'n paar Brautens.

Eine Reservisten-Humoreske von Teo von Torn.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 17.09.1901


Leutnant v. Crinius ließ die beiden Haarbürsten, mit denen er sein noch vom Manöver her kurzgeschorenes Haar bearbeitete, sinken und sah sich nach seinem Burschen um.

Der Kerl hatte schon in der ganzen letzten Zeit eine verflucht schlappe Art, sich zu bewegen und zu sprechen. Er machte ein Gesicht wie eine kranke Seekuh, und wenn er etwas in die Hand nahm, so sah Das aus, als wollte er — wie Hamlet über den Schädel — melancholische Betrachtungen darüber anstellen.

Kurz und gut — der mobile, sonst zu allen möglichen Dummheiten aufgelegte Mensch war wie ausgewechselt, und wenn Rolf v. Crinius gerade in dieser Zeit nicht so viel Eigenes zu denken gehabt hätte, wäre er dem trübseligen Mirakel schon längst auf den Grund gegangen. Er mochte seinen Burschen trotz manchen Unfugs, den er auf dem Kerbholz hatte, sehr gut leiden — aber wenn man seit acht Tagen verlobt ist, hat auch der theilnehmendste Vorgesetzte nicht viel Mumm, sich um Stimmungen seiner Untergebenen zu kümmern. Ganz abgesehen davon, daß es im Grunde unmilitärisch ist, bei jeder Gelegenheit den Gemüthsathleten herauszubeißen.

Aber wie Bogumi Tattke sich heute Morgen gab, Das war denn doch nicht zu übersehen.

„Befehlen der Herr Leitnant den Kaffee?” fragte er derart wehleidig, als hätte er einen Dreimaster mit zwei langen Kreppschleiern auf und wäre von der Kirchhofsdeputation beauftragt, zu erkunden: „Ist hier vielleicht die Leiche abzuholen?”

Leutnant v. Crinius ließ, wie gesagt, die Haarbürsten sinken und sah sich befremdet nach dem Seufzenden um.

Unter dem prüfenden Blicke seines Leutnants schob Bogumil Tattke die weißlichen Augenbrauen fast bis unter den ebenso weißlichen Schopf und zog heftig mit der Nase auf. Dabei zuckte es gewaltig um seine Mundwinkel, und der vierkantige Kopf sowohl wie seine Schultern erbebten in explosionsbereiter Betrübniß.

Der Officier legte nun auch die Bartbinde ab und trat dann raschen Schrittes dicht an seinen Burschen heran.

„Sagen Sie mal —?” fragte er verblüfft, indem er dem unglücklichen Bogumil ganz nahe in die plinkernden Augen sah, „sind Sie krank?”

„Nnnn—ein, Herr Leitnant —”

„Na, weshalb ziehen Sie denn einen Rüssel, als ob Sie nießen oder heulen wollten, he?”

„— — — —”

„Antwort!”

„Hhhhherr Leitnant — es ist mir so schrecklich —”

„Was denn!?”

„Daß — daß ich — —”

„Nun will ich Ihnen mal 'was sagen, Tattke, wenn Sie jetzt nicht den geehrten Schnabel aufmachen, dann gibt's 'was aus der Armencasse, verstanden? Glauben Sie, ich lasse mir Rebusse von Ihnen aufgeben?!”

Nun war es Zeit für Bogumil Tattke sich zu äußern; denn wenn sein Leutnant mit der Armencasse drohte, dann wurde es brenzlich. Also raffte er sich zusammen, holte ganz tief Athem und stieß hervor:

„Es ist mir so schrecklich, Herr Leitnant, daß ich heite dem Herrn Leitnant zum letzten Male den Kaffee bringe —”

„Weshalb denn — — ach so — Donnerwetter ja! Das hätte ich beinahe vergessen! Sie werden morgen zur Reserve entlassen —”

„Zu — zu Befehl, Herr Leitnant!” Dabei fuhr er fassungslos mit dem Zeigefinger unter die Nase.

Herr von Crinius wandte sich ab und warf auf seinem Toilettentisch Einiges durcheinander.

„Na, ja —” sagte er dann mit veränderter Stimme, „es thut mir ja auch leid, daß wir auseinander kommen — aber deshalb hat man sich doch nicht wie ein hysterisches Frauenzimmer ! Können uns nicht ewig am Frack baumeln.! Ist doch mal so im Leben — — außerdem kommen Sie ja nun nach Hause, und Das hat doch schließlich auch was für sich.”

„Zu Befehl, Herr Leitnant, aber — der Herr Leitnant sind immer so gut gewesen — und es war so schön — und denn kann ich auch sonst so schwer weg hier — —”

„Auch sonst? Sagen Sie mal, Tattke, haben Sie etwa Schulden?”

„Zweiefufzig —”

„Na, das ist ja zu erschwingen. Und sonst?”

„Ach Gott —” hikopte Bogumil, „die Brautens!”

Leutnant von Crinius pfiff durch die Zähne und wiegte verständnißinnig den Kopf, indem er den Erschütterten von der Seite musterte.

„Aha — also daraus läuft's hinaus! Sehen Sie, Tattke, Sie verdammter Kerl, ich hab's Ihnen immer gesagt, daß mal eine Zeit der Abrechnung kommt. Also nun mal forsch heiraten, verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Leitnant — aber wir haben doch man zu Hause eine Kuh, zwei Schweine und vier Zicken — und die krieg' ich man erst, wenn Vater auf Altentheil geht — und denn hab' ich auch schon zu Hause eine Braut — und deshalb kann ich die anderen Brautens hier — —”

„So, Das ist ja eine nette Geschichte? Dann sehen Sie mal hübsch zu, wie Sie sich da rauswickeln. Wieviel haben Sie denn hier am Bändel, he?”

„'N — — — paar, Herr Leitnant.”

Herr von Crinius schob die Hände in die Hosentaschen und betrachtete kopfschüttelnd und mißbilligend den unglücklichen mehrfachen Bräutigam. Schließlich aber that ihm das Armesündergesicht des sonst gutherzigen und tüchtigen Menschen leid. Auch erwog er, daß Bogumil Tattke ihm fast zwei Jahre treu gedient — also faßte er einen Entschluß.

„Hören Sie mal, Sie verdienten eigentlich, daß ich Sie Ihrem Schicksal überließe, verstanden? Aber ich will sehen, wie sich Das arrangiren läßt. Sie sollten hundert Mark von mir bekommen. Ich werde das Geld zurückhalten, falls man bare Auslagen für Sie gemacht hat — wenigstens Das muß zurückerstattet werden. Also schicken Sie mir das Mädel 'mal her —”

Es sind 'n paar, Herr Leitnant.”

„Also meinetwegen 'n paar, zum Donnerwetter! Sie sollen herkommen — vielleicht am Sonntag. Ich werde versuchen, den Mädels auseinanderzusetzen, daß Sie ein großes Kameel sind und ein Windhund dazu, und daß sie an Ihnen Nichts verloren haben.”

„Herr Leitnant!” rief Bogumil Tattke strahlend. „Ich danke auch vieltausendmal, Herr Leitnant, und —”

„Kehrt! Rrrraus!” commandirte Herr v. Crinius.

Und Bogumil Tattke stampfte mit allen äußeren Merkmalen eines wiedergewonnenen seelischen Gleichgewichts zur Thür hinaus, um seinem Leutnant zum letzten Male den Kaffee zu bringen.

*           *           *

Am nächsten Tage zogen die Reservisten durch die Straßen — mit aufgerollten Achselklappen, den Reservistenstock mit der Compagnietroddel in den fidel gestikulirenden Händen. Man ist bekanntlich nie lustiger, als wenn es gilt, sich über die Trennungsstunden hinwegzubringen. Es liegt dann etwas Forcirtes in der Munterkeit — und Das ist namentlich an den abgehenden Reservisten zu beobachten, obwohl doch die Parole Heimat heißt.

Auch Bogumil Tattke war der muntersten Einer. Nur sah man ihn den ganzen Tag nicht in den herumziehenden Trupps. Am Morgen hatte er seinem Leutnant noch einen letzten Dienst geleistet und eine Freude gemacht mit einem Brief, den er dem Briefträger abgenommen und Herrn von Crinius übergeben hatte. Die Braut des Herrn Leutnants meldete sich mit ihrem Vater zum nächsten Sonntag zum Besuch an. Darüber war der Herr Leutnant ganz aus dem Häuschen gewesen vor Glück, und Bogumil Tattke hatte die „blaue Hose” bekommen — trotzdem und alledem.

Seit seiner Entlassung schrieb Bogumil Briefe — immerfort Briefe — so viel Briefe, daß er ordentlich schwitzte bei dem ungewohnten Geschäft. —

*           *           *

Am Sonntag-Nachmittag gegen drei Uhr war Herr von Crinius auf die Bahn gegangen, um seine Gäste abzuholen. Der Zug, welcher die Herrschaften von der benachbarten Station bringen sollte, lief ein, aber er brachte — Niemand. Der Leutnant wartete auch noch den nächsten ab, der zwei Stunden später eintraf — wieder Nichts.

Mißgestimmt machte er sich auf den Heimweg. Als er in die Straße einbog, in welcher er wohnte, erregte Etwas seine Aufmerksamkeit und veranlaßte ihn schließlich, seine Schritte zu beschleunigen.

Ein Auflauf staute sich vor seinem Hause — — und je näher der Officier kam, desto deutlicher unterschied er, daß es zumeist junge Mädchen waren, welche sich dort herumdrängten — Dienstmädchen im Sonntagsstaat — und plötzlich dämmerte ihm eine furchtbare Ahnung auf.

Bei seinem Nahen kam noch mehr Leben in die Gesellschaft. Man umringte ihn und begann auf ihn einzusprechen. Herr von Crinius aber brach sich Bahn, um vorerst mal in seine Wohnung sich zu retten. Das war jedoch leichter gedacht, wie gethan.

Unten im Flur — Mädchen; die beiden Treppen hinan — Mädchen; im Entree — Mädchen; — — und diese Mädchen hatten seinen Burschen gestellt, der in völliger Hülflosigkeit in einer Ecke lehnte, umdräut von der Amazonenbrandung.

Mit dröhnendem Commandoton schaffte der Officier für einen Augenblick Ruhe — in diesem Moment wurde die Stubenthür aufgeriegelt und geöffnet, und der Gutsbesitzer Major von Ermbach, Rolfs Schwiegervater in spe — die Herrschaften hatten die Tour per Achse zurückgelegt und waren längst eingetroffen — trat heraus. Wie der Leutnant durch die geöffnete Thür sah, lag seine Braut in einem Fauteuil und schluchzte fassungslos. Er wollte zu ihr eilen, aber der Major hielt ihn zurück.

„Wollen Sie mir nicht erst erklären, Herr Leutnant, was dieser Empfang und diese Schloßgarde hier bedeutet?!”

„Herr Major — ich versichere Sie, ein Mißverständniß — — —”

„Das kann ich mir denken, denn ich nehme nicht an, daß Sie sich Damenbesuch — und in so reichem Flor einladen werden, wenn Sie uns erwarten. Aber die Gesellschaft erklärt, daß Sie Verpflichtungen gegen sie übernommen hätten —”

Das war zu viel. Leutnant von Crinius holte so tief Athem als er konnte — und im nächsten Moment trieb ein Kernfluch Bogumil Tattke's versammelte „Brautens” zum Tempel hinaus. Den Rest besorgte der Bursche, welcher nun wieder Muth bekommen hatte.

Ein paar Worte zur Aufklärung genügten, um Elly von Ermbach zu versöhnen und den alten Major in die heiterste Stimmung zu versetzen. Nachdem Letzterer sich einigermaßen erholt, faßte er seinen Schwiegersohn bei einem Uniformknopf und sagte leise:

„Soldatenliebe rangirt sich alleweil selbst, mein Bester — und 'n paar Brautens sind immer noch mehrere gewesen! Das heißt —” fügte der alte Herr mit einer leichten Kopfbewegung nach seiner Tochter hinzu, „eine ist natürlich immer nur eine!”

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