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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 4 vom 17. Oktober 1904


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

III.
Krause über die Kunst.

Es gibt eine militärische und eine zivilistische Wintersaison, beide haben schon jetzt begonnen. Für uns beginnt die Saison mit der Ausbildung der Rekruten, also mit großer körperlicher und geistiger Arbeit, für den Zivilismus tritt das Vergnügen noch mehr als sonst in seine sogenannten Rechte. Aber mit den Vergnügungen allein sind die Leute nicht zufrieden, sie wollen auch ihren geistigen Horizont erweitern, und so haben sie denn jetzt ihre Periode, in der sie für die Kunst schwärmen.

Kust ist, wie schon das eine Wort so wahr und klar sagt, Kunst; weiter nichts; mit der Natur und mit der Wirklichkeit hat es nichts zu schaffen, im Kriege kann sie uns nichts nützen, und für Eure Ausbildung ist sie ganz nebensächlich. So ist es eigentlich überflüssig, daß ich mit Euch darüber rede. Wenn ich es dennoch tue, so geschieht es nur deshalb, weil unser Kaiser ein warmer Förderer der Kunst ist, und da ist es unsere Pflicht, ebenfalls die Kunst zu fördern.

Es gibt sozusagen verschiedene Künste, so z.B. die Kunst, wie der Meier, dieser infame Lümmel, mit offenen Augen zu schlafen, Meier, Sie Heupferd, wachen Sie auf! Aber von dieser Kunst, die noch brotloser ist als die anderen, abgesehen, unterscheidet man die Bildhauerei, die Malerei und die Musik. Heutzutage steht namentlich die Bildhauerei in voller Blüte, und die zum neuen Leben erweckt zu haben, ist das Verdienst unseres Kaisers. Die Bildhauerei besteht bekanntlich darin, daß man einen Marmorblock nimmt und mit einem Hammer alles fortschlägt, was nicht hingehört.

Ich weiß nicht, ob einer von Euch mal in Berlin die Sieges-Allee gesehen hat; wer kennt sie ? Ihr alle ? Das ist brav von Euch, so habe ich endlich mal Gelegenheit, mit Euch zufrieden zu sein. Na, also, wenn Ihr die Sieges-Allee kennt, dann kann ich mich ja kurz fassen, da wißt Ihr ja, was Kunst ist. Wirkliche Kunst. Schon die Seitenrichtung der Figuren ist tadellos, und allein schon daran sieht man, wie richtig die Künstler das Militärische ihrer Helden begriffen und dargestellt haben. Und auch sonst ist die Sieges-Allee das Vollendetste, was es gibt. Auch ich sage darum mit dem Kaiser: die ganze moderne Richtung paßt mir nicht. Die Kunst soll das Schöne darstellen, wo immer sie es findet, aber was gibt es Schöneres, als die Markgrafen und Kurfürsten, die ein jeder an seiner Stelle dazu beigetragen haben, daß Deutschland das geworden ist, was es heute ist. Ich bin auf Urlaub jeden Tag durch den Tiergarten gegangen und habe voller Bewunderung stundenlang vor den Statuen gestanden. Und eines Tages bin ich auch zu einem Denkmal gekommen, auf dem saß ein Mann in einem bequemen Lehnstuhl. Was hat ein Zivilist im Tiergarten zu sitzen, wo so bedeutende Männer wie Otto das Kind und Otto der Faule stehen ? Ich begreife nicht, daß das erlaubt ist, wo doch sonst die Schutzleute aufpassen, daß nichts geschieht, was gegen die allgemeine Ordnung und Schicklichkeit verstößt. Der Mann, der da auf dem Postamente sitzt, ist, wie ich mir habe sagen lassen, ein Mann Namens Wagner, der vielerlei komponiert hat. Manches von ihm ist nicht ganz schlecht, so der Kaisermarsch. Na, da war das Theam ja auch gegeben, und auf unseren Kaiser´kann schließlich jeder einen Marsch komponieren, der Patriotismus im Leibe hat. Aber dann hat er auch Opern geschrieben, aber eigentlich nur für die Engländer und Amerikaner, denn die kommen jedes Jahr in hellen Scharen zu uns, um sie sich anzuhören. Ein Deutscher versteht die Musik nicht, und wenn sie dennoch ins Theater gehen, dann tun sie es, weil sie wenigstens so tun wollen, als ob sie dasselbe verständen wie die Ausländer. Aber in Wirklichkeit verstehen sie es ebensowenig wie ich, und doch habe gerade ich ein großes musikalisches Verständnis. Ich bin zwei Jahre im Pfeiferkorps gewesen, ich sollte sogar Tambourmajor werden, aber ich ging doch lieber in die Front zurück. Aber mein musikalisches Gehör habe ich mir bewahrt, ich weiß heute noch, ob einer falsch oder richtig bläst, und das kann ich Euch sagen: es gibt nur eine wirklich gute, nur eine wahrhaft klassische Musik, die Militärmusik. Aber natürlich nicht die Konzerte, sondern die Musik auf dem Exerzierplatz, wenn die Regimentskapelle den Parademarsch spielt, und sie nicht nur unsere Herzen, sondern auch unsere Beine elektrisiert, wenn wir die Knochen mit Gott für König und Vaterland in die Höhe werfen und die Fußspitzen dabei nach asuwärts nehmen. Und dann denkt nur einmal an die schönen Signale, die Euch täglich vorgeblasen werden, damit sie Euch in Fleisch und Blut übergehen, wie herrlich sind sie, aber auch wie kurz! Ich erinnere Euch nur an das Signal Halt, es besteht nur aus zwei Noten, dem tiefen und dem mittleren C, aber was sagen nicht diese beiden Töne ? Es gibt heutzutage Komponisten, die sogenannte sinfonische Musikstücke schreiben. Die sollen alles Mögliche ausdrücken, Abschied von der Heimat, Wiedersehen, den ersten Kuß, was weiß ich alles, aber verstehen kann das kein vernünftiger Mensch. Bei dem Signal Halt jedoch ist es etwas anderes, das versteht ein jeder. Wenn das im Manöver geblasen wird, da weiß selbst der Dümmste von Euch: mit dem Gefecht ist es für heute vorbei, nun kommt die Kritik, im Anschluß daran ein kurzes Verfolgungsgefecht, Abmarsch in die Quartiere. Mittagessen bei den Fleischtöpfen Ägyptens, ein schöner Nachmittagsschlaf, Liebelei mit einem drallen Bauernmädchen und eine lange Nacht auf dem Heuboden. Und das alles hat der Komponist mit zwei Tönen auszudrücken vermocht, das soll ihm erst mal einer nachmachen.

Von der Oper halte ich so gut wie gar nichts. Ich habe mal eine Oper gehört, in der ein Graf ermordet wird. Statt daß nur einmal gesagt wird, der Graf ist tot, sagen sie es alle. Zuerst singt es ein jeder einzeln, dann singen sie es zusammen im Chor, und dann fängt ein jeder wieder von neuem an. Das nennt man in der Kunstsprache Rezitativ. Das ist dasselbe, als wenn mir z.B. Meier meldet, er hätte sich endlich seine langen Haare schneiden lassen, und als wenn dann hinterher noch jeder von Euch mit der Meldung käme: Meier hat sich die Haare schneiden lassen. So was gibt es doch nicht in Wirklichkeit, wenigstens nicht beim Militär, und ich würde Euch schön auf den Kopf spucken, wenn Ihr solche Komödie aufführtet. Und was es im Leben nicht gibt, muß man sich auf der Bühne auch nicht ansehen, da verwirren sich nur die Begriffe, und Eure Begriffe sind schon sowieso verwirrt genug. Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts