Humoreske von Teo von Torn.
in: „Rostocker Anzeiger” vom 8.10.1905,
in: „Über Land und Meer” 1905, Seite 204 und 206
Beim ersten Diner an Bord wurde bereits die gedruckte Passagierliste verteilt.
Ralf Hüstermann unterbrach das Gespräch mit seiner Tischdame — einem fürchterlich gebildeten älteren Fräulein, das eine herbe Laune des Oberstewards ihm als Nachbarin beschert. Er vertiefte sich sofort in die Lektüre der interessanten Schrift.
Auch an den andern Tischen verstummte die Unterhaltung, die ohnehin nur stockend und oberflächlich geführt worden war. Man kannte sich ja noch so wenig. Eigentlich gar nicht. Erst die Passagierliste konnte in etwas jenes höfliche Mißtrauen beseitigen, das eine bunt zusammengewürfelte Reisegesellschaft in den ersten Stunden untereinander beobachtet.
Gabel und Fischmesser ruhten untätig auf den gebackenen Heilbuttschnitten. Die wohlgeschulten Tischstewards hielten mit Servieren inne. Ein paar Minuten hörte man in dem prächtigen Speisesalon der Dampfjacht nichts, als ein leises, geschäftig neugieriges Blättern und — wie von fernher — das erregte Atmen der See, die ihre ersten Spritzer gegen die Fensterluken spülte.
Nachdem jeder zunächst festgestellt, ob er selbst richtig und mit seinem ganzen Titel aufgeführt war, suchte man nach „Namen”. Weshalb sollte Gustav Frenssen einen Teil der bedeutenden Einkünfte aus seinem „Jörg Uhl” nicht auch einmal in einer Nordlandreise anlegen? Oder eine Theatergröße, fern von allen Gastspielvorführungen, hier Erholung suchen? Und mancher, wenn auch nicht brennend berühmte, so doch interessante Name wurde entdeckt.
„Verzeihen Sie,” wandte sich Ralf Hüstermann an seinen Nachbarn zur Linken, „Hier ist ein Oberst G. aufgeführt. Ob das wohl derselbe ist, der zur Schutztruppe kommandiert, dann aber wegen seiner Empfindlichkeiten dem Gouverneur gegenüber gleich wieder abberufen wurde?”
Der alte Herr streifte ihn mit einem Blick, in dem nicht gerade sonnige Empfindungen sich spiegelten. Er legte die Liste beiseite und stocherte mit der Heftigkeit eines gereizten Menschen in seinem Fisch herum. Erst nachdem er seinen Bissen, den er sich sozusagen in den Mund geworfen, hinuntergewürgt, antwortete er angestrengt:
„Derselbe. Ganz recht. Nur in einem Punkte sind Sie im Irrtum, mein Herr. Ich bin durchaus nicht empfindlich. Gar nicht. Wenn ich das wäre, so müßte ich Ihnen grob werden, weil Sie gedankenlos nachbeten, was die dummen Zeitungen daherreden. Empfindlich . . .!”
Ein wütendes Achselzucken. Der Oberst bearbeitete seinen Teller mit einer Energie, als wenn auch der Heilbutt ihm Empfindlichkeit vorgeworfen hätte.
Ralf Hüstermann hatte das Gefühl, sich bei dem alten Herrn sehr angenehm eingeführt zu haben. Des öfteren schon war ihm sein Talent aufgefallen, im Hause des Gehenkten vom Strick zu reden. Nachdem er einige Entschuldigungen gemurmelt, suchte er sich über die peinliche Situation dadurch hinwegzubringen, daß er die Liste weiterkommentierte. Allerdings mehr nach rechts hin, da er dem Unempfindlichen Zeit lassen mußte, sich innerlich auszutoben.
„Eine sehr interessante, vielgestaltige Gesellschaft,” bemerkte er zu seiner Nachbarin. „Sogar einen weiblichen Arzt haben wir an Bord. Sapperlot — dem Namen nach muß das die bekannte Volksrednerin und Frauenrechtlerin sein!”
„Schon möglich —”, erwiderte die Dame mit bedeutungsvoll hochgezogenen Augenbrauen.
„Fräulein Doktor med. klingt doch eigentlich recht drollig, nicht wahr?”
„Seeehr drollig.”
„Ueberhaupt muß ich gestehen, daß mich das Eindringen der Frau in unsere praktischen Wissensgebiete immer etwas fremdartig anmutet. Um nicht zu sagen, abstoßend. Ich finde, daß die einzig berechtigte Frauenbewegung ein schöner Walzer ist. Meinen Sie nicht auch, Gnädigste?”
Die Dame ließ die Brauen sinken und machte ganz kleine Augen. Das gab dem Blick etwas Kritisches, unendlich Ueberlegenes. Ihre Stimme war ein Messer, das sich dem Unglücklichen spitz und scharf zwischen die kurzen Rippen bohrte.
„Bedaure — nein. Ich werde niemals eine Meinung teilen, die sich auf längst überwundenen Gemeinplätzen bewegt.”
Damit gab sie sich einen starken Ruck in den Schultern und schaute starr vor sich hin. Jeder Zoll ein Eiszapfen. Selbst den Steward übersah sie — als wenn der von ihm servierte Lendenbraten auch ein längst überwundener Gemeinplatz wäre.
Ralf Hüstermann kalkulierte ebenso richtig wie zu spät, daß er es auch auf seiner grünen Seite sehr schön getroffen habe insofern, als die fürchterlich gebildete Dame das Fräulein Doktor med. in Person war. Wiederum murmelte er einige entschuldigende Worte. Im stillen faßte er den Entschluß, sich in dieser Weise nicht weiter beliebt zu machen. Um sich für längere Zeit zum Schweigen zu zwingen, nahm er eine doppelte Portion Lendenbraten. Und da er seine Augen weder nach rechts noch nach links schweifen zu lassen wagte, richtete er sie abermals auf die Passagierliste, deren Studium man im übrigen bereits beendet hatte.
Die allgemeine Unterhaltung war wieder im Gange, und das viel munterer, zutraulicher, als vorher. Im einzelnen hatte die Unterhaltung sogar etwas forciert Uebermütiges, Krampfhaftes — da die See ziemlich hochging und immer dräuender an die Fenster klopfte. Eine schlankgewachsene, majestätische Dame entre deux ages, die dem Unempfindlichen gegenübersaß, lachte hell auf wie ein Backfisch über jede, auch die harmloseste Bemerkung ihres Nachbarn, der ob dieses Mirakels schon ganz verstört dreinschaute. Wenn sie aber nicht lachte, dann führte die Dame ihr Foulard an die feuchte Stirn und die bleichen Lippen und sah sich verstört nach dem Ausgang um.
Ralf Hüstermanns Gegenüber — ein spärlicher kleiner Herr mit noch spärlicheren grauen Bartkoteletten — folgte mit dem Oberkörperchen jeder Bewegung des Schiffes und lächelte das stille, todestraurige Lächeln eines Menschen, der sich hinsichtlich seiner nächsten Zukunft keinerlei Illusionen mehr hingibt.
Ralf Hüstermann beachtete das alles nicht. Nach den bisherigen Erfahrungen lehte er es zunächst ab, sich um seine Umgebung zu kümmern. Des weiteren war er — als Kommodore des Stettiner Segelklubs „Ahoi” und Mitglied des Norddeutschen Regattavereins — ein seebefahrener Mensch, dem es gar nicht in den Sinn kam, daß so ein bißchen Dünung jemand unbequem werden könnte. Und schließlich stieß er in der Fremdenliste noch auf einen Namen, der ihm einen Ausruf freudiger Ueberraschung entlockte.
Emil Pärschke —!
Ralf Hüstermann erhob sich, um mit den Augen alle Tische und den ganzen Raum nach seinem alten Freund Pärschke abzusuchen. Das geschah so jäh und temperamentvoll, daß er einer silbernen Schale mit Apfelsinen und Bananen nicht achtete, die ihm soeben serviert wurde. Die Schale machte einen gewaltigen Hops — und ihr Inhalt trudelte über den Tisch.
Während die majestätische Dame in ein konvulsivisches Lachen ausbrach, um gleich darauf mit verglastem Blick die Entfernung bis zur Treppe auszumessen, sank der dürftige Herr völlig in sich zusammen. Schreck und Kälte sind zwei Dinge, die die Disposition zur Seekrankheit außerordentlich erhöhen. Und er hatte eine fürchterlichen Schreck bekommen. Eine Apfelsine war ihm auf den Teller gefallen und rollte dort wie irrsinnig umher.
„Verzeihen Sie, meine Herrschaften,” entschuldigte Ralf Hüstermann sich summarisch und ziemlich oberflächlich, da er immer noch umherspähte; „aber wenn man unvermutet sich in der Nähe eines lieben Freundes weiß, den man acht Jahre nicht gesehen hat, so geht die Freude ein weniges mit einem durch. — Steward!”
„Befehlen —?”
„Hier ist ein Herr Emil Pärschke, Stadtrat aus Zillewitz in Sachsen aufgeführt. Wo hat der Herr seinen Tischplatz?”
„Ihnen schräg gegenüber, wenn ich nicht irre. Jener leere Stuhl. Der Herr erklärte, zum Essen heute nicht erscheinen zu wollen, da ihm die See zu bewegt ist —”
„Natürlich!” lachte Ralf Hüstermann vergnügt. „Daran erkenne ich meinen Freund Pärschke trotz Zillewitz und seines Stadtratstitels. Ich danke Ihnen, Steward. Werde den Herrn nachher in seiner Kabine aufsuchen. — Was sagen Sie zu diesem drolligen Zufalle, meine Herrschaften!” wandte er sich aufgekratzt an seine Tischgesellschaft. Der Unempfindliche und das Fräulein Doktor sagten gar nichts. Dagegen schien der dürftige Herr ein gewisses melancholisches Interesse zu bekunden. An ihn richtete Ralf Hüstermann seine ganze Freude und Begeisterung.
„Neben Ihnen also würde er gesessen haben, wenn er nicht immer noch an seiner unglücklichen Magenschwäche litte! Ich behaupte nämlich, daß die Seekrankheit, wie überhaupt alle mit Brechreiz verbundenen Schwindelerscheinungen — wie bemerkten gnädige Frau —!”
Die majestätische Frau unterdrückte einen gurgelnden Laut mit ihrem Taschentuche und schüttelte kaum merklich den Kopf. Ralf Hüstermann folgerte daraus, daß die Dame nichts einzuwenden wünsche. Er fuhr fort:
„Ich meine also, daß die Seekrankheut nicht, wie vielfach behauptet wird, eine Irritierung der Kopfnerven ist, sondern lediglich eine Schwäche der Magennerven in Erscheinung bringt. Darauf deutet alles hin. Sie werden das möglicherweise noch an sich selbst beobachten. Achten Sie dann nur, bitte, darauf, wie bei vollkommen klarem Kopfe plötzlich ein fürchterliches Würgen eintritt, das den Magen zunächst zu erweitern, dann aber mit eherner Gewalt zusammenzuziehen scheint und auch tatsächlich zusammenzieht — wie gewisse Folgeerscheinungen das zur Evidenz beweisen.”
Ralf Hüstermann unterbrach seine interessanten Ausführungen für einen Moment, da die majestätische Dame unter Erstickungsanfällen in ihr Taschentuch gehustet und sich erhoben hatte. Zwei Stewards sprangen herzu, um die Schwankende zu stützen und an die frische Luft zu geleiten. Da keine Krankheit so ansteckend wirkt wie das mal de mer, schlossen sich mehrere andre Passagiere dem Transport an. Die einen langsam und vorsichtig, als wenn sie etwas zu verschütten fürchteten; die andern mit der fieberhaften Hast von Menschen, die auch nicht eine Sekunde mehr verlieren dürfen.
Ralf Hüstermann schüttelte verständnislos den Kopf. Er begriff weder diese allgemeine Sezession, noch die verschiedenen unfreundlichen, verzagten oder anklagenden Blicke, die ihn getroffen. Der ganze Tisch war leer. Nur der dürftige Herr saß ihm noch gegenüber — ein winziges Häuflein grün und gelb schillernden Unglücks.
„Wer es nicht vertragen kann, der soll eben nicht zur See fahren, nicht wahr?” nahm Ralf Hüstermann die Unterhaltung freundlich wieder auf. „Wie mein Freund Pärschke sich zu dieser Reise entschließen konnte, ist mir einfach unbegreiflich. Da muß eine höhere Gewalt auf ihn eingewirkt haben. Er konnte früher nicht einmal das Rückwärtsfahren auf der Eisenbahn vertragen, und wenn er in der Ferne nur die Drehorgel eines Karussels hörte, wurde ihm schon schwindlig. Dazu seine hyperästhetische Anlage. Wenn er sich ankleidete, verhing er alle Spiegel. Ich habe ihm nicht einmal, nein zehnmal gesagt: Pärschke, wenn sich wirklich einmal ein Dummer findet, der dir seine Tochter zur Frau geben will, so heirate trotzdem nicht. Du paßt schon nicht mehr in die Welt, geschweige denn deine Nachkommenschaft. Inzwischen ist er Stadtrat geworden. Stadtrat —! Ich habe mal einen andern Bekannten gehabt, der im Leben nichts werden konnte. Absolut nichts. Endlich erbte er einige Häuser in einer kleinen Stadt — und es vergingen keine fünf Jahre, da war er — verzeihen Sie gütigst, Sie sind doch nicht Stadtrat —?”
Der kleine Herr verneinte zunächst nur mit den todestraurigen Augen. Dann aber gab er sich einen Ruck, schluckte ein paarmal gewaltsam und würgte hervor:
„Ich nicht. Mein Schwiegersohn —”
Ralf Hüstermann drückte sich im Geiste die Hand ob der klugen Vorsicht, die er in diesem Falle beobachtet.
„Ihr Herr Schwiegersohn!” rief er begeistert. „Da gratuliere ich von Herzen. Es gibt tatsächlich nichts Schöneres und Ehrenvolleres, als sich im Dienste des Gemeinwohls zu betätigen. Und wo ist Ihr Herr Schwiegersohn Stadtrat, wenn ich fragen darf?”
„In Zillewitz,” wimmerte der Kleine — und das war das Letzte. Die beiden Stewards. die schon längst ihr Augenmerk auf ihn gerichtet, sprangen herzu und trugen ihn vorsichtig davon.
Der Wunsch, sich selbst zu prügeln — und wenn er noch so ernst und lebhaft ist —, stößt immer auf Schwierigkeiten. Deshalb gab ihn Ralf Hüstermann alsbald auf. Er schaute noch eine Weile tiefsinnig vor sich hin — bis sein Blick wieder auf die unglückliche Passagierliste fiel. Mit einem Kernfluche schleuderte er sie beiseite ud verließ den Tempel.
An Deck wurde ihm erst in vollem Umfange klar, wie sehr er sich beliebt gemacht. Eine Gruppe von Herren, die sich vor dem Rauchzimmer etabliert und deren Mittelpunkt der Herr Oberst war, schnitt ihn so unzweideutig, daß er gar nicht erst den Versuch machte, hier vor Anker zu gehen. An der Steuerbordseite hatte der Schiffsarzt eine Erholungsstätte für diejenigen Damen eingerichtet, die seinem Rate gefolgt und nicht in die Kabinen geflüchtet waren. Bleich und hilflos lagen sie auf den Lattenstühlen oder hingen über der Reling — in verzweifelter Zwiesprache mit dem Herrn der Fluten. Sie achteten nicht darauf, daß der Wind ihr Haar zerzauste und die Spritzer ihre Toilette durchfeuchteten. Wohl aber ging es wie eine leidende apathische Abwehr durch die Reihen, als der unangenehme Mensch sich näherte, von dem das Fräulein Doktor soeben erzählt hatte.
Ralf Hüstermann fühlte den üblen Eindruck seines Erscheinens sehr deutlich. Aber er mußte die Kolonie passieren, wenn er Emil Pärschkes Kabine aufsuchen wollte, und er mußte Emil Pärschkes Kabine aufsuchen — einmal, um sich wegen des Schwiegervaters zu entschuldigen, und dann vor allen Dingen, um in dem Wiedersehen mit dem alten Freunde Entschädigung zu suchen für alle erlittene Unbill. Durch Emil Pärschke würden es dann auch die andern erfahren, daß Ralf Hüstermann nicht der unangenehme Mensch war, als der er sich eingeführt, sondern lediglich ein Pechvogel, der schon vor fünfzehn Jahren im juristischen Staatsexamen bloß deshalb durchgefallen war, weil er sich auf die Kommentare eines Rechtsgelehrten berufen, der mit dem exminierenden Professor in bitterer wissenschaftlicher Fehde lebte.
Unter Deck erwischte Ralf Hüstermann einen der Kammerstewards, der mit Bromselter, mit Zitronen, mit Eimern und Wischlappen in wilder Geschäftigkeit durch die Gänge huschten.
„Sie können mir wohl sagen, wo Herr Stadtrat Pärschke aus Zillewitz einquartiert ist?”
„Sehr wohl. Kabine fünfundsechzig. Dritter Seitengang rechts. Ich bitte jedoch, nicht hineinzugehen, da der Herr Stadtrat ausdrücklich gewünscht hat, ungestört zu bleiben.”
„Einem alten Freunde gegenüber wird dieser Ukas nicht gelten —”
„Ich glaube doch. Der Herr Stadtrat blieb vor dem Diner sogar für seinen Herrn Schwiegervater nicht zu sprechen.”
„Das sieht ihm sehr ähnlich, diesem zimperlichen Menschen,” lachte Ralf Hüstermann vor sich hin. Dann drückte er dem Steward ein Geldstück in die Hand. „Also gehen Sie mal hin und fragen Sie —”
„Bedaure sehr. Das ist leider unmöglich. Der Herr Stadtrat hat zu bestimmte Weisungen gegeben. Er ist sehr krank und außerdem hochgradig nervös. Seit die Dünung eingesetzt hat, erwartet er jeden Augenblick den Untergang des Dampfers. Und ich darf ihn nur stören, sobald wirklich Gefahr im Anzuge ist —”
„Aber das ist doch heller Unsinn!”
Der Steward antwortete nur mit einem bedauernden Achselzucken und verschwand in einer der nächsten Kabinen, aus der man in langgezogenen Klagelauten nach ihm gerufen.
,Unsinn ist das!' wiederholte Ralf Hüstermann zu sich selbst. ,Blödsinn! In die Kabine zu kriechen, wo doch frische Luft das einzige Heilmittel ist! Dazu ein Mensch, der an Halluzinationen leidet! Schon einem Wildfremden gegenüber wäre es Pflicht, hier einzugreifen. Man hat Exempel von Beispielen, daß Leute tobsüchtig geworden sind, wenn man sie in solcher Lage sich selbst überlassen hat. Und um Emil Pärschke sollte es mir leidtun. Ich werde dem armen Kerl helfen — und wenn es sein muß, gegen seinen Willen.'
Damit trat er in den ihm bezeichneten Seitengang und zählte die Kabinennummern ab. Dreiundsechzig — vier- — fünfundsechzig. Die äußerste war's. Direkt gegenüber lag eine Kabine, deren Tür offen stand und durch eine Portière ersetzt war. Wahrscheinlich der besseren Luft wegen. Nach den Lauten, die herausklangen, mußte hier eine Dame logieren, die ebenfalls sehr krank war. Deshalb dämpfte Ralf Hüstermann seine Stimme, als er unter diskretem Pochen seinen Freund anrief:
„Pärschke!”
Zuerst nichts. Dann plötzlich ein wildes Auffahren drinnen und ein Lärm, als wenn jemand das gesamte bewegliche Inventar der Kabine durcheinanderwürfe.
„So ist's recht, Pärschke,” rief Ralf Hüstermann vergnügt. Er dachte nicht anders, als daß der Freund ihn an der Stimme erkannt und sich nun fürchterlich beeile, ihm in die Arme zu sinken. „'Raus so schnell als nur irgend möglich! Es ist dein Untergang , wenn du auch nur eine Minute länger —”
„Untergang!” gellte es in Nummer fünfundsechzig auf.
In demselben Moment wurde auch die Tür aufgerissen und Emil Pärschke stürzte heraus — angstverzerrten Antlitzes und eine Korkweste über einem Negligé, in dem man eben nur bei dringendster Feuers- oder Wassersnot sich unter Menschen wagt.
Anstatt den Freund zu begrüßen, rannte er ihn so heftig an, daß Ralf Hüstermann erstens sich empfindlich in die Zunge biß und zweitens mit bedeutender Rasanz durch die Portière in die gegenüberliegende Kabine stürzte.
Es hätte gar nicht der lauten Hilferufe bedurft, um ihn zu veranlassen, diesen raschen Besuch sofort abzubrechen. Mußte er doch dem verdrehten Menschen, dem Pärschke, nach, ehe dieser an Deck kam und in die Kolonie leidender Damen hineinplatzte.
Ein fürchterlicher Tumult, der sich oben erhob, belehrte ihn, daß es zu spät war.
Ralf Hüstermann schlich in seine Kabine. Er schärfte dem Steward besonders ein, daß er für niemand zu sprechen sei — am wenigsten aber für Leute, die etwa die Absicht äußern sollten, ihn zu prügeln. Er wollte keinen Menschen mehr sehen und keinen mehr hören. Er wünsche nur verständigt zu werden, wenn das Schiff untergehen sollte — was hoffentlich bald der Fall sein werde.
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