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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 3 vom 10. Oktober 1904


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

II.
Krause über den Krieg.

Wenn ich Euch in der letzten Stunde gesagt habe, der Zivilismus hätte keine Existenzberechtigung oder wenigstens nur eine sehr zweifelhafte, so habe ich damit nicht nur die Wahrheit gesagt, denn das, was ich, der Sergeant Krause, sage, ist immer wahr, sondern ich will Euch auch heute den Beweis dafür erbringen. Ich tue das, indem ich versuche, Eure geistigen Augen auf die beiden Kriege zu lenken, die augenblicklich die Welt in Spannung halten. Nur für diese Kriege hat man augenblicklich Interesse, um das, was die Zivilisten tun, die ja so wie so meistens nichts tun, kümmert sich in diesem Augenblick kein Mensch, und schon damit habe ich Euch bewiesen, daß die Zivilisten überflüssig sind. Im fernen Osten schlagen die Japaner und Russen auf einander los, und in Afrika kämpfen unsere Truppen mit den Hereros. Wie ich mir habe sagen lassen, sind die Hereros Abkömmlinge eines alten griechischen Stammes Heros, was so viel wie "Held" bedeutet. Und das muß man den schwarzen Teufelskerlen lassen, tapfer sind sie, und sie machen den Unsrigen den Sieg verteufelt schwer. Aber kommen wird die Stunde, in der wir sie vernichtet haben, und dann, wenn der Stamm aufgehört hat, zu existieren, wenn das Volk mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist, wenn es sozusagen spur- und geruchslos von der Erdoberfläche verschwunden ist, dann soll es unsere Macht fühlen. Na, aber noch sind wir ja noch nicht so weit, und wir wollen den Sieg nicht feiern, bevor wir ihn haben; dem Sieg voran geht der Krieg, und über den wollte ich mit Euch sprechen. Und Meier, Sie krumme Mondsichel, sitzen Sie nicht krumm und schief da, wie ein Flitzbogen, mit dem die Hereros unsere Leute totschießen, sondern richten Sie sich auf, Kopf hoch, Brust heraus, und lassen Sie Ihre Augen leuchten. Jawohl, leuchten müssen Eure Augen, wenn Ihr das Wort "Krieg" hört. Was für den Zivilisten das Wort "Urlaub", das ist für Euch das Wort "Krieg". Das ist gewissermaßen unsere Erholungsreise, eine Zerstreuung nach dem langen Dienst auf dem Kasernenhof. Der Krieg macht jung, erhält frisch und ist das größte Vergnügen, was man sich denken kann. Zwar ist es mir leider noch nicht vergönnt gewesen, ins Feld zu ziehen, aber ich habe mir erzählen lassen, wie schön das ist, und so habe ich nur einen Wunsch:  K r i e g,  und diesen Wunsch müßt Ihr alle haben, denn für den Krieg üben wir im Frieden. Der Deutsche wird geboren, um Soldat zu werden, der Soldat aber ist dazu da, um im Kriege zu sterben, folglich kommt der Deutsche nur auf die Welt, um im Krieg für das Vaterland zu fallen. Und daß Euch schon von der Stunde Eurer Geburt an ein so hohes Ziel winkt, ist eine Auszeichnung, auf die Ihr stolz zu sein alle Ursache habt. Nun gibt es aber leider Leute, die den Krieg verurteilen, die da über die Opfer an Menschen jammern. Glaubt denen nicht, das sind die falschen Propheten, die da auftreten, um das Volk aufzuwiegeln. Sozialdemokraten und Nihilisten reden so, und erst neulich wieder hat ein russischer Anarchist, Tolstoi nennt sich die Kanaille, hingesetzt und den Zeitungen einen langen Brief über den Krieg geschrieben. Na, was der Mann alles geschrieben hat, kann ich Euch nicht sagen, erstens habe ich mir das nicht gemerkt, zweitens würdet Ihr es nicht vesrstehen, und drittens soll man sich sein Gehirn nicht mit unnützem Ballast anfüllen. Das Exerzierreglement, die Felddienstordnung und die Schießvorschrift, das sind die drei Bücher, deren Inhalt wir in uns aufnehmen und geistig verdauen müssen, was darüber ist, das ist vom Übel. Wie kann ein Mensch über Dinge reden, von denen er keine Ahnung hat, die er nicht in der Praxis kennen lernte.

Der Krieg ist für den Soldaten geradezu der Inbegriff aller Seligkeit, der Tag, an dem er ins Feld zieht, iat sein Ehrentag. Was schon äußerlich dadurch bewiesen wird, daß Ihr, wenn es in den Krieg geht, die ganz neue erste Garnitur anlegen dürft, die Ihr bisher nur auf Kammer gesehen habt, und die einige Auserwählte von Euch neulich haben ausklopfen dürfen. Es gibt freilich überall schlechte Menschen, und so sagen viele, Ihr bekämt nur deshalb im Krieg die erste Garnitur, weil die Lumpen, die Ihr jetzt tragt, die Strapazen eines Krieges nicht aushalten. Das ist nur leeres Gerede, denn eine Hose sechster Garnitur, die schon sechs Jahre gehalten hat, die hält auch noch weitere sechs Jahre, wenn sie ordentlich geflickt ist, und um das zu lernen, habt Ihr ja Eure Putz- und Flickstunden, und außerdem zieht Ihr Euch im Krieg die erste Garnitur an, weil es befohlen ist. Und alles, was befohlen wird, ist gut und schön, und das Ihr das "warum" und "wieso" nicht begreift, das ist das Schönste daran, denn wohin wollte es führen, wenn Ihr alles wüßtet, was Eure Vorgesetzten wissen ? Das wäre Euer geistiges Verhängnis, das wäre Euer geistiger Tod. Geistig aber sollt Ihr erweckt werden, sterben sollt Ihr nur körperlich. Wenn die Kanonen donnern, die feindliche Infanterie Euch beschießt, wenn die Kavallerie mit eingelegter Lanze auf Euch einstürmt, dann sollt Ihr dastehen wie die Felsen, nicht zittern und nicht wanken und mutig dem Tode ins Auge sehen. Ihr sollt ihn nicht fürchten, Ihr sollt hoffen und beten, daß er Euch ereilt. Denn gibt es etwas Schöneres, als hinterher in den Zeitungen zu lesen: den Heldentod für das Vaterland starb der Musketier so und so ? Von den Lebenden redet kein Mensch, die Namen derer, die unversehrt aus der Schlacht zurückkommen, kennt niemand, die Namen der Gefallenen aber leben weiter im Regiment. Sogar auf Gedenktafeln in den Kirchen wird der Name der Toten verewigt, und die Regimentsgeschichte zählt die Namen der Gefallenen auf. Und je größer der Verlust, je mehr fielen, desto größer ist der Ruf des Truppenteils, desto mehr wird die Tapferkeit des Regiments gefeiert, und nur daran, nicht an sich selbst muß der Soldat denken. Jeder von Euch muß den Ehrgeiz haben, in der Schlacht zu fallen, damit hinterher das Lob des Regiments gesungen werden kann, denn das Regiment hat am besten seine Schuldigkeit getan, das ohne einen einzigen Mann aus dem Felde heimkehrt, und dann könnt Ihr noch im Tode stolz darauf sein, Eurem Truppenteil zu solchem Ruhm verholfen zu haben. Und wenn Eure Tapferkeit dann den Sieg entscheidet, dann hat Euer Tod dem Vaterland etwas genützt. Was von Euch gilt, gilt natürlich auch von allen anderen, und so muß ein Krieg schon deshalb sein, damit Ihr Gelegenheit habt, zu sterben.

Das sage ich Euch, der Sergeant Krause!



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© Karlheinz Everts