Humoreske von Teo von Torn.
in: „Indiana Tribüne” vom 04.04.1906
Wenn der Barometer fällt, so schließt man mit ziemlicher Sicherheit auf eine Temperaturveränderung. Wenn ein Hund beißt, so beurtheilt man seine Gemüthsstimmung als eine unfreundliche, und wenn Jemand Schnittlauch ißt, so erscheint es begreiflich, wenn er eine Zeitlang aus dem Munde riecht. Wenn aber ein Offizier unter Anwendung aller möglichen Kniffe und Pfiffe es durchsetzt, vom ersten Garderegiment zu Fuß in ein märkisches Nest versetzt zu werden, das nur aus Versehen in's Kursbuch gekommen ist, — dann macht er entweder Harikari oder er ist verrückt geworden.
Das war ungefähr der Gedankengang jener Auseinandersetzung, die Leutnant von Kalics mit seinem Freunde, dem vor ein paar Stunden aus der Residenz eingetroffenen Freiherrn von Suchwardt, hatte, als sie sich am Eckfenster des „Braunen Hirsch” gegenübersaßen.
„Und eine andere Möglichkeit kannst Du Dir für meinen Fall nicht denken?” fragte der Baron
„Nee!”
Das Wort drückte die unerschütterlichste aller Ueberzeugungen aus. Aber es beirrte Hasso Suchwardt nicht.
„Sag mal, Werner, ist Dir in der letzten Zeit in dieser Garnison nichts aufgefallen? So eine gewisse Veränderung zu ihrem Vortheil.”
„Veränderung — allerdings. Der Chateau Lafitte im Kasino ist wegen der gesegneten Blaubeerenernte des vergangenen Jahres um zwei Groschen die Flasche billiger geworden; Frau Hauptmann Rauscher hat Zwillinge bekommen — und Herr Stadtrath Wilde läßt seinen Zaun neu anstreichen. Sie sind noch dabei.”
„Weiter nichts, Werner? Du hast nicht bemerkt, daß seit einigen Wochen alles viel schöner geworden ist? Daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgendwo in der Welt — auch wenn es regnet? Daß über jedem Winkel und über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt —?”
„Allmächtiger,” stöhnte Leutnant von Kalics entgeistert, indem er nach dem Puls des Freundes tastete.
Freiherr von Suchwardt beseitigte die sorgenvolle Hand unter geschickter Ausnutzung seiner brennenden Zigarre. Dann schaute er schwärmerisch über den Marktplatz. Sein Blick blieb an dem gegenüberliegenden Eckladen haften.
„Da drüben ist eine Konditorei, nicht wahr?” fragte er seinen Freund.
„Hm — wie man's nehmen will. Eigentlich ist's nur ein Bäcker. Am Sonnabend aber werden auch Kuchen gebacken — auf Vorrath; die Woche über werden sie nur frisch abgestaubt.”
„Da also wird sie häufig sitzen,” nickte Suchwardt vor sich hin, indem er gerührt und begeistert nach dem Fensterchen hinüberspähte, an dem ein Plakat sogar „Gefrorenes” anzeigte. „Du mußt nämlich wissen, sie ißt leidenschaftlich gern Kuchen. Es ist entzückend mit anzusehen, wie die weißen Mausezähnchen ein Eisbaiser wegknabbern. Na, überhaupt — man muß blind oder ein Barbar sein, um nicht alles reizend an ihr zu finden: das wundervolle Haar, die lustigen graublauen Augen —”
„— die beiden Grübchen oberhalb der Mundwinkel, die keck aufgesetzte Nase u. s. w. Am reizendsten aber finde ich die Unverfrorenheit, mit der Du mich wegen der kleinen Majorstochter auf die Folter spannst. Da sagt man doch einfach: ich bin in Frieda Meckelburg verliebt — und damit sind dann alle Dummheiten, die Du bisher ausgeheckt hast, einigermaßen erklärt.”
„Weshalb Dummheiten, mein Freund? Abgesehen davon, daß mir unser Planet nur in der Nähe dieses Mädchens erträglich bewohnbar erscheint — die Stadt ist doch sehr hübsch und gemüthlich; sie hat nahezu fünfzehntausend Einwohner, wie ich gehört habe.”
„Die sind auch danach,” knurrte Leutnant von Kalics. „Das ist aber nicht das Schlimmste; kennst Du unsern Bataillonskommandeur, den Herrn Major von Meckelburg?”
„Noch nicht. Er soll ein forscher Herr sein.”
„Kannst Du aus dem Klimmzug heraus einen langsamen Bauchaufschwung nach Zählen machen?”
„Ich hab's noch nicht probirt.”
„Dann üb' Dir das ein, mein Lieber. Und möglichst ein paar andere Kunststücke. Der Mann hat den Kraft- und Schneidigkeitssimpel. Und der Herren von der Garde nimmt er sich ganz besonders an. Sie sind ihm zu patent, zu glatt — Deinen weißen Hemdkragen wird er Dir schon abgewöhnen. Nun aber die Hauptsache: kennst Du den General von Meckelburg? Den Divisionär von der Zweiten?”
„Den Schleicher. Selbstverständlich habe ich von dem schon gehört. Er erscheint überall wie der Teufel auf Filzparisern. Aber mit dem haben wir doch in der ersten Division nichts zu thun —”
„Nichts zu thun!” heulte Werner von Kalics auf. „Das kommt davon, wenn man sich vorher nicht erkundigt bei einem alten Freunde. Der Schleicher ist der Vater des Majors, der Großvater Deiner Liebe! Der Familiensinn dieses Menschen ist unser Verhängniß. Alle vierzehn Tage, drei Wochen schwirrt er an — meist Sonnabends, wo er dann über Sonntag bleibt. An diesen Tagen ist alles, was blanke Knöppe trägt, in Sorge und Unruhe. Der Mann sieht alles. Er geht extra Abends spazieren, um den Leuten aufzulauern, die etwa nach Zapfenstreich kommen, und deren scheue Eile auf das Fehlen einer Urlaubskarte schließen läßt. Natürlich straft er nicht selbst. Dazu hat er kein Recht. Er kommt auch meist in Zivil. Aber seinem Schicksal entgeht Niemand. Auch Du wirst ihm nicht entgehen.”
„Abwarten. Daß mir hier nicht eitel Rosen blühen würden, habe ich schon meiner Frieda angemerkt, als ich ihr in Berlin von meinem Vorhaben sprach, mich herversetzen zu lassen. Sie hat recht verängstigt betont, daß Papa gegen Gardeleutnants eine starke, ihr vollständig unerklärliche Abneigung habe. Ich bin also einigermaßen vorbereitet. Im Uebrigen nehme ich jeden Kampf auf. Es handelt sich um mein Lebensglück.”
Schon die erste Vorstellung beim Major ließ keinen Zweifel, daß die Warnungen ihre volle Berechtigung hatten. Major von Meckelburg machte aus seinem Herzen keine Mördergrube — in seiner Ansicht über die Herren von der Garde, die mit unvorschriftsmäßig hohen Uniformkragen und noch höheren Prätentionen in die Provinz abgeschoben werden.
Hasso von Suchwardt schluckte tapfer alles herunter, was er reingewürgt bekam. Ihn härtete die Hoffnung ab, daß er nun endlich die Geliebte wiedersehen würde. Aber er schlug die Hacken bereits zum zweiten Male zum Abschied zusammen — und der Major machte immer noch keine Anstalten, ihn der Familie zu präsentiren. Im Gegentheil.
„Adieu, Herr Leutnant. Meinen Damen kann ich Sie im Augenblick nicht vorstellen. Sie sind ausgegangen. Ein andermal. Uebrigens haben Sie meine Tochter ja wohl schon kennen gelernt — —”
„Ich hatte die Ehre,” stotterte der Baron unter peinlichem Erröthen.
„Ihr Fräulein Schwester ist eine Pensionsfreundin meiner Tochter —”
„Sehr wohl, Herr Major. Die Damen begegneten sich in einer bekannten Familie und erneuerten ihre Freundschaft.”
„Ja, ja, — es ist merkwürdig, wie man sich manchmal so wiedertrifft. Ganz merkwürdig. Und nun sind Sie gar noch hierher verschlagen. Was ich übrigens noch sagen wollte — ich habe schon mit Ihrem Herrn Kompagniechef gesprochen. Morgen ist Kindtaufe bei Herrn Hauptmann Rauscher. Das ganze Offizierskorps ist geladen. Sie werden an Stelle des Herrn Leutnant Böhm, der ein Vetter der Familie ist, Bataillons-du-jour und Ronde übernehmen.”
„Zu Befehl, Herr Major.”
„Ich will Ihnen Gelegenheit geben, gleich von vornherein Umsicht und jenen Schneid zu bethätigen, den ich bei meinen Offizieren ganz besonders schätze. Ich danke Ihnen, Herr Leutnant. Auf Wiedersehen.”
Es war an einem der trostlos matschigen Regenabende, an denen dieser Winter so reich ist, als Freiherr von Suchwardt die Feldbinde umlegte und den nicht mehr mit dem Gardestern geschmückten Helm auf's Haupt drückte, um die Ronde anzutreten.
Er hatte schon einige Posten revidirt und bog in die Vorstadt ein, um die Gefängnißwache — neben der Hauptwache die verantwortlichste — zu besuchen. Auf diesem Wege wurde ihm das Herz ein wenig schwer. In der Vorstadt wohnte mämlich Hauptmann Rauscher. Suchwardt begegnete mehreren Kameraden, die zum Feste zogen, darunter auch Kalics, der ihm tiefbewegt die Hand drückte und fragte:
„Wie geht es Dir, mein Herzchen? Nun merkst Du erst, daß die Sonne hier so herrlich scheint wie nirgendwo anders in der Welt — selbst wenn es dunkel ist und regnet, nicht wahr? Daß über allen Gassen ein wunderbarer Hauch von Poesie liegt — —”
Er vollendete nicht, denn trotz der Dunkelheit bemerkte er eine verdächtige Armbewegung des Freundes, der er sich zu entziehen wünschte. Aber im Weggehen fügte er noch hinzu: „Und paß auf den Schleicher auf! Er ist zwar auch eingeladen und wohl schon dort — aber man kann nie wissen, wie der Kalmus piept.”
Einige Minuten später war Hasso von Suchwardt auf der Wache, ließ sich die nöthigen Meldungen erstatten und sah das Postenbuch ein. Während er damit beschäftigt war, hörte er durch die geöffneten Fenster, daß Jemand mit dem Posten ein Gespräch anknüpfte.
„Aber so nehmen Sie doch, lieber Mann, trinken Sie nachher ein Glas Bier dafür,” sagte eine knarrende Stimme.
„Das darf ich nicht.”
„Hm — aber eine Zigarre dürfen Sie doch jedenfalls nehmen?”
„Nein.”
„Hm — Sie sind eigentlich ein rechter Schafskopf, daß Sie sich Geld und eine gute Zigarre entgehen lassen. Was würden Sie übrigens als Posten vorm Gewehr thun, wenn Sie Jemand wirklich einen Schafskopf schelten würde?”
In diesem Augenblick trat der Rondeoffizier heraus und wandte sich mit seinem ehernsten Dienstgesicht an den hämisch lauernden alten Herrn.
„Sie haben den Posten zu bestechen versucht und ihn beleidigt. Wie heißen Sie?”
„Ich bin der Generalleutnant von Meckelburg.”
„Das kann Jeder sagen — Wachhabender!”
„Herr Leutnant!”
„Dieser Herr ist Arrestant.”
„Aber erlauben Sie,” stotterte der Alte. „Man kennt mich hier allgemein —”
„Wachhabender, kennen Sie den Herrn? — Posten, Sie?”
Ein mit Verve gesprochenes „Nein!” war die Antwort.
„Sie sehen also, man kennt Sie nicht. Im Uebrigen ist es auch mehr als unwahrscheinlich, daß ein hoher Offizier einen Posten zu strafbaren Handlungen zu verleiten sucht und ihn außerdem beleidigt.”
„Aber ich wollte den Mann doch nur prüfen. Uebrigens bin ich sofort zu rekognosziren durch meine Enkelin, die Tochter des Majors von Meckelburg, die nur ein paar Schritte voraufgegangen ist. Wir sind auf dem Wege zu einer Festlichkeit. Da kommt sie schon zurück — — Frieda!”
„Aber wo bleibst Du denn, Großpapa?” sagte das junge Mädchen befremdet, indem es nähertrat. Gleich darauf zuckte es zusammen, und das Gesichtchen überflog eine glühende Röthe.
„Aber um Gotteswillen, das ist doch Großpapa,” hauchte die Kleine, indem sie sich an den Arm des jungen Offiziers hing. „Mach' uns nicht unglücklich, Hasso.”
„Thut mir leid, gnädiges Fräulein. Nur wenn ein Offizier der Garnison mir die Angaben des Herrn bestätigt, kann ich von der Festnahme absehen.”
Dabei beharrte er unerschütterlich. Und während der zwanzig Minuten, die es dauerte, bis der Major, von seiner Tochter gerufen herbeistürzte, saß der Generalleutnant von Meckelburg, Divisionär der Zweiten, in der Wachstube. Und die Mannschaft machte dabei ein Gesicht, als wenn Jeder von ihnen einen harten Thaler und eine ganze Kiste Zigarren geschenkt bekommen hätte . . . .
Dem Major imponirte die Schneidigkeit des „Herrn von der Garde” derart, daß er ihn zum nächsten Tage zu Tisch bat. Der Schleicher aber ist nicht mehr wiedergekommen — nicht einmal zur Hochzeit.
— — —