Humoreske von T. Szafranski
in: „Providencer Anzeiger” vom 20.04.1895
„Mein Herr —! Was berechtigt Sie dazu, mich zu verfolgen?”
„Verzeihen Sie, mein Fräulein, — —”
„Ich verzeihe nichts, mein Herr, Ihr Benehmen ist empörend. Seit einer Stunde folgen Sie mir auf Schritt und Tritt. Ich bleibe an einem Schaufenster stehen — Sie auch; ich betrachte die Mauer-Anzeigen, Sie auch. Weshalb also laufen Sie immer hinter mir her?”
Der korrekteste Ausdruck der Verblüffung ist schweigen. Und ich war verblüfft, denn wenn ich diesem — wie ich jetzt sah — wirklich sehr hübschen Mädchen gefolgt war, so mußte das ganz in Gedanken geschehen sein,, völlig unbewußt, in der Zerstreutheit eines planwälzenden Schriftstellers.
Daß ich diesem reizenden Geschöpfe, welches mir zuerst zornsprühend und dann mit einem merkwürdig entschlossenen Ausdruck in den goldig-braunen Augen gegenüberstand, eine geschlagene Stunde lang gefolgt war, erfuhr ich thatsächlich erst jetzt.
Kurz und herrisch, ohne den Blick von mir abzuwenden, sagte sie halblaut: „Sie werden mich begleiten!”
„Aber erlauben Sie —”
„Darf ich um Ihren Arm bitten?”
„Bitte sehr . . . ”
„Das klingt so gedehnt, mein Herr, Sie scheinen gar nicht recht vergnügt über Ihre Eroberung zu sein.”
„Ich versichere Sie, mein Fräulein, daß mir nichts so fern gelegen hat, als Ihnen lästig zu fallen. Weder mein Charakter noch meine Erziehung —”
Sie unterbrach mich mit einem kurzen „so, so” und schwieg.
Pause.
„Ich füge mich, mein gnädiges Fräulein,”bemerkte ich schließlich, da mich die Situation, trotz aller Peinlichkeit, zu interessiren begann, „aber Sie nicht wenigstens die große Freundlichkeit haben, mir anzudeuten, wohin Sie mich führen?”
„Zu meiner Mama.”
„Zu — zu Ihrer — — ”
„Mama, jawohl.”
Du himmlische Güte! Zu ihrer Mama!!
Der nächste klare Gedanke war ausreißen, davonlaufen, um jeden Preis. Dazu war nöthig, eine passende örtliche Gelegenheit abzuwägen. Ich fragte also in möglichst gleichmüthigem Tonfall:
„Wo wohnen Sie denn, verehrtes Fräulein?”
„Nicht weit; kommen Sie nur, wir sind gleich da. Und das sage ich Ihnen, sobald Sie Miene machen, davonzulaufen, hetze ich den nächsten Polizeibeamten hinter Ihnen her!”
„Das geht zu weit!”
„Keineswegs, nur bis zur nächsten Straße, oder,” fragte sie, indem sie stehen blieb und mich mit ihren prachtvollen Augen halb verächtlich, halb schelmisch anlächelte, „fürchten Sie sich etwa?”
Das ist nun merkwürdig. Ich bin sonst ein leidlich vernünftiger Mensch, der alles, was er thut, nach a und b und c überlegt; kommt ir aber einer mit dem Vorwurf: Du fürchtest dich wohl, so bin ich im Stande. jede beliebige Dummheit zu begehen. — Ich ging mit.
* * *
Vor einem prunkvollen Hause machten wir Halt. Wir betraten den stuckverzierten Flur und stiegen bis zum zweiten Stock empor.
Meine Begleiterin eilte hastig auf eine Thür zu und öffnete dieselbe mittels eines Drückers, merklich bemüht, die Aufschrift eines blanken Metallschildes an der Thür zu verbergen.
Ein Diener in einfacher, vornehmer Livree tart uns entgegen.
„Führen Sie den Herrn zu Mama und sagen Sie, es wäre dringend.” Dann zu mir gewandt, fügte sie erklärend hinzu: „Mama ist sonst nämlich um diese Zeit nicht mehr zu sprechen. Ich komme gleich nach.” Weg war sie.
Der Lakai komplimentirte michmit verbindlichem Lächeln in einen Salon.
Da stand ich und durchlebte drei von jenen Minuten, in denen man inbrünstig einen mitleidigen Erdspalt erfleht — und wenn er bis zur Hölle reichte. Was in aller Welt sollte ich der Frau sagen, wenn sie jetzt herausrauschte?
Da — die Thür öffnete sich; — eine ältere, ansehnlich korpulente Dame trat ein und erwiederte meine tiefe Verbeugung nicht unfreundlich mit Kopfnicken.
„Setzen Sie sich, bitte,” sagte sie ziemlich geschäftsmäßig.
Ich setzte mich.
Sie rollte sich einen Sessel dicht an mich heran und sah mich ebenso wohlwollend wie erwartungsvoll an.
„Gnädige Frau,” begann ich stotternd, „haben Sie die Güte, meiner Versicherung Glauben zu schenken, daß nicht unsaubere — —”
„Einer solchen Versicherung bedarf es garnicht. mein Herr; Affektionen von der Art, wie ich sie bei Ihnen voraussetze, können nervöse Veranlagung zur Ursache haben.”
„Nervöse Veranlagung, jawohl, das wäre schon möglich, aber ich meine doch, daß ein Irrthum —”
„Möglich wäre, ganz recht — und deshalb wird eine Untersuchung nicht zu umgehen sein.”
Barmherziger! Eine Untersuchung! Die Frau war im Stande, mich vor den Staatsanwalt zu bringen.
„Aber gnädigste Frau, ich bitte Sie, um einer solchen Kleinigkeit wegen . . . ”
„Ob es sich um eine Kleinigkeit handelt, das soll sich erst herausstellen. Sie können unter Umständen ihr ganzes Leben daran zu thun haben. Folgen Sie mir, bitte.”
Ich folgte, aber nur langsam. Auf der Stirn fühte ich es kalt aus den Poren dringen.
In dem Nebenzimmer drückte mich die fürchterlich freundliche Frau in einen geräumigen Sessel und sah mir einen Moment theilnahmsvoll in die Augen. Dabei ging mir der letzte Rest von Sammlung und Willenskraft verloren. Ich schloß die Lider.
„Nun öffnen Sie, bitte, den Mund.”
Mechanisch gehorchte ich. Mir war, als tastete sie mir im Munde herum. Wenn die würdige Dame verrückt war, wie ich jetzt annahm, so hatte das wenigstens ein gutes; ich brauchte nichts zu reden. Im übrigen mochte sie mir meinetwegen Schwefelsäure in den Hals gießen.
Sie schien sich garnicht satt sehen zu können in meiner Rachenpartie, denn als ich den schüchternen Versuch machte, die ermüdeten Kiefer zu schließen, hielt sie dieselben auf mit einem ermuthigenden:
„Nur noch einen Augenblick.”
Ich hörte ein leises metallisches klingen, als wenn man eine Scheere berührt, — — und in dem selben Augenblick heulte ich unter einem furchtbaren Schmerze auf. Mir war, als ginge meine Kinnlade in tausend Splitter. Das Weib hatte mir einen Backenzahn ausgerissen. Nach allen Regeln der Kunst. Kostenpunkt $ 5. —
Seither gehe ich nie mehr in Gedanken, und wenn mir mal wirklich welche ankommen auf der Straße, dann schlage ich meinen Rockkragen hoch, drücke den Hut in die Stirn und eile schleunigst auf dem kürzesten Weg nach Hause.
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