Dengus

Eine Ostergeschichte aus der Ostmark von Teo von Torn (Eberswalde)
in: „Leipziger Tageblatt” vom 05.04.1901,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 06.04.1901,
in: „Kieler Zeitung” vom 07.04.1901,
in: „Badische Presse” vom 07.04.1901


„Heilige Mutter von Czenstochau — — so ein infamer Kerl! — So ein Schwab! — So ein — —! Und da ist nichts zu machen — jak Bogam kocham! — gar nichts zu machen! Höchstens todtschießen — den Schweinehund . . . . . Aber das Vorwerk hat er erst mal weg — — und eher die Weichsel dreimal unter Eis geht, dann fft! — runter von Gostkowo, Pan Michalski, — raus auf die Landstraße —!”

Das Handpferd hatte keine Schuld an den Perspectiven, die Herr Cornel v. Michalski zähneknirschend im Selbstgespräch sich entwickelte.

Es war nur die unruhige Zügelführung nicht gewohnt und drängte ein wenig von der Leine ab. Dennoch fuhr Pan Michalski mit einem Fluche vom Bocke auf, riß die Peitsche aus der Oese und hieb auf den Gaul ein — als hätte er den jungen Gutsbesitzer Herbert Meißner in Person unter der Fuchtel, seinen Nachbar und Erzfeind, der auf dem heutigen Subhastationstermin in Fordon nun auch das letzte Vorwerk von Gostkowo an sich gebracht.

Das Pferd stieg und der leichte Jagdwagen ruckte so heftig an, daß Artek, der hinten aufsitzende Diener, um ein Haar über Bord gegangen wäre. Er hatte im Halbschlaf über die besonderen Vorzüge des Fordoner(1) Kornschnapses nachgedacht — nun fuhr er auf, rieb sich mit beiden Fäusten die Augen und stammelte:

„Bitte — was ist, gnädiger Herr!”

Cornel v. Michalski äußerte etwas, das trotz des polnischen Idioms der bekannten Offerte des Götz an den Feldhauptmann recht ähnlich war. Dann brachte er mit ein paar Griffen an der Leine den mißhandelten Wallach zur Ruhe und setzte sich wieder bequem zurecht.

Die Prügel, die er eben dem Gaule verabfolgt, hatten ihn etwas beruhigt. Aber seine Stimmung war nicht gut. Er fuhr mit der Hand, in der er die Leine führte, heftig über seinen Schnauzbart, dessen weiße buschige Enden bis über die Ohren reichten, während das gelbliche Mittelstück aus der Nase heraus zu wachsen schien — aus dieser auf zehn Meilen in der Runde berühmten erdbeerfarbenen „Gurke”, die dem alten Herrn bereits zwei Güter und drei Vorwerke gekostet hatte, dafür aber alle Jahre ein Junges kriegte.

Frisch begossen mit dem unvergleichlichen Rothspohn, den Antony Biela im „Lachs” zu Fordon ausschenkte, glühte sie in voller Pracht — aber sie freute sich heute sozusagen allein; sie stimmte nicht in das trübernste Gesicht, dessen wässerige Augen auf die in der frischen Märzluft dampfenden Pferde starrten.

Nur hier und da warf der Alte einen verlorenen Blick auf die schwarzbraunen Felder, auf denen ein reifiger Frühlingsnebel lagerte und die stellenweise noch schneegefleckt waren. Die Krähen schrien und zankten sich in Schaaren darauf herum. Als sich eine davon auf das Bild des Gekreuzigten setzte, das da windschief am Wegrain stand und dessen verblichene Farben unter den bunten Bändern und Amuletten kaum noch erkennbar waren, fuchtelte Pan Michalski mit der Peitsche herüber.

„Ksss — a ty psa krew!(2) Du wirst Dich dem lieben Gott auf die Dornenkrone setzen? Was?”

Aber man sah es ihm an, daß diese Art der Pietät doch nur etwas Gedankenloses, Mechanisches war — ebenso wie er die graue Boschlikmütze lüftete zum Gruße des heiligen Bildes. Sein gutes Denken drehte sich darum, wie es sein würde, wenn diese heimathliche Scholle da rings umher nicht mehr ihm gehörte — nicht mehr den Michalskis, die seit vierhundert Jahren darauf saßen — — wenn der Schwab da drüben — der Pan Meißner auf Welden, was übrigens seit dem Schöpfungstage Swiatlo geheißen hatte — wenn dieser Niemiec dieses Stück Erde bearbeitete — — —

Der Alte zwinkerte mit den gerötheten Lidern — wieder hob er die Hand, in der er die Leine führte; nur daß er sich diesmal über die Augen wischte. Dann aber sah er sich schnell, wie erschrocken, um. Wenn das ein Mensch gesehen hätte, daß der Cornel Michalski — — und noch dazu um so einen Kerl. So einen Er zog noch ein paarmal mit der Nase auf. Dann aber schlug die Stimmung plötzlich um — abermals kochte der Ingrimm über. Wie besessen hieb er auf die Pferde ein, und je wilder sie anzogen, desto mehr schlug er. Dabei fluchte Cornel Michalski, daß der Antek hinten ein Kreuz über das andere schlug und schließlich der heiligen Barbara eine sechszöllige Wachskerze gelobte, wenn die Teufelsfahrt gut ging — — —

Als endlich der Wagen in den Hof preschte, war es wirklich gut gegangen — bis auf zwei Gänse, die der Slachcic(3) noch zu guterletzt todtgefahren hatte, und bis auf die Schmerzen, die Antek in allen Knochen spürte und die es ihm fraglich erscheinen ließen, ob er unter solchen Umständen zu der Kerze verpflichtet sei; außerdem hatte ihm der Herr doch noch eins ins Genick gegeben, weil er ihm die schäumenden Pferde nicht schnell genug abgenommen.

Während Antek unten also mit seinem Gewissen feilschte, nahm Stasia Michalska, des alten Cornel liebreizendes Töchterlein, ihrem Vater den Pelz ab. Ihre dunklen, thränenverschleierten Augen folgten angstvoll jeder seiner Bewegungen — aber sie fragte nicht; sie wußte, was geschehen war und daß es geschehen mußte.

Der Alte stand mitten im Zimmer. Er keuchte und zog den Schnuurbart durch die zitternden finger. Dann machte er eine kurze, gebietende Kopfbewegung.

„Zünde die Lichter an!”

„Aber Väterchen — es ist heller Tag —” wagte das junge Mädchen einzuwenden.

„Die Lichter vor der Mutter Gottes! Dalli — trapp!”

Die Flämmchen hatten den Docht noch nicht gant gefaßt, als Cornel v. Michalski auch schon auf den Knien lag vor dem Bilde. Er schlucktge ein paarmal heftig und stieß dann ruckweise hervor:

„Matka Bozka Czenstochowa!(4) Ich schwöre Dir, daß ich den Kerl, den infamigsten, hauen werde, wo ich ihm zuerst wieder begegne — Amen!”

Dann erhob er sich und athmete mehrere Male, beide Hände gespreizt auf die Brust gedrückt, tief auf. Jetzt war ihm wohl. Er küßte sein Töchterchen auf die Stirn und ging hinaus.

Aber er würde wohl unten auf der Diele nicht gepfiffen haben, wie er es that, wenn er gesehen hätte, wie seine Stasia vor dem Bilde herzbrechend weinte und flehte, daß die heilige Mutter den Schwur nicht annehmen möchte! — Sie hätte sie Beide doch so schrecklich lieb — ihren Vater und den — Andern!

Sie hätte doch schon ohnehin so viel Leid und Kummer in ihrem jungen Leben.

Die Kerzen schwälten und flackerten.

Als Stasia endlich die Haare aus der Stirn strich und aufschaute, da spielte das unstete Licht so seltsam auf dem braunen Antlitze der Madonna von Czenstochau, daß es aussah, als ob sie lächelte — wahr und wahrhaftig lächelte.

*           *           *

Am Charfreitag durfte Pan Michalski zum ersten Male wieder aufstehen. Mitten im Pfeifen hatte ihn ein Schlaganfall getroffen. Doktor Krzyzanowski aus Fordon meinte, es wäre vielleicht vom Aerger gekommen — vielleicht aber auch von dem sündhaft guten Rothspohn, den Antony Biela ausschenkte, vielleicht von beiden.

Jedenfalls war es schlimm gewesen auf Gostkowo die ganzen langen Fasten hindurch — und wenn Stasia Michalski keine Hilfe gehabt hätte, dann wäre es wohl trostlos gewesen mit der Saat und der ganzen Wirthschaft.

Natürlich durfte der Alte nicht wissen, wer da Tag für Tag durch seine Felder ritt, überall nach dem Rechten sah und mit dem bloßen Blick seiner Augen, mit einem Runzeln der blonden Brauen bei dem säumigen Volke mehr erreichte, als der Slachcic mit seinen endlosen Flüchen und der rindledernen Fuchtel.

Er durfte auch nicht wissen, daß nach dem Aveläuten am Wildgatter von Gostkowo — — —

Nein — das vor Allem durfte er nicht wissen!

Aber er erfuhr es doch. Als er nach seiner Krankheit zum ersten Male wieder auf den Hof hinausgesehen, hatte er sich die Augen gerieben — denn das war nicht sein Hof; das war ein Hof, der sogar gefegt war — wie er das gelegentlich einmal drüben auf Swiatlo gesehen.

Cornel Michalski sagte nichts. Er war überhaupt still und nachdenklich geworden seit der Krankheit. Am andern Tage jedoch hatte er sich den Antek heimlich kommen lassen.

Und dieser mußte erzählen — — Alles! Er mußte, denn der Pan hielt einen Blumentopf in den verschwollenen Händen und drohte, ihm den Schädel einzuwerfen, wenn er nicht die reine Wahrheit sage.

Antek sagte also die Wahrheit; aber diese Sünde gegen seine Natur sollte sich rächen — denn als es ihm schließlich beikam, sogar für den deutschen Panicz(5) zu schwärmen, da nahm der Fuchsientopf doch seinen Weg und traf ihn — glücklicher Weise nur ins Kreuz; denn Antek hatte sich vorgesehen.Er hatte nie recht Glück gehabt mit der Wahrheit, und seit er die heilige Barbara um die Kerze beschuppt, ging ihm Alles quer.

Der Alte aber hatte sich von Stund an eingeschlossen. Er aß und trank nicht — und wenn Stasia, der Unheil ahnte, ihn von draußen mit Bitten und Flehen anrief, dann antwortete er nicht — ja, er schalt nicht einmal; und das war ein schlimmes Zeichen.

Bis tief in die Nacht hörte sie, wie er sich ruhelos von einem Stück Möbel zum andern schob, humpelnd und ächzend. Zeitweilig wurde es still, als wenn er stehen blieb, um zu verschnaufen; und wenn sie dann mit bebenden Knien näher schlich, dann vernahm sie, wie er immer und immer wieder vor sich hinsprach.

„Aber ich muß ihn doch hauen — den Kerl! Ich muß — da ist gar nichts zu machen — die Mutter Gottes hat es gehört, und ich muß ihn hauen — —”

*           *           *

Vom Dorfe her bimmelte das Kirchglöckchen in fideler Geschäftigleit zur Frühmesse. Die Morgensonne lachte in das erste junge Grün, und die wenigen Menschen, die sich schon auf der Dorfstraße bewegten, sahen so frisch und helläugig drein, als wemm sie sich richtig gewaschen — und der Frühling ihnen dafür einen Kuß gegeben hätte — — am Ostermorgen.

Und je länger das Glöckchenin die stille, festliche Herrgottsfrühe hineinläutete, desto belebter wurde es.

Aus den Thüren, vor denen weißer Sand und geschnittener Kalmus gestreut war, eilten Frauen mit weißen steifgestärkten Leinentüchern um den Kopf und großen Körben am Arm, um die Swienconka(6) — den Schinken und die mit Zwiebelsaft gefärbten Ostereier — zur Kirche zu tragen, auf daß sie geweiht würden- Und Jede führte zu dem gleichen Zweck auch ein Bündel von Weidenkätzchen mit sich.

Drei am Ostersonntag geweihte Kätzchen auf nüchternen Magen verschluckt, schützen das ganze Jahr gegen Krankheit und Heimsuchung jeder Art.

Die jungen Burschen mit dem über den Topf geschnittenen Haar unter den niedrigen buntbebänderten Hüten sammelten sich zu Trupps. Alle hatten eine Ruthe von frischen grünen Birkenreisern. Sie steckten die Köpfe zusammen und entwarfen den Schlachtplan für den Dengus. Eilig und geheimnißvoll — denn die Mädels mußten möglichst noch in den Betten überrumpelt werden, sonst zog der Ostersegen nicht durch.

Dann vertheilten sie sich über die Dorfstraße, und aus jedem Hüttchen, wo einer von ihnen eingetreten war, scholl bald darauf das Kreischen und Lachen der mit dem Dengus bedachten Dirnen. Niemand durfte sich wehren gegen die uralte Sitte, die an die Ruthenstreiche erinnert, die der heute auferstehende Heiland dereinst empfangen. Denn jeder Streich mit dem frischen sprossenden Grün brachte Glück.

Und mit dem Dengus ist der rechte Ostertag eigentlich erst angebrochen.

*           *           *

Während vom Dorfe her das Kirchglöckchen bimmelte und die Sonne lachte und die Menschen so aussahen, als wenn ihnen der Frühling einen Kuß gegeben — band auch Stasia eine Segensruthe, um den Vater damit zu berühren, wenn er öffnen würde; — wenn — — —”

Der junge Gutsnachbar neben ihr schnitt die Zweige von der Birke, und sie fügte sie zusammen. Aber die Gedanken Beider waren nicht recht bei diesem Osterwerke, bei dem man eigentlich lachen und singen mußte.

Ihr junges Glück war immer noch in der Charwoche — gab es überhaupt eine Auferstehung —?

Plötzlich schreckten sie zusammen. Das junge Mädchen schrie auf und warf die Arme wie zum Schutz um den Geliebten.

Fluchend und gestikulirend humpelte der alte Slachcic, auf seinen Antek gestützt, heran. Herbert Meißner machte sich frei, zog die Mütze und trat dem alten Herrn ehrerbietig, aber fest entgegen.

„Herr v. Michalski —”

Weiter kam er nicht.

„Halt Dein Maul, Du infamigter Kerl —” schluchzte Cornel v. Michalski, indem er seiner Tochter den Dengus entriß, „ich weiß schon, was Du sagen willst — und es soll auch schon so sein, meinetwegen, aber hauen muß ich Dich — die Mutter Gottes hat es gehört — — — und mag es Dir zum Segen sein!”.

Und als der Dengus in der zitternden Hand des Alten die Schulter des jungen Mannes berührte — da tönte das Kirchglöckchen schier noch heller und die Sonne lachte noch freundlicher — — und es war Ostern auf Gostkowo.

— — —

Fußnoten und Anmerkung des Herausgebers:

(1) Fordon ==> Stadtteil der Stadt Bromberg/Bydgoszcz. (Zurück)

(2) a ty psa krew! ==> und du Hundeblut! (Zurück)

(3) slachcic (recte wohl: szlachcic) ==> Edelmann (Zurück)

(4) Matka Bozka Czenstochowa ==> Unsere Liebe Frau von Czenstochowa (Zurück)

(5) Panicz ==> Dandy (Zurück)

(6) Swienconka ==> Osterkorb (Zurück)

Zu dieser Erzählung siehe auch die Wikipedia-Artikel:

Schmackostern
smigus-dyngus

— — —