Ein Dresdner Dichterabend

Lesung in der „Dresdner Litterarischen Gesellschaft” am 12.März 1900.
Bericht im „Dresdner Anzeiger” vom 14.3.1900


In der Litterarischen Gesellschaft, die gestern, Montag, im Saale des Bürgerkasino abermals einen Dichterabend veranstaltete, kamen zwei Dresdner Schriftsteller zu Worte: Karl Söhle und Graf Baudissin (Freiherr v. Schlicht). Der erstgenannte hat sich vorzugsweise durch seine 1897 herausgegebenen „Musikanten­geschichten” einen Namen gemacht, der letztgenannte erfreut sich als humoristischer Militär­schriftsteller eines ausgebreiteten Rufes, namentlich haben seine letzten Romane und Novellen einen großen Leserkreis gefunden.

Herr Söhle las einige Theile aus einer Musikanten­geschichte „Der heilige Gral”, die demnächst im Buchhandel erscheinen wird (. . . . .)
Aber aus den Bruchstücken, die Herr Söhle bot, sprach doch eine fein empfindende Dichternatur.

Etwas stärker im Humor waren die militärischen Geschichten, die Graf Baudissin las. Aus allen drei Erzählungen sprach vor allem der genaue Kenner des Militärwesens, der im Manöver ebenso zu Hause ist wie auf dem Exerzierplatze, der die Gedanken der Offiziere im Dienste ebenso zu errathen weiß, wie er für das Treiben des Rekruten einen sicheren Blick hat. Die Geschichten, die Graf Baudissin las, waren Perlen eines gesunden, kecken Humors, frisch empfunden, flott und wirkungsvoll geschrieben und, wie kleine Schwänke, mit einer witzigen Pointe am Schlusse effektvoll abschließend. Daß sich der Schriftsteller, natürlich in decentester Form, gestattet, einen leisen Spott über so manchen Zopf durchklingen zu lassen, ist verständlich, und das trug nur dazu bei, die humoristischen Züge zu verstärken

Beide Herren haben sehr gut unterhalten und fanden lebhaften Beifall.


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