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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 2 vom 3. Oktober 1904


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Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht *)

I.
Krause über den Zivilismus.

Indem mir nunmehr die sogenannte ehrenvolle Aufgabe zu teil geworden ist, Euch schafsdämliche Jammerhähne auf Stube 238 zu begrüßen, halte ich es für meine Pflicht, Euch zunächst einmal zu sagen, was Ihr bis zu dieser Stunde gewesen seid: Nichts, absolut garnichts. Schon Schiller sagt: "Der Mensch ist als Soldat geboren, das halte fest mit deiner ganzen Kraft, ans Vaterland, ans teure schließ dich an, sei als Soldat ein ganzer Mann." Und er hat recht, schon deshalb, weil er in seiner Jugend Militärfeldscherer war, was ungefähr soviel wie Assistenzarzt bedeutet. Im allgemeinen halte ich ja nicht viel von der medizinischen Wissenschaft, ich bin mal auf Rippenfellentzündung behandelt worden und litt an Magengeschwüren. Aber Schiller war ja auch eigentlich kein richtiger Doktor, sondern eigentlich mehr Militärschriftsteller; was er geschrieben hat, hat Hand und Fuß, und so merkt Euch seine goldenen Worte: "Denn als Soldat nur ist der Mensch geboren." Bevor der Deutsche aber diesen Grad der Vollkommenheit erreicht, wandelt er im Dunkel des Zivilismus einher. Zivilist sein, heißt unmündig sein. Erst der Tag, an dem jemand tauglich zum Militärdienst befunden wird, gibt ihm die Gewißheit, daß er geistig und körperlich normal ist, wenigstens körperlich, denn mit Eurer geistigen Normalität ist es vorläufig noch sehr schwach bestellt. Aber das Zeugnis der Musterungskommission gibt Euch wenigstens die Hoffnung, daß Ihr normal genug seid, um nach und nach in die militärischen Geheimnisse und in den Geist des Militarismus einzudringen. Worin dieser besteht, werde ich Euch später klar zu machen versuchen, heute rede ich über das Zivil. Ich habe mich da neulich mit einem Kameraden gestritten, der wollte den ganzen Zivilismus abschaffen, es sollte gar keine Zivilisten geben und für die Unmündigen sollten Jugendheere und für die Weiber besondere Regimenter gebildet werden, wie bei den Amazonen, das sind nämlich die Frauen am Amazonenstrom in Amerika. Aber ich denke da anders, es muß auch Zivilisten geben, ich urteile da liberaler, obgleich ich sonst, soweit ich als treuer Diener meines Kaisers überhaupt eine politische Meinung habe, den Liberalismus verabscheue.

Es gibt nur Konservatismus, schon deshalb, weil es Christenpflicht ist, alles Bestehende zu konservieren und nichts, was die Natur hervorgebracht hat, zu verwüsten oder zu vernichten. So ist das auch mit den Zivilisten. Man muß ja Mitleid haben mit den Unglücklichen. Seht Euch die Jammergestalten an in ihren blödsinnigen Kleidern, in ihren dämlichen Hüten, der eine Kerl rasiert sich, der andere nicht, der eine geht in Stiefeln, der andere in Schuhen, der eine mit Blumen im Knopfloch, der andere mit langen Locken, die man nur deshalb genial nennt, weil ihr Besitzer modern verrückt ist. Ach, Wehmut ergreift mein Herz jedesmal, wenn ich so was sehe, und ich möchte dann die Brüder immer mit hineinnehmen in die Kaserne, um sie einmal anständig anzuziehen. Aber trotzdem, der Zivilismus muß sein, schon wegen der Steuern. Wer soll die bezahlen, wenn nicht der Zivilist ? Wir bezahlen ja auch unsere Abgaben, aber doch nur wenig, weil wir nämlich kein Geld nicht haben. Wir bluten im Felde mit Gott für König und Vaterland, der Zivilist aber blutet im Frieden bei den Steuern, aber nach meiner Meinung noch lange nicht genug.

Und noch für andere Dinge sind die Zivilisten gut, so für die Heirat und für die Erzeugung von Kindern. Woher sollten wir die Soldaten nehmen, wenn die Zivilisten nicht heiraten und Kinder bekämen ? Dann würde das Heer bald aussterben, denn was ein ordentlicher Soldat ist, der heiratet überhaupt nicht, womit nicht gesagt sein soll, daß Euer Feldwebel, der eine Frau hat, nicht doch ein ganzer Soldat ist.

Verheiratete Unteroffiziere bilden eine Klasse für sich, wie sie ja auch in der Kaserne ihre besonderen Wohnungne haben, und Gnade Euch Gott, wenn Ihr in das Revier der Verheirateten geht, wo Ihr gar nichts zu suchen habt.

Und wenn die Herren Offiziere heiraten, so gebären die nur wieder Offiziere, und für die müssen dann wieder Soldaten da sein, und die muß der Zivilist erzeugen.

Aber auch noch für andere Dinge ist der Zivilist da, wenngleich ich auch im Augenblick nicht gerade weiß, wofür und wozu. Aber Gott hat ja auch den Zivilisten geschaffen, und der tut nichts, ohne sich nicht etwas dabei zu denken. Es steht aber geschrieben, daß der Herr sagt: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, eure Gedanken sind nicht meine Gedanken." Und wenn der Herr das selbst sagt, dann darf man sich nicht wundern, wenn ich ihn nicht begreife. Soviel weiß ich, ich hätte keinen Zivilisten auf die Welt gesetzt, denn wenn ich das so mit ansehe, wie da unmittelbar vor mir der Meier, dieser krummbeinige Schandfleck der Schöpfungen, gähnt und sich herumlümmelt, während ich mir die denkbar größte Mühe gebe, Euch zu belehren und zu bilden, da möchte man reineswegs daran verzweifeln, ob es denn überhaupt einen Zweck hat, daß es außer den Soldaten auch noch andere Menschen gibt. Allerdings, der Meier ist ja nun auch Soldat, das heißt, noch ist er es nicht, wenn er auch schon den bunten Rock trägt. Den Zivilisten macht das Kleid, das er trägt, den Soldaten der Geist, der ihn beseelt. Noch allerdings habt Ihr keinen Geist, das kann man von Euch, die Ihr gewissermaßen ja noch Zivilisten seid, verlangen, denn der Zivilismus ist saudumm. Seht Euch um in der Welt, die jungen Studenten laufen und saufen herum, im Examen fallen die meisten durch, na, und wenn's wirklich mal einer mit Gottes Hilfe zu 'ner halbwegs anständigen Stellung bringt, wie lange dauert's, dann muß er wieder wegen Unfähigkeit entlassen werden. Seht mich an, ich bin nun schon zehn Jahre Unteroffizier, zehn Jahre lang bekleide ich meine verantwortliche Stellung als höherer Militär. Nennt mir einen Zivilisten, der es so lange auf einem verantwortlichen Posten aushält; das tun nicht einmal die Minister, selbst die walten nicht so lange ihres Amtes. Bismarck, ja das war auch der einzige, der was in der Schule gelernt hatte, vergeßt aber auch nicht, er hat lange bei den Kürassieren gestanden und seine Söhne auch, die haben sogar 70/71 mitgemacht, sowas ist immer gut für die allgemeine Familienbildung. Bismarck hat das große Wort gesprochen: "Alles können die anderen Staaten uns nachmachen, nur nicht den preußischen Leutnant." Woher hätte Bismarck wohl diese tiefe Weisheit hernehmen sollen, wenn er nicht selbst Söhne gehabt hätte, die Offiziere waren ? Aber er hatte sie, und folglich weitete sich sein ohnehin nicht unbedeutender Verstand durch den Umgang mit dem Militär. So wurde er das, was er war und was Ihr bei Eurem nächsten Rekrutenspaziergang in Bronze ausgehauen sehen werdet. Die Hosen sitzen ihm allerdings nicht, ich habe in der Zeitung gelesen, sie haben ihm hinterher ein Paar neue gießen wollen, aber sie haben kein Geld nicht gehabt, denn neue Bronzehosen sollen noch teurer sein als die anderen. Na, auf die Hosen kommt es ja auch nicht an, sondern nur, daß das Herz nicht in ihnen sitzt, und da hat es Bismarck nie gesessen, früher nicht, als er noch im Heere stand, und jetzt nicht, wo er nur noch auf dem Postamente steht. Und damit wollen wir denn die heutige Besprechung schließen; was ich sagen wollte, habe ich Euch klar zu machen versucht.


  *)  Durch einen Zufall bin ich in den Besitz der Reden gelangt, die der Sergeant Krause, bei einem Berliner Regiment stehend, seinen Leuten Abends während der Putzstunden hielt und die von einem seiner Zuhörer stenographiert wurden. Ich übergebe sie hiermit fast wortgetreu der Öffentlichkeit und hoffe, daß Krauses weise Reden in den weitesten Kreisen Anklang finden.

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© Karlheinz Everts