Freiherr von Schlicht

im Kabarett.


Eine Meldung aus der Frankfurter Zeitung vom 9.Aug. 1901



Berliner Sommerkünste.

Man schreibt uns aus Berlin vom 6.August: Die infolge der Landestrauer verhängte Theatersperre scheint den Berliner Theater­leitern in diesem Sommer ihres Mißvergnügens recht gelegen zu kommen. Denn bisher führten unsere Theater den Kampf gegen die Hitze wohl unentwegt, voll und ganz, aber beileibe nicht ganz voll. Selbst die zuverlässigsten Freibillet-Acceptanten weigerten sich schon energisch, Billets ohne sonstige Vergütung entgegenzunehmen, trotzdem es ihnen vergönnt war, oft ein zweifach Schauspiel zu erleben: auf der Bühne etwa die „dritte Eskadron” und im Zuschauerraum: „Einsame Menschen!” Beim Rampenlicht besehen, kann man den guten Leuten nicht so unrecht geben: Was man den Berlinern so im Sommer an Theaterkünsten bietet, das ist, wie man hier zu sagen pflegt, „das Ende von weg”. Aus der tiefsten Provinz hat man sicn ein paar Leute geholt, man möchte sagen, von den reisendsten Gesellschaften, und mit ihrer Hilfe tischt man uns große Opern auf, französische Comödien und last not least Ueberbrettl's jeglicher Schattirung. Ach Gott ja, die Geister, die Herr v.Wolzogen rief, die werden wir nimmer los! Im Westend-Theater hat sich ein „Theater Charivari” aufgethan, das den klangvollen Untertitel „Secessionsbrettl” führt und ebenso wie die „Lebenden Lieder”, die sich bei Kroll eingemiethet haben, den Beweis liefert, daß Herr v.Wolzogen jedenfalls Schule gemacht, daß aber in dieser Schule leider Keiner etwas gelernt hat. Und er selbst kocht in seinem Original-Ueberbrettl mit dem trüben Wasser einer vierzehnten Garnitur ein recht mageres Kunstsüpplein. In dieser Truppe entdeckte ich u.A. als erste Soubrette eine vormalige Choristin eines niederen Possen-Theaters, als ersten Baryton einen unscheinbaren Sänger eines Panoptikum-Variétés und als erste Diseuse eine Dilettantin von hinreißender Talentlosigkeit, die ihre Abstammung aus den sonnenfreundlichen Gründen der Wiener Leopoldstadt in ihrem Dialekt sehr mit Unrecht betont. Nicht zu vergessen den Conférencier, der wohl auf einen gutklingenden freiherrlichen Namen hört, aber nicht das geringste Talent zur Ansagerei verräth. Er ist ein negativer Humorist. Wenn schon das Original-Ueberbrettl jetzt so aussieht, kann man sich denken, was uns im Winter bevorsteht. Denn höret, was der Weise spricht: Die Zahl der Ueberbrettl-Concessionsgesuche ist von 42 auf ca. 60 gestiegen! Alles macht Ueberbrettl und Alles geht zum Ueberbrettl. Wenn Sie heute in einem Bohème-Café einen engagementslosen „Künstler” nach seinem engeren Berufe fragen, so erhalten Sie zur Antwort: Liedermaler, Bildertänzer oder gar Dialektmimiker! Gott schütze uns.
R.S.


Korrektur:

Im „Berliner Tageblatt” vom 14. August 1901 fand ich im Feuilleton eine Information, die zeigt, daß die oben angeführte Meldung „Berliner Sommerkünste” sich nicht auf Schlicht/Baudissin bezieht:

E.v.Wolzogens „Buntes Theater” („Überbrettl”) am Alexanderplatz nimmt nach der achttägigen Unterbrechung infolge der Landestrauer heute seine Vorstellungen wieder auf. Das um einige Nummern bereicherte Programm wird unter der Leitung des Herrn Barons v.Levetzow in Szene gehen. . . . .



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© Karlheinz Everts