Besetzungsliste: | |
Prinz Bernd v. Steinhausen |
Hugo Denzel Adolf Callenbach Matthey Frau Louise Callenbach-Wöhler Curt Vogel Martha Rudow Hans Schatz Otto Frank Magda Halden Horsten Lydia v.Hohenstein Max Monato Konrad Albes Paul Kohlmann Schweitzer Curt Vogel |
Thilo v. Trotha hat nicht umhin können, auch seinerseits in der Zeit der „erstklassigen Menschen” ein Wörtchen mitzusprechen. Wie nicht anders zu erwarten, hat er seine erstklassigen Menschen mit den Augen des Lustspieldichters gesehen, die den Dingen nicht auf den Grund gehen, sondern sich genug sein lassen an dem äußeren Schein. So ist denn sein Zeitbild nichts anderes als ein unterhaltsames Stücklein geworden, bei dem es viel zu lachen gibt, wie in irgend einem der früheren Lustspiele des Autors. Ein Dragoner-Rittmeister vertauscht die Uniform mit einem Hofamt und wird zum Hoftheater-Intendanten ernannt. Solch ein Sprung kommt ja auch in dem wohlgeordnetsten Staatswesen vor. Der ehemalige Rittmeister wird uns im ersten Akte gleich in vollster Intendanten-Tätigkeit vorgeführt, die Theaterdamen treten an, wie die Rekruten zum Appell, der Theateragent zeigt sich und dann kommt auch der Prinz Bernd von Sachsen, ein früherer Regimentskamerad Axel v.Leeds' und ein stets verliebter Herr, der in seiner Art für die Kunst, d.h. für die Künstlerinnen, viel tut. Ihm zu Gefallen muß Axel die Prima Ballerina Serranti für schweres Geld engagieren – was es kostet, bezahlt der Prinz. Aber bevor Durchlaucht dazu kommt, der Tänzerin den Hof zu machen, hat es ihm die wahre Liebe angetan. Am Hofe ist eine neue Hofdame, Komteß Karla Wildenstein, eine Cousine Axels, erschienen, die infolge ihrer Schönheit den Prinzen bezaubert. Er, der bisher nur immer von einer Blume zur anderen flatterte, liebt zum ersten Mal mit ganzem Herzen. Auf einem Wohltätigkeitsfest zum Besten unserer Afrikaner will er ihr seine Liebe gestehen, sie erinnert sich aber, daß er sie selbst einmal gelegentlich eines Aufenthaltes in Paris bis hinauf auf die Spitze des Eiffelturmes verfolgt hat und läßt daher den alten Schwerenöter nicht bis zu einer Liebeserklärung kommen. Prinz Bernd beweist aber, daß er ein anderer Mensch geworden ist, und erhält denn auch das Jawort seiner Angebeteten. Axels Mama glaubt, ihr Sohn werde sich mit Komteß Karla verloben, während er ebenso wie sein Freund Bernd, der eine österreichische Erzherzogin ausgeschlagen hat, sich als „erstklassiger” dadurch kennzeichnet, daß er seinem Herzen folgt und die Schauspielerin Ditta Arras heimführt. Soweit hat der Autor den ihm wohlbekannten Lustspielweg beschritten. Er will aber auch zeigen, daß sein Stück eine ernstere Tendenz hat und tut dies dadurch, daß er einen adligen Dramendichter namens Ritter v. Endkirch heranzieht, der ein Schauspiel, betitelt „die Generalsgöhre”, geschrieben hat, das die Schicksale Ditta Arras' mit dichterischer Freiheit behandelt. Der Herr Ritter hat sich früher gegenüber der Generalstochter, die des Broterwerbs wegen zur Bühne gegangen ist, wie ein Lump benommen und steht schließlich, wie es sich geziemt, gebührend gebrandmarkt da. Trotha hat recht und schlecht nach dem alten Bircher-Pfeifferschen Rezept gearbeitet und hat seine Fähigkeit, ein amüsantes Stück schreiben zu können, aufs neue bewiesen. Daß er für sein Erzeugnis den heute etwas ganz besonderes versprechenden Titel „Erstklassige Menschen” wählte, hat weiter nichts zu sagen; ebensogut könnte er es „Brave Menschen” oder sonstwie nennen.
Die Aufführung war gut, wenn auch nicht erstklassig. Curt Vogel bot in der Rolle des Hoftheater-Intendanten eine abgerundete Leistung. Den Prinzen Bernd gab Hugo Denzel zu einseitig als Don Juan; in der Szene mit Komteß Wildenstein und auch im letzten Akt hätten wir den Wechsel, der in den Liebesanschauungen des Prinzen vorgegangen ist, kräftiger betont sehen mögen. Martha Rudow spielt die Komteß Wildenstein mit feinem Empfinden. Die Rolle der Ditta Arras fand durch Magda Halden eine besonders erfreuliche Wiedergabe; die Künstlerin brachte namentlich in der Darstellung der „Generalsgöhre” die leidenschaftliche Erregung packend zum Ausdruck. Adolf Callenbach wußte als schwerhöriger Kammerherr v.Hasenow sehr erheiternd zu wirken. Auch der Ritter v.Endkirch war in Otto Franks Darstellung wohlgelungen. Von den übrigen Mitwirkenden heben wir noch hervor Konrad Albes als Theateragenten Holtinger, Louise Callenbach (Marianne v.Leeds), Lydia v.Hohenstein (Serranti) und Max Monato, der den Regisseur Dahlmann spielte.
M.B.
(Kieler Nachrichten, No. 279 vom 29.Nov. 1904)
Aus dem Bureau des Neuen Theaters. Sonntag nachmittag Henrik Ibsens Die Frau vom Meer als Volks-Vorstellung zu Einheitspreisen von 60, 40 und 20 Pf., am Abend Erst-Aufführung von Thilo von Trothas dreiaktiger Lustspiel-Novität Erstklasige Menschen. („Volksblatt (Halle)” vom 17.12.1904)
Aus dem Bureau des Neuen Theaters. Erstklassige Menschen gelangt zum ersten Male am Sonntag abend zur Aufführung, und wird am Montag zum ersten Male wiederholt. („Volksblatt (Halle)” vom 18.12.1904)
Wir leben in der denkbar bequemsten Zeit. Was den oberen Zehntausend nicht gefällt, wird dementiert. Dem Oberhofmeister v. Mirbach ist im preußischen Landtage feierlich bescheinigt worden, daß er tadellos ehrenhaft gehandelt habe; der Reichskanzler dementiert seine Schnorrerrede; der preußische Polizeiminister tut's; sein Kollege im Justizministerium probiert's, und auch der Kriegsminister hat bereits Übung darin erlangt. Nichts einfacher und bequemer als Dementieren. Demnächst wird wohl von der Parlamentstribüne aus bekannt gegeben werden, es habe keinen Bilseprozeß gegeben, keinen Hülsenerskandal, keine Königsberger Blamage, und wer das Gegenteil behaupte, sei einer der vaterlandslosen Gesellen, die dem Volke die heiligsten Güter zu rauben trachten.
Aufs bequeme Dementieren verlegt sich auch Thilo v. Trotha in seinen Erstklassigen Menschen. Der erste Akt verrät noch nicht, warum das Lustspiel unter der Flagge des bekannten Baudissinschen Romans segelt. Aber im zweiten Akte plaudert's der Dragonerleutnant Graf Panzer aus. Bei einem Wohltätigkeitsfeste des Prinzen Bernd v. Steinhausen für die Hinterbliebenen der in Südwestafrika Gefallenen klagt er einer Schauspielerin sein Leid. Graf Baudissin habe durch seinen Roman sich selbst, seinen Offiziersstand und seine Freiherrnehre geschändet um schnöden Mammons willen. Er habe die Vergehen einzelner Offiziere verallgemeinert, und das verhetzte Volk glaube den Schmähungen. Nicht die Offiziere hätten sich geändert, ihr Ehrenschild sei unbefleckt wie immer. Geändert habe sich nur das Volk. Früher hätte niemand es wagen dürfen, die Ehre der Offiziere anzutasten, das Volk würde ihn zerrissen haben. Jetzt sei es leider anders geworden: jetzt glaube das irregeführte Volk den Verleumdern der Offiziere. – Als nach dieser erbaulichen Deklamation die Schauspielerin den Leutnant naiv fragt, ob die Offiziere sich das so ruhig gefallen lassen wollten, antwortet der Offizier mit dem schwärmerischen Augenaufschlag eines zwölfjährigen Kadetten: „Ja! Bis zur Stunde der Gefahr! Bis das Vaterland unserer zur Rettung bedarf! Bis dahin wollen wir unsere blauen Jungen erziehen, die das Vaterland retten werden.”
Ganz reizend; ganz riesig rasend reizend! Nach diesem erstklassigen Prinzip sind sämtliche junkerlichen Typen des Lustspiels, männliche wie weibliche, zugeschnitten. Alles erhabene Menschen, mild, lebensklug, charakterfest, reinen Sinnes, überedel. Marke Tadellos. – Zunächst Prinz Bernd. Er ist zwar als Offizier bis zur Stunde ein wilder Weiberjäger gewesen und beredet noch im ersten Akte seinen Freund, den Hoftheater-Intendant Axel v. Leeds, die sonst nicht zu verwendende Prima-Ballerina Serranti für 15000 M. Jahresgehalt zu engagieren, damit der Prinz in dem langweiligen Neste Steinhausen einen kleinen Zeitvertreib habe; der Prinz hat auch einige Zeit vorher in Paris eine Komteß als Dirne angesehen und ihr auf dem Eiffelturme einen Tausendfrankschein mit den draufgeschriebenen Worten: „Ich liebe Dich!” zugesteckt. Aber plötzlich begegnet er derselben Komteß in Steinhausen am Hofe, und er verliebt sich sofort in sie mit einer Glut, daß er jeglichen Streichen von Stund ab entsagt. – So ist der erste Erstklassige des Herrn Thilo v Trotha heiler Haut in den Tugendschrank gesetzt worden zur Freude des Publikums und zur Schande für Graf Baudissin.
Auch der frühere Rittmeister Axel v. Leeds, der nach einem Manöverunfall Intendant des Hoftheaters in Steinhausen geworden ist, hat seine losen Streiche aufgegeben und ist ein exemplarisch sittenstrenger Herr geworden. – Damit hat der Lästerer Graf Baudissin seinen zweiten Hieb weg.
Das Juwel aller erstklassigen Tugendhaftigkeit ist aber die Schauspielerin Ditta Arras. Sie ist die vermögenslose Tochter eines verstorbenen östreichischen Generals. Aus Liebe zur Kunst und um ehrlich ihr Brot zu verdienen, ist sie zur Bühne gegangen und bleibt natürlich hier für jeden unnahbar. In der letzten Probe vor Aufführung einer Premiere weigert sie sich plötzlich, ihre Rolle zu spielen. Sie muß nämlich die Tochter eines Offiziers darstellen, die sich vorübergehend einem reichen Wüstling verkauft hat, um ihrem wirklichen Geliebten, einem armen Schlucker, das Leben zu ermöglichen. So etwas sei unmöglich, so tief könne eine Offizierstochter nicht sinken, erklärt sie kategorisch und wirft dem Intendanten ihre Rolle vor die Füße. Alles Zureden, wenn die Situation unmöglich sei, so habe das doch nicht sie als Schauspielerin zu verantworten, sondern der Autor, prallen an ihrer sittlichen Offizierstochter-Empörung ab. Sie bleibt bei ihrer Weigerung. Und der Intendant lohnt ihre Begeisterung für das erstklassige Reinheitsprinzip dadurch, daß er sie heiratet. Graf Baudissin aber, der in seinem Romane eine Offizierstochter sich verkaufen läßt, um dem Bruder die fernere Offizierslaufbahn zu ermöglichen, hat damit seinen dritten Klecks weg.
Um dem verehrlichen Publiko ad oculos zu zeigen, wie grundlos die über Offiziere kursierenden üblen Gerüchte sind, läßt Thilo v. Trotha auf offener Bühne durch eine Schauspielerin die Mär aufbringen, der Intendant Axel v. Leeds habe die Ballerina zum eigenen Vergnügen engagiert. Ein Reporter des „Volksboten”, der das Geschwätz schon früher gehört haben will und gerade dazukommt, als die Schauspielerin es wiederholt, hat nichts Eiligeres zu tun, als ein Extrablatt herauszugeben mit der Überschrift „Der Intendant und die Ballerina”. Natürlich erkennt nun das Publikum, wie gewissenlos die Presse ist, namentlich die unter dem Titel „Volksbote” oder so ähnlich erscheinende, und wie schuldlos die Erstklassigen sind. – Graf Baudissin ist zerschmettert. Das Publikum übersieht sogar bei der Verleumdungsgeschichte, die ihm handgreiflich vor Augen geführt wird, daß die erstklassige Tugend des Prinzen, auf dessen Geheiß die Ballerina engagiert worden war, nicht so weit reicht, seine Schuld auf sich zu nehmen, daß er vielmehr seinen Freund Axel ruhig in der Patsche sitzen läßt und sich dadurch glaubt entsühnen zu können, daß er nachträglich mit Axel Brüderschaft trinkt.
Das Lustspiel, das sich in mehreren Szenen durch flüssigen und geistreichen Dialog auszeichnet, scheiterte an seiner plumpen Tendenz und an dem gänzlich verfehlten Aufbau der Handlung. Wollte man diese Handlung kritisch beleuchten, so müßte man sämtliche drei Akte mitleidslos zerpflücken. Außerdem recken sich die großen Fragezeichen von Forbach, Pirna, Dresden, Berlin, Hannover usw. usw. viel zu drohend in die Luft, als daß ihre Existenz durch ein Lustspiel wegdementiert werden könnte. Dem Freiherrn v. Schlicht (Graf Baudissin) sind ja nach seinem mehr als schwächlichen Auftreten in dem wegen des Romans gegen ihn angestrengten Beleidigungsprozeß die verabreichten Hiebe von Herzen zu gönnen; doch die breite Menge des Publikums kann in der Beurteilung der Offizier-Affären durch das Thilosche Lustspiel nicht irre gemacht werden. Was ist, ist. Daß alle Offiziere moralisch entartet seien, wird kein Mensch behaupten. Daß es sich aber bei den Skandalaffären um mehr als vereinzelte Entgleisungen handelt, läßt sich nicht mehr wegleugnen; Herrn v. Thilos Dementierspritze arbeitet deshalb umsonst, und wem es gegangen ist wie mir, der ich gestern nachmittag vor Besuch der Vorstellung die Schrift von Tacitus minor „Die Schlacht bei Forbach” gelesen hatte, bei dem verfingen die Thiloschen Glorifizierungsversuche auch dann nicht, wenn er nicht zu dem verächtlichen „Volksboten”-Gelichter gehört. Übrigens: Aus dem Milieu heraus, in dem die Offiziere leben, müssen gewisse Fäulniserscheinungen sich entwickeln, gerade wie auf sumpfigen Wiesen naturgemäß Sumpfgräser entstehen. Wenn Herr v. Thilo sich tiefer in das Wesen der materialistischen Weltauffassung vertieft hätte, würde er gar nicht versucht haben, zu bestreiten, daß zweimal zwei vier ist.
Gespielt wurde allseits mit der Hingabe, die man am Künstlerpersonal des Mauthnerschen Ensembles gewöhnt ist. Besonders zeichnete sich Herr Nebel als Prinz Bernd aus; er gab den Prinzen zwar in etwas massigen Konturen, aber führte den chevaleresken Charakter einheitlich durch und machte ihn dadurch wirksam und recht sympathisch. Der schwerhörige Kammerherr v. Hasemann fand in Herrn Deutschmann einen geeigneten Darsteller. Warum der Autor den zweiten Kammerherrn v. Schreckenstein (Karl Voigt) ins Gefecht geführt hat, ist unerfindlich. – Frau Bensberg gab die Exzellenz Marianne v. Leeds, die Mutter des Intendanten, mit gewinnender Liebenswürdigkeit und doch in vornehmen Formen. Die reiche Toilette konnte die Begehrlichkeit der Damen wecken. In Herrn Irwin fand der Intendant einen sehr tüchtigen Darsteller; im ersten Akte hätte die Kleidung eine etwas größere Sorgfalt vertragen. Frl. Schubert befriedigte dagegen als Komteß Karola nicht; es wurde nicht verständlich, daß sie den Prinzen an sich zu fesseln vermochte. Aus der unmöglichen Figur des Ritters von Endkirch aus Wien machte Herr Nestler, was zu machen war. Der Wiener Dialekt gelang ihm freilich zumeist gründlich vorbei, wie auch Frau Deutschmann als Ballerina mit der dialektischen Redeweise nicht zu Fache kam, abgesehen davon, daß sie sich eine sehr schwere Zumutung gestellt hatte, die Rolle der Ballerina zu übernehmen. Fräulein Fernando führte ihre Ditta Arras mit Verve durch; auch Herr Selle konnte den Theateragenten genießbar gestalten. Die anderen Rollen fielen nicht ins Gewicht.
Von einem Erfolge des Stückes kann nicht geredet werden. In den nur kargen Beifall am Schlusse, der weit mehr den Künstlern als dem Stücke galt, mengte sich sogar vereinzeltes Zischen. Herr v. Thilo hat seiner Sache eher geschadet als genützt.
Th.
(„Volksblatt” Halle am 20.Dezember 1904)
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© Karlheinz Everts