"Rumpelstilzchen"

"Nee aber sowas!"
(Jahrgangsband 1934/35)

Brunnen-Verlag / Willi Bischoff / Berlin, 1935

Glossen 28 - 30
18. April bis 2. Mai 1935


28

Pg. und Vg. - Kraft durch Freude - Auf der Drehscheibe des Theaters des Volkes - Der Beleuchter - Ich mache Wind - Ein Abend bei Oberst Reinhard - Abzählverse - Die Flaschen Liebfraumilch.

Herr, Fr., Frl., Pg., Vg.

So steht es auf den Quittungen, die man bekommt, wenn man für irgendeine Opfergemeinschaft etwas spendet, vor dem Namen, und das nicht Zutreffende wird ausgestrichen. Dann ist also eine Verwechslung zwischen Frau und Fräulein oder Parteigenosse und Volksgenosse ausgeschlossen, und ein jeder hat sein richtig numeriertes Ställchen für sich.

Eines Tages aber begehrt ein alter Berliner mir gegenüber wegen der Teilung in Pg. und Vg. auf. Wir seien doch kein besetztes Gebiet mit einer Erobererkaste und im übrigen lauter Unfreien.

Ganz gewiß nicht. Wir alle miteinander sind Vg., nur daß die Pg. sozusagen den Ordnungsdienst versehen. Sämtlichen Volksgenossen kommt zugute, was in den letzten beiden Jahren erreicht ist. Am wenigsten wird ihnen "Kraft durch Freude" vorenthalten. Auch wenn sie nicht Pg. sind, können sie nach Madeira reisen, wobei die Arbeitsfront 100 Mark für den Beglückten bezahlt und meist der Arbeitgeber die übrigen 60 Mark. Und für 50 Pfennige kann der Vg. wie der Pg. auf einer großstädtischen Bühne eine Aufführung ersten Ranges erleben. Wie man Überseedampfer erworben hat und ihre Zahl demnächst verdoppeln will, so auch Theater.

Auf dem Leipziger Platz steht mitten auf der Rasenfläche der Nordhälfte ein riesiges Werbemonument aus Holz, das nach Eintritt der Dunkelheit von Scheinwerfern angestrahlt wird. Linear, schematisch, glänzend weiß sich vom Hintergrunde abhebend, die Gestalt eines Werktätigen mit Spaten und dem Symbol der Arbeitsfront, dazu die Inschrift:

"Volksgenosse, D e i n Theater!"

Diese Inschrift wiederholt sich auf Plakaten überall in der Stadt. Das Theater des Volkes, wie es jetzt heißt, ist das frühere Große Schauspielhaus, war ursprünglich der Zirkus Renz, dann der Zirkus Schumann. Noch heute heißt die Straße: Am Zirkus. Nicht weniger als 3600 Sitzplätze stehen zur Verfügung. Eine unerhört geräumige Bühne, 35 Meter hoch, 28 Meter breit, dazu noch das Proszenium, gestattet Massenchöre, wie wir sie jetzt in Euringers "Deutscher Passion" erleben werden. Ich habe da den "Sommernachtstraum", "Die drei Musketiere", "Die törichte Jungfrau", "Dantons Tod", "Wallenstein", "Martin Luther", "Das weiße Rössel" und wohl noch ein Dutzend anderer Stücke gesehen und besonders die Technik bewundert, die hier auf der riesigen Drehbühne die schnellen Verwandlungen ermöglicht. Auch sonst sind alle Einrichtungen sehr modern. Mit Krähwinkel hat dieses Theater des Volkes wirklich nichts zu tun.

In einer Pause zwischen zwei Proben stehe ich auf der Drehscheibe, wo die Theaterarbeiter gerade die Szenerien für Wildenbruchs "Rabensteinerin" aufbauen. Achtung! Um ein Haar wäre ich beim Rückwärtstreten gegen ein 10 Meter hohes Versatzstück gestoßen, das mit "L 5, Rab., I. Akt" gezeichnet ist. Ich sehe mir den weißen Kuppelhorizont im Hintergrunde an, der am Abend je nach Bedarf tiefblau erstrahlt oder im Morgenrot, dunstig ist oder von ziehenden Wolken übersegelt wird. Stolz erklärt mir einer der Arbeiter: "In diesem Horizont könn' wir den janzen Sternhimmel projexieren!" Richtig, wenn man näher zusieht, erblickt man an der Riesenkuppel schwarze Löchelchen, in denen winzige Lampen aufglühen können, die uns die Sterne vortäuschen. Der Große Bär ist schlicht weiß, die Venus hat wie in der Natur leicht bläulichen Schimmer, der Saturn scheint uns rosiges Licht zu spenden.

Irgendwo oben in der Höhe des Schnürbodens ist das Reich des Beleuchters. Er hat 137 Hebel zu bedienen. Die gewaltige Tastatur regiert er sozusagen nach Noten.

Er hat die Blätter seiner Tabelle vor sich, und er hört auf die Stichworte von der Bühne, so wie der Musiker auf den Taktstock des Kapellmeisters sieht. Paßt er gut auf, so kann es keinen Fehler geben, geht die Sonne im richtigen Augenblick auf, wird auch der meilenweite Wald wunderbar auf den Hintergrund projiziert.

Unten am Platz des Inspizienten habe ich mich versehentlich an den Hebel der Windmaschine gelehnt und ihn verschoben. Hui! Huiiii! In immer stärkerem Pfeifen und Heulen kommt der Sturm, durch motorbewegte Weidengerten oder Stahlruten phonetisch erzeugt. Prasselt nicht schon Hagel hernieder, rollt nicht der Donner, fegen nicht Regenschauer über mich hin? Fröstelnd verdrücke ich mich. "Abstellen! Abstellen!", rufen Leute aus irgendwelchen dunklen Klüften. Ein ganzes Heer von Leuten ist hier tätig, außer Darstellern, Sängern, Statisten, Musikern, Kulissensetzern, Regisseuren, Korrepetitoren, Tänzerinnen, Platzanweisern (und wer weiß, was sonst noch) auch die Handwerker in der eigenen Schneiderei, Tischlerei, Sattlerei. Unglaublich, wieviel Kräfte für meine 50 Pfennige sich mühen, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Man möchte auch. Ach, darf ich mal? Ein bißchen an der Rauchmaschine! Also das ist ein sehr einfaches Instrument, das den Dampf erzeugt, der etwa in der Wolfsschlucht oder aus dem Hexenkessel aufsteigt; oder der einen Brand markiert oder aus den Schornsteinen als friedliches Gekräusel sich erhebt. Die ganze Geschichte besteht nur aus drei durch Röhren verbundenen, an einem Handgriff bequem transportablen Glasgefäßen, die Ammoniak, Wasser, Salzsäure enthalten. Man bläst leicht in einen Schlauch hinein, und schon quellen die dichten weißen Wolken wie Dampf hervor.

Die Berliner Theatersaison erreicht um Ostern immer ihren Höhepunkt und dauert noch eine Weile weiter. Das Berliner Gesellschaftsleben dagegen fällt immer nach Fastnacht langsam ab und ist um Ostern am Erlöschen.

In London fängt man dann erst an, sich auf den großen Trubel und gastlichen Verkehr in dessen Hauptmonat, dem Mai, zu rüsten. Bei uns ist er für die Zweisamkeit der jungen Liebenden da; Masseneinladungen gibt es nicht mehr, die letzten fallen in den April. Dieser Tage haben Oberst Reinhard und Frau noch einmal im Hotel Esplanade einen großen Kreis zu einem geselligen Abend um sich versammelt, darunter besonders viele ehemalige vierte Gardisten, aber auch einzelne Freunde des Hauses aus anderen Ständen und Berufen. Wir verehren in Reinhard den Erretter Berlins vom Spartakismus um die Wende 1918/19, den ersten Neuschöpfer einer wirklichen preußischen Truppe aus dem Novemberschutt; auch unser Ältester hat damals als junger Leutnant unter ihm gedient, verbissen, Tag und Nacht auf Posten, todbereit, so wie sie alle, die jemals diesem energiegeladenen und doch auch herzgewinnenden Reinhard gehorchen durften.

Da im Esplanade steht auf einmal große preußische Geschichte vor uns, wenn wir auf den Tischkarten die Namen derer lesen, die durch das 4.Garderegiment z.F. gegangen sind oder anderswo Kamerad oder Vorgesetzter gewesen waren, bis zu einem frischfröhlichen Sechsundachtzigjährigen.

Nach dem Essen haben meine Frau und ich uns mit dem amerikanischen Militärattaché und seiner Frau zusammengesetzt. Stresa. Genf. Allgemeine Wehrpflicht. Stoßarmee. Festungspsychose. Die Kunst des Abwartens. Abessinien. Panama. Es ist schön, sich über Militärisches mit Leuten zu unterhalten, die Deutschland wohlwollen.

Man hat nur eine leichte Bowle getrunken, nun das übliche Glas Bier nachher. Nichts Schweres lähmt die Zunge. Erinnerungen und Gedanken sind beschwingt. Und man freut sich, feststellen zu können, wie auch im letzten Jahre der neue Staat der nationalen Ehre noch fester in den Herzen Wurzel geschlagen hat. Gibt es nicht sogenannte "reaktionäre" Namen in dieser Tafelrunde, Namen altpreußisch-konservativer Familien? Gewiß doch; aber ich finde darunter nicht einen einzigen Menschen, der nicht aufrichtig und dankbar das Werk Hitlers begrüßte. Es genügt nicht, daß man auf großen öffentlichen Kundgebungen dergleichen Eindrücke sammelt, denn dort kann laute Begeisterung einen täuschen. Man muß, wenn man deutsche Stimmung aus der Reichshauptstadt wiedergeben will, auch von privaten Zusammenkünften erzählen. Und wo ich auch herumkomme, überall heißt es: der 16. März hat dem Führer und Reichskanzler die letzten Zweifler zugetrieben. Wir sind wieder ein freies Volk in Europa, wenn auch umlagert von der alten Entente. In unserer eigenen Hand liegt unser Schicksal. Die Hand aber ist nicht mehr waffenlos.

Unsere jungen Leute werden wieder, mit Sträußchen und Bändern am Hut, in das Heer eingestellt. Und die Kinder spielen nicht mehr "Ganoven und Polente" wie in den Luderjahren zuvor, sondern Soldaten, richtig Soldaten; die kleinen Mädchen aber, die von den großen allerlei gehört haben, schicken ihre Puppen ins Landjahr. Wenn es mal nicht regnet, quirlen fröhliche Kinder in Parks, auf Baustellen, in Höfen umher. Da hört man denn die alten Abzählverse, nur allerdings vielfach modern verhunzt, so wie es die Zeit der Novemberrepublik mit sich gebracht hat. "1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, meine Mutter, die kocht Rüben" scheint nicht mehr gebräuchlich zu sein, statt dessen höre ich in der Toreinfahrt eines Hauses in der Nachbarschaft die Verse:

Eine kleine Dickmadam
Fuhr mal in der Eisenbahn.
Eisenbahne krachte,
Dickmadame lachte,
Lachte, bis der Schupo kam
Und sie auf die Wache nahm.

Auf der Wache wurd' sie frech,
Patsch, hat einen oben wech!
Wollte sich was kaufen,
Hat sie sich verlaufen,
Setzte sich ins grüne Gras,
Machte sich die Hosen naß.

Beim letzten Verse feixen die Kinder verlegen, als ich ihnen zuhöre; denn sie haben das Gefühl, der sei etwas unanständig. Warum denn? Wenn man sich in nasses Gras setzt und absichtlich nicht aufs Röckchen? Aber Kinder! Das ist doch so klar und einfach! Immerhin, es ist schon viel, daß sie verlegen und nicht etwa frech kichern. Das mädchenhafte Schamgefühl macht in allen Altersstufen sich wieder bemerkbar, wenn es auch wohl kaum so beherrschend werden wird wie vor fünfzig Jahren. Bekannte von uns in einer Kleinstadt schicken neulich ihr Dienstmädchen zum Einkaufen. Auf dem Zettel steht: "2 Pfund Reis, Zucker, Grieß, 2 Flaschen Liebfraumilch." Minna kommt ohne die beiden Flaschen Wein zurück, man befragt sie, sie wird rot und stottert:

"Nein, d . . . das - konnte ich doch - nininicht bestellen!"
18. April 1935 (Donnerstag)


29

Es kommt nichts raus - Vom Schnupftuch - Wie gut es ein Mann hat - Die Behosten - Auf der Ciro-Terrasse - Liliput-Zirkus im Tierkindergarten - Dienst von Kind auf - Bei den Zehlendorfer "Wespen" - Pankgrafen- und anderer Vereinsbrauch.

"Ist was rausgekommen?"

"Wo, in der Lotterie?"

"Red nicht so dumm!"

"Was meinst Du denn?"

"Na hier, an der Schulter!"

Ach so. Nein, da kann ich meine Frau beruhigen. Nichts ist rausgekommen. Kein Seidenbändchen ist vorwitzig. Und unten? Alles in Ordnung. Auch das Unterkleid guckt nicht raus. Nun darf bloß der Strumpfhalter nicht reißen. Oder eine Masche aufgehen. Oder eine Haarspange sich lösen. Gräßlich! Jede Frau hat solche Beängstigungen. Man kann im Handumdrehen aus der eleganten Dame zu einer lächerlichen Person werden. Der Mann? Der kann lachen. Der hat seine Hosenträger, die halten. Und wenn nicht, ist noch der Bauch samt Hüften in Reserve. Die Socken rutschen nicht. Der Hut sitzt immer. Und fliegende Röllchen trägt man ja nicht mehr.

Ja, der Mann hat es gut. Er zieht einfach sein Schnupftuch heraus, wenn es nötig ist, und schnaubt sich. Die eingeladene Dame aber wendet bei Tisch ihren Kopf hilflos und ruckartig wie eine Ertrinkende. Wo hat sie nur ihr Handtäschchen gelassen? Schon im Flur? Oder im Salon? Dann fällt es ihr ein, daß sie sich ja ein Ersatztüchlein in den Ausschnitt gesteckt hat. Und sei es aus feinstem Batist: wenn es nach dem Schneuzen zerknüllt wieder an den Busen der Herrin zurückkehrt, finde ich das unappetitlich. Der Mann braucht Gott sei Dank solche Gebrauchsgegenstände nicht auf der bloßen Haut zu tragen. Er hat normal 12 bis 14 Taschen in seinem Anzug. Da läßt sich alles Notwendige einschließlich Hausschlüssel, Börse, Zigarrenetui bequem verstauen; sogar, wenn man in Gesellschaftstoilette ist, also nicht gern aufgebeutelt erscheint. Da muß man nur die 23 Briefe und Rechnungen von der letzten Woche, die man bei sich trägt, vorher aus dem Rock schütten.

Die Seitentasche außen rechts hat noch einen praktischen kleinen Ableger. Da stecken immer ein paar Groschen für Fernsprechautomat oder Zeitungsstand griffgerecht. In diesen Sondertäschchen hat man gut die Fahrkarte oder die Garderobenmarke.

Oh, wie das weibliche Geschlecht uns beneidet!

Auf dem Lande und in kleinstädtischer Umgebung kann es aus diesem Gefühl noch keine Folgerungen ziehen, aber in Berlin ahmt es unsere Kleidung so häufig wie nur möglich nach. Besonders im Frühling behost sich alles. Das Klammeräffchen hinten auf dem Soziussitz des Motorrades hat einen kompletten Trainingsanzug. Die Westenddame empfängt zum Fünfuhrtee in bauschigen Beinkleidern, die aber wie eine Attrappe wirken, weil sie zumeist taschenlos sind. Dafür kann auf dem Wannsee das Sportmädel ihre ganzen Unterarme in die Seglerhosen versenken. Und Strandhosen grüßen von überallher.

Am Karfreitag enthüllte die Sonne in einer Eröffnungsvorstellung den Großberliner Sommer. Am Ostersonntag fing es an zu grünen und zu blühen. Nach den Feiertagen gab es dann schon etliche hunderttausend gebräunte Nasenspitzen. Wer überhaupt ausfliegen konnte, der war ausgeflogen. Keine weiblichen langen Hosen blieben im Schrank; nur natürlich die vom Schianzug. An den Ufern der Flüsse und Seen um Berlin entwickelten sich aus Rucksäcken Faltboote. Auch zelteten schon fleißige Wanderer über Nacht im Freien und trotzten dem Rheuma. Wirklich ganz Berlin war draußen.

So etwas zeigt man gern dem Fremden.

Er merkt erstaunt, daß Berlin, diese Metropole von Industrie und Handel, eigentlich ein Kurort ist. Und zwar einer für die breite Masse. Das Kokette und Aparte, das verwöhnte Ausländer lockt, verschwindet immer mehr. Nun sind auch die "Elite"-Motorschiffe, auf denen man früher bei einer Verpflegung wie in den Speisewagen anderthalb Stunden lang zu Wasser von Berlin nach Potsdam fuhr, aus dem Verkehr verschwunden. Fragt ein Amerikaner einen nach netten Luxusrestaurants der Umgegend, so wie er sie etwa vom Pariser Bois de Boulogne her liebt, so muß man die Achseln zucken. Richtig, Schloß Marquardt; aber das ist doch recht weit weg. Das Berlin so nahe "Haus am See" ist als Gaststätte ja eingegangen. Eigentlich gibt es nur noch ein einziges Lokal dieser Art für Feinschmecker, nämlich das Ciro-Hotel auf der höchsten Höhe von Kladow an der Havel, dem Wannsee gegenüber; von der mächtigen Terrasse aus hat man einen wundervollen Ausblick über Wasserfläche und Bergwald. Hier halten oft die Autos der in Berlin weilenden Diplomaten, und es kommen auch sonst Fremde aller Völker. Während ich am Ostersonntag dort meinen Kaffee trinke, liest vor mir einer den "Kurjer Polski", gehen Inder an mir vorüber, höre ich hinter mir französisch sprechen, erscheint eine südamerikanische Gesellschaft. Das Hotel gehört, nun schon im dritten Sommer, wie die gleichnamige Tanzdiele drinnen in der Stadt dem Ägypter Mustafa. Meist macht sein dunkler Neffe draußen die Honneurs.

Auf dem Wasser wimmelt es natürlich. Aber wo wimmelt es nicht? Alle Ausflüglerorte sind überlaufen. Auf dem Tempelhofer Felde sind 250 000 Menschen zum Fliegertag zusammengeströmt. Auch mitten in der Stadt ist jedes Kaffeehaustischchen, das im Freien steht, besetzt. Und im Zoologischen Garten sind Zehntausende.

Bäume, Sträucher, Rasen, Gewässer, Tiere, Militärmusik, Promenade, Terrassen, das alles zieht hier an. Allein an Elefanten haben wir schon nahezu eine Herde. Die Krokodilfarm hat auch nicht viel ihresgleichen in Europa. Vom Tiger bis zum Zieselhörnchen, vom Seelöwen bis zum Kolibri, von der Riesenschildkröte bis zur Mücke: alles da. Trotzdem muß die Leitung des Gartens immer auf neue Sensationen bedacht sein, dies und das variétémäßig aufziehen. Seit es keine exotischen Völkerschauen mehr gibt, ist auf dem Platz dafür der "Tierkindergarten" eingerichtet worden, den man uns in allen fremden Ländern nachzumachen beginnt. Menschenkindlein und Tierkindlein, die einander in der Großstadt sonst nicht kennen, treffen hier im Freien zusammen und können einander liebhaben und miteinander spielen. Aber es genügt nicht, ein Löwchen oder ein Lamm zu kraulen, ein Bärenbaby oder ein Ferkel zu füttern. Es muß noch irgendeine Sensation her.

Da hat man denn die Liliputaner geholt. Das sind keine verwachsenen Zwerge, sondern ebenmäßig gebaute, nur winzige Menschen. Häufig stammen diese Miniaturen aus Verwandtenehen Normaler. Es ist erstaunlich, was die kleinen Leutchen können. Eine Turnergruppe von vier Mann unter ihnen leistet so Hervorragendes, daß man ihnen olympische Ehren gönnte. Ein ganzer Zirkus mit Shetland-Ponies produziert sich. Weniger erfreulich ist ein Liliputaner als Stimmungssänger, dem man etwas Schmalziges eingedrillt hat. Etwa 20 Mitwirkende lassen ein sehr reiches Programm abrollen, das die Großen unter den Zuschauern fesselt.

Die kleinen Kinder empfinden anders. Die Leistung vermögen sie nicht zu schätzen, die Illusion, daß da vor ihnen Kinder oder Zwerge agieren, haben sie auch nicht. Sie scheuen vor dem Anormalen.

"Bald fortgehen, Mutti, mit Häschen spielen, Mutti, ja?"

Die Harmlosigkeit und das Nur-Spielen hören, für das Stadtkind noch mehr als für das Landkind, mit dem Eintritt in die Schule so gut wie auf. Bald bist Du Pimpf. Da stehen zwei vor mir auf der Straße, und einer von ihnen sagt: "Nein, das ist Dienst, das mußt Du mitmachen!" Das freut einen denn ja auch, nich, sagt der Hamburger. Von Kind auf lernt man jetzt, daß Dienen eine Ehre ist. Wir hatten anderthalb Jahrzehnte hinter uns, in denen nur das Verdienen galt, das Dienen als Schmach erschien. Man taufte das Dienstmädchen in Hausgehilfin um, den Gerichtsdiener in Justizwachtmeister, man wollte mehr Rechte, weniger Pflichten. Heute aber rechnen Gehorsam und Opfer wieder zu den Tugenden.

So werden wir ein diszipliniertes Volk. Wir kommen aus der Wilde in die Zucht, hätte Walther von der Vogelweide gesagt. Das sieht man schon auf allen Sportplätzen.

Selbstverständlich waren auch sie in der Osterwoche so umlagert wie die Ufer draußen und wie die Ausflugsziele. Da hat jeder Berliner Vorort sein Eigenleben und seine Tradition. Keine Gemeinde ohne Fußball-, Handball-, Tennisklubs. Oder, wo Wasser winkt, ohne Bootshäuser und Liegehäfen. Zu den ruhigsten und vornehmsten Villenquartieren gehört Zehlendorf-West an der Wannseebahn. Aber auch da fehlen nicht die Sportplätze. Nun ist über Ostern lieber Besuch da, Fähnriche zur See, die Hockey-Elf der Marineschule Mürwik. Straffe, tüchtige junge Leute, die aber nur ein Ehrentor schießen, zweimal den flinkeren und spielgewohnteren Zehlendorfer "Wespen" unterliegen.

Man geht nachher - es ist hier alles viel herzlicher und gemütlicher als in einem großen Klub der Stadt Berlin selbst - zum Kaffee in das Klubhaus. Die Marinejungs bringen ihren Gastgebern ein dreifaches Hurra, diese jenen den Wespenruf, rhythmisch, im Sprechchor: "W, e, s, p, e, n, Wespen, Wespen, zicke-zacke-zicke-zacke, s-s-s-s-s, was, die kennt Ihr nicht? Schööön!"

Wir sind und bleiben doch Individualisten. Das Großstadtleben schleift uns ab, die Schule drillt uns, der Staat uniformiert uns, die Gesellschaft ist die Gleichmacherin, aber schon jeder Verein und jedes Vereinchen hat seine besonderen Blüten. Zünftlerisches, Eigenbrödlerisches spielen mit, auch da, wo es sich um Wohltätigkeit in großem Stile handelt, verbunden mit feuchtfröhlichem Treiben, so bei den Berliner Pankgrafen. Diese wackeren Kumpane treten in einer Art Rittertracht in Erscheinung und "erobern" alljährlich einmal irgendeine märkische oder gar noch weitergelegene Stadt, und dann bringen die Zeitungen Bilder und nennen das ein Wiederaufleben alten Brauchtums. Mit dem Worte Brauchtum wird nur leider viel Mißbrauch getrieben; was die Pankgrafen oder die Proppenbrüder oder früher die Schlaraffen uns geboten haben, das ist doch nicht überlieferte Sitte, sondern neuer Mummenschanz, humorvoll in alte Gewänder oder Formeln oder Redensarten gekleidet. Wir verkleiden uns nicht nur zu Silvester und Fastnacht. Wir haben immer ein tief-inneres Bedürfnis nach Mummerei, ein Verlangen nach Theaterspiel. Da will jeder sein eigenes Stück, sein eigenes Kostüm. Man will sich abheben aus der gleichförmigen Masse.

In der Ausstellung "Wunder des Lebens" läutet regelmäßig eine Glocke es ein, daß alle 5 Minuten in Deutschland 9 Kinder geboren werden. Sie müßte unausgesetzt ertönen, wenn sie anzeigen wollte, wie viele Vereinsideen im Reiche innerhalb 5 Minuten in den Hirnen erstehen.

Der Staat aber bringt uns bei, daß eine Horde von Vereinen noch keine Nation ausmacht. Und das freut einen ja denn auch, nich?
25. April 1935 (Donnerstag)


30

Zurück zum Monumentalfilm - Nicht Gerhard Menzel, sondern Leni Riefenstahl - Der Festakt in der Staatsoper - Tempelhofer Feld und Lustgarten - Der 1. Mai im Marmorsaal - Auf dem Reichssportfeld - Alles vervielfacht sich.

Wir haben wieder einen gigantischen sogenannten Monumentalfilm, wie sie vor etwa sechs, acht Jahren mit Menschenmassen und Millionenkosten Mode waren. Quo vadis, Gerhard Menzel? Dieser Mann ist einer unserer tiefsten völkischen Dichter und als Drehbuchverfasser voll unerhörter psychologischer Feinheit, aber zu seinem "Mädchen Johanna" muß man doch nachträglich ein paar kritische Ketzerworte sagen. Über Stück und Darstellung selbst haben die Zeitungen genug gebracht, da ist nichts mehr hinzuzufügen. Aber nun: die Wirkung, die Wirkung!

Da sei zunächst vorweg ein uneingeschränktes Lob für etwas Neues, Gewaltiges, Eindrucksvolles ausgesprochen. Wir sehen nicht nur Helden und Drahtzieher, sondern wir sehen ein ganzes Volk in Not und Flucht, in Glück und Taumel, in Verzagen und Kampf. Wir Zuschauer fühlen uns mitten hineingestellt und erschauern, jubeln, schämen uns.

Lernen vielleicht auch etwas Verachtung der Masse Mensch, die ohne Eigenbewegung immer von stärkeren Mächten geflutet wird.

Aber Träger des Dramas ist nicht das Mädchen Johanna, sondern der König Karl VII. Nach ihm müßte eigentlich das Stück benannt sein. Es ist ein sehr macchiavellistischer König ohne jede menschliche Regung, ein großer politischer Spekulant, für den die Jungfrau von Orleans nur Werkzeug ist. "Sie soll brennen!", sagt er. Er rührt keinen Finger zu ihrer Befreiung aus der Gewalt der Engländer; denn wenn sie verbrannt werde, nütze sie als Märtyrerin Frankreich mehr denn früher als Vorkämpferin. Das ist - übrigens, glaube ich, ungeschichtlich - so eiskalt und lieblos, daß man einen üblen Geschmack vom Führertum bekommt. Und Karl VII. ist doch Führer, auch wenn er im Grunde nur auf seinen Stern vertraut, vulgär gesprochen, auf den nächsten Dusel wartet. Er vertritt die Lehre: "Der Mensch ist für den Staat da!" Es ist eine herrliche Idee, für die es sich wohl zu sterben lohnt, das Wir an die Stelle des Ich zu setzen. Aber aus dem Film vom Mädchen Johanna bekommen wir nicht, wie noch bei Schiller, den Antrieb dazu. Er reißt nicht empor. Mit messerscharfem Verstande zerlegt er Zeit, Volk, Personen, mit außerordentlicher Anschaulichkeit zeigt er uns Massen im Petitionssturm, Massen in der Panik, Massen auf dem Saufgelage, Massen bei der Verteidigung und Eroberung einer Festung.Wir sehen aber an ihnen vorbei immer nur Karl VII. und möchten ihn rütteln und schütteln, damit er zur Menschlichkeit zurückfände, mit dem Mädchen Johanna und ihren Engeln sich durchpaukte. Wie könnte man nur den Aalgatten packen? Langsam überkommt einen der dunkle Zorn.

Diese Wirkung aber hat Gerhard Menzel nicht gewollt. Vielleicht hat ihm so etwas vorgeschwebt wie: ans Vaterland, ans teure, schließ Dich an! Und dann noch eines: daß dieses Gefühl dasselbe und das gleichberechtigte bei allen Nationen sei. Also bei uns Deutschen genau so wie bei den hier beispielhaften Franzosen.

Der französische Botschafter in Berlin hat dafür kein Verständnis, das ist klar. Der sieht nur, daß da ein unsympathischer König von Frankreich vorkommt. Solch ein Film dürfe keinen demonstrativen Staatspreis bekommen.

Er hat auch keinen bekommen wie im vorigen Jahre "Die Flüchtlinge" aus derselben Gemeinschaft der Hersteller. Nur eine lobende Erwähnung durch den Reichsminister Dr. Goebbels bei dem Festakt vom 1.Mai in der Staatsoper. Gekrönt wurde Leni Riefenstahl für ihren Parteitagsfilm "Der Triumph des Willens". Das gönnt man ihr von Herzen, denn sie selber hat es doch auch nur durch ungeheure Anspannung von Energien zum Erfolge gebracht. Ursprünglich sehr mäßige Schiläuferin, hat sie über alle Abschürfungen, Knochenbrüche, Verrenkungen hinweg diese Fortsetzung ihrer Tänzerinlaufbahn durchgeführt, bis in die Arktis hinein. Ebenso verbissen hat sie sich an das Filmschaffen gemacht, das Zurechtschneiden und Neukomponieren von der Pike auf erlernt.

Der Festakt in der Oper am Morgen des 1.Mai ist sehr weihevoll. Das Monumentale liegt den heutigen Caesarenstaaten, ganz gleich, ob sie am Mittelmeer oder an der Ostsee oder anderswo in Europa liegen, weit mehr als den früheren parlamentarisch gebundenen Monarchien. Alles, was Wucht und Schwung und im Massenaufgebot Schönheit hat, wird in den Dienst der Propaganda gestellt. Die Vertreter der fremden Staaten bekommen einen starken Eindruck.

Da ist ein ganzer Autobus voll türkischer Abgeordneten und Pressemenschen. Da sind Diplomaten aus aller Herren Ländern. Sie sitzen, mit uns Deutschen gemischt, im ersten Rang. Auch in der früheren Königsloge wir kleinen Leute. Die Reichsregierung, in der Mitte der Führer, hat dafür die ersten Parkettreihen inne. Es ist also umgekehrt wie sonst. Die ins Riesenhafte vergrößerte Plakette des Tages der Arbeit erglänzt silbern im Hintergrunde der Bühne, auf der das Orchester der Staatsoper sich aufgebaut hat. Kein Beifallklatschen, nur andächtige Stille nach der Musik und nach Goebbels' Rede. Aber in diese Stille hinein drehen die Kinooperateure ihre Kaffeemühlen, deren Knarren bei solchen Gelegenheiten immer wieder stört; es wäre wirklich an der Zeit, daß die Technik uns auch hier - wie in den Ateliers in Babelsberg schon längst - lautlose Aufnahmeapparate stellte.

Nun hinaus in das Mailüfterl mit Schneetreiben, auf das Tempelhofer Feld in der nun schon historischen Aufmachung, mit der Hitlerrede an die Millionen hier und im Reiche, mit Berliner Scherz und Humor, mit dauernd hüpfenden Erwärmungsfanatikern und mit sonst erwerbslosen "fliegenden" Verkäufern, die den Himmel um Kälte angefleht haben. "Wenn ich für 200 Mark warme Würstchen loswerde, verdiene ich 40 Mark an diesem Tage", sagt uns der erwachsene Sohn unserer Waschfrau. Es kommt wirklich Geld ins Rollen, nach der Kundgebung auf dem Tempelhofer Felde, die diesmal auf eine Stunde zusammengeballt ist; während es im vorigen Jahre drei Stunden waren, ist man also noch eine Zeitlang "los von Muttern", die den Gatten erst später erwartet, und so sind denn alsbald alle Bierstuben in mehreren Kilometer Umkreis überfüllt. Man ist vom Direktor bis zum Laufburschen ein Herz und eine Seele, die Stimmung ist da, und sie hält bis zum Ausklang des Tages, bis zur nächtlichen Göringrede im Lustgarten nach Fackelzug und vor großem Zapfenstreich.

In den Zoo-Festsälen sollten hervorragende Künstler den Arbeitern nahegebracht werden. In Wirklichkeit war es denn auch durchaus so, daß sich die Künstler selbstlos in den Dienst der Zuhörer stellten, um ihnen Kraft durch Freude zu geben. Im Marmorsaal, wo sie auftraten, war der "Hecht", der Zigarren- und Zigarettenrauch, allerdings sehr früh schon so stark, daß man die Sänger und sonstigen Vortragenden nur wie durch Nebel sah. Stolz und glücklich - nur von dem vielen Trubel und Rundfunkinterview etwas müde - saßen die diesmal auserwählten und im Flugzeug nach Berlin beförderten Arbeiter da. Sie werden in allen Gauen des Reiches davon erzählen, wie es dort aussieht, wo die Berliner ihre vornehmen Bälle haben. Auch diesmal sind die Festsäle reich und künstlerisch mit Blumen geschmückt, über denen das Symbol der Arbeitsfront prangt. In der Fülle der Menschen, die natürlich großenteils im Werktagsgewand hier sitzen oder tanzen, findet man nicht gleich alle bekannten gesuchten Gesichter heraus, nur um ½11 Uhr abends, wo unsereins noch schnell zum Lustgarten muß, geht Minister Seldte an mir vorüber zum Ausgang, kommt Lotte Werkmeister an mir vorüber zum Eingang herein. In der Grünen Veranda und anderswo trifft man Gruppen, die zu einem gemütlichen Plauderstündchen die Sessel zusammengerückt haben. In Berlin ansässige Schlesier, Oberbayern, Schwaben, Pfälzer, Rheinländer, Ostpreußen finden sich mit ihren Landsleuten und schmunzeln über die von der Großstadtherrlichkeit Ermatteten. Man raucht und schmaucht gemütlich, Essen und Trinken ist aber schon Nebensache.

Nach dem Arbeitsfest am 1.Mai nun wieder der Arbeitslärm. Tag und Nacht mitunter in dreifacher Schicht. Es gibt Stellen, an denen sogar am Karfreitag durchgearbeitet wurde. Wo es eilig ist, da werden immer wieder neue Arme eingesetzt. So soll zum 1.August nächsten Jahres das Reichssportfeld unbedingt fertig sein.

Mit einem nassen, einem heiteren Auge sieht man die ungeheure Umwälzung auf diesem Gelände von 520 Morgen. Hier erstand einst auf Anregung des Ministers v.Podbielski, des alten Husarengenerals, die Rennbahn Grunewald, wo es vor dem Kriege, aber auch in schwachem Abglanz erneut wieder in den letzten Jahren, die schönsten gesellschaftlichen Schaubilder gab. Hoppegarten und Karlshorst verblaßten vor diesem weltstädtischen Treiben an großen Reitertagen im Grunewald. In den Platz hineingebaut wurde dann auf Wunsch des sportfreudigen Kaisers das Stadion, an dessen Haupteingang, tief unter dem Geläuf der Rennbahn, man noch heute pietätvoll die Inschrift belassen hat, daß es unter der Regierung Wilhelms II. errichtet sei. Auch hier haben wir die herrlichsten Wettkämpfe und auch völkischen Kundgebungen erlebt. Nun aber wird zum Olympia des kommenden Jahres die ganze Welt geladen, und dazu ist die Erweiterung nötig.Nicht weniger als 1785 Arbeiter - bald werden es noch mehr sein - bewegen ungeheure Bodenmassen, um die Hauptkampfbahn, das eigentliche Stadion, um 120 Meter nach Osten und um 80 Meter nach Norden zu verlegen. Es ist ja ein ovaler großer Kessel, tief ausgehoben. Und an den ansteigenden schrägen Wänden rundum sollen 92 000 Zuschauerplätze geschaffen werden.

Dazu an anderer Stelle 12 Tennisplätze, ein Schwimmstadion mit zwei mächtigen Becken bis zu 4½ Metern Tiefe, eine Polobahn, eine Hockeyarena, diese für 20 000 Zuschauer, 6 Fußballplätze, alles Mögliche sonst noch. Es sind lauter für uns phantastische Zahlen. Ununterbrochen bringen Züge neues Baumaterial. Es sind eben 8000 Kubikmeter Werkstein angerollt. Ganze Gärten und Haine erstehen in den neuen Grünanlagen. Dicht am Reichssportfeld werden 10 000 Autos parken können.

Stundenlang stapfe ich über diese gewaltigste Baustelle der Reichshauptstadt. Ein einziger Mann, ein Oberbaurat, hat dies alles schöpferisch-selbstherrlich in der Hand. Verantwortlich ist er keinem Parlament, nur dem Führer und Reichskanzler. Dem liegt als künstlerischem Menschen dieser für die ganze Welt bestimmte Bau besonders am Herzen. Wenn die Sportler aller Nationen hier einmarschieren, sollen sie ein deutsches Wunder erleben.

Es muß hunderterlei bedacht werden. Die Japaner und verschiedene Südamerikaner verlangen, daß das Wasser in den Schwimmbecken künstlich auf ständig mindestens 21 Grad Wärme erhalten werde, sonst könnten sie nicht mitmachen. Sie sind an unsere gelegentlich nordisch unfreundlichen Tage im Sommer nicht gewöhnt. Für das Polofeld ist ein riesenhafter Stampfapparat nötig, der einen Block von 20 Zentnern Gewicht Schritt für Schritt auf die Fläche hämmert, wenn sie von insgesamt 240 wendigen Ponies mit ihren Hufen aufgewühlt ist, im Galopp und mehr noch im plötzlichen Halt und im Kurz-Kehrt.

Und dann die Bierkeller für Hunderttausende von Zuschauern . . ..

Die Anfänge von diesen Dingen haben wir miterlebt, nur wachsen sie heute ins titanenhafte. Alles ist vervielfacht. Früher konnte ein Brigadekommandeur mit besonders kräftiger Kommandostimme sich vielleicht zweitausend Menschen kurz verständlich machen. Heute spricht man ruhig in irgendein Mikrophon, und Lautsprecher brüllen es hundert Millionen Hörern zu, die auch das leiseste Schnaufen des Redners vernehmen.

"Da mußte mit, haste, was kannste. Und wenn det janze Tempelhofer Feld zweistöckig gemacht werden muß, im übernächsten Mai jeht noch eine Million Menschen mehr ruff. Immer feste, uns soll keener an die Wimpern klimpern."

Das ist heute Berliner Tempo.
2. Mai 1935 (Donnerstag)



Glossen 25 - 27

Jahresinhalt

Glossen 31 - 33

© Karlheinz Everts