Skizze von Paul Bliß
in: „Lienzer Zeitung” vom 05.10.1907,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 13.01.1902,
in: „Prager Tagblatt” vom 17.10.1901,
in: „Badische Presse” vom 29.10.1901,
in: „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt” vom 20.07.1907 (hier: Ein interessantes Wiedersehen.),
in: „Niederösterreichische Volks- und Vereinszeitung”, Beilage Illustriertes Sonntags-Blatt, vom 02.12.1916 (hier: So ein Wiedersehen)
Wenn die wirklichen Herbststürme über diese beste aller Welten hinfegen und den Reigen der dürren Blätter bunt durcheinander wirbeln, dann ist es an der Zeit, daß jeder sogenannte anständige Mensch daran denkt, sich einen wärmenden Paletot zurecht zu legen, um dem kommenden Winter beruhigt entgegensehen zu können.
So fand denn auch ich einen barmherzigen Schneider, der zu meinem Talent wenigstens so viel Vertrauen hatte, mir im Vertrauen auf diese Einkommensquelle einen soliden und eleganten Winterüberzieher pumpweise zu liefern. —
Stolz und ach, so behaglich, ging ich, angetan mit meiner neuen Pelle(1), über die Straße; meine Bekannten grüßten mich mit einer leisen Ironie, indem sie das neue Kunstwerk bewunderten; manch boshaftes Lächeln sah ich, und manche indiskrete Frage nach Art und Herkunft dieses Paletots mußte ich geduldig — als höflicher Mensch — ertragen, ja ein sehr witziger Freund fragte mich: „Hat denn dieser leichtsinnige Schneider keine Familie, an die er zu denken hat?” — Kurz, mein Paletot wurde so viel bestaunt und mit so neidischen Blicken bewundert, daß ich nun erst recht stolz wurde, so ein Wunderwerk zu besitzen, und infolgedessen, — eben, um all die lieben Frende zu ärgern, — noch selbstbewußter auftrat und keine Gelegenheit vorübergehen ließ, das Kunstwerk meines guten Schneiders — dem der Himmel ein langes Leben schenken möge! — zur Schau zu tragen.
Eines Abends gehe ich in ein Restaurant, um mich an einem guten Schoppen zu laben.
Vorsichtig, wie man im Herbst mit seinem Paletot sein muß, hänge ich mein neues Besitztum unmittelbar neben meinem Platz an einen Haken und vertiefe mich in das Studium meiner nächsten Umgebung.
Plötzlich tritt ein Mann ein, der einen braunen Paletot trägt. Ich staune ihn an, — weniger den Mann, als den braunen Paletot, — meine Blicke sind wie gebannt, denn plötzlich keimt in mir die Gewißheit auf: dieser Kerl dort, dieser Mensch mit dem unsympathischen Aussehen, trägt deinen alten Paletot!
Ich kann mich täuschen, gewiß, denn sicherlich gibt es Hunderte brauner Paletots gleichen Aussehens — aber der meinige hatte einen so eigenartigen Schnitt, daß ich ihn auch unter Hunderten wohl wiedererkannt hätte — doch, wie gesagt, ich kann mich ja trotzdem täuschen.
Nun setzt sich der Kerl — ausgerechnet an meinen Nebentisch! — er zieht den Paletot aus und hängt ihn unmittelbar neben dem meinigen auf — das braunkarierte Futter sieht mich an — und nun, nun erkenne ich meinen alten Paletot mit tödlicher Sicherheit wieder, denn in der rechten Ecke des braunen Futters entdecke ich jenen talergroßen hellen Fleck, den mir einst eine ätzende Säure eines chemischen Freundes beigebracht hat; ich habe mich also nicht getäuscht. — Mein alter Paletot . . . . . !
Ein Gefühl unendlicher Wehmut überkommt mich.
Nun hängt dort mein alter unmittelbar neben meinem neuen Paletot. — Oh, wenn sie reden könnten, diese leblosen Dinge! Was für Geschichten würde da der alte dem neuen erzählen! — Und ich danke meinem Schöpfer, daß sie nicht reden können.
Mein lieber, alter, brauner Paletot, was habe ich alles mit dir durchgemacht!
Auch du sahst einst so stolz und elegant aus wie dein neuer Nachbar dort — auch du warst einst auf Pump geliefert, und dein Erzeuger war ein guter Mensch, denn er litt, ohne zu „klagen” — auch du bist einst angestaunt worden von neidischen guten Freunden — und dennoch war auch dein Dasein ein beschränktes — der ewige Kreislauf aller Dinge — Werden und Vergehen!
Es zuckt mir in allen Fingern. Gar zu gern möchte ich meinen alten Freund ein wenig streicheln, oder mal meinen Kopf an das weiche, schöne Futter anlehnen — aber nein, es geht nicht — der ekelhafte Kerl nebenan stört mich — diese stahlgrauen, harten Augen, die mich so von der Seite anstarren. sie erschrecken mich förmlich — es geht nicht, ich wage es nicht!
Mein Herr Nachbar beginnt zu essen.
Brrr! Ein Schauer rinnt mir den Rücken herunter — der Kerl ißt mit dem Messer, und den Knochen des Koteletts nimmt er in die Hand und nagt ihn ab.
Und in solche Gesellschaft muß mein geliebter alter Paletot geraten! Es tut mir in der Seele weh. Ach, und wie ich sie nun da beide nebeneinander hängen sehe, den alten und den neuen, da ist es mir fast, als hätte ich den alten lieber als den neuen, so stolz ich auch auf mein neues Wunderwerk bin — aber der neue ist eben noch zu neu, ich fühle mich noch nicht vertraut und heimisch mit ihm, während der alte mir drei lange und schwere Winter hindurch treue Dienste geleistet hat — in ihm habe ich gejubelt vor Freude, und ebenso oft auch war ich nahe dem Heulen — ihn habe ich angezogen, wenn das Zimmer kalt war und der Kohlenlieferant nicht mehr pumpen wollte — ihn habe ich getragen, als ich zum ersten Male mit meinem blonden Lottchen durch den stillen Tiergarten ging, der in winterlicher Einsamkeit uns seine ganze Schönheit zeigte, — er ist mir kein totes Ding mehr gewesen, denn er hat teilgenommen an meinen Leiden und Freuden.
Und nun in solchen Händen — das tut mir wirklich weh! —
O, warum auch mußte ich ihn damals verkaufen!
Noch weiß ich den Tag genau — es war am 1.Mai. Ein Tag voll Sonnenschein und Vogelsang — ein Himmel, so blau und klar, wie er nur verliebten Leuten strahlen kann — und Blumenduft und saftstrotzendes, junges Grün und lachende, frohe Menschen, wohin auch das Auge blicken mochte.
Und da kam das kleine Lottchen angejubelt, mit Springen und Trala, lustig wie immer. Jauchzend rief sie: „Schatz, ich hab' da drüben einen Hut gesehen, den muß ich unbedingt haben! Komm, kaufen wir ihn! Er kostet nur 16 Mark!”
Mit wehmütigem Lächeln sah ich sie an, sagte gar nichts und zeigte ihr nur mein Portemonnaie mit 6 Mark Inhalt.
Sie aber meinte lachend: „nun ja, der Anfang ist ja gemacht! Sechs Mark sind da, also werden sich die anderen zehn Mark auch noch finden!”
„Woher?” fragte ich nur.
Nun aber wurde sie kribbelig. Nervös rief sie: „Woher? Mein Gott, du wirst doch die lumpigen zehn Mark auftreiben können!”
„Sag mir nur, woher?”
„Nun, schlimmstenfalls versetzen wir etwas!” — Und plötzlich jubelnd: „Halt! Ich hab's! Wir verkaufen deinen alten Winterpaletot!”
„Ich denk ja nicht dran!”
„So? Weshalb denn nicht? Willst du ihn etwa als Mottenfutter im Spind hängen lassen? — Zum nächsten Winter mußt du doch einen neuen haben!”
„Ich dächte, ich könnte den alten noch ein Jahr tragen,” bemerkte ich schüchtern.
„So? Denkst du das? Nun, wie du meinst — aber das kann ich dir sagen, ich geh' dann nicht mit dir aus!”
Na, kurz und gut — Frauenwille ist Gotteswille — nach einer Viertelstunde war ein Trödler da.
Ein kleiner, dicker Kerl, der mit seinen dicken, roten Fingern meinen lieben, alten Paletot aufhob, ihn mit prüfenden Augen aufs genaueste untersuchte, die Knopflöcher betastete und das Futter befühlte, um ihn dann geringschätzig und achselzuckend wieder hinzulegen mit der Bemerkung: „Hat nicht viel Wert für mich.”
Ich wollte aufschäumen vor Wut, aber Lottchen raunte mir zu:
„Laß mich nur machen.”
Und nun begann ein Handeln und Feilschen, daß ich sprachlos war; zweimal ging der biedere Trödler hinaus, zweimal kam er wieder, und beim dritten Male endlich bezahlte er 15 Mark, die Lotte verlangt hatte.
Jubelnd nahm sie die fünf Taler und lief hinüber zur Putzmacherin.
Mir war, als hätte man mir etwas hinausgetragen, das ich mein Lebtag nicht würde verschmerzen können.
Schon zehn Minuten später war die kleine Hexe wieder da, und auf ihrem Köpfchen prangte das duftigste Hütchen, das ich je im Leben sah.
So wurde aus meinem alten Paletot ein neuer Sommerhut.
* * *
Während der letzten Viertelstunde habe ich dagesessen wie im Traum, hab auf nichts von meiner Umgebung geachtet und nur meinen alten Träumereien nachgesonnen, die mir wieder ein Stückchen heiterer und wehmütiger Vergangenheit wachgerufen haben. —
Nun aber schlägt die Uhr, und nun werde ich zurückgerufen in die Wirklichkeit.
Der erste Blick gilt meinem Nachnbar.
Herrgott, was seh ich! Der Kerl ist fort!
Der zweite Blick gilt meinem Paletot.
Doch was ist das? Der alte hängt ja noch da!
Ja, wie geht denn das zu!?
Plötzlich tagt es bei mir: Hilf, Himmel, mein neuer Paletot ist fort! Der Kerl nebenan hatte den alten dagelassen und meinen neuen dafür mitgenommen!
Ich schlage Lärm. Die Kellner laufen zusammen. Der Wirt kommt. Ein wüstes Hin und Her von Fragen und Antworten. Natürlich resultatlos, denn keiner kennt den fremden Menschen.
Schließlich meint der Wirt: „Ich versteh' nur nicht, daß Sie davon nichts gemerkt haben, Sie haben doch dicht dabei gesessen!”
Ich wurde rot. Der Wirt hatte ja recht.
Endlich zog ich meinen alten Paletot wieder an und ging geknickt nach Hause.
Was wird Lottchen sagen!?
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Fußnoten:
(1) In der „Lienzer Zeitung”: Pelle,
im „Mährischen Tagblatt”: Hülle,
im „Prager Tagblatt”: Pelle.
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