Abwechslung

Humoreske von Teo von Torn.
in: Indiana Tribüne”vom 14.10.1900,
in:
„Pittsburger Volksblatt” vom 8.11.1900


Die Mittagsglocke der Pension Gölling bimmelte geschäftig zur „Table d'hote” um dann mit einem besoners hellen nachschwingenden Tone anzuschlagen.

Auf dieses Signal tapsten ein paar Kinder aus dem wundervcll klaren und nur leicht bewegten Strandwasser, in welchem sie mit den dünnen Beinchen gewatet und nach Quallen gegriffen hatten. Hinter einer aus Weiden und Schilf geflochtenen Schutzwand erhob sich ein langes „Fräulein”. Sie klemmte den Band Tauchnitz Edition aufgeschlagen unter den Arm und rief den Kleinen verdrosssen ein paar englische Worte entgegen. Dann zog sie mit den erhitzten Kindern durch den in der prallen Sonne flimmernden weißen Sand nach dem primitiven Brettersteg, der zur „Pension” führte. Ihr letzter halb verächtlicher Blick galt dem einzigen Strandkorbe, welcher in der Bruthitze und nach dem Zeichen zur großen Fütterung noch besetzt war.

„Du, Willy —” knurrte der Assessor von Spangenberg, welcher in dem Schatten des Korbes lang ausgestreckt lag und dem „Fräulein” nachblinzelte.

„Hm —?”

„Die englische Spinatwachtel ist böse.”

„Hm.”

„Du hättest sie wieder ansprechen sollen, Willychen.”

„Ach was!”

Willy Großheim schnellte mit dem Mittelfinger der Rechten seine „Sonnenblume”, den buntbändrigen Strohhut, aus der heißen Stirn ins Genick und stützte dann beide Ellenbogen schwer auf die Kniee.

„Im Grunde ist das furchtbar stumpfsinnig, weißt Du —” sagte er dann mit einer müden, nachdruckslosen Selbstverständlichkeit.

„Was? —”

„Na, das Ganze hier.”

Da der Assessor nichts Wesentliches einzuwenden hatte, so entstand eine Pause. Die heiße Luft zitterte und flirrte ordentlich um die beiden Maroden. Rolf von Spangenberg wälzte sich schwerfällig auf den Bauch und legte den Kopf auf die Arme.

„Weißt Du nicht vielleicht eine Abwechslung, Willychen?”

„Ja.”

„Na?” —

„Aufhängen.”

„Das ist nichts, Willychen; davon hat man nicht das liebe Leben. Außerdem ist es zu heiß dazu. Aber ich weiß was —”

„Hm?”

„Laß uns essen gehen.”

„Pe —”, stieß Willy Großheim achselzuckend hervor, „Scholle und Roastbeef — —”

„Und die Spinatwachtel —”

„Und die vier Kinder, die mit den Fingern ins Compot fahren —”

„Brrrr —

„Brrrr —

„Aber weißt Du,” sagte der Assessor nach einer kleinen Weile, indem er den Kopf auf das andere Ohr legte, „die Kleine mit den goldgrünen Rautendeleinaugen ist vielleicht schon wieder da.”

„Dann ist's noch so.”

„Aber Willy!” rief Spangenberg indem er den Oberkörper langsam auf den Armen emporrichtete, wie ein auftauchendes Walroß, und den Freund consternirt anstarrte.

„Na ja!”, schrie der Andere unmotivirt laut und erregt und fuchtelte dabei mit den Armen auf. „Sie ist verheirathet!”

„Ach — du himmlische Güte!”

Der Assessor ließ sich wie ein gefällter Baum niederfallen, zappelte ein Weniges mit den Füßen und lag dann still. Willy Großheims entfesselter Kummer tobte über den Scheintodten hinweg.

„Verheirathet — jawohl! Sie hat es mir selbst gesagt — rund und klar; gerade als ich einen Anlauf nehmen wollte, ihr zu sagen, was ich für sie empfinde! Solcher raffinirten Bosheit ist eben nur ein Weib fähig! Und als sie abreiste, erklärte sie, daß „häusliche Pflichten” sie nach Hause riefen — häusliche Pflichten! Aber sie würde noch wiederkommen — mit ihrem Manne!! Gibt es da überhaupt noch einen andern Ausweg als Aufhängen?!”

„Ja — Todtschießen; aber den Andern.”

„Du bist verrückt!” brauste Großheim auf, indem er sich erhob und die „Sonnenblume” energisch in die Stirn rückte. Dann aber ließ er die Hand wie unter einer plötzlichen Eingebung langsam sinken. Sein rundes, von der Hitze roth aufgedunsenes Gesicht nahm einen Ausdruck blutdürstiger Entschlossenheit an — aber nur für einen Moment, dann zuckte er sie Achseln und wandte sich zum Gehen.

Auch der Assessor erhob sich stöhnend und schob seinen Arm in den des Freundes.

„Sieh mal, Willy,” sagte er müde, „es wäre doch eine kleine Abwechslung und —”

„Und dann —?!” höhnte Großheim empört. „Ich könnte das reizende Wesen ja nicht einmal heirathen, da mir der Alte doch die verrückte Amerikanerin bestimmt hat, die ich noch nicht einmal kenne!”

„Alle Wetter — ja! An Dein Fräulein Braut haben wir garnicht mehr gedacht. Na nun komm mal erst Scholle und Roastbeef essen, Willychen. Das haben wir schon lange nicht gehabt. Vielleicht kommen wir dabei auf einen guten Gedanken. Geschehen muß dann was — schon der Abwechselung wegen.”

*           *           *

Es war weder eine leichte noch eine angenehme Aufgabe, die der Junior der Firman Großheim und Fleetston übernommen hatte. Aber es mußte sein — um seiner selbst willen. „Sie” war da! Und sie sollte beileibe sich nicht einbilden, daß es den „verwöhnten Liebling aller Hamburger Consulstöchter” irgendwie berührte, vierzehn Tage genarrt worden zu sein von einem Rautendelein, das die Geschmacklosigkeit hatte, schließlich mit einem ehelichen Nickelmanne aufzutauchen.

Da saß die Schlange — drüben in seinem Strandkorb! Wie sie lächelte zu der Kurmacherei seines Freundes Spangenberg! Die Aermste hatte ja keine Ahnung, daß das Mache und Verabredung war. Mochte sie ihre Märchenaugen noch so angelegentlich abwenden, den Blick in die graublaue Dämmerung tauchen, welche der Abend über die S ee breitete — sie hatte sehr wohl bemerkt, wie zärtlich er sich der englischen Gouvernante widmete. Da — — jetzt sah sie sogar herüber!

Willy Großheim angelte nach den dürren Fingern des langen Fräuleins, und dieses lehnte hingebungsvoll ihre Schultern an seinen Kopf. Richtiger wäre es wohl gewesen, ihren Kopf an seine schultern zu legen, aber dazu war sie leider zu lang. Es war eben weder eine leichte noch eine angenehme Aufgabe — und schließlich hielt „Dear Uilly” es auch für genug des, nach verschiedenen Richtungen hin grausamen Spiels.

Er verabschiedete sich umständlich und verheißungsvoll von seiner dürren Miß und watete dann erhobenen Hauptes durch den Sand nach dem Brettersteg, der zur „Pension” führte. Es galt nun, den zweiten Theil der für ihn verabredeten Aufgabe zu lösen. Und er mußte sich gestehen, daß ihm Freund Spangenberg diesen Theil sehr leicht gemacht. Da mußte ja ein todter Frosch eifersüchtig werden, wenn man ihm von seiner jungen Frau einen solchen dreidrähtigen Flirt erzählte. Und nun gar so ein alter brummiger Herr wie dieser Mister Bartlet, den er heute zwischen Scholle und Roastbeef kennen und — fürchten gelernt. Ja, auch fürchten. Der Mann machte durchaus den Eindruck, als wenn mit ihm nicht zu spaßen sei, und Willy Großheim war im Grunde des Herzens recht froh, daß der hieb- und schußgewandte Spangenberg es übernommen hatte, mit dem Alten anzubinden.

Als Großheim die Terrasse der Pension Gölling betrat, schrak er ein bischen zusammen — denn die unter den dichten gelbweißen Brauen hervorblickenden Augen des Herrn Bartlet waren ihm mit einem seltsam prüfenden Blick begegnet und — es war kein Zweifel — der alte Herr winkte ihn heran.

„Habe Ihren Namen heute Mittag nicht verstanden, Mister Großheim. Erfuhr erst später — nehmen Sie, bitte, Platz!”

„Danke sehr,”

Der alte Herr schob den Teller mit den Resten eines gewaltigen Hummers von sich und lehnte sich in den Korbstuhl zurück. Dann wischte er sich umständlich die bartlosen Lippen, warf die Serviette auf den Tisch und fragte absolut unvermittelt:

„Nun, wie gefällt sie Ihnen?”

„Wer — Pardon?”

„Na — „sie” — —”

„Sie” — ich weiß nicht — — ach so! Die See meinen Sie. O sehr — sehr gut! Ich kenne die See seit Langem,” versicherte der junge Mann, indem er nach einem Uebergang suchte für das, was er eigentlich sagen wollte. Und er fand ihn, denn er fuhr fort: „Die See ist schön, gewiß — und verführerisch! Frau Gemahlin ist eben an der See — — —”

„Allerdings.”

„Und — und nicht allein — —!”

„Ganz recht — mit meinem ältesten Sohne.”

Der Junior der Firma Großheim und Fleetston verzog sein mehr gesundes als geistreiches Gesicht zu einem so drastischen Ausdruck von Begriffsstutzigkeit, daß der alte Herr kopfschüttelnd wegsah. Es dauerte eine Weile, bis der consternirte Willy sich erholt hatte. Der Mann mußte ihn mißverstanden haben oder — —

„Frau Gemahlin ist übrigens bezaubernd —” fuhr er hartnäckig fort.

„Wa-a-a-as —?” fragte Mister Bartlet, indem er sich langsam verbeugte, die Ellenbogen breit auf den Tisch legte und sein Gegenüber halb grimmig, halb belustigt anstarrte.

„Jetzt kommt's,” dachte Willy, „so ist er richtig; nun aber nachpurren!” Er setzte ein vielsagendes Lächeln auf und zog leicht die Schultern hoch.

„Bezaubernd — wie ich sagte; und natürlich auch umschwärmt — —”

„Und woher wollen Sie das wissen, Herr!?”

„Nun — ich habe es gesehen.”

„Und wann?”

„Heute — eben.”

„Sie sind verrückt!”

Der alte Herr hatte sich in seinen Stuhl zurückgelehnt und sagte das so ruhig und selbstverständlich, als wenn er auch nicht den allergeringsten Zweifel hätte. Und ebenso ruhig fragte er nach einer kleinen Pause:

„Sagen Sie mal — Sie sind doch Mister William Großheim aus Hamburg?”

„Allerdings —” stotterte dieser eingeschüchtert.

„Von der Firma Großheim und Fleetston —”

„Jawohl.”

Mister Bartlet schlug mit der Faust auf den Tisch und hauchte nun den Erschrockenen wüthend an.

„Und da wagen Sie es, mich zum Narren zu halten, junger Mann! Faseln mir von meiner sechzigjährigen Frau vor, daß sie bezaubernd sei! Woillen Sie heute gesehen haben — als hätten Sie heute in Long Branch [soll wohl heißen: Long Beach - D.Hrsgb.] zu Mittag gegessen!? Sie sind verrückt, Herr, oder meine Tochter hat recht, wenn sie Sie für etwas beschränkt erklärt!”

„Ihre — Tochter?” stammelte Willy.

„Meine Tochter, die ich auf den Wunsch Ihres Vaters hierhergeschickt, damit Ihr Euch ohne Einfluß von irgend einer Seite kennen lernen und heirathen solltet! Meine Tochter hat Recht, wenn sie von Ihnen nichts wissen will — Sie sind zudringlich und beschränkt! Mag sie den Mister Spangenberg nehmen — all right!”

*           *           *

„Weißt Du, was Du bist!?”

„Na — Willychen?”

„Ein ganz gewöhnlicher Europäer, verstehst Du?!”

„Aber wieso denn, Kindchen —” lachte der Assessor, indem er seiner schönen Braut glückstrahlend zunickte. „Du wolltest ja die Amerikanerin absolut nicht heirathen — — da hab ich sie eben genommen. Es ist doch mal wieder eine kleine Abwechslung — wenn man die Verlobte seines Freundes heirathet.”

— — —