Novellette von Paul Bliß
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 01.12.1901,
in: „Lienzer Zeitung” vom 19.02.1910,
in: „Volksfreund” vom 26.08.1916,
in: „Österreichische Land-Zeitung” vom 29.08.1916
„Der Herr Baron zu sprechen?”
Der alte Kammerdiener zuckte die Schultern und antwortete: „Ich fürchte, der Herr Baron wird sich nicht stören lassen wollen, indessen will ich es doch versuchen. Wen darf ich melden?”
„Sagen Sie nur, es sei ein alter Kamerad da,” entgegnete lächelnd der alte Herr.
Schweigend entfernte sich der Diener, kam aber schon im nächsten Augenblick zurück, öffnete die andere Thür und sagte: „Der Herr Baron lassen bitten.”
Lächelnd, siegessicher, trat der Gast ein.
„Guten Tag, Brenkendorff!” rief er dem Baron zu und streckte ihm beide Hände hin.
„Ah! ah! mein lieber alter Salten. Na das ist aber eine wirkliche Ueberraschung! Komm' näher, mein Kerlchen! Na, wie geht's denn? Du siehst ja förmlich strahlend aus!”
„Und Du nicht minder! Donnerwetter, Du bist ja in großer Toilette! Da störe ich wohl, was?”
Baron Brenkendorff lächelte befriedigt. „Du störst nicht, lieber Freund, Du kamst just zur rechten Zeit, denn wie Du siehst, bin ich eben mit meiner Toilette fertig geworden; allerdings kann ich Dir nur eine halbe Stunde schenken, die aber soll Dir auch ganz allein gehören.” Er schellte dann nach dem Diener und ließ Wein bringen. „So, und jetzt setz' Dich hierher vor den Kamin und erzähl' wie es Dir ergangen ist in den fünf Jahren, denn erlebt hast Du doch sicher wieder viel Interessantes.”
Baron Salten setzte sich und sagte mit einem Anflug leichter Wehmut: „In unseren Jahren erlebt man nichts mehr, wenigstens nichts Interessantes.”
„Oho! darüber denke ich denn doch ein wenig anders, mein lieber Kamerad.”
„Täuschen wir uns nicht, Brenkendorff, wenn man, wie wir, demnächst in die Sechzig einrückt, dann hört die Zeit der Ueberraschungen auf. Jung sein, heißt Einfluß ausüben; wir aber werden zu den guten alten Freunden gezählt, denen die Frauen ihre kleinen Geheimnisse anvertrauen; und das ist immer verdächtig, denn es besagt, daß man uns als Liebhaber nicht mehr für voll ansieht.”
Brenkendorff zog die Stirn in leichte Falten, ihm wurde es ein wenig unbehaglich, und mit leise erzitternder Stimme entgegnete er: „Du hast ja im Großen und Ganzen nicht so Unrecht, aber es giebt doch wohl auch Ausnahmen.”
Erstaunt und heiter sah ihn der Andere an. „Bist Du eine solche Ausnahme?” fragte er belustigt.
„Wenigstens bilde ich es mir ein,” rief der Hausherr, und im Ton seiner Stimme klang es leicht gereizt, als ob er sich verletzt fühlte.
„Ja, jetzt sag' mir um Gotteswillen, was ich von Dir denken soll!” lachte Salten laut auf. „Hast Du denn Deine Jugend nicht ebenso ausgekostet, wie ich es gethan habe?”
„Gewiß habe ich das!”
„Nun also, wer sein Leben in der Jugend genossen hat, der kann auch getrost anfangen, alt zu werden, wenn die Zeit dazu da ist.”
„Aber meine Zeit ist eben noch nicht da! ich fühle mich durchaus nicht alt! und hast Du nicht eben selber gesagt, ich sähe vortrefflich aus?&rdquo
„gewiß habe ich das gesagt! und für Dein Alter siehst Du auch sehr gut aus. Das Alles aber macht Dich nicht jünger, als Du in Wirklichkeit bist.”
&bdquo,Ach was! man ist nur so alt, als man sich fühlt, und ich fühle, daß ich noch zu schade bin, zum alten Eisen geworfen zu werden!”
Schweigen.
Beide sahen sich einen Augenblick lang prüfend an.
„Dann,” meinte Salten ernst und wohlmeinend, „lieber Brenkendorff, bin ich gerade zur rechten Zeit zu Dir gekommen, denn ich fürchte, Du bist auf dem Wege, eine unüberlegte —”
Hier unterbrach ihn der Andere: „Lieber Karl, bitte, keine Moralpauke! — Das war von jeher Deine Schwäche. — Ich habe Alles wohl überlegt und mein Entschluß ist fest.”
&bquo;Du willst Dich noch einmal verheirathen?”
„Das will ich!”
„Und darf ich erfahren, wer die Auserwählte Deines Herzens ist?”
„Jutta von Wanderfels ist es.”
„Die Tochter des alten Generalmajors?”
„Ganz recht.”
„Aber das Fräulein kann doch höchstens zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt sein.”
„Stimmt! sie ist genau einundzwanzig.”
„Und Du wirst sechzig.”
„Sehr taktvoll bist Du nicht, lieber Karl.”
„Aber offen und ehrlich, weil ich es gut meine mit Dir! — In zehn Jahren bist Du ein Greis und Deine Frau wäre dann im besten Alter. Hast Du daran auch gedacht?”
Brenkendorff wollte eine kurze Antwort geben, denn er war gereizt, aber er besann sich, daß er sich nicht ärgern dürfe, damit ihm seine gute Laune für die Brautwerbung, die er jetzt vor hatte, nicht verdorben würde, und deshalb spielte er den heiteren Weltmann und Lebenskünstler, indem er lächelnd entgegnete: „Was Du da sagtest, lieber Freund, ist alles gut und schön, aber es paßt für den Durchschnittsmenschen; so einer bin ich nicht. Ich modele mir das Leben ganz nach meinem Gusto, und ich habe gefunden, daß ich bisher nicht allzu schlecht dabei gefahren bin.”
Salten zuckte die Schulter und sagte leichthin: „Wenn Du auf den wohlgemeinten Rath eines Freundes nichts giebst — gut, dann thu, was Du willst. Jedenfalls wünsche ich Dir alles Gute.”
„Und das kannst Du auch, lieber Freund!” rief Brenkendorff nun voll Enthusiasmus, „denn Du ahnst ja nicht, wie ich bis über beide Ohren verliebt bin!”
„Nun sag' mir eines noch — wird denn Deine Liebe auch wirklich erwidert?”
„Aber gewiß, mein Bruder! Jutta ist so lieb und herzig zu mir, daß ich ein Herz von Stein haben müßte, um nicht weich zu werden! Sie verwöhnt mich geradezu durch all ihre kleinen Schmeicheleien und Aufmerksamkeiten.”
Salten schüttelte bedächtig den Kopf: „Und was sagt Dein Sohn Egon dazu?”
„Er wird sich mit der Thatsache abfinden müssen.”
„Er bekommt eine Mutter, die jünger ist als er.”
„Aber ich hänge doch nicht von meinem Sohn ab.”
Wiederum zuckte Salten die Schultern: „Dann kann ich nur meinen Glückwunsch wiederholen.”
&bdquoi;Herzlichen Dank!”
Sie füllten die Gläser, stießen an und tranken auf eine hoffnungsfrohe Zukunft.
Da wurde geklopft. Dann trat der alte Diener ein und präsentirte eine Depesche, die eben angekommen war.
Brenkendorff bekam wieder ein leises Unbehagen. „Was ist das nun schon wieder?” Und mit zitternder Hand griff er nach dem Telegramm, riß es auf und durchflog den Inhalt.
Im nächsten Augenblick ließ er das Papier sinken, preßte die Zähne zusammen und blickte starr vor sich hin — mit einem Schlage war Alles vernichtet! — dann knüllte er das Papier zusammen, warf es in den Papierkorb, stand auf und ging erregt auf und ab.
Minutenlanges dumpfes Schweigen.
Endlich fiel Brenkendorff in einen Sessel und preßte die Hände vors Gesicht.
Da nahm Salten das Papier auf, glättete es und las: „Triumpf, Großpapa! Der Stammhalter ist angekommen! Alles wohl. Egon!”
Und dann wieder minutenlanges Schweigen.
Endlich steht Salten auf und geht zu dem Freund. Er berührt ganz leise dessen Schulter und sagt mit lieber, weicher Stimme: „Glaub' mir, lieber Freund, es ist besser so. Dies Telegramm kommt wie durch eine Fügung des Himmels; es bewahrt Dich und Euch alle vor so manchen herben Enttäuschungen.”
Und Brenkendorff schwieg. Aber er fühlte es, daß der Freund recht hatte. Jetzt eben erst war er aufgeweckt durch diese Depesche — so lange war er blind im glücklichen Taumel umhergegangen — nun aber war mit einem Mal der Schleier von allem heruntergerissen — jetzt fühlte er es, daß er ein alter Mann war. Und nun versank mit einem Schlage das ganze stolze Gebäude seiner Hoffnungen. Jetzt hatte er keinen Muth mehr zu seinem Vorhaben. Ein zwanzigjähriges Mädchen und ein Großpapa — welch' ein lächerliches Unterfangen. — Nein! nein! jetzt war alles aus! das fühlte er nun klar und deutlich — grau und trostlos lag die Zukunft vor ihm, und nur ganz in der Ferne dämmerte ein Sonnenscheinchen auf, und das war die Freude, daß nun ein Stammhalter da war!
Später, viel später erst, hat er sich dann in sein unabänderliches Schicksal gefunden.
Da aber sah er eines Tages ein, daß sein alter Freund damals nur zu recht gehabt hatte, als er ihn warnte, denn jetzt erst machte er die Erfahrung, daß Fräulein Jutta nicht ihn, sondern seinen Neffen Herbert liebte. Dieser Herbert, ein schmucker, junger Offizier, aber war sein Mündel. Und das war also der Grund gewesen, weshalb das kleine Fräulein den alten Herrn so hofirt hatte — sie wollte ihm die Einstimmung zu der Verbindung mit Herbert abschmeicheln — und er, dummer alter täppischer Greis, hatte sich einbilden können, daß dies junge Kind ihm seine Liebe eingestehen und verrathen wollte! Oh — oh — einen regelrechten Narren schalt er sich nun!
Er ärgerte sich eine Weile, daß er sich seinem alten Freund so in seiner ganzen Blöße gezeigt hatte. Aber dieser Aerger verflog gar bald, denn schließlich siegte der Humor. Und nun lachte er selber am meisten über seine verspäteten Anwandlungen: Von dem Tage an aber wollte er niemals jünger erscheinen, als er in Wirklichkeit war, im Gegentheil, er fing sogar an, mit seiner neuen Würde, als Großpapa, zu kokettiren.
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