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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 36 vom 29. Mai 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

V.
Krause über die Post.

Indem ich meine Bewerbung um eine Anstellung bei der elektrischen Bahn zurückgezogen habe, nachdem mir schonend beigebracht worden ist, die Zahl der Bewerber sei so groß, daß auf eine Anstellung in den nächsten Jahren nicht zu rechnen wäre, und indem ich mir neulich von einem ganz ungebildeten Kontrolleur in der Elektrischen habe sagen lassen müssen, ich hätte gar kein Billet gehabt, wobei ich sogar noch eins hatte, wenngleich ich es auch nicht finden konnte, weil ich es aus Versehen nicht in meine eigene Manteltasche gesteckt hatte, sondern in die meines Nachbars, und indem man mich somit gewissermaßen einen Lügner genannt hat, ich meine also, aus diesen und tausend anderen Gründen bin ich zu dem Entschluß gekommen, mich um eine Anstellung bei der Post zu bewerben, denn, meine Herren, darüber müssen wir uns doch einig sein, die Post ist heutzutage das Wichtigste, was es gibt. Wenn es mir gelingt, dort eine Anstellung zu erhalten, was ich nicht bezweifle, dann werde ich zunächst am Schalterdienst verwendet werden, nachdem ich vorher meine Probedienstzeit ableistete und mein Examen bestand. Es wird also immerhin noch einige Monate dauern, bis ich fest angestellt bin, aber diese Zeit wird dadurch verschönt, daß man etwas lernt und tageweise bezahlt wird. Mit Rücksicht darauf, daß ich leider nicht das Einjährigen-Examen in der Tasche habe, obgleich ich so manchen Einjährigen kennen gelernt habe, den ich mit samt seiner ganzen Bildung, der man die "Einjährige" anmerkte, in die Tasche hätte stecken können, also ich meine, trotz meiner Bildung bin ich offiziell nicht gebildet genug, um gebildet zu sein. Es bleibt mir also nur die niedrige Postkarriere. Das aber betrübt mich nicht, wie Sie vielleicht denken könnten, sondern es ehrt mich gewissermaßen, denn gerade unsere niederen Beamten sind wegen ihres Fleißes und wegen ihrer Zuverlässigkeit ein leuchtendes Vorbild für alle anderen Nationen, was natürlich kein Tadel für die höheren Beamten sein soll, sondern gänzlich im Gegenteil, denn wenn ich schon uns Subalternen ein solches Lob spende, was müßte ich da erst den Höheren spenden! Und eine solche reiche Spende habe ich armer Teufel heute leider nicht bei mir.

Wie gesagt, meine Herren, ich werde meine Karriere am Schalter beginnen, und ich werde dort einen sehr verantwortlichen Sitz einnehmen. Wie lange ich dort sitzen bleibe, weiß ich noch nicht, aber einige Jahre, um nicht zu sagen, einige Jahrzehnte, sicher. Und das hat sein Gutes; nichts ist schlechter, als ein schnelles Avancement, je mehr Zeit man hat, sich in die Aufgaben seines Berufes hineinzuleben, desto besser ist es, und damit zusammenhängend ist es auch sehr erfreulich und nur im höchsten Grade zu loben, daß es sehr lange dauert, bis eine Gehaltsaufbesserung eintritt. Wer da weiß, daß er schon in zehn Jahren eine Gehaltserhöhung zu erwarten hat, ist diese ganzen zehn Jahre hindurch unzufrieden und wartet mit Ungeduld auf den Tag, der ihm das höhere Einkommen bringt. Ganz anders aber derjenige, der da weiß, daß die besseren Tage für ihn erst nach zwanzig oder dreißig Jahren kommen, dann hat er die innere Ruhe, ohne die ein glückliches Leben und treueste Pflichterfüllung gar nicht möglich sind.

Und gerade der Postbeamte braucht diese innere Ruhe, denn das Publikum legt es doch nur darauf an, ihn unruhig und nervös zu machen. Ich muß sagen, ich habe mich früher ja selbst sehr oft darüber geärgert, wenn ich vor dem Schalter zusehen und warten mußte, bis der Beamte erst sein Geld durchgezählt oder die Eintragungen in seine Bücher beendet hatte. Aber jetzt, wo ich mich selbst um eine Anstellung bei der Post beworben habe, sehe ich ein, daß das nicht anders geht. Schon um des Ansehens seiner Person und seines Standes willen darf ein Beamter sich nie aus seiner Ruhe bringen lassen, er darf nur das tun, was er als seine Pflicht erkennt, er muß immer nur an das Interesse des Staates, nie an das des Publikums denken. Unser Leben währet siebzig Jahre, manchmal sogar achtzig, das ist eine sehr lange Zeit. Spielt es da nun die geringste Rolle, ob jemand auf seine Freimarken, die er kaufen will, fünf Minuten oder zwanzig Minuten warten muß ? Auf der Schulter eines Beamten ruht eine große Verantwortung, er ist mit seinem Geldbeutel für die Wertsachen, die durch seine Hände gehen, verantwortlich, für ihn bedeuten ein paar Mark, die er zuviel herausgibt oder zu wenig einkassiert, einen großen Verlust. Dieses sieht die Post ja auch selbst ein und hat deshalb den Beamten für Rechnungsirrtümer, an denen sie selbst schuldlos sind, einen Fonds zur Verfügung gestellt, aber der Fonds langt nicht, denn Fonds langen überhaupt nie, was damit seinen Zusammenhang hat, daß Fonds die französische Übersetzung für Geld ist, und wenn das deutsche Geld nicht langt, warum soll es da das französische tun ?

Überhaupt langt ja das meiste auf der Welt nicht, so angeblich auch die freien Tage nicht, die einem Postbeamten zur Erholung im Laufe des Jahres gewährt werden; die sind nur sehr knapp bemessen. Das ist aber natürlich nur die Ansicht der Beamten selbst, die aber in keiner Weise als in Betracht kommend angesehen werden muß, weil es ganz klar ist, daß nur die Vorgesetzten beurteilen können, wie viel frische Luft ein Beamter gebraucht, um wieder gesund zu werden, und um die Publikumsbazillen, um nicht zu sagen, das menschliche Aroma, das er, am Schalter sitzend, täglich einatmen muß, wieder loszuwerden, wozu denn auch noch im Sommer die glühende Hitze, im Winter die Kälte oder aber die Glut eines überheizten Arbeitsraumes kommt, zu welchen sich dann auch noch die Nachtwachen und andere im Interesse des Staates nützliche und notwendige Anstrengungen gesellen, also ich meine, aus allen diesen Zumutungen heraus, die an die Gesundheit eines Subalternen-Postbeamten gestellt werden, wobei ich noch gar nicht einmal den Nachtdiesnt im Freien auf den Gepäckhöfen, auf den Bahnhöfen, erwähnt habe, also ich wiederhole meinender Weise: das kann nur ein Vorgesetzter beurteilen, wie lange ein Beamter braucht, um sich zu erholen.

Wird man als fest angestellter Beamter krank, so ist das für einen pflichtgetreuen Beamten eigentlich eine Demütigung, indem sein Gehalt während dieser Zeit weitergeht, was ich schon deshalb nicht für richtig ansehen kann, weil es ja auch beim Militär eine sogenannte Krankenlöhnung gibt, die das Gute hat, daß sich kein Mensch an den paar Pfennigen, die er da erhält, den Magen verderben und mit selbstgekauften Heimlichkeiten den heimlichen Medikamenten der Ärzte nicht in die Quere kommen kann.

Um aber auf besagten postalischen Hammel zurückzukommen, so meine ich, bei der Post hat man unendlich viel Arbeit, kein unendliches Gehalt und nicht unendlich viel freie Zeit, um auf törichte Gedanken zu kommen. Dies alles hat mich in meinem Beschluß bestärkt, mich um eine Anstellung bei der Post zu bewerben, denn wie wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, so leben wir auch nicht für uns, sondern nur für den Staat.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts