Aus den Papieren eines Künstlers von Georg Prinz..
in: „Providencer Anzeiger” vom 23.05.1896
Der Bahnhofsbeamte giebt das vorletzte Glockenzeichen. Auf dem Bahnhof ein Hasten und Drängen, Schieben und Stoßen.
Die Fahrkarten sind geprüft, die Thüren werden zugeschlagen, das letzte Läuten ertönt. Fertig! Ein letzter Gruß noch, ein Abschied — vielleicht für immer; jetzt setzt sich der Zug in Bewegung und gleitet hinaus in die lachende Sommerwelt — vorüber — vorüber!
Heinkehr! Eine wonnige Empfindung kommt über mich, ein seligsüßes Erschauern.
Fünf Jahre war ich draußen gewesen, weit umher in der Welt, und in dieser langen Zeit habe ich keinen meiner Lieben gesehen, kaum daß ich ab und zu einen Brief von meinem Mädchen bekam, der mir sagte, wie's daheim aussah, der mir in bitteren Worten oft klagte, wie meine Eltern litten, weil ich so trotzig gewesen und in die Welt hinausgeflohen war, — o, es waren selten Freudenbotschaften, die man mir nachsandte; — und dann, an einem trüben Herbsttage, ward mir die Nachricht vom Tode des Vaters.
Vor fünf Jahren — im Trotz, unter heftigen, wild leidenschaftlichen Worten, hatte ich das Elternhaus verlassen. Neunzehn Jahre war ich alt. Das Examen lag hinter mir. Ich sollte einen Beruf erwählen. Das war des Vaters Wille. Ich aber wollte anders. In meiner Brust lebte etwas, das nach Gestaltung rang; nicht in dumpfen Schreibstuben wollte ich meine Jugend verkümmern, nicht vor Folianten rechnen und nicht mechanisch arbeiten, sondern etwas zu schaffen hatte ich den Drang, etwas Großes, Schönes, ein Kunstwerk, das die Welt anstaunen sollte — das war's, was in mir bohrte und nagte, — ein Künstler wollte ich werden!
Ich sehe noch das finstere Gesicht des Vaters, als er meinen Entschluß vernahm, — kein Wort dagegen sprach er, nur aus seinen Zügen las ich, was in seiner Brust vorging. Dann wies er mir die Thür und zog seine Hand von mir, dem einzigen Sohne. Ich hatte die Wahl: entweder meiner Kunst für immer zu entsagen, oder die Heimath zu verlieren. Aber ich hatte seinen Trotz geerbt, ich verließ meine Heimath und floh zu einem alten, berühmten Meister, der mich als seinen Schüler aufnahm und mich dann auf die Reise in die schöne Welt mitnahm. So bin ich zum Manne gereift und es ist auch ein von der Welt anerkannter Künstler aus mir geworden. Und nun geht's zurück nach Hause. Des Vaters Platz ist leer, nur seinen Grabhügel kann ich noch schmücken; — aber die Mutter ist ja noch da, — und in ihrem Schooß will ich nun all' mein Weh ausweinen, will wieder ganz ein Kind sein, das reuig heimkehrt, Vergebung zu erflehen.
Und noch Jemand ist da, die zu sehen ich mich so lange, lange schon gesehnt habe — mein Mädchen, meine Lotte. Sie war es, die an mich geglaubt hat, die damals mir Muth zusprach, als ich einen Augenblick schwankend wurde, sie, die Gespielin meiner Jugend, die mir die traute Gefährtin und Genossin all' meiner heimlichen .... [Wort unleserlich. D.Hrsgb.] geworden ist. Und die Liebe zu ihr, der Glaube an sie, der Gedanke, daß sie meiner harrt, — das Alles hat mich immer wieder aufgerichtet, wenn ich oft in hartem Ringen den Glauben an meine Kunst verlor. Und nun endlich kann ich mein Wort einlösen, kann sie heimführen als meine liebe Gefährtin für's Leben —
Endlich nach langer Fahrt bin ich am Ziel.
Niemand von meinen Angehörigen ist da, mich zu erwarten; sie wissen ja nicht, daß ich komme, ich will sie überraschen. So durchschreite ich die Bahnhofhalle, eile durch die Straßen.
Endlich stehe ich vor dem Hause, in dem ich das Leben erblickt. Behutsam öffne ich die schwere Thür. Die Glocke schlägt an, langsam trete ich in den Flur. Kein Mensch rührt sich, Alles ruhig und still. Alles war so, als ob ich es gestern verlassen hätte. Und über dem Ganzen lagert die dumpfe Schwüle des heißen Juni-Tages. Wie gebannt stehe ich still.
Da höre ich ein Hüsteln. Aus der blauen Stube kommt's. Dort ist die Mutter.
Leise klopfe ich an die Thür. Eine zitterige helle Stimme ruft: Herrein! Aber ich warte gar nicht erst darauf, denn als ich im Rahmen der Thür stehe und die alte gute Frau, gebückt im großen Sorgenstuhle sitzen sehe, da stürme ich auch schon hinein mit einem hellen, wilden Freudenschrei und liege zu Füßen der alten Frau und küsse die welken Wangen und die greisen Haare und berge Sie ist alt geworden, mein Mütterchen, und vielleicht war ich schuld daran, daß sie vor der Zeit grau geworden ist. meine Wangen in ihrem Schooß, halte den zitternden Leib umfangen mit bebenden Armen und weine, weine helle Freudenthränen . . .
Sie ist alt geworden, mein Mütterchen, und vielleicht war ich schuld daran, daß sie vor der Zeit grau geworden ist. Aber davon will sie nichts hören, sie hat so viel zu fragen, so viel zu erzählen, und so oft und so herzlich küßt sie mich, streichelt mich über das Haar und über die Stirn und findet kein Ende ihrer Zärtlichkeiten.
Da wird die andere Thür geöffnet und herein tritt meine Lotte. Starr vor Erstaunen, wie gebannt vor Schreck, so steht sie plötzlich still und blickt mich an mit stummer Frage.
„Ja, ja, ich bln's!” so jubelte ich ihr entgegen, schließe ihren zitternden Körper in meine Arme und presse sie an mich in heißer wilder Liebe, und meine Küsse treffen sie auf Mund und Augen und Haar, und eine süße Himmelswonne rieselt mir durch's Blut, sodaß ich an nichts mehr denke, als nur noch an unsere Liebe, — — und so, Arm in Arm, eng aneinander geschmiegt, so führe ich sie hin zur Mutter, und so lassen wir uns segnen zum Bund für's Leben.
Welch heilige Stille. Keiner von uns sagt ein Wort. Das Glück ist so groß, so gewaltig, daß Worte es nicht sagen können, und darum verweilen wir in stummer Hingebung, schauen einander glückberauscht in die Augen und verstehen, was in uns lebt.
Ganz leise nur fühle ich, wie Lotte's Hände zittern und sehe auch, wie eine heiße Röthe ihr in's Gesicht steigt, — ich halte das für die Ueberraschung; aber ab und zu entdeckte ich in ihrem Auge ein Aufleuchten, eine Unruhe, die sie zu verbergen sucht, einen jähen Schreck, ein Geheimniß, und dafür finde ich keine Erklärung.
Die nächsten Tage gehen vorüber.
Ich habe alle Gefährten meiner Jugend wieder aufgesucht und bin allmählich wieder heimisch geworden. Die Vorbereitungen zu unserer Hochzeit werden schon gemacht.
Aber in Lotte's Wesen ist etwas, das ich mir nicht erklären kann. Oft wenn ich sie küsse, in wilder, heißer Leidenschaft, scheint es mir, als dulde sie es nur ungern, fast gezwungen, und dann, wenn ich sie frage, dann sagt sie mir mit ruhiger, tonloser Stimme: „Ich werde Dein Weib! Du hast ja mein Versprechen,” — und so schleppt sie sich weiter, Tag für Tag, immer mit derselben Ergebung in ihr Schicksal, und immer mit derselben Unruhe im Auge.
Gestern gingen wir spazieren, am See entlang, dort, wo wir im Mondschein vor Jahren so selig uns geküßt haben, — ich habe diesen Weg absichtlich gewählt, in der Hoffnung, daß die Erinnerung an die alte schöne Zeit uns weicher stimmen könne, unsere Herzen wieder zusammenführen möchte. — — — Langsam gingen wir weiter, Arm in Arm, aber stumm und scheu. — — —
Da kam ein Mann an uns vorüber, ein hübscher, schlanker Bursche im Jägeranzuge. Er sah uns fest an, grüßte und ging weiter.
Lotte war wie gebannt. Ich fühlte, wie ihr Arm zuckte und sah, wie ein grelles Roth über ihr Gesicht leuchtete.
Nun wußte ich's, daß ich nun mit einem Schlage Alles, Alles verloren hatte.
Keiner von uns sprach ein Wort, unwillkürlich drängten wir Beide, nach Hause zu kommen.
Zu Hause riß sie sich los von meinem Arme, athemlos, angstvoll, und floh in ihr Zimmer, ohne nur ein einziges Mal mich anzublicken.
Ich ging umher wie im Traum, dumpf und schwer der Kopf und nebelhaft verschleiert die Augen. Im Garten brach ich zusammen, daß die grauen Büsche unter mir knickten und knackten, und in diese grüne Fluth tauchte ich nun mein brennend heißes Gesicht hinein — — —
Plötzlich hörte ich Schritte, — ihre Schritte! ich raffte mich auf, — fort, nur fort! Ich weiß so doch schon Alles´— Alles! nur keine Worte mehr!
Aber sie holt mich ein, sie hängt sich an mich, und mit bittendem, flehendem Blick flüstert sie's mir zu: „Ich kann ja doch nichts dafür, daß ich den Anderen mehr liebe als Dich!”
Sie liegt in meinen Armen, eng an meiner Brust, sodaß ich ihr pochendes Herz fühle und den Hauch ihres Athems spüre — da mit einem Male wacht Alles auf in mir, all' die alte Kraft und Leidenschaft, und ich presse sie, die mein Alles ist, an mich mit wilder, heißer Wonne und küsse ihr Haar und Mund und Augen in seliger, süßer Lust.
Und fort ist mein Rausch, — verflogen im Augenblick und Alles um mich herum ist wieder öde und grau, wie noch eben vorher.
Sie aber, mit hastigen, bangen Worten macht mir nun das Geständniß, daß sie den Anderen liebe, daß sie lange, lange mit sich gekämpft habe, daß aber Alles umsonst sei, daß sie ihn, ihn allein nur wahr und wahrhaftig liebe.
Ich nickte ihr nur zu mit schmerzvollem, wehmüthigem Blick, dann einen Wink ihr — ich muß allein sein.
Und sie geht fort — —
Eine ist doch noch da, die's wahr meint und ehrlich, die mich ganz versteht, weil sie mir Alles, Alles verziehen hat, meine greise gute Mutter! Und nun zu ihr; dort werde ich wiederfinden!.
* * *
Alles habe ich ihr gebeichtet, und Alles hat sie schon gewußt, daß ich allein zu ihr zurückkehren würde, wenn alle Anderen mich verlassen. Und nun liege ich vor ihr, das heiße Gesicht in ihrem Schooß und lasse mich einlullen, denn wie ein betäubender Duft ist solche Liebe nach solchem Schmerz.
Und nichtzürnen darf ich der Lotte. Wenn hier Jemand Unrecht that, so that ich es — ja, Mütterchen, Du hast recht! — ich that es; wie konntr ich Narr wähnen, da sie in der Blüthe ihrer Jugend warten werde, bis ich heimgekehrt, ich, der ich in der Welt mich herumtrieb, der ich ein Zigeunerleben führte, der ich nur eine Geliebte hatte: meine Kunst! — nein, ich darf ihr nicht zürnen! Möge sie glücklich werden und das finden, was sie als ihr Glück ansieht!
* * *
Meine Koffer sind gepackt. Alles ist bereit zur Abreise.
Jetzt bin ich ganz ruhig. Alles in mir ist wieder klar.
Ich habe Abschied genommen von ihr, — für immer, für immer.
— — —