfaßten, als er — einen Tag vor der Eröffnung der Jagd — auf Hasen wilderte. Seitdem schämte er sich nicht mehr vor den Hunden, aber doch ein bischen noch vor August Hurtzig . . .

— — —

Der Drilling.

Eine Jagdhumoreske vonTeo von Torn
in: „Deutsch-Australische Post” vom 20.02.1904


In die Frühherbsttage kurz vor der Eröffnung der Hasenjagd fällt der Geburtstag meines alten Freundes Wendelin Romeike.

Als wenn St.Hubertus es mit einer gewissen Absicht so eingerichtet hatte, dass sein weidgerechtester Jünger just zur guten Zeit in die irdischen Jagdgründe hinüberwechseln sollte! Und der alte Herr verdiente diese zarte Aufmerksamkeit seines Schutzpatrons. Er war ein Jäger vor dem Herrn, wie es keinen zweiten gab. Kein Anderer konnte so ehrlich wüthen und so verächtlich „Pfui Has'!” fluchen, wenn man etwas sagte oder that, was mit dem Vokabularium oder der Praxis des edlen Gejaid nicht ganz übereinstimmte.

Wer eine alte Dachsschwarte als Fell ansprach, der war verratzt — und als ich meinen ersten Bock geschossen, der leider eine Rike war, hatte Wendelin Romeike dreimal ausgespien und sechs Wochen kein Wort mit mir geredet.

Aber so genau er es mit St. Hubert und seinen Ordensregeln nahm — Alles, was es sonst an Wissenschaften gab, war für ihn nicht auf der Welt. Seinen Namen schrieb er nur, nachdem er sich die Joppe ausgezogen und die Hemdärmel aufgekrempelt hatte; auch dann schwitzte er noch.

Es war einer der Paradewitze meines Vaters: Wie Wendelin Romeike um seine erste Stelle als gräflicher Revierförster gekommen war. Erlaucht wollte eine Treibjagd ansagen. Zuvor aber erkundigte er sich bei seinem Wildheger nach dem Bestand. „Sagen Sie mal, äh, lieber Romeike — was haben Sie eigentlich an Reh- und Schwarzwild im Revier, he?” — „Tjä, Herr Graf, das is man nich so leicht zu sagen,” erwiderte der biedere Weidmann, indem er sich nachdenklich hinterm Ohr kraute. — „Aber, Herrrr!” schrie der Graf ärgerlich. „Das ist doch ein Skandal! So 'was muß doch ein Forstmann wissen! Wozu sind Sie denn da? Ich verlange, dass Sie mir sofort den Bestand vermelden — ungefähr, wieviel, praeter propter! Na!” — „Tjä . . .” stotterte der Eingeschüchterte. „Wenn Se's durchaus wissen wollem, Herr Graf; es können wohl so an Stücker zehn Praeters und drei Propters sein!” — Seine Erlaucht fühlten sich geuzt, und Wendelin Romeike flog auf die Rüben. Ich habe diesen Witz seither auch mit Bezug auf andere Grünröcke oft erzählen hören — aber auf keinen passt er so gut, wie auf meinen alten Freund Wendelin. Er ist heute wohlbestallter städtischer Förster. In die Frühherbsttage kurz vor der Eröffnung der Hasenjagd fällt sein Geburtstag — und seit Jahren folge ich für diesen Termin seiner Einladung, um dann für die ersten Lampes bei der Hand zu sein.

Wir saßen beim Nachmittagskaffee um den Geburtstagstisch. Inmitten der Kannen und Tassen und der Quadratruthen Streuselkuchen, welche die rundliche Frau Försterin aufgefahren hatte, prangte ein mächtiger Strauß Astern.

Wendelin Romeike hatte die neuen Morgenschuhe, welche sein Töchterchen ihm zum Wiegenfeste gestickt, an den Füßen und liebäugelte von Zeit zu Zeit mit den prächtig bunten Farben derselben. Dabei strich er behaglich mit der Spitze seiner Jagdpfeife den gelbweissen Schnauzbart von den Lippen und plauderte von alten Zeiten.

Trotzdem schien es mir, als ob eine rechte Feststimmung nicht aufkommen wollte. Und das konnte nicht nur daran liegen, dass ein Fuchs in der verflossenen Nacht abermals ein Paar Minorkaküken aus dem Hühnerstall sich geholt hatte. Hannchen Romeike hatte unverkennbar verheulte Augen — und wenn die Frau Försterin, welche geschäftig im Hause umhertrudelte, wieder auf eine kleine Weile am Tisch erschien, so betrachtete sie ihren Alten mit einem Gemisch von Vorwurf und Resignation. Das war unbehaglich, und auch Wendelin schien das zu empfinden; denn als seine bessere Hälfte eben wieder mit einem langen, tragischen Blick auf ihn das Zimmer verlassen hatte, brummte er ungeduldig ein weniges vor sich hin. Die Unterhaltung stockte — und um sie wieder in Fluss zu bringen, erkundigte ich mich nach den gemeinsamen Bekannten.

„Vor allen Dingen, wie geht es Ihrem Freunde Hurtzig, lieber Herr Förster?”

Wenn eine Bombe mitten zwischen die Astern und den Streuselkuchen geschlagen wäre, ihre Wirkung hätte nicht drastischer sein können, als die meiner harmlosen Frage. Fräulein Hannchen sprang mit einem Schrei auf und machte Miene, mir den Mund zuzuhalten; da das aber zu spät war, preßte sie die Händchen gegen die heißen Wangen und sah angstvoll auf ihren Vater. Dieser hatte sich auch erhoben und blitzte mich unter den weißen buschigen Brauen wild an.

„Was!?” schrie er, indem er mit den Knöcheln der geballten Linken auf den Tisch schlug. „Dieser Wilddieb infamigte, dieser Aasjäger — mein Freund!?” — „Aber lieber Romeike . . .” — „Pfui Has'! Das durften Sie mir nicht anthun! An meinem Geburtstage nicht!” Gleich darauf beruhigte er sich und war ein bischen genirt. Er mochte meinem masslos verblüfften Gesicht angesehen haben, dass mir sein Zorn ein böhmischer Wald war, und eben schickte er sich an, mir zu erzählen, was der alte Hurtzig für ein „infamigter Kerl!” war und weshalb zwischen Karle Hurtzig und Hannchen nichts werden konnte, als die Frau Försterin aufgeregt ins Zimmer stürzte.

„Der Fuchs! Wendelin — der Fuchs!!” — „Wo, zum Donnerwetter!” rief der alte Herr, indem er die Pfeife auf den Tisch warf und die Büchsflinte von der Wand riss. Gleichzeitig langte er in einen Kasten seines sogenannten Schreibtisches nach Patronen. „Hinterm Backhaus sitzt er und schielt nach dem Taubenschlag!” erklärte die kleine Frau athemlos.

In dem Augenblick war Wendelin Romeike auch schon draußen und pürschte sich an das auf freiem Feld, mitten zwischen dem Försterhaus und dem Wald liegende Backhaus heran. Solange er guten Wind hatte und hinter dem Gartenzaun gedeckt blieb, hatte der rothe Räuber keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr. Die freche Spitzbubenvisage etwas schräg haltend, äugte er begehrlich nach den Tauben. Plötzlich zuckte er zusammen und zog die Ruthe ein, sichernd schnürte er ein paar Schritte rückwärts, um gleich darauf in voller Flucht nach dem Walde abzuziehen — Patsch — ! Der Schuß versagte. Ein Kernfluch — und in der nächsten Sekunde raste Wendelin Romeike auf den neuen Geburtstagsschuhen hinter Reinecke her.

Es giebt Momente, wo auch der weidgerechte Jägersmann den Kopf verliert. Nur dadurch war zu erklären, was sich nun ereignete. Anstatt neu zu laden und mit den von der Frau Försterin bereit gehaltenen, winselnden und gegen die Leine zerrenden Hunden die Verfolgung aufzunehmen, pretschte der alte Herr wie ein durchgehendes Pferd hinter dem Raubzeug her — und als Reinecke sich eben in den Wald hinein empfehlen wollte, streifte Wendelin blitzschnell einen seiner Buntgestickten ab und schleuderte ihn blindwüthig nach dem abfahrenden Fuchs.

Da — vom Walde her ein Schuß! Reinecke überkugelte sich und blieb im Feuer. Gleich darauf ein Rascheln und Brechen von Zweigen und der strenge Ruf: „Down!&” Ehe Wendelin sich von der neuen Ueberraschung erholt hatte, stand er seinem Todfeind, dem Gutsbesitzer Aug. Hurtzig, gegenüber.

Der Förster machte ein Gesicht, als wenn er etwas Schlechtes röche — aber er fasste sich sofort und war trotz der einseitigen Bekleidung seiner unteren Extremitäten, im Dienst.

„Sie haben geschossen, Herr — —” — „Jawohl —” erwiderte August Hurtzig gemüthlich, „und zwar nicht mnit einem Latschen, sondern mit einem richtigen Schießgewehr.” — „Pfui Has'! Oh Du infamigter Kerl!” knirschte Wendelin, indem er sich verstört nach seinem Geburtstagsschuh umsah. Aber obwohl er noch ein paar Schritte in den Wald hineinging — das projektil war weg, wie in die Erde gesunken. Und er konnte doch jetzt unmöglich weiter suchen, ohne sich dem grieflachenden Menschen gegenüber etwas zu vergeben! „Ihre Jagdkarte!” herrschte er den Landwirth an. — „Hier, Wendelin,” erwiderte der Andere seelenruhig, indem er die Karte vorwies. „Du hast sie mir besorgt, und deshalb wird wohl alles in Ordnung sein. Aber da wir gerade so gemüthlich beisammen sind, Wendelin —” — „Den Teufel sind wir! Ausserdem bin ich für Sie der Förster Romeike! Verstanden !?” — „Schön — also Du bist der Förster Romeike. Aber da Du man nur einen Schuh anhast, nehme ich an, dass Du nicht im Dienst bist, und deshalb kann ich Dir ruhig sagen, Wendelin, was für ein grosses Heupferd — immer schiess man, mein Junge, die Knarre hat sich eben als ungefährlich erwiesen — was Du für ein Heupferd bist. Seit ich mir im Winter den faulen Witz mit der braunen Pudelmütze gemacht habe, die ich an 'ner Strippe über den Schnee zoddelte und die Du für einen Wolf angesprochen hast, spielen Dir reinweg Flöhe im Gehirn. Alle Aasjägereien in Deinem Revier soll ich treiben —” — „Treibst Du auch, Du infamigter Kerl!” schrie der alte Herr. „Wer hat denn die prächtige Hirschkuh hingeludert, was!?” — „Ich nicht, Wendelin. Ich habe Dir bewiesen, dass die Kugel nicht in meine Büchse passt.” — „So — und Du glaubst, ich wüßte nicht, dass Du noch einen Drilling zu Hause hast!” — „Du bist verrückt, Wendelin; ich habe keinen Drilling!” — „Doch hast Du einen!” keuchte der Förster. „Der Schmied Wolczyk vom Dorf hat es mir gesteckt!” — „So, so, der Wolczyk! Na dann will ich's nur sagen — mir fällt eben ein, Wendelin, ich habe doch einen Drilling. Ich gratulire Dir zu Deinem Geburtstag und zu diesem Geständniß, Wendelin.” Eine triumphirende Aeusserung entrang sich den bärtigen Lippen des Försters. In demselben Moment faßte er einen Plan, den „infamigten Kerl” zu fangen. — „Weißt Du, August,” sagte er mit einer gewissen diplomatischen Freundlichkeit, „Dir soll Alles verziehen sein — wenn Du Deinen Drilling schickst!” — „Was willst Du damit?” — „Nichts Besonderes, nur mal anschauen, August.”Der Landwirth that, als wenn er überlegte. Dann erklärte er entschlossen: „Na, schön — also ich schicke Dir den Drilling. Und dann ist alles vergessen?” — „Alles.” — „Auch die Pudelmütze?” — „Auch die —” erwiderte der Förster, mit einem Gesicht allerdings, als würge er an etwas. „Gut denn; in einer Stunde ist mein Drilling bei Dir. Adjüs, Wendelin — und verkühl Dir nicht die Pfote, wo Du keinen Schuh drauf hast. Du neigst sowieso ein bischen zu Rheumatismus.”

Es war noch nicht ganz eine Stunde verflossen und mein Freund Romeike hatte mir lange noch nicht alle Schandthaten von August Hurtzig mitgetheilt, als die Thür aufging — und Hannchen mit einem Schrei, halb Jauchzen, halb Schluchzen, einem eintretenden stämmigen Burschen um den Hals fiel. Diesem war anscheinend auch nicht behaglich zu Muth; er streichelte das Mädchen schüchtern, und erst als der Förster seine Tochter mit einem ingrimmigen „Kusch, dumme Marjell!” bei Seite schob, richtete er sich hoch auf. „Mein Vater hat mich hergeschickt.” — „Schön — also her mit der Knarre.” — „Was denn . . . . ” — „Na der Drilling! Wo ist denn der Drilling, zum Donnerwetter!” — „Mein Vater hat nur einen — und seit meine beiden Brüder todt sind, bin ich dieser einzige Drilling!” — „Waaaa—as?” fauchte der alte Herr, indem er in einen Stuhl plumpste. — „Vater, sei gut!” bat Hannchen flehend. — „Pfui Has'! Oh Du infamigter Kerl! Wenn ich heute nicht schon einen Schuh eingebüsst hätte, ich — —” — „Der hat sich eingefunden,” bemerkte Karle Hurtzig, indem er die Thür öffnete und seinen Hund einliess. Gravitätisch trug der Setter den bunten Geburtstagsschuh in der Schnauze und deponirte ihn auf einen Wink seines Herrn zu Füssen des Försters. Dann warf das Thier einen Blick auf den alten Herrn — einen Blick, unter dem Wendelin Romeike bis in die weißen Haare seines Bartes erröthete. Der Blick sagte ganz deutlich, wenigstens für einen Jäger deutlich, dass es eigentlich keine Arbeit sei für einen weidgerechten Hund, Morgenschuhe zu apportiren, mit denen ein alter Esel von Waldmensch nach Raubzeug geschossen hatte.

Wendelin Romeike sah gar nicht hin, als sein Hannchen und Karle Hurtzig sich sachte wieder an einander heranpürschten; — er ward erst wieder zugänglich, nachdem wir, er und ich, weidgerecht zu Forst gezogen waren und bei der Gelegenheit den Schmied Wolczyk vom Dorf abfassten, als er — einen Tag vor der Eröffnung der Jagd — auf Hasen wilderte. Seitdem schämte er sich nicht mehr vor den Hunden, aber doch ein bischen noch vor August Hurtzig . . .

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