Humoreske von Teo von Torn.
in: „Leipziger Tageblatt” vom 20.04.1901,
in: „ Rigasche Rundschau” vom 21.04.1901,
in: „Coblenzer Zeitung” vom 27.04.1901,
in: „Prager Tagblatt” vom 28.04.1901, Seite 33,
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsblatt”
Für alle Wechselfälle des Lebens, soweit dieselben nach bitteren Mandeln schmeckten und Herr von Palpert gerechterweise zugeben mußte, daß er sie sich selbst in den Festkuchen seines Daseins geschnitten, — für alle diese Fälle hatte der Oberleutnant Just von Palpert immer nur die eine Erklärung bezw. Entschuldigung: das Milieu!
Er vertrat den Standpunkt, daß er an sich nicht nur der beste Mensch, sondern nächst Hülsen-Häseler und Waldersee der begabteste Officier der kaiserlich-deutschen Armee sei. Offenbarte sich hie und da Etwas, das diesen Standpunkt — und zwar mitunter recht drastisch — zu widerlegen schien, so bewies er haarklein, daß alle Dinge und Menschen um ihn her, natürlich auch seine Vorgesetzten, sich meuchlings zusammengethan hatten, um seine Qualitäten in ein schiefes Licht zu rücken.
Wer die militärischen Einrichtungen kennt, wird ohne Weiteres glauben, daß Herr von Palpert solche Erklärungen mit dem dazu gehörigen Weltschmerz nur im intimsten Kreise kundgab — denn der einzige Einwand, den ein Untergebener einem Vorgesetzten gegenüber zu machen berechtigt ist, lautet: „Zu Befehl!” Ob man dabei denken will: Ich bin ja noch viel dümmer als Du glaubst! Oder Du kannst mir mit Filzparisern den Buckel runterrutschen! das ist dann die Sache des Temperaments und der mimischen Geschicklichkeit.
So verharrte denn auch der Oberleutnant von Palpert starr wie die Säule des Memnon, von der nur eine unverbürgte Mythe sagt, daß sie tönt, vor dem zürnenden Antlitz seines Oberst.
„Das, mein verehrter Herr Leutnant,” schloß dieser mit einem tiefen Aufathmen bedeutender Erleichterung seine freundlichen Worte, „habe ich Ihnen sagen wollen! Und wenn Sie den ernsten Vorsatz haben, sich in absehbarer Zeit noch nicht nach einem neuen Cylinderhut umzusehen — man trägt jetzt welche mit schmaler Krempe, nicht wahr, Herr Leutnant? — so muß ich Ihnen nahe legen, daß Sie sich den praktischen sowohl wie den theoretischen Dienst doch etwas mehr zu Gemüthe nehmen! Ihre Leute verstehen gar nichts, — verstehen Sie, Herr Leutnant? Gar nichts! Die Dummheit Ihrer Leute in der Instruction schreit zum Himmel, und bei dem Hammelrennen, das Sie mir eben als sogenannten Parademarsch vorgeführt haben, latschte jeder dritte Mann über den großen Onkel! Das muß anders werden! Ich will auf die Details nicht noch einmal eingehen und hoffe nunmehr, daß Sie mich verstanden haben. — Sie haben mich doch verstanden, Herr Leutnant?”
„Zu Befehl, Herr Oberst!”
„Ich danke Ihnen.”
Bitte — dachte Herr von Palpert, als die viereckigen Schultern des Regimentchefs sich einer anderen Ecke des Casernenhofes zuwandten, um auch dort Licht und Sonne und eitel Freude zu verbreiten. Heiliger Christian von Mars-la-Tour! War das ein Anpfiff! Einen Moment dachte der Leutnant wirklich daran, mit dieser Fermate seine militärische Laufbahn abzuschließen, jedoch schon im nächsten Augenblick kam ihm das überlegene Bewußtsein seines Martyriums — und er beschloß, die Zukunft der Armee nicht in Frage zu stellen.
Dafür erfaßte ihn aber ein heftiger Groll gegen seine kleine Frau. Sie hatte ihn gestern Abend und heute Früh durch Thränen irritirt. Sie war Schuld, wenn er unzulänglich abgeschnitten hatte! Sie allein! Wie konnte er seinen Leuten jenen unumgänglichen Avec einflößen, wenn er aus einem Milieu von Thränen und schmalzbackenen Vorwürfen kam! Und wenn er auch wirklich auf dem gestrigen Pekko bei Roschwitzens mit der feschen Frau von Bastiani ein bischen heftig geflirtet —; es war einzig und allein dieses erdrückende Kleinstadtmilieu daran Schuld, daß sein kernfester Charakter hie und da eine kleine Beule kriegte.
Der nagende Weltschmerz, welchen das arme Opfer seines Milieus auf dem ganzen Nachhausewege empfunden hatte, schlug in eine halb freudige, halb beklommene Ueberraschung um, als er auf der Treppe zu seiner Wohnung zuerst das Parfüm und gleich darauf auch Frau Hildegard von Bastiani selbst bemerkte, welche sich eben in der Thür mit der ihr eigenen zwitschernden Munterkeit von seiner Frau verabschiedete.
Und merkwürdig! Die kleine Frau schien davon angesteckt. Sie war fidel wie ein Lämmerschwänzchen — auch nicht die Spur mehr von jener auseinanderfließenden Larmoyanz, in der er sie heute Früh verlassen hatte.
Das war befremdend — und befremdender noch, daß seine Frau die reizende junge Witwe einlud, doch noch zu bleiben; jetzt, da ihr Mann da sei, werde es ja erst hübsch und gemüthlich. Sie werde sofort noch ein Gedeck auflegen lassen und — —
„Nein, nein, nein, Liebste!” wehrte Frau von Bastiani ab, indem sie an den völlig Consternirten einen neckischen Blick verschwendete. „Wenn wir heute Nachmittag die verabredete Spritztour machen wollen, dann muß ich jetzt gehen. Es ist doch noch Manches vorzubereiten — und Baron von Wehrscheidt ist auch noch zu verständigen. Also Adieu, Liebste, adieu, Herr Leutnant!” wandte sie sich an diesen, indem sie ihm ihr feinbehandschuhtes winziges Händchen hinstreckte — mit jener fidelen Cordialität, die er sonst so entzückend fand.
Heute — in Gegenwart seiner Frau — war ihm das ganz unwillkürlich ein Choc; und es war das erste Mal, daß er dieses Händchen nicht an seine Lippen zog. Er beschränkte sich auf einen Händedruck und eine Anzahl größerer und kleinerer Verbeugungen, bei denen er die Hände zusammenschlug und verschiedene „. . . pfehle . . . gehorsamst” hervorstieß.
Als die schöne Frau die Treppe hinabgerauscht war, folgte Herr von Palpert seiner Gattin in die Wohnung — und zwar mit einem Gesicht, das sich recht wenig gescheidt ausnahm.
Das Mittagessen verlief höchst einseitig. Lieutenant von Palpert aß nichts und redete nichts; die kleine Frau aß für zwei und war aufgekratzt wie noch nie. Sie plauderte ununterbrochen und schien das nachdenkliche Befremden ihres Gemahls gar nicht zu bemerken. Erst als er auch die delicaten Roastbeefschnitten nur mit einem verlorenen Blicke streifte, gedankenvoll und ganz gegen seine Gewohnheit die Serviette kniffte und sie mit umständlicher Sorgfalt in den silbernen Ring paßte, sah sie mit gutgespielter Ueberraschung auf.
„Ich finde, Du ißt heute nur wenig, Männchen!” warf sie hin, ohne sich im Mindesten stören zu lassen. „Hast Du Aerger gehabt?”
„Aerger — he! Als wenn ein Soldat sich ärgern dürfte! Und noch dazu, wenn man solch eine lustige Frau hat! Da muß man ja fidel sein, auch wenn man im Dienst zu Quarkkäse verarbeitet wird! Na überhaupt — und diese Frau von Bastiani . . .”
Die kleine Frau veränderte keine Miene. Sie angelte sich ein paar Knackmandeln aus der Crystallschale und sagte schmausend:
„Ja, was ich sagen wollte, Justel — mit der Frau habe ich Dir schweres Unrecht gethan. Die ist ja entzückend! Ich habe sie eigentlich heute erst ricntig kennen gelernt — und ich muß sagen, daß ich es sehr wohl begreife, wenn Du ihr ein wenig den Hof machst. Das heißt,” fügte sie, nach einer kleinen Kunstpause hinzu, „ich begreife das, aber es ist mir natürlich nicht gerade angenehm; und deshalb habe ich mich entschlossen, genau so zu werden, wie Frau von Bastiani — genau so lebhaft, genau so fesch und flott, ganz wie Du es gern hast.”
„Na, sei so gut!” rief Herr von Palpert, indem er aufsprang, die Hände in die Taschen steckte und versuchte, seiner widerstreitenden Empfindungen in einer forcirten Promenade Herr zu werden. „Wie kommst Du denn bloß auf diese unglaubliche Idee?”
„Durch die endliche Erkennung, Männchen,” erwiderte Frau von Palpert sehr ruhig und bestimmt, „daß dieses stumpfe, häusliche Milieu Deinen persönlichen und gesellschaftlichen Qualitäten nicht genügen kann. Du mußt Dich ja beengt fühlen in unserem stillen Winkel und bei einer Frau, die Dir sogar Dein Mittagessen in der Hauptsache selbst bereitet. Das wird nun anders werden. Ich habe Frau von Bastiani um ihre Freundschaft gebeten und wir wollen von jetzt an recht zusammenhalten, um —”
„Aber ich will nicht!” schrie Herr von Palpert, indem er einen Moment stehen blieb, um dann sofort wieder wild durch das Zimmer zu fegen. „Ich will nicht! Solch eine Fastnachtsidee! Mit der Bastiani! Als wenn es keine anderen Damen in unseren Kreisen gäbe, denen Du Dich näher anschließen könntest, wenn Dir sonst daran liegt! Ausgerechnet die Bastiani! Es ist zu dumm!”
„Ist gegen den Ruf oder das gesellschaftliche Ansehen der Dame auch nur das Geringste einzuwenden?”
„Das nicht — durchaus nicht! Und trotzdem ist Frau von Bastiani kein Verkehr für Dich —”
„Aber für Dich — —?”
Lieutenant von Palpert zuckte wüthend die Achseln und wandte sich ab.
„Sieh' mal, Liebster,” fuhr die junge Frau fort, „das ist Logik von Adams Gnaden. Dein Zorn beweist mir, wie Du all' das Ungerechtfertigte fühlst, und ich will Dich damit nicht ärgern. In der Sache selbst aber bleibt es bei meinem Entschluß — und der Anfang ist auch bereits gemacht. Ich fahre heute Nachmittag mit Frau von Bastiani nach Griebenow.”
„Du — Ihr wolltet — — allein!?”
„Oh, durchaus nicht! Selbstverständlich dachte ich zuerst an Dich — da Du Dich ja ohnehin Fau Hildegard als Begleiter für die nächste Schlittenfahrt angeboten hattest — —”
„Diese Schlange —” stöhnte der Leutnant in sich hinein, „das hat sie auch ausgeplaudert!”
„Und Du hättest gewiß nichts dagegen gehabt, wenn ich mit von der Partie gewesen wäre —; aber ich entsann mich, daß Du heute Dienst hast — und da wird Herr Major von Wehrscheidt die Güte haben —”
„Was!!? — Dieser alte Roué und Roßtäuscher! Der wegen seiner Liebes- und Pferdehändel den Dienst hat quittiren müssen!?”
„Nun ja, gehört er nicht etwa zur Gesellschaft? Er ist heute Vormittag hier gewesen, und wir haben, ehe noch Frau Bastiani kam, alles Nöthige verabredet —”
„Er ist hier gewesen —” stotterte Herr von Palpert entgeistert.
„Allerdings, er hat mir seine Aufwartung gemacht — und zwar mache ich gar kein Hehl daraus, daß ich den Herrn unter der Hand hatte bitten lassen — —”
Der Herr Leutnant stieß einen unartikulirten Laut aus und eilte zur Thür. Im Entrée umgürtete er sich in bebender Hast mit einem Säbel, ergriff seine Mütze und stürmte davon.
Die kleine Frau war zuerst doch etwas erschrocken von dem lebhaften Effect ihrer Eröffnungen. Als sie aber vom Fenster aus sah, daß ihr Gatte wild wie ein angeschossener Eber dem in derselben Straße belegenen Hause des Majors zusteuerte, brach sie in ein helles Lachen aus.
* * *
Nach einer halben Stunde begleitete der Baron von Wehrscheidt, indem er wiederholt wegen seiner gestickten Morgenschuhe um Entschuldigung bat, seinen geknickten Gast bis in das Entrée.
„Im Uebrigen, mein lieber Palpert, ” sagte der joviale alte Herr, dessen weinrothe Nase ihrer verschiedenen Jungen geradezu als eine Dehenswürdigkeit galt, „war mir Ihr Verdacht sehr schmeichelhaft. Auch ich muß leider sagen, was unser alter Wrangel dem alten Sultan erklärte, als ihm dieser den Eintritt in den Serail verweigerte: Majestät überschätzen mir. — Daß Sie mir bei der Gelegenheit das Geheimniß von dem neuen Gaul, den Sie zum Geburtstag kriegen sollten, abgeluxt haben, das müssen Sie nun schon mit Frau Gemahlin abmachen. Und da Sie um die Geschichte doch schon wissen, können wir zwei Beide nach Griebenow fahren, um uns den Fuchs anzusehen. Ein Prachtthier sage ich Ihnen! Und dann, was ich noch sagen wollte — geben Sie sich mit der Bastiani nicht ab, Palpert — glauben Sie mir — das Frauenzimmer ist 'ne ganz verdammte Kröte! Sie freut sich diebisch, wenn man ihr den Hof macht — aber hinterher geht sie zu den Weibern und quatscht nicht blos Alles aus, sondern gibt ihnen auch noch gute Rathschläge, wie sie dem Mann die Flügel beschneiden sollen — —”
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