Die Maus

Eine kleine Geschichte von Paul Bliß
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 18.03.1900,
in: „Pittsburger Volksblatt” vom 16.08.1900,
in: „Düna-Zeitung” vom 04.03.1900 (hier: Eva 1900)


Ein schöner, klarer Wintertag. Die Vormittagssonne scheint hell und warm durchs Fenster herein.

Lucie sitzt am Nähtisch und führt emsig die Nadel. Sie ist so in die Arbeit vertieft, daß sie erst, als ziemlich energisch an die Thür gepocht wird, aufsieht und „Herein!” ruft.

Die Freundin kommt. Fräulein Meta Bergmann — eine Dame von zwanzig Jahren, groß und schlank, ein geistvolles, aber ein wenig blasirtes Gesicht, schnelle hastige Bewegungen und große sprechende Augen — sie trägt ein modernes Radfahrerkostüm, so männlich, wie es die gute Sitte nur gestattet, und pafft aus vollen Zügen nn einer langen dicken Egypter.

„Guten Morgen, Kleine!” ruft sie etwas von oben herab, reicht Lucie die Hand und fragt spöttisch: „Na, schon wieder Hausmütterchen?”

Lucie nickt lächelnd und erwidert dann gutmüthig: „Was bleibt mir anders übrig? Ich habe niemand, der mir meine Arbeit thut. Ich muß arbeiten!”

„Muß,” meint die Andere, „wie das klingt. Kein Mensch nuß müssen, sagt schon Goethe.”

„Ich glaube, es war Lessing.”

„So — na, mir auch recht; jedenfalls ist's ein vernünftiger Ausspruch. Uebrigens verstehe ich Dich nicht: Deine Eltern sind doch wohlhabend genug — weshalb sitzest Du denn hier Tag für Tag beim Nähzeug?”

„Gott, es macht mir Spaß, zu arbeiten.”

„Zu arbeiten — selbstverständlich! Aber nicht solche Arbeit! Das war ehedem, heute finden die Töchter aus gutem Hause etwas anderes, Wichtigeres zu thun — wir sind doch nun mal moderne Menschen!”

„Ach, liebe Meta, mit dem Wort „modern” wird sehr viel gesündigt, und es scheint mir beinahe, als brauchtest Du es ein bischen zu oft.”

„Das scheint Dir?” Die Freundin, ein wenig beleidigt, lacht laut und schrill auf. „Aber Du bist nicht nur nicht modern, sondern im höchsten Grade unmodern!”

„Ach, was Du sagst!”

„Jawohl, mein Kind, das bist Du! Du bist das junge Mädchen von ehedem, mit „züchtigen, verschämten Wangen”, wie Lessing so schön sagt.”

„Diesmal war es Schiller!”

„Na, auch gut! Du bist das kleine Bählamm, das sich getrost einfangen läßt von den sogenannten Herren der Schöpfung, das immer nickt, immer ja sagt und immer zufrieden ist. — Du bist so ganz und gar der Typus der Frau, die seit Jahrtausenden ins Joch gespannt und geknechtet ist, nur um den Männern das Leben angenehm zu machen! Davon aber, daß das Weib von heute ganz andere Ziele erstrebt, davon hast Du keinen blassen schimmer! Spiel' Du nur getrost das Hausmütterchen weiter, Du bist ganz in Deinem Element.”

„Na und Du? Willst Du vielleicht nicht auch mal einen Hausstand gründen?”

„Vorerst gewiß nicht! Erst will ich das Leben kennen lernen und meine Kraft daran stählen.”

„So so?” lächelt Lucie ganz fein.

„Was willst Du denn mit Deinem „so so” sagen? Das klingt ja gar zu geheimnißvoll.&rdquo,

„Ach, es schien mir, als interessirst Du Dich für einen Herrn.”

„Unsinn! So was giebts bei mir garnicht!” erwidert Meta sehr burschikos, kann aber ein leichtes Erröthen doch nicht ganz verbergen. „Uebrigens wen meinst Du denn eigentlich?”

Ruhig weiter nähend sagte Lucie: „Ich dachte an Herrn Wolfram.”

Einen Augenblick loht im Gesicht der Freundin eine neue Gluth auf, dann aber bezwingt sie sich und meint ganz leichthin: „Woher kennst Du denn Herrn Wolfram?”

„Aber das weißt Du nicht? er geht ja schon seit einem Vierteljahr bei uns aus und ein.”

Jetzt wird die andere immer erstaunter. „Keine Ahnung hatte ich davon! — Uebrigens darin hast Du diesmal Recht, er ist ein sehr interessanter Mann!”

„Nicht wahr?” sagt Lucie nur, beugt sich aber ganz tief auf ihre Arbeit.

„Und ein so verständiger Mann, so ganz anders als diese Durchschnittssorte! Gestern traf ich ihn im Frauen-Reformverein, da hörte ich zu meiner Freude, daß er für unsere Sache das vollste Verständniß hat,”

„Ja, er hat auch Papa von Dir erzählt.”

„Wirklich!? Ach, liebste Lulu, was hat er denn von mir gesagt? So sprich doch, Luluchen!”

„Aber, liebste Meta, Du bist ja ganz erregt; ich denke, so etwas interessirt Dich gar nicht?”

„Mein Gott,nein, aber man hört doch ganz gern mal, was die Menschen von einem denken! — so laß doch endlich diese dumme Näharbeit liegen — ganz nervös macht mich das! — Komm, laß uns lieber ein wenig plaudern.”

„Geht nicht, Meta, nein, nein! Die Arbeit eilt &mdash, sie muß fertig — ich will Dir's verrathen: es ist der Rest meiner Aussteuer.” Und glückselig lächelnd sieht sie zu der Freundin auf.

Diese aber wird immer erstaunter; endlich fragt sie pikirt: „Ja, bist Du denn schon verlobt?”

Und Lucie erglühend: „ Dir kann ich es ja sagen — so gut wie verlobt!”

Jetzt ist Meta ganz starr. &bdquoi;Davon ahnte ich ja garnichts. Na, und wer ist es denn?”

Lucie schweigt erröthend.

In diesem Augenblick tritt Herr Wolframn ins Zimmer. Die beiden Damen zeigen ein freudiges Erstaunen.

Und er, ein stattlicher Mann von dreißig Jahren mit leicht sarkastischem Lächeln, begrüßt erst Fräulein Meta höflich, aber nur ein wenig förmlich — wie sie findet — dann geht er zu Lucie, küßt ihr die Hand, sagt auch ihr einige freundliche Worte — die Art aber und der Ton, in dem er zu Lucie spricht, verrathen der immer mehr erstaunten Freundin mit einem Male alles das, was sie vordem wissen wollte.

Jetzt raffte sie sich auf, um ihre Enttäuschung nicht zu verrathen, und sagte flüchtig Adiue.

„Aber so bleib doch noch, Meta,” bittet Lucie.

„Ja, mein gnädiges Fräulein,” sagt nun auch er, „das sieht ja so aus, als hätte ich Sie vertrieben.”

Und nun kocht all der Groll und Aerger in ihr auf, und sie nimmt sich vor, ihm jetzt einen Hioeb zu versetzen; mit leicht mokanten Lächeln entgegnet sie: „Nein, Herr Wolfram, mich hat noch kein Mann vertreiben können; aber ich habe zu arbeiten, denn, wie Sie ja wissen, bin ich eine von denen, die da Vorkämpferin sein will für ihr bedrücktes Geschlecht, die den Beweis erbringen will, daß man die Kraft der Männer bald auf allen Gebieten entbehren kann!”

Lächelnd meint er: „Sehr nett, wenn wir Männer dann dauernd in den Ruhestand versetzt würden.”

„Spotten Sie nicht! Ich werde Ihnen zeigen, daß ich keine leeren Worte spreche, ich werde Ihnen beweisen, daß wir Muth und Kraft haben, daß wir tapfer sind!”

Plötzlich ruft er, in eine Ecke zeigend, schnell dazwische. „Da! Da! Eine Maus!”

Im Nu hat sich die Situation geändert. Lucie sieht, still vor sich hinlächelnd, in die Ecke. Meta aber springt mit einem Satz schreiend auf den nächsten Stuhl und ruft angstvoll zitternd: „Ach, bitte, tödten Sie das garstige Thier!”

„Nun, mein gnädiges Fräulein,” sagt er heiter, „vorerst haben Sie doch noch nicht Muth genug — aber bitte, kommen sie nur herunter — es war nämlich gar keine Maus da, ich wollte nur sehen, wie weit Ihre Tapferkeit reicht.”

Und beschämt steigt Meta herunter vom Stuhl; zitternd sagt sie: „Und Sie, mein Herr, wollen ein Freund der Frauenfrage sein?”

„Oh,” entgegnet er mit höflichem Lachen, „ich bin sogar ein eifriger Förderer dieser guten Sache, sobald ich sehe, daß man ernst und ehrlich dafür arbeitet; aber ich bekämpfe ebenso ernst alle die Auswüchse, die diese Frage zeitigt, denn sie sind der Krebsschaden für die ganze Bewegung!”

Da verschwand Fräulein Meta Bergmann lautlos, und von dem Tage an kam sie nie mehr zu Lucie.

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