Von Teo von Torn.
in: „Indiana Tribüne” vom 30.10.1905,
in: „Hamburger Nachrichten” vom 21.07.1905
„Wo ist der Kerl, der zu dieser Wurst gehört?” grollte Major von Scheitling seine Köchin an. Der dräuend gereckte Zeigefinger wies auf einen Teller, der nebst einem kolossalen Butterbrot und Messer und Gabel ein gebrauchsfertiges Stilleben bildete.
„Aber Herr Major —” stotterte die hübsche Minna, „ich — das — — das ist mein Frühstück.”
„Frünstück. So. Sie pflegen um — warten Sie 'mal, das werden wir gleich haben.”
Er zückte ein Papier und führte es in nervöser Hast an die etwas kurzsichtigen Augen.
„Sie pflegen um halb elf zu frühstücken, meine Liebe. Jetzt ist es bald eins. Um zwei soll zu Mittag gegessen werden. Sie frühstücken also zur Unzeit — und außerdem zu üppig, will mir scheinen. Das ist — wahrhaftiger Gott, das ist eine Trüffelleberwurst! Eine richtige Trüffelleberwurst, wie ich sie selber gern esse und nur selten bekomme. Da soll doch ein heiliges Donnerwetter! Sagen Sie 'mal — — und Zigarren frühstücken Sie auch!? Wo ist der Kerl, der zu diesem Stummel gehört?”
Angesichts des erdrückenden Beweismaterials zog Minna es vor, sich durch ein theilweises Geständniß mildernde Umstände zu verschaffen. In einem Tone, der mehr gekränkt als schuldbewußt klamg, stieß sie hervor:
„Wenn ich das nicht mal darf! Nicht mal meinem Vetter ein Stückchen Wurst anbieten, wenn er mich besucht! Die gnädige Frau hat nie etwas dagegen gehabt!”
„Das ist nicht wahr! Meine Frau hätte mir's aufgeschrieben, wenn sie Ihnen das Recht eingeräumt, Ihre Familie mit Trüffelleberwürsten zu nudeln! Und wo ist der Herr Vetter?”
„Herr Major —”
„Wo ist der Herr Vetter!? — Achtung! Angetreten!”
Wie auf ein Zauberwort öffnete sich neben dem Küchenspind eine Thür. Ein baumlanger Dragoner trat heraus. Während Fräulein Minna sich abwandte und den Schürzenzipfel an die Augen führte, stemmte der Major beide Arme in die Seiten.
„I — da soll doch ein heiliges Donnerwetter! So also sieht der Vetter aus! Ein Dragoner, eine fremde Waffe, wird mit meinen Trüffelwürsten gefüttert! Und da wundert man sich, wenn die Kerls von der Kavallerie üppig werden! Wie heißen Sie?”
„Wilhelm Kruse, Herr Major.”
„Sind Sie mit der da verwandt oder verschwägert?”
„Nein, Herr Major.”
„Aber er will mich doch heirathen,” schluchzte die Köchin über den Schürzenzipfel hinweg.
„Halten Sie den Mund! Heirathen — und ich soll inzwischen die Liebe nähren, he!? — Es ist Ihr Glück, Kerl, daß Sie die Wahrheit sagen — — sonst hätte ich Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit gegeben, in aller Ruhe die Wurst zu verdauen, die Sie jetzt essen werden. Beschnubbert haben Sie sie doch schon. Also ran! — Und Sie lassen sich's gesagt sein, Minna: ich wünsche die fremde Waffe hier nicht wieder zu sehen. Wenn Sie aber durchaus einen Vetter beköstigen müssen, dann genügen ein Paar Knobländer auch — wie das meine Frau vorgesehen hat. Verstanden? Ich bitte mir überhaupt aus, daß Sie sich während der Abwesenheit meiner Frau genau an ihre Instruktionen halten!”
Major von Scheitling sah nicht den Blick, der ihm folgte, und hörte auch nicht, was Fräulein Minna tückisch vor sich hin murrte. Er ging in's Wohnzimmer, wo sein Freund Winkler ihm erwartungsvoll entgegenschaute.
„Na — war's richtig?”
„Vollkommen.”
„Sehen Sie, Scheitling, — ich irre mich nicht. Ich hatte genau gesehen, daß ein Dragoner sich von hinten rum in die Küche pirschte.”
„In die Speisekammer hatte sie den Kerl versteckt. Aber die aufgetafelte Trüffelwurst nebst anderthalb Quadratruthen Butterbrot konnte sie wohl nicht so schnell beseitigen.”
„Ja, ja, die leben und genießen!!” lachte Major Winkler. „Sagen Sie, Scheitling — ich bin im übrigen gekommen, um Sie zu fragen, was wir zwei Strohwittwer heute aufstellen werden! Unsere Frauen genießen die Saison in Pyrmont und da sehe ich nicht ein — —”
„Natürlich. Selbstverständlich. Darüber wollen wir reden — bei einem Fläschchen meines vortrefflichen Chablis. Das ist ein Wein, sage ich Ihnen, ein Wein . . .” Er küßte verzückt seine Fingerspitzen und drückte an der elektrischen Birne, die über dem Tisch hing. „Ich habe in den paar Tagen, seit meine Alte fort ist, schon ein paar Flaschen ausgelutscht. Es ist das Beste und Gehaltvollste, was ich —”
„Der Herr Major wünschen?”
„Heimsoth soll mal —”
„Der Bursche ist ausgegangen, Herr Major.”
„Und der andere?”
„Ist bei den Pferden. Die gnädige Frau hat übrigens befohlen, daß ich die Bedienung des Herrn Majors übernehme während ihrer Abwesenheit.”
Herr von Scheitling stutzte.
„Na schön, —” sagte er gedehnt. „Da bringen Sie uns also mal eine Flasche Chablis — von dem dreiundsiebziger. Im zweiten Regal unten rechts. Sie wissen schon.”
Fräulein Minna zog den Kopf zwischen die runden Schultern. Das rothwangige Apfelgesicht mit den verheulten Augen drückte ein kühles Bedauern aus. „Das wird nicht angehen, Herr Major.”
„Waaaas —? Hat die Liebe ihren Geist umnachtet oder —”
„Die gnädige Frau hat mich ausdrücklich beauftragt, darauf zu achten, daß der Herr Major von dem schweren Wein, der Ihnen gar nicht bekommt, während der ganzen vier Wochen nur höchstens drei Flaschen trinken. Gestern war's schon die dritte.”
„Nun hört sich aber alles auf! Wie können Sie sich nur unterstehen — —”
„Ich muß mich genau an die Instruktionen der gnädigen Frau halten. Der Herr Major haben das vorhin noch besonders befohlen. Danach dürfen der Herr Major im ganzen nur noch — — einen Augenblick, es ist mir das aufgeschrieben worden — ganz recht — im ganzen nur noch 15 Flaschen von dem leichten Mosel zu 50 Pfennig, 15 Flaschen von unserem rothen Tischwein und drei Flaschen deutschen Sekt trinken — diesen aber nur für den Fall, daß der Herr Major Besuch bekommen sollte . . . . ”
Herr von Scheitling rang nach Luft.
„Jeden Fall der Ueberschreitung soll ich per Postkarte nach Pyrmont melden,” vollendete Minna, indem sie bedächtig den Zettel zusammenfaltete.
„Winkler, haben — haben Sie Worte? Also bringen Sie Sekt — in drei Teufels Namen!”
„Schön, Herr Major.”
Der Schaumwein schmeckte den Herren nicht sonderlich. Er hatte einen eigenthümlichen Beigeschmack — wie der Salzbrunnen von Pyrmont ungefähr . . . .
Sie trennten sich sehr bald. Im Corridor bestätigte Major Winkler noch einmal die getroffene Vereinbarung:
„Also Nachmittag treffen wir uns im Pschorr. Abends geht's in die Alhambra. Civil, natürlich. Und nächsten Sonnabend flitzen wir zum Rennen nach Baden-Baden, wie?”
„Abgemacht, lieber Freund. Auf Wiedersehen.”
Nach dem Mittagessen war Herr von Scheitling kaum eingenickt, als es bescheiden, aber doch bestimmt und eindringlich an seine Thür pochte.
„Herr Major —”
„Verdammt noch mal! Was ist denn?”
„Ich soll darauf achten, daß der Herr Major nach Tisch nie länger als eine Viertelstunde sich hinlegen — weil Sie sonst zu stark werden —”
„Sie sind verrückt!”
„Ich habe den bestimmten Auftrag —”
„Wollen Sie Ruhe geben!?”
„Das darf ich nicht. Wenn der Herr Major weiter schlafen, soll ich zum Herrn Stabsarzt Bodell schicken — dem ich dann auch gleich mittheilen werde, daß der Herr Major Pschorr trinken wollen, obgleich er Ihnen echtes Bier ausdrücklich verboten hat — wegen der Nieren.”
Mit einem bösen Fluche rappellte Herr von Scheitling sich von der Chaiselongue. Als er die Thür aufriß, um den Quälgeist zu würgen, war Minna bereits in ihrem Küchenbereiche verschwunden. Um den Schlaf war's geschehen. Seine Stimmung war für den ganzen Nachmittag verdorben. Das dunkle Bier, das er in trotziger Auflehnung gegen die unerhörte Bevormundung getrunken, war ihm schal und fade erschienen. Auch hatte es einen eigenthümlichen Beigeschmack gehabt — wie der Salzbrunnen in Pyrmont ungefähr . . . .
Er setzte seine Hoffnung auf den fidelen Abend im Variété. Als er aber nach Hause kam, um sich anzukleiden, harrte seiner eine neue Bitterniß. „Wo sind denn meine Civilsachen!?” herrschte er Fräulein Minna an, nachdem er drei Schränke vergeblich durchwühlt hatte.
„Civil? — Ach so. Jawohl. Die gnädige Frau meinten, daß der Herr Major Civilsachen während ihrer Abwesenheit nicht gebrauchen würden —”
„Ich brauche sie aber!” tobte der Major.
„Bedaure sehr. Die gnädige Frau haben befohlen, daß die Sachen sämmtlich zum Schneider gegeben werden — zum Ausbessern und Aufbügeln.”
„Und das ist geschehen?”
„Jawohl. Ich sollte das schon am Tage der Abreise besorgen, hatte es aber bis jetzt vergessen. Erst als mir heute meine Instruktion in die Hand fiel — —”
Major von Scheitling setzte sich in eine der offenen Schrankthüren und überlegte, ob er sich eines Todtschlags, bei dem ihm jeder Gerichtshof der Welt mildernde Umstände zubilligen mußte, schuldig machen oder resigniren sollte.
„Hören Sie, Minna —” sagte er dann müde und gebrochen, „Sie also haben auch eine Instruktion bekommen?”
„Allerdings. Zweieinhalb enggeschriebene Seiten.”
„Ach du Grundgütiger. Und das wollen Sie alles in Anwendung bringen?”
„Ich muß. Der Herr Major haben das selbst befohlen.”
Nach einer Pause erhob sich Herr von Scheitling, räusperte sich stark und zog sein Portemonnaie.
„Minna — —”
„Herr Major —?”
„Hier ist ein Thaler. Kaufen Sie sich für einen Thaler Trüffelleberwurst! Der Kerl da — der Wilhelm Kruse heißt er ja wohl — der soll sich eine Darmverschlingung dran zuziehen. Verstanden?”
„O Herr Major —” stammelte Fräulein Minna beglückt und vorwurfsvoll zugleich.
„Psssst — Schnabel halten. Ihre Instruktion werden Sie verlegen. Sie wird Ihnen versehentlich in's Feuer fallen oder sonst abhanden kommen. In einer Stunde habe ich meinen grauen Civilanzug und — —”
„— — die gnädige Frau wird von der beabsichtigten Spritztour nach Baden-Baden nichts erfahren.”
„Na also. Hier haben Sie noch einen Thaler — für Trüffelleberwurst.”
— — —