Humoreske von Teo von Torn
in: „Rostocker Anzeiger” vom 13.04.1902,
in: „Teplitz-Schönauer Anzeiger” vom 15.11.1902,
in: „New Orleans Deutsche Zeitung” vom 11.05.1902
Wenn zwei Menschen sich ewig in den Haaren liegen und einander doch nicht entbehren können, so gibt es nur drei [ im „Teplitz-Schönauer Anzeiger”: zwei !! D.Hrsgb.] Möglichkeiten: entweder sind diese beiden Menschen ein Männlein und ein Weiblein — dann sind sie mit einander verheiratet, und leben wie man so sagt in glücklicher Ehe; oder es handelt sich um zwei Weiblein — dann sind sie wegen unglücklicher Liebe gemeinsam zu alten Jungfern herangereift; oder es sind zwei Männlein — dann ist der eine Regimentscommandeur und der Andere sein Adjutant.
Aber wie Alles beim Militär, so ist auch die Möglichkeit resp. die Art, sich zu zanken, streng geregelt. Während der Eine mit beiden Händen erregt agiren oder die nervöse Rechte zwischen den vierten und fünften Knopf des Interimsrockes bohren kann, darf der Andere mit den Grußfingern am Helm oder am Mützenschirm unentwegt feststellen, wo ihm der Kopf steht — oder bei ungeschütztem Haupte die ungefähre Gegend seiner Hosennaht in hülfloser Empörung absuchen. Währedn der Eine Alles sagen kann, was er auf dem Herzen hat, darf der Andere4 sich dasselbe nur denken — dafür allerdings noch einiges mehr, so zum Beispiel: „Steig' mir den Buckel 'nauf, aber mit Filzschuhen” oder „Du kannst mir mal schreiben, wenn möglich frankirt”. Dadurch wird zwar der äu0ere Eindruck der Eindeitigkeit eines solchen Zwistes nicht abgeschwächt, aber der passive Theil hat so wenigstens ein Ventil, auf daß der dunklen Gefühle Gewalt ihm nicht die Luft abdrückt.
Leider hatte der Lieutenant von Reifferscheidt das Pech, einem Oberst attachirt zu sein, welcher auch mal Regimentsadjutant gewesen war. Oberst Freiherr von Böhle hatte seinerzeit lange genug die Schärpe quer über der stolzen Männerbrust getragen, um alle damit zusammenhängenden Empfindungen genau zu kennen. Er wußte, daß der Commandeur in den Augen seines Adjutanten immer nur der „alte Herr” ist, dessen Dummheiten man gar nicht aufmerksam genug verfolgen und corrigiren kann.
Daraus ergab sich für den armen Leutnant eine recht schwierige Position — und zwar noch nach einer anderen Richtung hin. Ist es schon unangenehm, einen Cumberland(1) von Vorgesetzten zu haben, welcher hellseherisch die geheimsten Falten der Seele durchdringt, so wird die Situation noch complicirter, wenn man diesen Vorgesetzten sich heimlich zum künftigen Schwiegerpapa erkoren hat und es ihn noch nicht merken lassen darf.
Das führt zu schweren inneren Conflicten. Auch heute wieder — und eben zu dieser Stunde — hätte Franz von Reifferscheidt seinen Oberst liebend gern einen alten Esel oder wenigtens einen Grobian gescholten. Aber konnte er das gegenüber einem Manne, welcher eine so wunderliebliche Tochter hatte? Durfte er das riskiren gegenüber einem Vorgesetzten, der — — —
„Also es bleibt bei der Besichtigung, wie ich sie angesetzt habe,” resumirte der Oberst sich kurz und barsch. „Ihre Einwände sind haltlos. Vollständig haltlos. Ich begreife überhaupt nicht, wie ein sonst ganz befähigter Mensch einen solchen Unsinn daherreden kann! Außerdem muß ich dringend, sehr dringend bitten, daß Sie ein anderes Gesicht machen, wenn ich mit Ihnen rede —”
„Herr Oberst, ich — —”
„Weiß schon, was Sie einwenden wollen. Hab' ich auch mal gesagt. Mir konnen Sie nix vormachen. Dieses Gesicht ist eine Unart, mein lieber Reifferscheidt, welche Sie sich abgewöhnen müssen. Unbedingt abgewöhnen müssen. Ich würde mich sonst in der Nothwendigkeit sehen, Ihnen einmal sehr grob zu werden!”
„Herr Oberst, bitte gehorsamst —”
„Zunächst bitte ich, Herrrr — Und zwar, daß Sie gefälligst den Schnabel halten, wenn ich mit Ihnen rede! Zum Donnerwetter nochmal, das wird ja immer schlimmer mit Ihnen! Zuerst machen Sie unhaltbare Vorschläge, dann machen Sie ein subordinationswidriges Gesicht und nun machen Sie gar Einwendungen! Schließlich machen Sie aus Ihrem Herzen überhaupt keine Mördergrube und sagen mir in's Gesicht, was Sie sich clam-heimlich denken. Aber das weiß ich ohnehin, mein Lieber. Das weiß ich ganz genau. Ich bin nach Ihrer Ansicht ein grober Kerl, der nix versteht und der lange reden kann, bis Ihnen was gefällt. Es ist aber im höchsten Grade ungehörig, daß Sie so was denken. Verstehen Sie mich!? Höchst ungehörig. Und ich werde Ihnen bei der nächsten Gelegenheit das mal mit allem Nachdruck klar machen. Mor'n.”
Oberst von Böhle stülpte mit einem enrgischen Wuppdich seine Mütze auf, rückte noich zweimal heftig an dem Schirm derselben und verließ mit klingenden Sporen das Regimentsbureau.
Der Adjutant hatte seine Knochen noch nicht ganz gelockert — nur seine Hände schlossen und öffneten sich, als wenn er etwas greifen wollte. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür noch einmal —
„Ich bitte dringend, daß Sie sich nicht damit aufhalten, mich zu allen Teufeln zu wünschen, mein Lieber! Und den Buckel steige ich Ihnen auch nicht 'nauf! Da können Sie sich d'rauf verlassen. Führen Sie unverzüglich aus, was ich Ihnen befohlen habe — und damit basta! Mor'n.”
Der junge Officier behielt noch eine kleine Weile seine dienstliche Haltung bei und schielte nach der Thür. Man konnte nicht wissen, — der alte Kribbelkopf hatte möglicherweise noch was auf dem Herzen. Wenn er wirklich Gedankenleser war, dann mußte er sogar noch einmal wiederkommen; denn was sein Adjutant jetzt wirklich dachte, das durfte er sich unmöglich noch gefallen lassen. Aber er kam nicht.
Dafür trat eine Ordonnanz ein mit einem großen, anscheinend amtlichen Briefe an Seine Hochwohlgeboren Lieutenant Herrn Franz von Reifferscheidt und Welzendorf. Nachdem dieser das Schreiben mit den heftigen Bewegungen eines geärgerten Menschen erbrochen, es dann aber mit dem strahlenden Gesichte eines Glücklichen zu Ende gelesen hatte, bekam die Ordonnanz einen Thaler und gleich darauf die Maulsperre. Es wurde ihr nämlich der ungewöhnliche Genuß zu Theil, in der ernsten Schreibstube des Infanterie-Regiments Karl Wilhelm einen kunstgerechten Jodler zu hören — und zwar von einem Officier, welchem man solche muntere Ungezwungenheiten gemeinhin nicht nachsagte. Im Gegentheil — er pflegte die Ordonnanzen viel eher anzupfeifen als anzujuchzen.
Immerhin war es wirklich so, wie der Soldat staunend vernommen hatte: Lieutenant von Reifferscheidt hatte gejodelt — mit der Lungenkraft und Kehlfertigkeit eines steirischen Aelplers. Auch schien es, als wenn er noch zu einem flotten Schuhplattler einsetzen wollte. Die runden Augen und der offene Mund der Ordonnanz brachten ihn jedoch zur Besinnung und er beschränkte sich auf die zwei schallenden Klapse, welche er sich auf die Schenkel applicirt hatte. Dann drückte er sich die Mütze auf's Ohr und stürmte davon.
* * *
Oberst von Böhle wußte nicht recht: — war er übler Laune, weil er um sein Mittagsschläfchen gekommen war, oder war er um sein MIttagschläfchen gekommen, weil er sich in übler Laune befunden hatte übler Laune war.. Jedenfalls schritt er nun schon seit einer Stunde in seinem Arbeitszimmer auf und nieder, zog an seiner schief gekohlten Cigarre und boste sich. Zuerst der Aerger mit Reifferscheidt und nun noch der mit den Frauensleuten. Es war zum Teufelholen. Aber das kam davon, wenn man sich in seiner Harmlosigkeit und Gutmüthigkeit dazu verleiten ließ, zu Hause von dienstlichen Angelegenheiten zu sprechen.
Bei der Suppe hatte er die neueste Frechdachsigkeit seines Adjutanten zu erzählen angefangen. Beim Fisch bereits hatte sein Töchterchen erklärt, keinen Appetit mehr zu haben, und war mit zuckenden Mundwinkeln hinausgegangen. Beim Braten hatte nur noch seine Frau gesprochen — und zwar lauter unangenehme Dinge. Er solle froh sein, einen so tüchtigen Officier als Adjutanten zu haben — er würde es schließlich dazu bringen, daß überhaupt kein Mensch mehr mit ihm aushielte — er sei ein unfriedlicher Vorgesetzter und eine mißtrauische Natur — er suche alle Menschen hinter dem Busch, hinter welchem er selbst immer gesessen habe — außerdem sei er Familienvater und hätte gewisse Pflichten, für die ihm aber jeder Nerv abzugehen scheine . . . . .
Unter diesen Umständen hatte der Herr Oberst auf das Apfelcompot verzichtet und sich in sein Zimmer zurückgezogen, wo ihm besonders der Hinweis auf seine Familienpflichten gereiztes Kopfzerbrechen verursachte. Es war ihm vollständig schleierhaft, inwieweit es mit diesen Pflichten collidirte, wenn er seinem Adjutanten grob wurde. Und grob werden hatte er doch müssen — denn wo blieb schließlich Disciplin und die geheiligte Ordnung der militärischen Dinge, wenn ein Subalternofficier seinem Oberst zumuthete, daß dieser ihm den Buckel hinaufsteigen oder mal schreiben solle, wenn möglich frankirt . . . . .
Allerdings — das war nur in Gedanken geschehen — selbstverständlich nur in Gedanken! Und man konnte eigentlich nicht wissen. Die Zeiten haben sich geändert — mit ihnen die Menschen und vielleicht auch die Adjutanten. Das war unwahrscheinlich, aber immerhin doch nicht unmöglich. Und es wäre eine verfluchte Geschichte, wenn man dem Reifferscheidt Unrecht gethan hätte. Ein grundgescheiter Kerl. Mit der Besichtigung hatte er vielleicht auch Recht — die Recruten konnten eigentlich noch gar nicht soweit sein.
Oberst von Böhle setzte zum fünfzehnten Male seine Cigarre in Brand und kraute sich mit dem Nagel des kleinen Fingers hinterm Ohr. Ihm war sehr unbehaglich zu Muth. Er konnte den Gedanken nicht los werden, daß seine Frau recht behalten und der Adjutant — der tüchtigste und umsichtigste, welchen er je gehabt — seine Schärpe auf den Tisch des Hauses deponiren und sagen könnte: Ich spiele nicht mehr mit. Das war gar nicht auszudenken — — — und er steckte vor Schreck die Cigarre verkehrt in den Mund, als ihm der Lieutenant von Reifferscheidt in diesem Augenblicke gemeldet wurde.
Als der Adjutant in Helm und Schärpe das Zimmer seines Chefs betrat, wartete er zunächst vergeblich auf ein Wort, nach welchem er seine wohleinstudirte Rede vom Stapel lassen konnte. Der Oberst war beschäftigt. Er spuckte — und zwar anhaltend und mit großem Eifer. Danach machte der Herr Oberst noch einige heftige Evolutionen mit der Zunge, von deren Spitze erstörende Fremdkörper zu entfernen trachtete. Erst als das geschehen war, wies der Herr Oberst auf einen Stuhl.
„Setzen Sie sich, Reifferscheidt,” bemerkte er dann, indem er mit einer dem jungen Officier ganz unmotivirt scheinenden Energie seine Cigarre auf das Ofenblech schleuderte, so daß der Stummel die Funkengarbe einer Kalospinte aufsprühte. „Setzen Sie sich und reden Sie gar nichts, Reifferscheidt. Ich weiß Alles. Ich weiß jedes Wort, was Sie mir sagen wollen — und ich erkläre Ihnen von vorneherein: Sie haben recht und ich will Ihnen nichts in den Weg legen —”
„Herr Oberst — Sie machen mich zum Glücklichsten der Sterblichen und — — —”
Der Lieutenant unterbrach seinen Dithyrambus, da der alte Herr mit allen Zeichen höchstenm Befremdens aufsah.
„Wissen Sie was, Reifferscheidt, für diese Redensart müßte ich Sie eigentlich einsperren! Verstehen Sie mich? So eine Frechdachsigkeit! Na — ich will's Ihnen aber zu gute halten, wegen der anderen Geschichten, in denen ich Sie möglicherweise zu Unrecht angehaucht habe. Ich weiß selbst, daß ich ein wenig umgänglicher Mensch bin. Abgesehen aber von dem schuldigen Respect, ist es nicht hübsch von Ihnen, Reifferscheidt, daß Sie sich zum Glücklichsten der Sterblichen erklären, weil Sie mich loswerden. Ich muß sagen, daß mir das persönlich nahegeht; denn —”
„Herr Oberst, ich bitte gehorsamst bemerken zu dürfen — — ”
„Sie haben gar nichts zu bemerken, mein lieber Reifferscheidt. Ich habe schon gesagt, daß ich Alles weiß. Und mehr will ich gar nicht wissen. Sie wollen mit dem groben Kerl nichts mehr zu thun haben — stimmt das?”
„Nein, Herr Oberst.”
„Nanu, dann wollen Sie sich wohl gar über mich beschweren — —”
„Auch nicht, Herr Oberst.”
„Zum Donnerwetter noch einmal, was wollen Sie denn überhaupt!?”
„Ich bin gekommen, um den Herrn Oberst um die Hand von Baroneß Kläre zu bitten.”
Eine unendlich lange Minute war Alles still. Der Oberst war sprachlos — und mit dem kurzathmigen Tonfalle der Sprachlosigkeit sprach er:
„Mensch, wie kommen Sie denn darauf —? Von so was habe ich ja nicht die Spur gemerkt.”
„Da der Herr Oberst alle meine Gedanken zu lesen wußten, so habe ich angenommen, daß der Herr Oberst den, der mich am meisten beschäftigte, auch erkannt haben,” erwiderte der Officier mit einem leisen übermüthigen Lächeln. Dann fügte er ernst und herzlich hinzu: „Wenn ich trotzdem meine Empfindungen nicht zu äußern wagte, so lag das an der Unsicherheit meiner Vermögensverhältnisse. Erst heute, da laut amtlicher Nachricht meine Ansprüche auf das Majorat Welzendorf anerkannt sind, darf ich es wagen, Herr Oberst, vor Sie hinzutreten.”
„Sagen Sie mal, Reifferscheidt, und das ist schon lange, daß Sie die Kläre lieb haben —”
„Seit ich die Ehre habe, des Herrn Obersten Adjutant zu sein.”
„Da bin ich ja ein schöner Cumberland — na und wie denkt das Mädel über die Geschichte?”
„Baroneß Kläre liebt mich — wie ich sie liebe!”
„So — und woher wissen Sie das?”
„Herr Oberst — ich — — ich bin auch ein wenig Gedankenleser!”
* * *
Als Oberst Freiherr von Böhle eine Viertelstunde später die volle und unwiderlegliche Bestätigung der hellseherischen Anlage seines Adjutanten erhalten hatte, gab er für seine Person das Gedankenlesen auf. Das Fiasco war zu blamabel gewesen. Wenn er schon weder dem Lieutenant, noch seiner Tochter, noch seiner Frau etwas angemerkt — so hätte er doch wissen müssen, daß die Adjutanten fast immer die Töchter ihres Chefs heirathen. Er war doch auch Adjutant gewesen und — hatte es auch so gemacht.
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Fußnoten:
Stuart Cumberland (1857-1922) war für seine Gedankenlesefähigkeiten bekannt. Er zeigte seine Kunst in den Jahren zwischen 1885 und 1914 in vielen Orten in vielen Ländern. [D. Hrsgb.] (zurück)
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Unterstrichene Textteile sind nur im „Rostocker Anzeiger” abgedruckt,
durchgestrichene Textteile sind nur im „Teplitz-Schönauer Anzeiger” abgedruckt.
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