Tante Voss - Titelblatt Artikel-Titel-Voss

Nein, das kann man sich nicht länger gefallen lassen! Wer da glaubt, man brauche ihn nicht so wichtig zu nehmen und es genüge, ihn schweigend zu übergehen, der irrt sich gewaltig - so einer ist gefährlicher als eine Kompagnie von Feld-, Wald- und Wiesendemagogen.

Wir sprechen von dem Provinzfeuilletonisten des Hauses Hugenberg, der sich „Rumpelstilzchen” nennt, weil jeder weiß, daß er ein Major a.D. Adolf Stein ist. „Rumpelstilzchen” also schreibt jede Woche, die der Herrgott werden läßt, einen „Berliner Brief”, der in 25 bis 30 Provinzzeitungen erscheint. Nicht genug damit, gibt er ab und zu die Ernte von einigen Monaten noch als Buch heraus, wie jetzt eben wieder eines erschienen ist. Es führt den neckischen mit dem Inhalt in keiner Weise zusammenhängenden Titel „Nu wenn schon” und ist, wie wir mit leisem Frösteln lesen, „der Reihe zwölfter Band”.

Also haben schon Hunderttausende, wenn nicht Millionen dieses unsägliche Zeug konsumiert; und darum lohnt es sich, es näher zu beschreiben. Was ist es? Ein Salat aus ödestem Gesellschaftsklatsch und salzloser Theaterreportage, gewürzt hin und wieder mit einer kleinen Pikanterie, nicht schärfer, als der brave Bürger in der Provinz gerade noch vertragen kann, garniert in regelmäßigen Abständen mit einer Verleumdung - und das alles übergossen, durchknetet, durchzogen von fadester Gesinnungssoße; was müssen die Leute für einen Magen haben, die so etwas jahraus jahrein genießen können.! Da ist kein Einfall, der einen erfreuen, keine Formulierung, die einen fesseln könnte; das wird Woche für Woche heruntergequatscht, als stammte es von einem Non-Stop-Papagei. Wo es witzig sein will, wird es plump; wo es volkstümlich sein will, vulgär; und wo es pathetisch klingen soll . . .

Da steht dann (über den Parteitag der Deutschnationalen in Stettin) folgendes:

„Am Sonntag früh beim Gottesdienst . . . unvergeßliches Bild. Döhring predigt, geistgewaltiger denn je. Deutschland, Deutschland! Hugenberg senkt den Kopf, damit keiner seine Erschütterung sehe. Er schämt sich, weil ihm die blanken Tränen niedertropfen. Deutschland, Deutschland! Nur darum geht es!”

Ist das zu glauben? Und da gibt es keine Notverordnung, die den wehrlosen Leser vor solcher Lyrik schützt?

Nach dieser Probe braucht man über die Qualität der Gesinnung, die hier geboten wird, kein Wort mehr zu verlieren. Es kann einer ein Reaktionär sein und doch ein ganzer Kerl, wie der famose Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der geistvolle und tapfere Gegner der Stein und Hardenberg, der heute wieder aus leicht durchschaubaren Gründen in Mode kommt. Es handelt sich nicht um den Inhalt der Gesinnung, sondern um ihr Niveau, das von ihrem Inhalt nämlich unabhängig ist. Marwitz war Landedelmann und Soldat, bereit, nicht nur die Privilegien seiner Stellung zu genießen, sondern auch ihre Pflichten zu erfüllen. Er hatte den inneren Zusammenhang mit der Weltanschauung, die er vertritt, noch nicht verloren; aus seinen Schriften spricht der echte und tiefe Groll gegen eine Zeit, die, wie er fühlt, den Boden umgräbt, in dem er wurzelt. Rumpelstilzchen hingegen ist Großstädter wie nur einer, heimisch grade in den Teilen Berlins, die weiß Gott am wenigsten nach Scholle duften, in den Amüsiervierteln, deren Reize er seinen Lesern im Reich mit politischen Sentenzen gemischt schildert. Seine feudalen Ansichten haben keine Beziehung zu seiner Lebensführung; sie stehen ihm fremd wie ein Maskenkostüm. Was bei Marwitz Empörung ist, ist bei ihm Ressentiment und näselndes Vorurteil: „Von der breiten Masse kann man nie geläuterten Geschmack erwarten.” Wenn er eine Ahnung hätte, wie sehr er selbst zur Masse gehört!

Er spricht zwar verächtlich von Asphaltpresse und Asphaltdemokratie, aber er läuft sich tagaus, tagein auf dem Berliner Asphalt die Stiefelsohlen ab. Er lebt ausschließlich im Gesellschaftlichen, kennt alle feinen Leute und die Geheimnisse ihrer Boudoirs. Wird von Prinzen eingeladen, von Filmstars geduzt und spricht ihre Sprache. „Großartig, unübertrefflich, fabelhaft”, das sind so seine Adjektive. In dieser Sprache aber, in der sich tiefere Nuancen überhaupt nicht wiedergeben lassen, läßt sich nun einmal die Revolte des Landmenschen gegen die Stadt, die Reaktion gegen die neue Mode nicht ausdrücken; sie ist ja selbst durch und durch städtisch und neumodisch. Versucht man es doch, so kommt kein echter Klang heraus; vollends dann nich, wenn man seine Gefühle durch redselige Schamlosigkeit kompromittiert:

„Gott segne den König, Gott helfe unserm armen Volk! Nur dieser eine Satz nach dem Tischgebet, ehe wir uns zum Mittagbrot setzen; dann trinkt jeder still einen Schluck Wein auf das Geburtstagskind, den Kaiser, und gelobt innerlich erneut sich ihm und Deutschland an.”

Niemand, dem es ernst ist, kann so etwas schreiben.

Der Zwiespalt zwischen dem Leben, das er führt, und der politischen Idee, für die er agitiert, ist Rumpelstilzchen unklar bewußt. Um ihn zu überbrücken, erfindet er eine Lebenslüge besonderer Art: Den Snob aus Pflichterfüllung. Er fehlt auf keinem Ball und auf keinem Rennen, aber er tut, als erfülle er damit nur die aufreibenden Pflichten seines Berufs. „Ich rufe ihm (einem Freund) keinen Gruß zum heutigen Geburtstag durch den Fernsprecher zu. Keine Zeit, keine Zeit. Wenn ich nicht über Politik schreibe, so muß ich für das Feuilleton Berlin abstreifen.” Er kennt jede Bar und jedes feine Lokal; aber die Schilderung eines Amüsements beendet er mit folgendem Erguß:

„Es sind immer nur Augenblicke, die uns entrücken. Dazwischen liegen lange Arbeitstage, an denen einem die Paragraphen neuer Notverordnungen über die Schulter sehen.”

Wenn einer jeden Abend ausgeht, weil er sich amüsieren will - gut. Wenn einer lieber zu Hause bleibt - auch gut. Aber Cocktails trinken aus Berufsethos, Schlager trillern mit der Miene preußischer Pflichterfüllung, das geht nicht an.

Ein solcher innerer Widerspruch könnte tragisch sein. Bei der Robustheit aber, über die Rumpelstilzchen reichlich verfügt, kommt er über solche Abgründe schmerzlos hinweg. Sinn für seelische Differenziertheit ist überhaupt nicht grade seine Stärke; Mangel an Scharm sozusagen seine persönliche Note. Das zeigt sich am deutlichsten in der Art, wie er die politischen Parolen seines Chefs Hugenberg aufnimmt und vergröbert, so zum Beispiel während des Präsidentschaftswahlkampfes:

„Zweifelt jemand daran, daß die Brüder Sklarek selbstverständlich Hindenburg wählen?”

Ob Hugenberg so etwas wirklich wünscht? Man wagt nicht mehr ohne weiteres zu dieser Frage Nein zu sagen, wenn man sieht, mit welcher Duldsamkeit er sich durch einen so kompromittierenden Anhänger selbst kompromittieren läßt. Denn wenn etwas gegen die menschlichen Qualitäten Hugenbergs spricht, so ist es die Tatsache, daß er schweifwedelnde Schmeicheleien nicht nur erträgt, sondern auch protegiert, wie zum Beispiel die folgende:

„Man hat Hugenbergs Kopf erkannt. Ob er einen altmodischen Cutaway oder (!) einen buschigen Schnurrbart trägt, danach sieht kein Mensch. Aber der Kopf, der Kopf! Darin steckt eben mehr, als unsere Schulweisheit sich früher träumen ließ.”

Rumpelstilzchen Publikum aber läßt sich offenbar durch solche Schönheitsfehler nicht stören - und deswegen gehört der Fall Rumpelstilzchen nicht in die Stil- oder Geschmackskritik, sondern in das politische Ressort. Er vermittelt seinen Lesern offenbar etwas, wonach eine ungeheure Nachfrage vorhanden ist: den Blick in die „große Welt”, als deren Angehörigen er sich selber ausgibt. „Ich war zum Abendbrot bei Prinz Oskar eingeladen.”   „Diesmal sind zu Kaisers Geburstag Langhorsts zu Tisch.”   „Mit Walter Bloem habe ich gesprochen.” Diese Unmittelbarkeit imponiert gewaltig, und um ihretwegen schlürfen seine Leser begierig das Getränk, das ihnen vorgesetzt wird, ohne zu merken, daß seine fade Süßigkeit fein verteilte Giftstoffe verbirgt. Dieses Gift aber ist von besonderer Sorte: es setzt sich im Bewußtsein fest, kristallisiert sich zu kaum mehr lösbaren Urteilskomplexen und Ressentimentsklumpen; es haftet noch, wenn der Anlaß längst vergessen ist. So macht man Leute zu Proselyten, die gar nicht wissen, daß sie bekehrt werden. So entsteht in unserem tintenklecksenden Säkulum ein Stück „öffentlicher Meinung”.


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© Karlheinz Everts